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Corona I: Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkung, oder: Nur der „Versorgungsgang“ zählt, sonst nichts

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So, heute dann mal wieder zum Wochenauftakt zwei „Corona-Entscheidungen“. Passt zu den steigenden Inzidenzen.

An der Spitze der BayObLG, Beschl. v. 24.06.2021 – 202 ObOWi 660/21 – zu Auslegung des Merkmals „triftiger Grund“ in § 4 Abs. 2 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung  (fürchterliches Wort 🙂 ). Das AG hat den Betroffenen von dem gegen ihn in einem Bußgeldbescheid geamchten Tatvorwurf, vorsätzlich gegen die vorläufige Ausgangsbeschränkung nach § 5 Nr. 9 i.V.m. § 4 Abs. 2 der BayIfSMV verstoßen zu haben, frei gesprochen. Dem Betroffenen war zur Last gelegt worden, seine Wohnung am 13.04.2020 ohne triftigen Grund verlassen, sich gegen 13:20 Uhr zusammen mit 2 anderen Personen auf einem Parkplatz eines Schnellimbissrestaurants aufgehalten und dabei einen Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten zu haben.

Das BayObLG hat auf die zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft den Freispruch aufgehoben:

„1. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deswegen der Aufhebung, weil die Darstellung der Gründe nicht den Anforderungen (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO) an ein freisprechendes Urteil genügt.

a) Das Urteil des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es keine ausreichenden Feststellungen enthält, welche die Beurteilung zuließen, ob der Freispruch zu Recht erfolgt ist. Auch wenn ein Gericht den Betroffenen aus Rechtsgründen freispricht, muss es Feststellungen zur Sache treffen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet wurde (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 22.03.2018 – 5 StR 566/17 = BGHSt 63, 107 = NJW 2018, 1767 = AnwBl 2018, 423 = StraFo 2018, 308 = wistra 2018, 346 = DNotZ 2018, 708 = JR 2018, 641 = StV 2019, 46 = WM 2019, 84 m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen wird das amtsgerichtliche Urteil nicht gerecht. Denn es wird schon nicht ausreichend mitgeteilt, welche Feststellungen zum maßgeblichen Tatgeschehen getroffen wurden. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich lediglich, dass der Betroffene sich am Tattag auf dem Parkplatz aufhielt und an Ort und Stelle zusammen mit zwei anderen Personen zuvor in einem Schnellrestaurant erworbene Speisen verzehrte. Die entscheidungserhebliche Frage, ob das Zusammentreffen und der gemeinsame Verzehr der Speisen vorher mit den anderen verabredet war oder es sich um ein zufälliges Treffen handelte, ließ das Amtsgericht ausdrücklich offen, weil es für beide Konstellationen davon ausging, dass ein Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkung aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Da dieser Ausgangspunkt des Amtsgerichts aber aus den nachfolgenden genannten Gründen nicht zutrifft, kann das angefochtene Urteil schon wegen des Mangels an hinreichenden Feststellungen keinen Bestand haben.

2. Bei der Beurteilung, ob der Betroffene durch sein Verhalten gegen die zum Tatzeitpunkt geltende Ausgangsbeschränkung verstoßen hat, kann – entgegen den Überlegungen des Tatrichters – nicht außer Betracht gelassen werden, ob der Betroffene – über das beabsichtigte Einkaufen von Speisen, das vom Amtsgericht noch ausreichend festgestellt wurde – mit dem Weggang aus der Wohnung noch weitere Ziele verfolgte.

a) Nach § 4 Abs. 2 BayIfSMV in der zur Tatzeit geltenden Fassung war das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Gemäß § 5 Nr. 9 BayIfSMV war eine vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlung bußgeldbewehrt im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG in der zur Tatzeit maßgeblichen Fassung vom 29.03.2020 (BGBl. 2020 I S. 587). Im Ansatz noch zutreffend geht das Amtsgericht unter Beachtung dieser Vorschriften davon aus, dass es aufgrund des Wortlauts der Normen allein darauf ankommt, ob im Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung triftige Gründe vorlagen oder nicht. Hätte sich der Betroffene deshalb mit triftigem Grund aus der Wohnung entfernt, wäre ein nachträglicher Motivwechsel, also ein weiteres Verweilen außerhalb der Wohnung nach Wegfall des triftigen Grunds, etwa wegen Zweckerreichung oder dergleichen, nicht von der Bußgeldvorschrift erfasst.

aa) Die gegenteilige Auffassung der Rechtsbeschwerde, wonach „nicht nur das bloße Verlassen der Wohnung sanktioniert ist, sondern jeder Aufenthalt im öffentlichen Raum ohne triftigen Grund“, ist mit dem Wortlaut der Regelungen zur Ausgangsbeschränkung nicht in Einklang zu bringen. Dem dort zum Ausdruck kommenden Koinzidenzprinzip in Bezug auf das Verlassen der Wohnung einerseits und das Vorliegen triftiger Gründe andererseits trägt die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte „Auslegung“ der eindeutigen und damit schon deswegen keiner Interpretation zugänglichen Norm nicht Rechnung. Eine zwar auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht prinzipiell zulässige und unter Umständen sogar gebotene Auslegung findet indes wegen des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) ihre Grenze im möglichen Wortsinn der Vorschriften (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschl. v. 01.09.2008 – 2 BvR 2238/07 = StraFo 2008, 463 = DAR 2008, 641 = NJW 2008, 3627 = EuGRZ 2008, 627 = NStZ 2009, 83 = NZV 2009, 47 = StV 2009, 126 = JR 2009, 206 = BVerfGK 14, 177; BGH, Urt. v. 10.10.2017 – 1 StR 447/14 = BGHSt 63, 29 = WM 2018, 169 = NZG 2018, 156 = NJW 2018, 480 = wistra 2018, 214), die bei einer Gleichsetzung von Verweilen im öffentlichen Raum mit dem Verlassen einer Wohnung ohne triftigen Grund zweifelsfrei überschritten wäre. Die Anwendung der Vorschriften über die Ausgangsbeschränkung auf solche Fälle würde eine unzulässige Analogie in Form einer teleologischen Extension zulasten des Betroffenen darstellen. Dass aufgrund der Beachtung des Wortsinns als Grenze der Gesetzesinterpretation gegebenenfalls Ahndungslücken entstehen, muss demgegenüber hingenommen werden (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 23.06.2010 – 2 BvR 2559/08 = BVerfGE 126, 170 = ZIP 2010, 1596 = WM 2010, 1663 = StV 2010, 564 = wistra 2010, 380 = NJW 2010, 3209 = EuGRZ 2010, 656 = NStZ 2010, 626 = NWB 2010, 3719 = NZG 2010, 1143).

bb) Die Unrichtigkeit der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung wird auch dadurch belegt, dass die Bußgeldnorm ein aktives Tun, nämlich das Verlassen der Wohnung, umschreibt, während das bloße Verweilen außerhalb der Wohnung de jure lediglich als Unterlassen gewertet werden kann, was gemäß § 8 OWiG – unbeschadet der Frage, ob das Unterlassen überhaupt dem Tun entsprechen würde – nur dann relevant wäre, wenn eine Garantenpflicht bestünde. Für eine solche Rechtspflicht zum Handeln bestehen aber im Falle einer rechtmäßigen, weil mit triftigem Grund erfolgten Entfernung aus der Wohnung, keine Anhaltspunkte. Insbesondere kommt eine Garantenposition aus Ingerenz schon deswegen nicht in Betracht, weil es beim Verlassen der Wohnung mit triftigem Grund, sollte ein solcher vorgelegen haben, an einem pflichtwidrigen Vorverhalten fehlt, was nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz aber erforderlich wäre (vgl. nur BGH Beschl. v. 24.03.2021 – 4 StR 416/20, bei juris; Urt. v. 03.07.2019 – 5 StR 132/18 = BGHSt 64, 121 = NJW 2019, 3092 = GesR 2019, 638 = NStZ 2019, 662 = JZ 2019, 1042 = StV 2020, 106; FamRZ 2019, 1810 = BtPrax 2019, 250 = PflR 2019, 785 = ZMGR 2020, 48 = MedR 2020, 120 = JR 2020, 203; 09.05.2017 – 1 StR 265/16 = wistra 2017, 390 = StV 2018, 36 = BGHR AO § 371 Abs 2 Nr 2 Tatentdeckung 5 = NZWiSt 2018, 379 = ZStV 2019, 148 – m.w.N.).

b) Die Annahme des Amtsgerichts, die mit dem Verlassen der Wohnung verbundene Absicht, Nahrungsmittel zu beschaffen, stelle in jedem Fall einen triftigen Grund dar und es komme deshalb nicht darauf an, ob der Betroffene daneben weitere Zwecke verfolgt habe, trifft indessen nicht zu. Das Amtsgericht verkennt insoweit Bedeutung und Reichweite des Merkmals des „triftigen Grunds“.

aa) Die Bestimmung des § 4 Abs. 3 BayIfSMV enthielt eine exemplarische Aufzählung der anerkennenswerten Gründe, wobei in § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV „Versorgungsgänge für Gegenstände des täglichen Bedarfs“ genannt sind. Das Amtsgericht hat – isoliert betrachtet – freilich völlig bedenkenfrei die Auffassung vertreten, dass die Besorgung von Nahrungsmitteln hiervon erfasst wird. Allerdings hat der Tatrichter dann vorschnell aus dem Umstand, dass der Betroffene seine Wohnung offensichtlich zu diesem Zweck verlassen hat, den Schluss gezogen, dass jedenfalls ein triftiger Grund vorgelegen habe und deshalb eine Ahndung des Verhaltens – unabhängig von etwaigen weiteren Beweggründen, die möglicherweise keinen triftigen Grund ausmachen würden – ausscheiden müsste.

bb) Weil die Bußgeldbestimmung des § 5 Nr. 9 BayIfSMV nur das Verlassen „ohne triftigen Grund“ erfasst, schlussfolgert das Amtsgericht im Ergebnis zu Unrecht, dass weitere Motive ohne Bedeutung seien. Es spaltet ein einheitliches Geschehen in rechtlich anerkennenswerte Beweggründe einerseits und sonstige Motive des Normadressaten andererseits auf, ohne eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, und verstellt sich so den Blick auf eine am Wortlaut des § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV, der Normsystematik und vor allem an der ratio legis orientierte Auslegung. Schon die – wenn auch nur exemplarische – Aufzählung der vom Normgeber insbesondere anerkannten triftigen Gründe in § 4 Abs. 3 BayIfSMV deutet auf ein eher enges Verständnis hin. Bei einer Gesamtbetrachtung der dort umschriebenen Konstellationen zeigt sich, dass es sich jeweils um wichtige Angelegenheiten handelt, die in aller Regel keinen Aufschub dulden und denen aus der Sicht des Normgebers Vorrang vor einer etwaigen Gefährdung durch eine potentielle Verbreitung des Corona-Virus zukommen sollte. Insbesondere belegt die vom Amtsgericht selbst herangezogene Bestimmung des § 4 Abs. 3 Nr. 3 BayIfSMV, die explizit Versorgungsgänge für Gegenstände des täglichen Bedarfs erfasste, dass es dem Normgeber darauf ankam, das Verlassen der Wohnung eben nur zu dem Zweck der Beschaffung entsprechender Güter zu gestatten. Hieraus lässt sich zwanglos ableiten, dass allein der „Gang“ zum Geschäft und zurück zur Wohnung, als ausreichender Grund anzuerkennen ist, nicht aber, wenn darüber hinaus Betätigungen beim Verlassen der Wohnung beabsichtigt waren, die ihrerseits keinen triftigen Grund darstellten, nicht in zwingendem Zusammenhang mit dem Versorgungsgang standen und den Aufenthalt außerhalb der Wohnung über das für die Beschaffung erforderliche Maß hinaus ausdehnten. Dies gebietet insbesondere der mit den Infektionsschutzmaßnahmen verbundene Zweck, Kontakte, welche die Gefahr der Ausbreitung des Corona-Virus begünstigen, weitestgehend zu untersagen und diese nur dann zuzulassen, wenn das beabsichtigte Verlassen der Wohnung insgesamt von triftigen Gründen getragen war. Einem an diesem Schutzzweck orientierten Verständnis würde es aber eklatant zuwiderlaufen, falls der Betroffene sich zum Zwecke des gemeinsamen Verzehrs noch zu erwerbender Lebensmittel mit anderen außerhalb der Wohnung verabredet haben sollte. Denn gerade derartige Zusammenkünfte sollten, wie auch ein aus Gründen der Systematik gebotener Blick auf die – freilich nicht bußgeldbewehrte – Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 1 BayIfSMV belegt, unterbunden werden. Hiernach war ausdrücklich geregelt, dass „jeder angehalten wird, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.“

cc) Unzutreffend ist schließlich der vom Amtsgericht zur Stützung seiner Auffassung gezogene Umkehrschluss zu § 4 Abs. 3 Nr. 7 BayIfSMV. Nach dieser Bestimmung war das Verlassen der Wohnung zum Zweck des Sports und der Bewegung an der frischen Luft erlaubt, wobei jedoch die Einschränkung gemacht wurde, dass dies ausschließlich alleine, mit einer weiteren nicht im selben Hausstand lebenden Person oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands und ohne jede sonstige Gruppenbildung erfolgte. Das Amtsgericht will hieraus den (Umkehr-)Schluss ziehen, es sei nicht verboten gewesen, „zum Zweck des gemeinsamen Einkaufens von Nahrungsmitteln die Wohnung zu verlassen.“ Die darin zum Ausdruck kommende Annahme, dem Normgeber wäre es darum gegangen, nur beim Sport Gruppenbildungen zu unterbinden, bei sonstigen Betätigungen außerhalb der Wohnung aber zuzulassen, ist indes nicht vertretbar. Es liegt auf der Hand, dass der Normgeber gerade bei sportlichen Betätigungen außerhalb der Wohnung, die nicht selten in Gemeinschaft mit anderen erfolgen, eine dahingehende Einschränkung für geboten erachtete. Hieraus kann insbesondere mit Blick auf den Normzweck aber keinesfalls abgeleitet werden, die Kontaktaufnahme mit anderen Personen anlässlich von Versorgungsgängen sei vom Normgeber erwünscht gewesen oder zumindest gebilligt worden.“

Corona I: Kontakt-, Alkohol- und Ausgangsverbot, oder: Was sagen Gerichte zur Wirksamkeit von Corona-VO?

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Heute dann der Start in die 4. KW.

Und ich starte mit Entscheidungen zu Corona. Zunächst stelle sich drei Entscheidungen vor, die sich mit der Wirksamkeit von Corona-Verordnungen aus zwei Bundesländern befassen, und zwar der aus Bayern und der aus Thüringen:

An der Spitze steht der Hinweis auf den BayVGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 20 NE 21.76, über den ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Normenkontrollverfahren eines Bürgers aus Regensburg. Der Beschluss hat im zusammengefasst etwa folgenden Inhalt:

  • Der BayVGH hat das in Bayern angeordnete Alkoholverbot im öffentlichen Raum (§ 24 Abs. 2 der 11. BayIfSMV) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Begründung:  Nach § 28a IfSG sind  Alkoholverbote nur an bestimmten öffentlichen Plätzen vorgesehen. Die Anordnung eines Alkoholverbots für gesamt Bayern überschreite diese Verordnungsermächtigung des Bundesgesetzgebers.
  • Abgelehnt hat der BayVGH hingegen die Außervollzugsetzung der Regelungen über Kontaktbeschränkungen, wonach sich Angehörige eines Hausstandes nur noch mit einer Person eines anderen Hausstandes treffen dürfen. Diese Kontaktbeschränkungen sind nach Auffassung des BayVGH vom IfSG gedeckt, hinreichend bestimmt und angesichts des aktuellen pandemischen Geschehens auch verhältnismäßig.
  • Mit der ebenfalls angeordneten Schließung von Bibliotheken und Archiven hatte der BayVGH Probleme, da keine Ausnahmen für Bring-und Abholdienste vorgesehen sind, was Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit haben könnte. Bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache überwiege aber das öffentliche Interesse an der Eindämmung der Corona-Pandemie das individuelle Interesse des Antragstellers, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
  • Schließlich hat der BayVGH den Antrag, die 15-km-Regelung für tagestouristische Ausflüge außer Vollzug zu setzen, als unzulässig abgewiesen. Begründung hier: Der Antragsteller sei von der Regelung derzeit/noch nicht betroffen, weil die Regelung erst ab einer Sieben-Tages-Inzidenzvon 200 gelte und Regensburg eine viel niedrigere Inzidenz aufweise.

Die zweite Entscheidung, die ich dem Zusammenhang vorstelle, kommt auch aus Bayern, und zwar vom AG Straubing. Das hat sich im AG Straubing, Beschl. v. 09.01.2021 – 7 OWi 709 Js 13822/20 jug – mit der Ordnungswidrigkeit des Aufenthalts im öffentlichen Raum im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkung nach dem BaylfSMV befasst. Der Betroffenen war durch Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, sich am 10.4.2020 gegen 20:30 Uhr zusammen mit einer anderen Frau in Straubing am Bahnhofsgelände aufgehalten zu haben. Darin hat der Bußgeldbescheid einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 der zu dem Zeitpunkt gütligen gesehen, der das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubte.

Das AG Straubing hat frei gesprochen. Kurzfassung der Begründung: § 4 Abs. 2 BaylfSMV habe das Verlassen der Wohnung verboten und nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Nach § 5 Nr. 9 BaylfSMV sei das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig. Eine Auslegung von § 5 Nr. 9 BaylfSMV dahingehend, dass jeder Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne triftigen Grund bußgeldbewehrt sei, scheitere an Art. 103 Abs. 2 GG. Der Wortlaut der Verordnung sei eindeutig. Dass der Verordnungsgeber damit möglicherweise, wie sich auch aus der Gesamtschau mit § 4 Abs. 1 BaylfSMV ergebe andere Ziele verfolgt habe, könne sein. Der Verordnungsgeber habe sich aber bewusst für die Regelung einer Ausgangssperre entschieden und nicht für Kontakt- oder Aufenthaltbeschränkungen, wie sie teilweise in anderen Bundesländern gegolten hätten. Auch habe die Verordnung keine Rückkehrpflicht nach einem Verlassen mit triftigem Grund vorgesehen.

Und als dritte Entscheidung stelle ich das AG Weimar, Urt. v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20 – vor. Gegenstand des Verfahrens war hier eine Geburtstagsfeier in den Abendstunden des am 24.04.2020, zu der sich die Betroffene zusammen mit mindestens sieben weiteren Personen im Hinterhof eines Hauses in W. aufhielt, um den Geburtstag eines der Beteiligten zu feiern. Die insgesamt acht Beteiligten verteilten sich auf sieben verschiedene Haushalte. Dieses Verhalten des Betroffenen verstieß gegen § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 der Dritten Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) vom 18.04.2020 in der Fassung vom 23.04.2020. Danach wäre maximal ein Gast aus einem anderen Haushalt erlaubt gewesen.

Das AG Weimar hat frei gesprochen. Das AG sieht die Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0) vom 26.03.2020 als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig an. Begründung:

  • Die VO war formell verfassungswidrig: Für den Erlass der in der Verordnungen enthaltenen weitreichenden Regelungen wäre nämlich nicht die Exekutive zuständig gewesen, sondern die Legislative. Es hätte auch nicht nur eine Verordnung sondern ein Gesetz erlassen werden müssen.
  • Die VO sei auch materiell verfassungswidrig. Denn die am 28.03.2020 vom Bundestag festgesteller epidemische Lage von nationaler Tragweite“ habe es nicht gegeben habe. Die Reproduktionszahl R sei nach den den Zahlen des Robert-Koch-Instituts nämlich schon am 21.03.2020 unter den Wert Eins gefallen. Auch die Zahlen zur Übersterblichkeit, zur Intensivbettenbelegung und zur Letalität des Virus lieferten keine Grundlage für so eine Behauptung. Das müsse man bei einer Abwägung von Rechtsgütern berücksichtigen.
  • Das Kontaktverbot sei zudem nicht verhältnusmäßig (gewesen), da es gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG als unantastbar garantierte Menschenwürde verstoße.

Ich verkneife mir lange Kommentare zu den Entscheidungen, nur so viel:

Dem BayVGH kann ich folgen, dem AG Straubing – auf den ersten Blick – auch. Mal sehen, was das BayObLG damit macht; ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde einlegen wird.

Beim AG Weimar habe ich erhebliche Probleme. Ich sehe die Zahlen und die Grundlagen für die im Frühjahr getroffenen Maßnahmen anders als das AG Weimar, dessen Urteil jetzt natürlich Wasser auf die Mühlen der Corona-Leugner ist, man muss nur mal mit dem Aktenzeichen bei Googel suchen. Ich fühle mich durch die bisherigen Maßnahmen im Übrigen auch nicht in meiner „Menschenwürde“ beeinträchtigt.

Damit aber genug. Und bzw. ach so: Ich habe die Kommentarfunktion geschlossen.Ich habe keine Zeit – und auch, das räume ich ein, keine Lust – auf lange Diskussionen. Das mögen die, die anderer Meinung sind als ich an anderer Stelle erledigen 🙂 .