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U-Haft I: Zur Haftprüfung wird nicht „verschubt“?, oder: Aufhebung des Haftbefehls

entnommen wikimedia commons Author Renardo la vulpo

Und auch heute dann „normaler“ Arbeitstag, auch wenn „Vatertag“ ist. Es werden ja nicht alle mit dem Bollerwagren unterwegs sein. Ich bin es nicht. Ich bin zwar unterwegs, aber nicht mit dem Bollerwagen, sondern nach Borkum 🙂 .

Ich mache heute dann mal einen U-Haft-Tag. In den starte ich mit dem AG Hamburg, Beschl. v. 14.01.2022 – 164 Gs 1489/21. Der Beschluss ist zwar schon etwas 🙂 älter, aber ein Bericht lohnt sich (noch). Denn das AG ha im AG Hamburg, Beschl. v. 14.01.2022 – 164 Gs 1489/21 – wegen einer nicht möglichen/erfolgten Vorführung des Beschuldigten zum Haftprüfungstermin den Haftbefehl aufgehoben.

„Der o.g. Haftbefehl war aufzuheben, da ein weiteres Aufrechterhalten jedenfalls nicht mehr verhältnismäßig wäre.

Wie das hiesige Gericht heute zufällig auf Nachfrage bei der JVA pp. erfahren hat, wurde der Beschuldigte nicht – wie angekündigt – von der JVA pp. nach Hamburg verschubt, sondern ist in der JVA pp. verblieben.

U.a. durch E-Mail vom 3.1.2022 war dem hiesigen Gericht zuvor von der JVA pp., Herrn pp. mitgeteilt worden, dass der Beschuldigte am 6.1.2022 verschubt und voraussichtlich auf 11.1.2022 in Hamburg eintreffen wird.

Von dieser Verschubung wurde, ohne dass das die Haftkontrolle führende hiesige Gericht in die Entscheidung einbezogen und darüber informiert wurde, auf unbekannte Veranlassung abgesehen. Auf telefonische Nachfrage am heutigen Tag wurde dem hiesigen Gericht von der JVA mitgeteilt, dass eine Unterrichtung des zuständigen Gerichts nicht üblich sei.

Das hiesige Gericht hat, da der Beschuldigte eine Haftprüfung beantragt hat, innerhalb der gesetzlichen Fristen von 14 Tagen persönlich eine Anhörung des Beschuldigten durchzuführen. Diese gesetzliche Frist kann hier im Hinblick auf die einfach unterbliebende Verschubung des Beschuldigten nach Hamburg nicht mehr eingehalten werden. Dieser Umstand darf nicht zu Lasten des Beschuldigten gehen, zumal der Beschuldigte über seinen Verteidiger am heutigen Tag eine aktuelle Ladungs- und Zustellanschrift mitgeteilt hat.

Der Haftbefehl war daher – nach Anhörung des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft Hamburg – aufzuheben.

Der Beschuldigte wird rein vorsorglich darauf hingewiesen, dass er, sollte er nicht unter der benannten Anschrift c/o pp. oder einer anderweitig mitgeteilten neuen Anschrift zuverlässig für Staatsanwaltschaft und Gericht erreichbar sei, er gegebenenfalls jederzeit erneut mit dem Erlass eines Haftbefehls zu rechnen hat.“

Ich frage mich allerdings, was mit § 118a Abs. 2 Satz 2 StPO ist. Dazu sagt das AG nichts.

OWi I: Die Kosten-/Halterhaftung nach § 25a StVG, oder: Scheibenwischerwarnung reicht nicht

Bild von diddi4 auf Pixabay

Heute dann ein OWi-Tag mit drei Entscheidungen aus Bayern, zweimal AG Straubing und einmal BayObLG.

Ich beginne mit dem AG Straubing, Beschl. v. 23.08.2021 – 9 OWi 441/21 –, ergangen zur Halterhaftung nach § 25a StVG.

Folgender Sachverhalt:

„….Im Hinblick auf einen mit dem Fahrzeug der Halterfirma begangenen Parkverstoß am 31.03.2021 wurde am Tattag am Tatfahrzeug eine sog. Scheibenwischerverwarnung mit Verwarnungsgeldangebot angebracht.

Eine Zahlung des Verwarnungsgeldes erfolgte nicht.

Am 15.04.2021 und 06.05.2021 gingen zwei Fahrerermittlungen mit einfachem Brief an die Halterfirma. Die Schreiben enthielten jeweils zugleich einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht nach § 25a StVG.

Eine Rückantwort bzw. Zahlung der Halterfirma blieb aus.

Am 09.06.2021 erging sodann gegen die Halterfirma ein Kostenbescheid gemäß § 25a StVG. Der Bescheid wurde am 16.06.2021 per Postzustellungsurkunde zugestellt.

Mit Schreiben vom 17.06.2021 beantragte die anwaltlich vertretene Halterfirma eine gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG hinsichtlich des Kostenbescheides vom 09.06.2021.“

Der Antrag hatte beim AG dann Erfolg:

„2. Der Antrag ist begründet.

Der angefochtene Kostenbescheid erging nicht rechtmäßig, da die Voraussetzungen für den Erlass des Kostenbescheides nach § 25a StVG nicht vorlagen.

Die Kostenfolge des § 25a Abs. 1 StVG setzt voraus, dass die Ermittlungen des Täters nicht mit angemessenem Aufwand möglich sind. Zu einem angemessenen Aufwand der Täterermittlung gehört auch die rechtzeitige Befragung des Halters.

Eine solche rechtzeitige Halterbefragung liegt hier nicht vor.

Eine Anhörung des Halters ist nicht bereits in der sogenannten Scheibenwischerverwarnung zu erblicken. Sinn und Zweck des § 25a StVG ist die sichere Feststellung, dass der Halter die Möglichkeit hatte, den Fahrzeugführer zu benennen.

Gemessen an diesen Voraussetzungen genügt die Scheibenwischerverwarnung nicht, um von einer sicheren Feststellung auszugehen. Es ist nicht hinreichend gewährleistet, dass die Scheibenwischerverwarnung zur Kenntnis des Halters gelangt. Hierbei sind lebensnah vielfältige Ursachen, angefangen von bloßem Vergessen bis zur Nichtwahrnehmung des Zettels, möglich. Auch ist im Hinblick auf die Begrifflichkeiten des eingetragenen Halters, der nicht zwingend immer die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug hat, für den Fahrer nicht zu überblicken bzw. einsehbar, wer als Halter zu benachrichtigen ist (NZV 2020, 504).

Auch die seitens der Stadt pp. am 15.04.2021 und 06.05.2021 an den Halter versandte Anhörung genügt nicht dem vorgenannten Rechtzeitigkeitsgebot. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 31a StVZO ist die Rechtzeitigkeit am Zwei-Wochen-Maßstab zu messen. Nur bei einer solchen kurzen Zeitspanne ist ein Erinnerungsvermögen des Halters für die Frage, wer am Tattag das Fahrzeug hatte, realistisch (NZV 2020, 504, vgl. auch AG Berlin-Tiergarten, Beschluss vom 27.04.2016 – 290 OWi 389/16 (LSK 2016, 132258, beck-online). Vorliegend erfolgte die Absendung des Anhörungsbogens erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist. Hier sind keine Gründe ersichtlich, dass der Anhörungsbogen nicht innerhalb von zwei Wochen hätte versandt werden können. Die Tatsache, dass die Osterfeiertage in den Zeitraum der 2 Wochen fallen, rechtfertigt keine Verlängerung der Frist. Erinnerungen an den Fahrer sind im Gedächtnis eines Halters nicht deswegen länger verhaftet, weil kurz nach der Tat Feiertage folgen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass gerade Feiertage dazu führen können, dass durch Abschalten vom Alltagstrubel die Erinnerung eher verblasst. Gerade bei Feiertagen ist daher die Frist von 2 Wochen strikt einzuhalten. Im Übrigen fallen durch die Osterfeiertage für die Stadt lediglich 2 Werktage (Karfreitag und Ostermontag) als Arbeitstage weg.

Entgegen des Vorbringens der Stadt pp. ist es auch nicht belegt, dass die Scheibenwischerverwarnung bereits innerhalb von 14 Tagen in den Verantwortungsbereich des Halters gelangt ist.

Ein weiteres Argument, dass die Scheibenwischerwarnung nicht als rechtzeitige Befragung anzusehen ist, ist der Hinweis der Stadt pp. im Anhörungsschreiben. Insofern geht die Stadt pp. selbst davon aus, dass erst dieses Schreiben als Anhörung des Betroffenen zu werten ist, was durch den Hinweis auf § 55 OWiG untermauert wird.

Ein weiteres Argument gegen die Gleichsetzung von Scheibenwischerverwarnung und Anhörung des Halters ist auch, dass, selbst bei Erhalt der Verwarnung, der Halter nicht davon ausgehen muss, dass die Verwarnung zugleich als Aufforderung zu verstehen ist, den wahren Fahrer zu benennen. Es ist für einen rechtsunkundigen Laien nicht zweifelsfrei zu erkennen, dass zugleich eine Anhörungsmöglichkeit eröffnet ist.“