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Vollzug I: Verfassungswidrige Gefangenenvergütung, oder: Bis zum 30. Juni 2025 muss etwas passieren

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Und heute dann ein Vollzugstag.

Den beginne ich zu dem Theman (natürlich) mit dem BVerfG, Urt. v. 20.06. 2023 – 2 BvR 166/16 u. 1683/17 – zur Gefangenenvergütung.  Mit dem Urteil hat das BVerfG zwei Strafgefangenen Recht gegeben, die Freiheitsstrafen in der JVA Straubing in Bayern und in der JVA Werl in Nordrhein-Westfalen verbüßen. Der eine arbeitete in einer anstaltseigenen Druckerei, der andere als Kabelzerleger in einem entsprechenden Betrieb. Beide hatten jeweils eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts beantragt. Sowohl die JVA Straubing und als auch die JVA Werl lehnten die Anträge ab. Die von den beiden Gefangenen dagegen vor den Fachgerichten eingelegten Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Ihre Verfassungsbeschwerden waren hingegen erfolgreich..

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung des BVerfG:

Pflichti II: 3 x interessante Beiordnungsgründe (?), oder: KiPo, Maskenpflicht, verfassungswidriger BtM-Besitz

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zu den Beiorndungsgründem, also § 140 StPO, allerdings nur die jweiligen Leitsätze, und zwar:

In Verfahren mit dem Verfahrensgegenstand „Verbreitung von Kinderpornografie“ ergibt sich die Schwierigkeit der Sachlage i.S. des § 140 Abs. 2 StPO aus dem Umstand, dass der Beschuldigte sein sich aus § 147 Abs. 4 StPO ergebendes Akteneinsichtsrecht nicht ohne Verteidiger in vollem Umfang wahrnehmen kann.

Anmerkung: Die Entscheidung ist noch zum „alten Recht“ ergangen.

Der einem Betroffene zur Last gelegte Verstoß gegen die Maskenpflicht (CoronaVO) führt nicht zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Rechtslage.

Anmerkung: Das kann man m.E. mit guten Gründen auch anders sehen.

Zur bejahten Bestellung eines Pflichtverteidigers in einem BtM-Verfahren, in dem den Angeklagten zwar nur Besitz unter dem Grenzwert der nicht geringen Menge vorgeworfen wird, der Verteidiger jedoch. die Verfassungswidrigkeit des § 29 BtMG gerügt hat.

Anmerkung: Zur Nachahmung empfohlen 🙂 .

Corona I: Kontakt-, Alkohol- und Ausgangsverbot, oder: Was sagen Gerichte zur Wirksamkeit von Corona-VO?

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Heute dann der Start in die 4. KW.

Und ich starte mit Entscheidungen zu Corona. Zunächst stelle sich drei Entscheidungen vor, die sich mit der Wirksamkeit von Corona-Verordnungen aus zwei Bundesländern befassen, und zwar der aus Bayern und der aus Thüringen:

An der Spitze steht der Hinweis auf den BayVGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 20 NE 21.76, über den ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Normenkontrollverfahren eines Bürgers aus Regensburg. Der Beschluss hat im zusammengefasst etwa folgenden Inhalt:

  • Der BayVGH hat das in Bayern angeordnete Alkoholverbot im öffentlichen Raum (§ 24 Abs. 2 der 11. BayIfSMV) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Begründung:  Nach § 28a IfSG sind  Alkoholverbote nur an bestimmten öffentlichen Plätzen vorgesehen. Die Anordnung eines Alkoholverbots für gesamt Bayern überschreite diese Verordnungsermächtigung des Bundesgesetzgebers.
  • Abgelehnt hat der BayVGH hingegen die Außervollzugsetzung der Regelungen über Kontaktbeschränkungen, wonach sich Angehörige eines Hausstandes nur noch mit einer Person eines anderen Hausstandes treffen dürfen. Diese Kontaktbeschränkungen sind nach Auffassung des BayVGH vom IfSG gedeckt, hinreichend bestimmt und angesichts des aktuellen pandemischen Geschehens auch verhältnismäßig.
  • Mit der ebenfalls angeordneten Schließung von Bibliotheken und Archiven hatte der BayVGH Probleme, da keine Ausnahmen für Bring-und Abholdienste vorgesehen sind, was Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit haben könnte. Bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache überwiege aber das öffentliche Interesse an der Eindämmung der Corona-Pandemie das individuelle Interesse des Antragstellers, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
  • Schließlich hat der BayVGH den Antrag, die 15-km-Regelung für tagestouristische Ausflüge außer Vollzug zu setzen, als unzulässig abgewiesen. Begründung hier: Der Antragsteller sei von der Regelung derzeit/noch nicht betroffen, weil die Regelung erst ab einer Sieben-Tages-Inzidenzvon 200 gelte und Regensburg eine viel niedrigere Inzidenz aufweise.

Die zweite Entscheidung, die ich dem Zusammenhang vorstelle, kommt auch aus Bayern, und zwar vom AG Straubing. Das hat sich im AG Straubing, Beschl. v. 09.01.2021 – 7 OWi 709 Js 13822/20 jug – mit der Ordnungswidrigkeit des Aufenthalts im öffentlichen Raum im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkung nach dem BaylfSMV befasst. Der Betroffenen war durch Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, sich am 10.4.2020 gegen 20:30 Uhr zusammen mit einer anderen Frau in Straubing am Bahnhofsgelände aufgehalten zu haben. Darin hat der Bußgeldbescheid einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 der zu dem Zeitpunkt gütligen gesehen, der das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubte.

Das AG Straubing hat frei gesprochen. Kurzfassung der Begründung: § 4 Abs. 2 BaylfSMV habe das Verlassen der Wohnung verboten und nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Nach § 5 Nr. 9 BaylfSMV sei das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig. Eine Auslegung von § 5 Nr. 9 BaylfSMV dahingehend, dass jeder Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne triftigen Grund bußgeldbewehrt sei, scheitere an Art. 103 Abs. 2 GG. Der Wortlaut der Verordnung sei eindeutig. Dass der Verordnungsgeber damit möglicherweise, wie sich auch aus der Gesamtschau mit § 4 Abs. 1 BaylfSMV ergebe andere Ziele verfolgt habe, könne sein. Der Verordnungsgeber habe sich aber bewusst für die Regelung einer Ausgangssperre entschieden und nicht für Kontakt- oder Aufenthaltbeschränkungen, wie sie teilweise in anderen Bundesländern gegolten hätten. Auch habe die Verordnung keine Rückkehrpflicht nach einem Verlassen mit triftigem Grund vorgesehen.

Und als dritte Entscheidung stelle ich das AG Weimar, Urt. v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20 – vor. Gegenstand des Verfahrens war hier eine Geburtstagsfeier in den Abendstunden des am 24.04.2020, zu der sich die Betroffene zusammen mit mindestens sieben weiteren Personen im Hinterhof eines Hauses in W. aufhielt, um den Geburtstag eines der Beteiligten zu feiern. Die insgesamt acht Beteiligten verteilten sich auf sieben verschiedene Haushalte. Dieses Verhalten des Betroffenen verstieß gegen § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 der Dritten Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) vom 18.04.2020 in der Fassung vom 23.04.2020. Danach wäre maximal ein Gast aus einem anderen Haushalt erlaubt gewesen.

Das AG Weimar hat frei gesprochen. Das AG sieht die Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0) vom 26.03.2020 als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig an. Begründung:

  • Die VO war formell verfassungswidrig: Für den Erlass der in der Verordnungen enthaltenen weitreichenden Regelungen wäre nämlich nicht die Exekutive zuständig gewesen, sondern die Legislative. Es hätte auch nicht nur eine Verordnung sondern ein Gesetz erlassen werden müssen.
  • Die VO sei auch materiell verfassungswidrig. Denn die am 28.03.2020 vom Bundestag festgesteller epidemische Lage von nationaler Tragweite“ habe es nicht gegeben habe. Die Reproduktionszahl R sei nach den den Zahlen des Robert-Koch-Instituts nämlich schon am 21.03.2020 unter den Wert Eins gefallen. Auch die Zahlen zur Übersterblichkeit, zur Intensivbettenbelegung und zur Letalität des Virus lieferten keine Grundlage für so eine Behauptung. Das müsse man bei einer Abwägung von Rechtsgütern berücksichtigen.
  • Das Kontaktverbot sei zudem nicht verhältnusmäßig (gewesen), da es gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG als unantastbar garantierte Menschenwürde verstoße.

Ich verkneife mir lange Kommentare zu den Entscheidungen, nur so viel:

Dem BayVGH kann ich folgen, dem AG Straubing – auf den ersten Blick – auch. Mal sehen, was das BayObLG damit macht; ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde einlegen wird.

Beim AG Weimar habe ich erhebliche Probleme. Ich sehe die Zahlen und die Grundlagen für die im Frühjahr getroffenen Maßnahmen anders als das AG Weimar, dessen Urteil jetzt natürlich Wasser auf die Mühlen der Corona-Leugner ist, man muss nur mal mit dem Aktenzeichen bei Googel suchen. Ich fühle mich durch die bisherigen Maßnahmen im Übrigen auch nicht in meiner „Menschenwürde“ beeinträchtigt.

Damit aber genug. Und bzw. ach so: Ich habe die Kommentarfunktion geschlossen.Ich habe keine Zeit – und auch, das räume ich ein, keine Lust – auf lange Diskussionen. Das mögen die, die anderer Meinung sind als ich an anderer Stelle erledigen 🙂 .

BGH zur Verwertbarkeit von Telekommunikations-Verkehrsdaten auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG

Der BGH hat in seinem Beschl. v. 04.11.2010 – 4 StR 403/10 zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer während der Geltungsdauer einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nach deren einschränkenden Vorgaben gerichtlich angeordneten und vollzogenen Ermittlungsmaßnahme (hier: Anforderung und Übermittlung von Telekommunikations-Verkehrsdaten), wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner späteren Hauptsacheentscheidung die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage für die Ermittlungsmaßnahme feststellt, Stellung genommen und die Verwertbarkeit im Streitfall bejaht, weil sich das AG und das LG an die Vorgaben der einstweiligen Anordnungen des BVerfG in der Sache gehalten hatten. Die spätere Entscheidung in der Hauptsache führe zu keinem anderen Ergebnis.

Interessante und lesenswerte Entscheidung, nicht nur, weil die Ausgangsentscheidung vom LG Münster kam :-).

Gewogen und zu leicht befunden: „Winterreifenpflicht“ verfassungswidrig (!!) und damit endgültig begraben

Vor vier Jahren hat der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 3 a Satz 1 StVO eine sog. „Winterreifenpflicht“ eingeführt. Schon danmals war man sich darüber einig, dass es mit diesem Gebot nicht weit her ist (vgl. dazu u.a. VRR 2006, 168) . Denn was ist ein „Winterreifen“? Die StVO definiert das nicht. Zu der Zeit gab es dann auch den schönen Spruch des damaligen Bundesverkehrsministers (wer wer das eigentlich noch?), dass auch ein guter Sommerreifen ein Winterreifen sein kann, was nicht unbedingt zur Klarheit beigetragen hat.

Die neue Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 StVO hat aber in der Praxis nicht die Bedeutung erlangt, die man zunächst vermutet hatte. Entscheidungen, die sich mit ihr beschäftigt haben, sind nicht bekannt geworden. Jetzt ist die Vorschrift im offenbar ersten Anlauf auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand gescheitert.

Das OLG Oldenburg hat in seinem Beschl. v. 09.07.2010 – 2 SsRs 220/09 – die Vorschrift als zu unbestimmt und damit als verfassungswidrig angesehen. Die Formulierung in der StVO sei zu ungenau. Wenn man ein Bußgeld für das Faharen mit Sommerreifen im Winter wolle, müsse man klar vorschreiben, welche Reifen bei welchem Wetter zu verwenden seien.Das OLG hat die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben und den Betroffenen nur wegen überhöhter Geschwindigkeit bei Glatteis verurteilt. Die „Winterreifenpflicht“ ist damit endgülitg begraben.