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Nochmals: „Pflichti“ nur für Haftbefehlstermin, oder: Nehmt zur Kenntnis – Zug fährt in die richtige Richtung

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Heute ist „Gebührenfreitag“. Und den eröffne ich heute mit dem AG Schweinfurt, Beschl. v. 27.12.2024 – 6 Ds 2 Js 9719/23 – zu den Gebühren des Pflichtverteidigers, der dem Beschuldigten nur für die Vertretung in einem Termin zur Eröffnung eines Haftbefehls beigeordnet worden ist. Der bekommt „alles“:

„Die vom Verteidiger beantragten Gebühren sind vollständig begründet.

Die Grundgebühr nach Nr. 4100 und 4101 fällt an, für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4106, 4107 entsteht für den ersten Rechtszug, also das Betreiben des Geschäfts, einschließlich der Information. Es ist strittig, ob diese Gebühren auch bei einem Pflichtverteidiger anfallen, der bloß die Vertretung im Termin zur Eröffnung des Haftbefehls wahrnimmt und im sonstigen Verfahren nicht mehr als Verteidiger auftritt (zum Streitstand siehe Knaudt in BeckOK RVG 65. Edition, Stand 01.09.2024, RVG VV 4100 Randnr. 1.1. zu den Nachweisen der verschiedenen Gerichtsentscheidungen). Die befürwortende Ansicht erscheint jedoch überzeugender. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich der Pflichtverteidiger in den Einzelfall einarbeiten muss, auch wenn er nur in einem einzelnen Termin auftritt (siehe dazu OLG Bamberg, Beschluss vom 21.12.2010, Az.: 1 WS 700/10). Wenn der Verteidiger sich nicht in den Einzelfall einarbeiten würde, wäre eine vernünftige Vertretung in dem Termin schlichtweg nicht möglich. Auf diese Weise würde der Sinn der Vertretung durch einen Pflichtverteidiger ausgehöhlt.

Weitergehend ist auch die Pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 anzusetzen. Alleine die Teilnahme am Haftbefehlseröffnungstermins bedarf einer vorherigen Kommunikation per Telekommunikation. Insofern ist der Gebührentatbestand erfüllt. Eine Begründung, warum dies nicht der Fall sein sollte, ist nicht ersichtlich. Daher kann der Verteidiger die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr, jeweils mit Zuschlag, sowie die Pauschale für Post- und Telekommunikation abrechnen (siehe dazu OLG Zweibrücken, Beschluss vom 07.06.2023, Az.: 1 WS 105/23).

….“

Folgende Anmerkung: Bitte lieber Vertreter der Staatskassen, die ihr ggf. mitlest, nehmr zur Kenntnis, dass der (Gebühren)Zug zu der Problematik in die auch hier vom AG gewählte Richtung fährt. Und die ist richtig, auch wenn es euch nicht gefallen mag. Das haben euch ja in der letzten Zeit genügend Gericht, auch OLGs, bescheinigt. Von daher habe ich wenig Verständnis, wenn mir Kollegen berichten, dass sie immer noch um diese Gebühren kämpfen und den Weg durch alle Instanzen gehen müssen, damit entsprechend abgerechnet wird. Also nehmt die Entwicklung hin. Man kann nicht immer gewinnen – zum Glück.

Und eine weitere Bitte: Wenn ich gegen Kostenfestsetzungsanträge Stellung nehmt und/oder eure Rechtsmittel begründet: Bitte führt nicht nur Uraltrechtsprechung an, die die Frage vor Jahren mal anders entschieden hat, über die aber inzwischen die Entwicklung hinweg gegangen ist. Sondern zitiert auch die neue Rechtsprechung und setzt euch mit ihr auseinander. Alles andere ist unseriös und sollte der Staatskasse nicht würdig sein.

Vielleicht hilft der Appell. Ich hoffe es. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Zur Erstattung von Corona-Desinfektionskosten, oder: AG Altena, AG Heinsberg. LG Aachen, LG Hamburg: Ja

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Und heute dann zum letzten Mal in 2021 der „Kessel Buntes“, denn am nächsten Samstag ist der 1. Weihnachtsfeiertag und dann ist das Jahr auch schon vorbei.

Ich stelle hier dann zunächst vier Entscheidungen zur Erstattung von Desinfektionkosten vor, und zwar:

Alle vier Gerichte haben die Desinfektionskosten erstattet, ich erspare mir hier die Einzelheiten, sondern ordne das Selbstleseverfahren an. Das LG Hamburg hat die Revision zugelassen, vielleicht hören wir dann ja mal etwas vom BGH dazu.

Doe Volltexet zu AG Heinsberg und LG Aachen findet man übrigens nicht bei mir, sondern beim Kollegen Frese aus Heinsberg. Ich habe auf die von ihm eingestellten Entscheidungen verlinkt. Ging schneller 🙂 .

 

Regulierung eines Verkehrsunfall in Großbritannien, oder: Anwendbares Recht, Haftung, Schadenshöhe

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Und als zweite Entscheidung, dann mal etwas Außergewöhnliches, nämlich die Regulierung eines Verkehrsunfalls in Großbritannien, und zwar in Saint Albans, Großbritannien an einem Kreisverkehr. Die Klägerin macht u.a. Gutachterkosten,  Reparaturkosten, Vorhaltekosten und eine allgemeine Auslagenpauschale geltend.

Gestritten wird um den Unfallhergang und die Höhe des Schadens. Die Klägerin trägt vor, dass der Zeuge S zum Unfallzeitpunkt mit dem ihrem Lkw MAN, auf dem Kreisverkehr auf der linken Spur fuhr, als Herr pp. mit einem bei der Beklagten versicherten Pkw von der rechten auf die linke Spur überwechselte. Dabei kam es zum Zusammenstoß zwischen dem klägerischen Fahrzeug vorne rechts und dem Beklagtenfahrzeug. Weiter trägt die Klägerin vor, dass der Unfall für den Zeugen S unvermeidbar gewesen sei.

Die Klage war teilweise begründet. Das AG führt im AG Schweinfurt, Urt. v. 07.06.2021 – 3 C 1314/19 – u.a. aus:

„I. Das AG Schweinfurt ist örtlich zuständig. Der Geschädigte kann bei einem Verkehrsunfall im Ausland an seinem Wohnsitzgericht eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer der Gegenseite erheben, da eine Direktklage gern. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG im deutschen Recht zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines europäischen Mitgliedsstaates ansässig war, BGH NJW 2008, 2343 (VI ZR 200/05), EuGH VersR 2008, 111 (C.463/06, FBTO Schadeverzekeringen NV./. Odenbreit).

Das Amtsgericht Schweinfurt ist gem. den §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG auch sachlich zu-ständig.

II. Anwendbares Recht:

Vorliegend ist materiell rechtlich das Recht des Vereinigten Königreichs, insbesondere Englisches Recht, maßgebend (Deliktsstatut).

Gem. Art. 4 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (Tatortregel).

Haben der Ersatzpflichtige und der Verletzte ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in demselben Staat, unterliegen Ansprüche aus Straßenverkehrsunfällen gemäß Abs. 1 dem Recht des Unfall-orts, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 Rom II-VO Rn. 96.

Gem. Art. 15 Rom II-VO ist das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnis-se anzuwendende Recht insbesondere maßgebend

a) für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht werden können;

b) die Haftungsausschlussgründe sowie jede Beschränkung oder Teilung der Haftung;

c) das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung,

Das angerufene Gericht hat die Schadensberechnung auch sonst in derselben Weise vorzunehmen wie ein Gericht im Staat der lex causae. So wie bei Rechtsgeschäften nicht zwischen einem Vornahmestatut und einem Wirkungsstatut zu trennen ist, erfolgt auch bei unerlaubten Handlungen keine kollisionsrechtliche Trennung von Haftungsgrund und Haftungsfolgen, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 15 Rom II-VO Rn. 14.

Im engeren Sinne ist englisches Recht anwendbar, da jede Gebietseinheit des vereinigten Königreichs als eigener Staat gilt. Der Unfall hat in England stattgefunden, somit ist englisches Recht anwendbar. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, dem sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt.“

Zur Haftung und zur Schadenshöhe dann bitte selbst weiterlesen.

Amtsgerichte/Rechtsprechung zur (verfassungswidrigen) Videomessung

Inzwischen gibt es ja einiges an Rechtsprechung in Zusammenhang mit der Entscheidung des BVerfG in 2 BvR 941/08. Hier mal eine kleine Auswahl, ohne die jetzt hier kommetieren zu wollen.

Die Entscheidungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und haben auch unterschiedliche Begründungen. Aber: Man kann mit ihnen argumentieren.

AG Lünen: Mit VKS (?) aufgenommenes Tatfoto unverwertbar; das folgt aus BVerfG 2 BvR 941/08

Der Newsletter der Verkehrsrechtsanwälte meldet gestern, dass das Amtsgericht Lünen durch Beschluss vom 14.10.2009 – 16 OWi-225 Js entschieden hat, dass ein Tatfoto, das am 29.01.2009 aufgrund einer Verkehrsüberwachung mittels Videoaufzeichnung mit dem Verkehrskontrollsystem Typ VKS aufgenommen wurde, nicht verwertet werden darf. Das Amtsgericht hat unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 festgestellt, dass das in den Akten vorhandene Fahrerfoto unter Verstoß gegen ein verfassungsrechtlich begründetes Beweiserhebungsverbot gewonnen wurde, da in Nordrhein-Westfalen keine bundeseinheitliche Ermächtigungsgrundlage für ein verdachtsunabhängiges Videografieren des laufenden Verkehrs existiert. Nach Ansicht des Amtsgerichts Lünen folgt aus dem Beweiserhebungsverbot im konkreten Fall auch ein Beweisverwertungsverbot, da es sich bei der zur Last gelegten Tat nicht um eine Straftat von erheblicher Bedeutung, sondern lediglich um eine Ordnungswidrigkeit gehandelt hat, so dass das Interesse des Staates an der funktionierenden Strafrechtspflege hinter dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten muss.

Interessante Argumentation, aber ich habe so meine Zweifel, ob der Beschluss beim OLG Hamm – zuständig wäre der 1. Strafsenat – Bestand haben wird, wenn die Rechtsbeschwerde zulässig ist. Der Beschluss scheint mir nämlich ein wenig knapp begründet. Zum Tatgeschehen wird überhaupt nichts mitgeteilt (Abstandsverstoß, Geschwindigkeitsüberschreitung, welches Messverfahren, wie gemessen). Etwas mehr hätte der Amtsrichter – meine ich – schon feststellen müssen.

Mal sehen, wie es weitergeht…