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OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Hand umklammert das Lenkrad mit fester Faust

Und als zweite Entscheidung dann noch einmal das AG Straubing, und zwar das AG Straubing, Urt. v. 16.08.2021 – 9 OWi 705 Js 16602/21. Das hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Den Vorsatz hat das AG wie folgt begründet:

„Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen in vorsätzlicher Begehungsweise erfolgte.

In der Gesamtschau der objektiven Umstände in Zusammenschau mit der Einlassung des Betroffenen ist das kognitive und das voluntative Element einer vorsätzlichen Begehensweise zumindest in Form eines bedingten vorsätzlichen Handelns gegeben.

Vorliegend erfolgt der Rückschluss auf eine vorsätzliche Begehungsweise aus folgenden Erwägungen:

Vorliegend wurde die zulässige Geschwindigkeit (50km/h) um ca. 60 % überschritten Bereits dieses hohe Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts indiziert das Wollenselement des wenigstens bedingten Vorsatzes.

Das Gericht ist sich dabei bewusst, dass in der Regel allein vom objektiven Ausmaß einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht zwingend auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden kann. Im vorliegenden Fall kommen jedoch weitere objektive Umstände und die Einlassung des Betroffenen hinzu, die dieses Indiz stützen und in der Gesamtschau den Schluss auf ein vorsätzliches Handeln zulassen.

Es handelt sich hierbei um folgende objektive Umstände:

Jeder Fahrzeugfahrer weiß in der Regel, dass innerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit max. 50 km/h beträgt. Anhaltspunkte dafür, dass dem Betroffenen dies nicht bekannt war, sind nicht vorhanden und wurden seitens des Betroffenen auch nicht eingewendet. Der Betroffene gibt selbst an aus Richtung L. und mithin einer Durchfahrung einer Ortschaft gekommen zu sein, was sich auch mit dem Messprotokoll und den Angaben der Zeugin deckt. Er startete seine Fahrt mithin innerorts. Der Betroffene wendet nicht ein, dass er bereits ein Ortsschild gesehen habe, welches das Ende der Ortschaft markiert.

Der Betroffene gibt zwar an, er habe in Erinnerung, dass die Höchstgeschwindigkeit vor längerer Zeit dort auf 70 km/h beschränkt sei. Dies liege jedoch ca. 1,5 bis 2 Jahre zurück. Diese Einlassung ist jedoch als Schutzbehauptung zu werten. Die Zeugin hat glaubhaft angegeben schon etwa 5 Jahre an der Örtlichkeit zu messen und dass in dieser Zeit immer die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Ortsschild 50 km/h betragen habe. Der Betroffene wusste mithin, dass er die Strecke schon länger nicht mehr gefahren ist und dass er sich beim Losfahren innerorts befunden hat. Er wendet nicht ein, dass er ein Ortsendeschild wahrgenommen hat. Insofern hielt er es zumindest für möglich, sich noch in der Ortschaft zu befinden. Diese Annahme wird auch durch weitere objektive Umstände im Sinne der Bebauung und des Straßenverkaufs gestützt (ähnlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Oktober 1998 – 5 Ss (OWi) 302/98 – (OWi) 127/98 I – Rn. 6, juris).

Der Streckenverlauf war ausweislich der glaubhaften Angaben der Zeugin gerade und die Strecke ging bergauf. Dies deckt sich auch mit den Lichtbildern Bl. 4, 8-11 d.A. Auch der Betroffene gibt an, es sei bergauf gegangen. Insofern ist denknotwendig eine Betätigung des Gaspedals erforderlich.

An der Messörtlichkeit sind auf einer Seite mehrere Häuser und mithin eine zusammenhängende Bebauung zu erkennen. Dies ergibt sich aus den Angaben der Zeugin und den Lichtbildern Bl. 4, 8-11 d. A. Die Zeugin hat zudem glaubhaft bekundet, dass kurz vor der Messörtlichkeit aus L. kommend für Fahrer auf dieser Straße bereits links und rechts zusammenhängende Wohnbebauung erkennbar sei. Der Betroffene räumt selbst ein, aus der Ortschaft Leiblfing gekommen zu sein und mithin diese von der Zeugin genannte Strecke gefahren zu sein.

Dies indiziert, dass der Betroffene gemerkt haben muss, dass er zu schnell fährt, zumal der Betroffene aufgrund seiner eigenen nicht zu widerlegenden Einlassung ein Motiv hatte, zu schnell zu fahren, im Hinblick auf die terminlich gebotene Eile. Er gab selbst an. er habe es eilig gemacht und habe schnell noch Material holen müssen und es habe im Hinblick auf den Anschlusstermin pressiert. Der Betroffene ist auch kein Fahranfänger. Er arbeitet bereits seit Februar 2019 im väterlichen Betrieb und fährt in der Regel täglich werktags mit dem Auto zur Arbeit und fährt auch während der Arbeitszeit selbst zu Baustellen. Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene mit dem Fahrzeug keine Fahrpraxis hatte, waren nicht vorhanden und wurden nicht eingewendet.

Auch aus der Mimik des Betroffenen auf dem Messfoto sind objektive Umstände für ein vorsätzliches Handeln zu eruieren.

Aus dem Messfoto Bl. 4 d.A. ist zudem zu entnehmen, dass der Betroffene sehr konzentriert wirkt und auf zügiges Fortkommen bedacht ist. Er wirkt nicht abgelenkt. Dies ergibt sich aus dem Messfoto aus folgenden Umständen: Der Betroffene zeigt keine Blickabwendung, sondern schaut geradeaus nach vorne. Die Augen sind weit offen, was eine Anspannung und Konzentration indiziert. Die Hand umklammert das Lenkrad mit einer festen Faust. Die Hand ist mithin nicht weit offen über das Lenkrad positioniert, sondern als geballte Faust einzustufen. Auch dies indiziert eine Anspannung und Fokussierung auf das Fahren mit möglicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Dass dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, steht der Annahme von Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19. Februar 2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20 –, Rn. 27, juris).“

Bemerkenswert fleißig das AG 🙂 . Obwohl das hier m.E. gar nicht nötig gewesen wäre. Man muss m.E. kein Prophet sein, um zu sagen. Die 60-prozentige Überschreitung hätte dem BayObLg wahrscheinlich gereicht.

OWi I: Die Kosten-/Halterhaftung nach § 25a StVG, oder: Scheibenwischerwarnung reicht nicht

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Heute dann ein OWi-Tag mit drei Entscheidungen aus Bayern, zweimal AG Straubing und einmal BayObLG.

Ich beginne mit dem AG Straubing, Beschl. v. 23.08.2021 – 9 OWi 441/21 –, ergangen zur Halterhaftung nach § 25a StVG.

Folgender Sachverhalt:

„….Im Hinblick auf einen mit dem Fahrzeug der Halterfirma begangenen Parkverstoß am 31.03.2021 wurde am Tattag am Tatfahrzeug eine sog. Scheibenwischerverwarnung mit Verwarnungsgeldangebot angebracht.

Eine Zahlung des Verwarnungsgeldes erfolgte nicht.

Am 15.04.2021 und 06.05.2021 gingen zwei Fahrerermittlungen mit einfachem Brief an die Halterfirma. Die Schreiben enthielten jeweils zugleich einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht nach § 25a StVG.

Eine Rückantwort bzw. Zahlung der Halterfirma blieb aus.

Am 09.06.2021 erging sodann gegen die Halterfirma ein Kostenbescheid gemäß § 25a StVG. Der Bescheid wurde am 16.06.2021 per Postzustellungsurkunde zugestellt.

Mit Schreiben vom 17.06.2021 beantragte die anwaltlich vertretene Halterfirma eine gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG hinsichtlich des Kostenbescheides vom 09.06.2021.“

Der Antrag hatte beim AG dann Erfolg:

„2. Der Antrag ist begründet.

Der angefochtene Kostenbescheid erging nicht rechtmäßig, da die Voraussetzungen für den Erlass des Kostenbescheides nach § 25a StVG nicht vorlagen.

Die Kostenfolge des § 25a Abs. 1 StVG setzt voraus, dass die Ermittlungen des Täters nicht mit angemessenem Aufwand möglich sind. Zu einem angemessenen Aufwand der Täterermittlung gehört auch die rechtzeitige Befragung des Halters.

Eine solche rechtzeitige Halterbefragung liegt hier nicht vor.

Eine Anhörung des Halters ist nicht bereits in der sogenannten Scheibenwischerverwarnung zu erblicken. Sinn und Zweck des § 25a StVG ist die sichere Feststellung, dass der Halter die Möglichkeit hatte, den Fahrzeugführer zu benennen.

Gemessen an diesen Voraussetzungen genügt die Scheibenwischerverwarnung nicht, um von einer sicheren Feststellung auszugehen. Es ist nicht hinreichend gewährleistet, dass die Scheibenwischerverwarnung zur Kenntnis des Halters gelangt. Hierbei sind lebensnah vielfältige Ursachen, angefangen von bloßem Vergessen bis zur Nichtwahrnehmung des Zettels, möglich. Auch ist im Hinblick auf die Begrifflichkeiten des eingetragenen Halters, der nicht zwingend immer die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug hat, für den Fahrer nicht zu überblicken bzw. einsehbar, wer als Halter zu benachrichtigen ist (NZV 2020, 504).

Auch die seitens der Stadt pp. am 15.04.2021 und 06.05.2021 an den Halter versandte Anhörung genügt nicht dem vorgenannten Rechtzeitigkeitsgebot. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 31a StVZO ist die Rechtzeitigkeit am Zwei-Wochen-Maßstab zu messen. Nur bei einer solchen kurzen Zeitspanne ist ein Erinnerungsvermögen des Halters für die Frage, wer am Tattag das Fahrzeug hatte, realistisch (NZV 2020, 504, vgl. auch AG Berlin-Tiergarten, Beschluss vom 27.04.2016 – 290 OWi 389/16 (LSK 2016, 132258, beck-online). Vorliegend erfolgte die Absendung des Anhörungsbogens erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist. Hier sind keine Gründe ersichtlich, dass der Anhörungsbogen nicht innerhalb von zwei Wochen hätte versandt werden können. Die Tatsache, dass die Osterfeiertage in den Zeitraum der 2 Wochen fallen, rechtfertigt keine Verlängerung der Frist. Erinnerungen an den Fahrer sind im Gedächtnis eines Halters nicht deswegen länger verhaftet, weil kurz nach der Tat Feiertage folgen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass gerade Feiertage dazu führen können, dass durch Abschalten vom Alltagstrubel die Erinnerung eher verblasst. Gerade bei Feiertagen ist daher die Frist von 2 Wochen strikt einzuhalten. Im Übrigen fallen durch die Osterfeiertage für die Stadt lediglich 2 Werktage (Karfreitag und Ostermontag) als Arbeitstage weg.

Entgegen des Vorbringens der Stadt pp. ist es auch nicht belegt, dass die Scheibenwischerverwarnung bereits innerhalb von 14 Tagen in den Verantwortungsbereich des Halters gelangt ist.

Ein weiteres Argument, dass die Scheibenwischerwarnung nicht als rechtzeitige Befragung anzusehen ist, ist der Hinweis der Stadt pp. im Anhörungsschreiben. Insofern geht die Stadt pp. selbst davon aus, dass erst dieses Schreiben als Anhörung des Betroffenen zu werten ist, was durch den Hinweis auf § 55 OWiG untermauert wird.

Ein weiteres Argument gegen die Gleichsetzung von Scheibenwischerverwarnung und Anhörung des Halters ist auch, dass, selbst bei Erhalt der Verwarnung, der Halter nicht davon ausgehen muss, dass die Verwarnung zugleich als Aufforderung zu verstehen ist, den wahren Fahrer zu benennen. Es ist für einen rechtsunkundigen Laien nicht zweifelsfrei zu erkennen, dass zugleich eine Anhörungsmöglichkeit eröffnet ist.“

Corona II: Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht, oder. Ausreichende Glaubhaftmachung?

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Und im zweiten „Corona-Posting“ dann eine Entscheidung, und zwar das AG Straubing, Urt. v. 03.05.2021 – 9 OWi 704 Js 7202/21. Es nimmt Stellung zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, kurz: Maske.

Das  AG hat die Betroffene wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund – Nasenbedeckung verurteilt. Die Betroffene hatte im Verfahren u.a. geltend gemacht: Sie habe, als „ein Attest gehabt, dieses jedoch nicht bei sich geführt. Sie habe eine Dauerdiagnose aufgrund einer im Jahr 2016 erlittenen Lungenembolie. Sie habe das Attest erst im Termin zur Hauptverhandlung vorgelegt, da sie dies ungern aus der Hand gebe. Im Übrigen habe sich nicht gedacht, dass sich die Sache so hochschaukele. Das Attest habe ein Arzt aus Hamburg ausgestellt, da es schwierig sei Ärzte für ein solches Attest zu finden. Der Arzt aus Hamburg habe sie im Jahr 2016 wegen der Lungenembolie auch behandelt.“ Die Betroffene hat in der Hauptverhandlung außerdem drei Schriftstücke übergeben, mit denen sie glaubhaft machen wollte, dass sie von der Maskenpflicht befreit sei.

Dem AG hat das nicht gereicht:

„Die Betroffene hat im Termin zur Hauptverhandlung drei Schriftstücke übergeben, mit denen sie glaubhaft machen wollte, dass sie von der Maskenpflicht befreit sei. Die Verfahrensbeteiligten hatten vom Wortlaut dieser Schriftstücke Kenntnis. Für das Gericht sind diese Schriftstücke auch in ihrer Gesamtschau nicht geeignet die Glaubhaftmachung der Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasenschutzes i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zu begründen. Es handelt sich dabei im Einzelnen um folgende Schriftstücke:

Bei einem Schriftstück handelt es sich um ein ärztliches Attest mit Ausstellungsort Hamburg. Das Attest datiert auf den 20.06.2020 und wurde von einem Facharzt für Innere Medizin ausgestellt. Das Attest nennt keine Diagnose. Es wird lediglich pauschal ausgeführt, dass die Betroffene aus gesundheitlichen Gründen keine Gesichtsmaske tragen könne.

Bei einem weiteren Schriftstück handelt es sich um einen Ausdruck eines Medikamentensplans für die Betroffene für Medikamente ab dem 01.01.2019 vom 29.04.2021, unterschrieben von einem Allgemeinarzt in Mengkofen. Bei vier der sechs aufgeführten Medikamente ist handschriftlich vermerkt, dass es sich um ein Asthmaspray handelt.

Bei einem weiteren Schriftstück handelt es sich um einen Ausdruck vom 29.04.2021 für die Betroffene, in welchem Dauerdiagnosen aufgeführt sind. Das Schriftstück trägt wiederum Stempel mit Unterschrift des Allgemeinarztes in Mengkofen, welcher bereits den Medikamentenplan unterschrieben hat. Zum einen ist als Dauerdiagnose mit Datum 12.02.2016 Zustand nach Lungenembolie ohne Angabe eines akuten Corpumonale aufgeführt. Desweiteren ist mit Datum 21.01.2021 Belastungsasthma sowie Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung als Dauerdiagnose aufgeführt.

In der Gesamtschau der Beweiswürdigung auch in Zusammenschau mit der Einlassung der Betroffenen in der Hauptverhandlung ist eine Glaubhaftmachung für die Befreiung vom Tragen einer Mund-Nasenbedeckung am Tattag aus folgenden Erwägungen nicht gegeben:

Grundsätzliches ist ein ärztliches Attest zwar ein taugliches Mittel zur Glaubhaftmachung einer Befreiung i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Die Verordnung nennt selbst die Vorlage eine ärztlichen Bescheinigung als taugliches Mittel. Die Verordnung stellt zwar an die ärztliche Bescheinigung gewisse Mindestanforderungen. Bei gesundheitlichen Gründen, auf die sich die Betroffene berufen will, erfolgt laut Verordnung die Glaubhaftmachung durch eine ärztliche Bescheinigung, die die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie den Grund, warum sich hieraus eine Befreiung der Tragepflicht ergibt. Allerdings sind die Mittel der Glaubhaftmachung nicht abschließend aufgeführt, so dass die Mindestanforderungen an ein Attest kein „Muss“ sind und mithin die Glaubhaftmachung auch auf andere Art und Weise erfolgen kann.

Die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sieht mithin in § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 keine abschließende Regelung hinsichtlich der Mittel der Glaubhaftmachung einer Befreiung vor. Durch die Formulierung „insbesondere“ ist eine Glaubhaftmachung somit auch auf andere Weise möglich.

Das Gericht sieht auch, dass eine Glaubhaftmachung nicht mit einem Vollbeweis gleichzusetzen ist. Es muss lediglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Behauptung zutrifft.

Auch verkennt das Gericht nicht, dass es sich bei § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung um eine Ausnahme zum Grundsatz der Maskenpflicht handelt und mithin aufgrund des Ausnahmecharakters eine restriktive Auslegung geboten ist. Dies lässt den Schluss zu, dass die Mindestvoraussetzungen für ein ärztliches Attest, die der Verordnungsgeber nennt, als Messlatte für die Glaubhaftmachung heranzuziehen sind und die anderen möglichen Mittel der Glaubhaftmachung eine vergleichbare Qualität aufweisen müssen. Mithin bedeutet dies, dass bei einem Attest, das nicht den insbesondere genannten Anforderungen entspricht, nur in Zusammenschau mit anderen vergleichbaren Mitteln die Anforderungen an die Glaubhaftmachung Genüge getan ist.

Die Betroffene hat vor Ort das Attest nicht vorgelegt und nicht darauf hingewiesen, dass sie es später vorlegen wird. Auch im Einspruchsverfahren wurde das Attest nicht vorgelegt. Auch nachdem bereits Termin zur Hauptverhandlung bestimmt war und sich auch ein Verteidiger angezeigt hat, wurde das Attest nicht vorgelegt. Die Betroffene ist zwar nicht verpflichtet Entlastungstatsachen im Einspruchsverfahren vorzulegen. Die Glaubhaftmachung für die Befreiung von der Maskenpflicht ist jedoch spätestens im Termin zur Hauptverhandlung glaubhaft zu machen. Es ist jedoch lebensfremd, wenn die Betroffene davon ausgeht, sie habe aufgrund des Vorhandenseins des Attests nicht ordnungswidrig gehandelt, dieses erst im Termin vorlegt. Das Attest stammt zudem von einem Arzt aus Hamburg und enthält keine Diagnose. Auch wurde das Attest nicht im Original vorgelegt, sondern lediglich als eingescanntes Dokument. Desweiteren sind im Attest keine näheren Ausführungen ersichtlich, weshalb die Betroffene aus gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen kann und ob dies für jegliche Situation und für jegliche Dauer gilt. Insbesondere hat die Betroffene selbst vorgetragen, sie habe nur über den S.platz gehen wollen, um den Sohn zu besuchen. Mithin wäre der Einlassung der Betroffenen zufolge nur eine kurze Wegstrecke zu bewältigen gewesen. Die Betroffene wohnt in Mengkofen. Der ausstellende Arzt hat in Hamburg seine Praxis. Die Betroffene gibt zwar an, dass sie den Arzt aus dem Jahr 2016 kenne und es schwierig sei einen Arzt zu finden, der ein Befreiungsattest ausstelle. Dies zeigt, dass die Betroffene selbst schon Zweifel hat, ob ihr Gesundheitszustand für ein Befreiungsattest ausreicht. Das Attest datiert zudem vom Juni 2020. Die Tat wurde am 23.01.2021 begangen. Im Rahmen der Hauptverhandlung wurde darauf hingewiesen, dass es allgemeinkundig sei, dass Krankschreibungen von Ärzten in der Regel nicht über mehrere Monate erfolgen, da der gesundheitliche Zustand immer wieder neu überprüft wird und sich diese Argumentation auf ein ärztliches Attest, welches keine Zeitspanne enthält, übertragen lässt. Indem die Betroffene vorträgt, dass der Arzt aus Hamburg sie aus dem Jahr 2016 von dem Flug kenne, bei dem sie eine Lungenembolie erlitten habe und nur schwer ein Arzt zur Ausstellung des Attestes zu finden sei, räumt sie selbst ein, dass eine Behandlung in Gegenwart des ausstellenden Arztes zum Zeitpunkt der Ausstellung des Attests mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht stattgefunden hat. Dies wird auch dadurch gestützt, dass das Attest handschriftlich ausgestellt ist. Ein Befreiungsattest hinsichtlich der Maskenpflicht ist vom Sinn und Zweck dazu vorgesehen, oftmals in Verwendung zu sein, um die Befreiung glaubhaft zu machen. Es ist daher naheliegend, um Leseschwierigkeiten aufgrund der Handschrift Vorschub zu leisten, das Attest computergeschrieben zu erstellen. Auch ist es lebensnah, dass ein Arzt weiß, dass die Maskenpflicht die Regel ist und eine Befreiung die Ausnahme, so dass ein Arzt zum Wohle des Patienten, sofern kein Gefälligkeitsattest ausgestellt werden soll, bemüht ist möglichst plausibel im Attest die Gründe für die Befreiung darzulegen. Überdies enthält das Attest keine Wohnanschrift der Betroffenen, was bei Erfassung der Daten der Betroffenen im Computersystem in der Praxis und entsprechenden Computerausdruck der Fall gewesen wäre. Dieses Defizit an persönlichen Daten, die auch für eine Zuordnung des Attestes zum entsprechenden Patienten wesentlich sind, indiziert, dass eine persönliche Untersuchung nicht stattgefunden hat. Auch handelt es sich beim dem Vordruck um ein Rezept. Das Schriftstück enthält das Kürzel Rp. Dies indiziert, dass das Attest nicht nach persönlicher Vorstellung und tatsächlicher Prüfung des Gesundheitsstandes im Zusammenhang mit dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im regulären Praxisbetrieb ausgestellt wurde. Die übergebenen Schriftstücke zeigen auch, dass die Medikation seitens des Allgemeinarztes in Mengkofen dokumentiert wird. Eine Dokumentation der Diagnosen und Medikation vom ausstellenden Arzt des Attestes hat die Betroffene hingegen nicht vorgelegt. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass der das Attest ausstellende Arzt keine fundierte Kenntnis vom aktuellen Gesundheitszustand der Betroffenen mangels persönlicher eingehender Untersuchung hat.

Die Betroffene trägt auch nicht vor, dass sie bei diesem Arzt in Hamburg in Behandlung sei, sondern dass sie diesen von früher von dem Flug aus dem Jahr 2016 kenne und sie für die Ausstellung des Attestes diesen gewählt habe, da es schwer sein einen Arzt für die Ausstellung eines solchen Attestes zu finden. Insofern ist der ausstellende Arzt über den aktuellen Zustand der Betroffenen nicht als aktuell behandelnder Arzt informiert.

Die Ausdrucke, die vom Allgemeinarzt in Mengkofen stammen, enthalten keine Aussage, ob der Betroffenen aufgrund etwaiger Erkrankungen das Tragen eines Mund-Nasenschutzes nicht möglich ist. Im Übrigen wurde der Ausdruck erst am 29.04.2021 erstellt und besitzt daher auch in der Gesamtschau keinen großen Stellenwert in der Glaubhaftmachung für den Tattag. Auch ist zu sehen, dass der Allgemeinarzt, der seine Praxis im Wohnort der Betroffen hat, zwar Diagnosen und Medikamente im Computersystem hat und diese am 29.04.2021 ausdruckt und mithin zeitlich kurz vor dem Termin, allerdings kein Befreiungsattest von diesem Arzt zugleich vorgelegt ist. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass der Allgemeinmediziner keine Gründe für eine Befreiung gesehen hat und mithin das vorgelegte Attest als sog. Gefälligkeitsattest einzustufen ist.

Die Zeugin hat zudem angegeben, sie habe von Kollegen gehört, dass die Betroffene an der Demonstration teilgenommen habe. Das Gericht sieht zwar, dass es sich vorliegend um eine Aussage vom Hörensagen handelt, was den Beweiswert schwächt. Allerdings ist zu sehen, dass die Betroffene von der Zeugin nach etwa 30 Minuten nochmals angetroffene wurde und sie erst dann den Sohn besuchen wollte, was die Aussage der Teilnahme an der Demonstration stützt. Dies steht dennoch im Widerspruch zur Einlassung der Betroffenen, welche nach Straubing gekommen sei, um den Sohn zu besuchen. Zwar schließt dieses Motiv eine spontane Teilnahme an der Demonstration nicht aus. Allerdings ist es lebensfremd, dass die Betroffene erst an der Demonstration teilgenommen hat und den Besuch hinten an gestellt hat. Die Zeugin hat glaubhaft angegeben, dass die Betroffene nach nochmaligem Antreffen ca. 30 Minuten später angegeben habe, dass sie nunmehr den Besuch vornehme. Wertneutral ist die Teilnahme an der Demonstration zu sehen, da im Lichte des Art. 8 GG Überzeugungen zu den Coronaschutzmaßnahmen sich nicht auf die Beurteilung der Frage der Glaubhaftmachung eines Befreiungstatbestandes auswirken, da selbst bei Gegnern von Coronaschutzmaßnahmen durchaus ein gesundheitlicher Grund für die Befreiung von der Maskenpflicht vorliegen kann.

In der Gesamtschau aller Indizien ist daher eine Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht erfolgt.“

Corona I: Kontakt-, Alkohol- und Ausgangsverbot, oder: Was sagen Gerichte zur Wirksamkeit von Corona-VO?

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Heute dann der Start in die 4. KW.

Und ich starte mit Entscheidungen zu Corona. Zunächst stelle sich drei Entscheidungen vor, die sich mit der Wirksamkeit von Corona-Verordnungen aus zwei Bundesländern befassen, und zwar der aus Bayern und der aus Thüringen:

An der Spitze steht der Hinweis auf den BayVGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 20 NE 21.76, über den ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Normenkontrollverfahren eines Bürgers aus Regensburg. Der Beschluss hat im zusammengefasst etwa folgenden Inhalt:

  • Der BayVGH hat das in Bayern angeordnete Alkoholverbot im öffentlichen Raum (§ 24 Abs. 2 der 11. BayIfSMV) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Begründung:  Nach § 28a IfSG sind  Alkoholverbote nur an bestimmten öffentlichen Plätzen vorgesehen. Die Anordnung eines Alkoholverbots für gesamt Bayern überschreite diese Verordnungsermächtigung des Bundesgesetzgebers.
  • Abgelehnt hat der BayVGH hingegen die Außervollzugsetzung der Regelungen über Kontaktbeschränkungen, wonach sich Angehörige eines Hausstandes nur noch mit einer Person eines anderen Hausstandes treffen dürfen. Diese Kontaktbeschränkungen sind nach Auffassung des BayVGH vom IfSG gedeckt, hinreichend bestimmt und angesichts des aktuellen pandemischen Geschehens auch verhältnismäßig.
  • Mit der ebenfalls angeordneten Schließung von Bibliotheken und Archiven hatte der BayVGH Probleme, da keine Ausnahmen für Bring-und Abholdienste vorgesehen sind, was Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit haben könnte. Bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache überwiege aber das öffentliche Interesse an der Eindämmung der Corona-Pandemie das individuelle Interesse des Antragstellers, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
  • Schließlich hat der BayVGH den Antrag, die 15-km-Regelung für tagestouristische Ausflüge außer Vollzug zu setzen, als unzulässig abgewiesen. Begründung hier: Der Antragsteller sei von der Regelung derzeit/noch nicht betroffen, weil die Regelung erst ab einer Sieben-Tages-Inzidenzvon 200 gelte und Regensburg eine viel niedrigere Inzidenz aufweise.

Die zweite Entscheidung, die ich dem Zusammenhang vorstelle, kommt auch aus Bayern, und zwar vom AG Straubing. Das hat sich im AG Straubing, Beschl. v. 09.01.2021 – 7 OWi 709 Js 13822/20 jug – mit der Ordnungswidrigkeit des Aufenthalts im öffentlichen Raum im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkung nach dem BaylfSMV befasst. Der Betroffenen war durch Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, sich am 10.4.2020 gegen 20:30 Uhr zusammen mit einer anderen Frau in Straubing am Bahnhofsgelände aufgehalten zu haben. Darin hat der Bußgeldbescheid einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 der zu dem Zeitpunkt gütligen gesehen, der das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubte.

Das AG Straubing hat frei gesprochen. Kurzfassung der Begründung: § 4 Abs. 2 BaylfSMV habe das Verlassen der Wohnung verboten und nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Nach § 5 Nr. 9 BaylfSMV sei das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig. Eine Auslegung von § 5 Nr. 9 BaylfSMV dahingehend, dass jeder Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne triftigen Grund bußgeldbewehrt sei, scheitere an Art. 103 Abs. 2 GG. Der Wortlaut der Verordnung sei eindeutig. Dass der Verordnungsgeber damit möglicherweise, wie sich auch aus der Gesamtschau mit § 4 Abs. 1 BaylfSMV ergebe andere Ziele verfolgt habe, könne sein. Der Verordnungsgeber habe sich aber bewusst für die Regelung einer Ausgangssperre entschieden und nicht für Kontakt- oder Aufenthaltbeschränkungen, wie sie teilweise in anderen Bundesländern gegolten hätten. Auch habe die Verordnung keine Rückkehrpflicht nach einem Verlassen mit triftigem Grund vorgesehen.

Und als dritte Entscheidung stelle ich das AG Weimar, Urt. v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20 – vor. Gegenstand des Verfahrens war hier eine Geburtstagsfeier in den Abendstunden des am 24.04.2020, zu der sich die Betroffene zusammen mit mindestens sieben weiteren Personen im Hinterhof eines Hauses in W. aufhielt, um den Geburtstag eines der Beteiligten zu feiern. Die insgesamt acht Beteiligten verteilten sich auf sieben verschiedene Haushalte. Dieses Verhalten des Betroffenen verstieß gegen § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 der Dritten Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) vom 18.04.2020 in der Fassung vom 23.04.2020. Danach wäre maximal ein Gast aus einem anderen Haushalt erlaubt gewesen.

Das AG Weimar hat frei gesprochen. Das AG sieht die Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0) vom 26.03.2020 als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig an. Begründung:

  • Die VO war formell verfassungswidrig: Für den Erlass der in der Verordnungen enthaltenen weitreichenden Regelungen wäre nämlich nicht die Exekutive zuständig gewesen, sondern die Legislative. Es hätte auch nicht nur eine Verordnung sondern ein Gesetz erlassen werden müssen.
  • Die VO sei auch materiell verfassungswidrig. Denn die am 28.03.2020 vom Bundestag festgesteller epidemische Lage von nationaler Tragweite“ habe es nicht gegeben habe. Die Reproduktionszahl R sei nach den den Zahlen des Robert-Koch-Instituts nämlich schon am 21.03.2020 unter den Wert Eins gefallen. Auch die Zahlen zur Übersterblichkeit, zur Intensivbettenbelegung und zur Letalität des Virus lieferten keine Grundlage für so eine Behauptung. Das müsse man bei einer Abwägung von Rechtsgütern berücksichtigen.
  • Das Kontaktverbot sei zudem nicht verhältnusmäßig (gewesen), da es gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG als unantastbar garantierte Menschenwürde verstoße.

Ich verkneife mir lange Kommentare zu den Entscheidungen, nur so viel:

Dem BayVGH kann ich folgen, dem AG Straubing – auf den ersten Blick – auch. Mal sehen, was das BayObLG damit macht; ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde einlegen wird.

Beim AG Weimar habe ich erhebliche Probleme. Ich sehe die Zahlen und die Grundlagen für die im Frühjahr getroffenen Maßnahmen anders als das AG Weimar, dessen Urteil jetzt natürlich Wasser auf die Mühlen der Corona-Leugner ist, man muss nur mal mit dem Aktenzeichen bei Googel suchen. Ich fühle mich durch die bisherigen Maßnahmen im Übrigen auch nicht in meiner „Menschenwürde“ beeinträchtigt.

Damit aber genug. Und bzw. ach so: Ich habe die Kommentarfunktion geschlossen.Ich habe keine Zeit – und auch, das räume ich ein, keine Lust – auf lange Diskussionen. Das mögen die, die anderer Meinung sind als ich an anderer Stelle erledigen 🙂 .