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Pflichti II: 3 x interessante Beiordnungsgründe (?), oder: KiPo, Maskenpflicht, verfassungswidriger BtM-Besitz

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zu den Beiorndungsgründem, also § 140 StPO, allerdings nur die jweiligen Leitsätze, und zwar:

In Verfahren mit dem Verfahrensgegenstand „Verbreitung von Kinderpornografie“ ergibt sich die Schwierigkeit der Sachlage i.S. des § 140 Abs. 2 StPO aus dem Umstand, dass der Beschuldigte sein sich aus § 147 Abs. 4 StPO ergebendes Akteneinsichtsrecht nicht ohne Verteidiger in vollem Umfang wahrnehmen kann.

Anmerkung: Die Entscheidung ist noch zum „alten Recht“ ergangen.

Der einem Betroffene zur Last gelegte Verstoß gegen die Maskenpflicht (CoronaVO) führt nicht zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Rechtslage.

Anmerkung: Das kann man m.E. mit guten Gründen auch anders sehen.

Zur bejahten Bestellung eines Pflichtverteidigers in einem BtM-Verfahren, in dem den Angeklagten zwar nur Besitz unter dem Grenzwert der nicht geringen Menge vorgeworfen wird, der Verteidiger jedoch. die Verfassungswidrigkeit des § 29 BtMG gerügt hat.

Anmerkung: Zur Nachahmung empfohlen 🙂 .

StPO I: Lange Postlaufzeit der Urteilszustellung, oder: Wir glauben dem Verteidiger/Organ der Rechtspflege

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Heute dann mal wieder drei StPO-Entscheidungen, aber nicht vom BGH, sondern von den sog. Instanzgerichten.

Und als erstes stelle ich den LG Hanau, Beschl. v. 12.10.2020 – 5 KLs 1136 Js 14486/17 – vor. Es geht um die Frage der rechtzeitigen Begründung einer Revision. Die Staatsanwaltschaft hatte Verwerfung beantragt, das LG hat den Antrag aber abgelehnt:

„Die Revision des Angeklagten war nicht als unzulässig nach § 346 Abs. 1 StPO zu verwerfen, weil sie nicht verspätet oder formwidrig eingelegt worden ist.

Die Revisionen beachtet die nach § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Form und ist innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 S. 1 StPO binnen eines Monats nach Zustellung des vollständig abgefassten Urteils bei dem Verteidiger pp. bei dem Landgericht Hanau angebracht worden. Als Zeitpunkt der Zustellung bei dem Verteidiger war das von dem Rechtsanwalt pp. mit dem 27.07.2020 bescheinigte Datum des von ihm erklärten Empfangsbekenntnisses zugrunde zu legen. Die Revisionsbegründungsschriften jeweils des Rechtsanwaltes pp. und des weiteren Rechtsanwaltes pp. aus Frankfurt am Main gingen beide als Telefax – binnen eines Monats – am 27.8.2020 bei dem Landgericht Hanau ein.

Trotz einer äußerst ungewöhnlichen Postlaufzeit an den Rechtsanwalt pp. von drei Wochen seit der Ausführung der Zustellungsverfügung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und einem zwischenzeitlich bei jenem eingegangenen und unter dem 10.8.2020 von ihm zurückgesandten Paket mit den vollständigen Akten vermag die Kammer nicht mit der notwendigen Gewissheit festzustellen, dass der Eingang der Urteilsausfertigung bei dem Rechtsanwalt pp. wahrheitswidrig bescheinigt worden und ein früherer Zugang der Ausfertigung anzunehmen ist. Zwar weisen der ebenfalls postalische Zugang des Pakets mit den Akten und die Laufzeiten sämtlicher späteren, jeweils mit Zustellungsurkunde versandten Schriftstücke (maximal fünf Tage) darauf hin, dass – auch unter Berücksichtigung zunehmend längerer Postlaufzeiten bei den Anbietern von Postdienstleistungen — die Laufzeit einer Briefsendung von drei Wochen sehr ungewöhnlich ist, zumal den Rechtsanwalt pp. auch im bisherigen Verfahren vor der Urteilsverkündung sämtliche Sendungen stets zeitnah erreichten. Gleichwohl lassen sich Unzuverlässigkeiten des beauftragten Postzustelldienstes in engen Einzelfällen nicht vollständig ausschließen. Letztlich sind bei dem als Organ der Rechtspflege unter erhöhter Wahrheitspflicht stehenden Rechtsanwalt hohe Anforderungen an die Annahme eines von ihm unzutreffend datierten Bekenntnisses des Empfangs zu stellen.

Die in den zur Akteneinsicht an den Rechtsanwalt pp. übersandten enthaltene Urschrift des Urteils kann die förmliche Zustellung nicht bewirken, weil es sich dabei nicht um eine für den Empfänger hergestellte Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift handelt.

Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs der in der Akte enthaltenen Urschrift kann aber auch aus dem Gesichtspunkt einer auch bei einer Notfrist eingreifenden – Heilung von Zustellungsmängeln nach § 189 ZPO nicht abgestellt werden. Denn nach dem soeben Gesagten ist die zur Zustellung bestimmte Ausfertigung mit der Übersendung der Akte gerade nicht dem Rechtsanwalt pp. zugegangen, sondern lediglich die Urschrift des Urteils war darin enthalten. Es handelt sich dabei nicht um das von § 189 ZPO vorausgesetzte Dokument. Auch die weiteren Voraussetzungen der Bestimmung liegen nicht vor. Es fehlt nämlich daran, dass – wie es das Gesetz vorsieht – die formgerechte Zustellung des Dokumentes nicht nachgewiesen werden kann oder das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist. Beides liegt nicht vor. Selbst ein unleserliches, ohne Datum oder mit einem unrichtigen Datum versehenes Empfangsbekenntnis berührt die Wirksamkeit der Zustellung nicht (Zöller/Stöber, ZPO, § 174 Rn. 14 m.w.N.). Die gesondert zugestellte Ausfertigung mit Zustellungswillen des Vorsitzenden ist dem Rechtsanwalt pp. aber in der gesetzlich vorgesehenen Form der Zustellung an einen Rechtsanwalt zugegangen. Zuletzt fehlt es auch an der Mitwirkungsbereitschaft des Rechtsanwaltes zur Zustellung bereits bei Erhalt der Akteneinsicht. Denn es bedarf insofern zwingend der Äußerung des Willens des Adressaten, die Sendung als zugestellt in Empfang zu nehmen (Zöller-Stöber, § 174 ZPO, Rn. 6). Allein die Veranlassung der Rücksendung der Akten lässt nicht auf einen Willen schließen, als Rechtsanwalt den Inhalt eines bestimmten Dokumentes aus den Akten zur Kenntnis zu nehmen oder dieses als tatsächlich zugegangen gelten zu lassen. Denn regelmäßig wird bei einer Akteneinsicht zweckmäßigerweise nach Durchführung des Kopierens zeitnah die Rücksendung an das Gericht veranlasst. Erst dann wird oft von dem Inhalt der Kopien Kenntnis genommen.

Dass dem Verteidiger pp. oder dem weiteren Verteidiger in sonstiger Weise bereits vor dem 27.07.2020 die Ausfertigung des Urteils zuging und er diese mit dem Willen, die Sendung als zugestellt gegen sich geltend zu lassen, in Empfang genommen hat, lässt sich nicht nachweisen.“

Also: Die Kammer „glaubt“ dem Verteidiger. Warum auch nicht?

Und wir glauben der Kammer, obwohl: Sie ist ein wenig durcheinander gekommen in den Eingangssätzen des Beschlusses. Es geht nicht um die Einlegung der Revision, sondern um deren Begründung 🙂 , das ändert aber nichts daran, dass der Beschluss richtig ist.

Verletzung der Unterhaltspflicht und Einziehung, oder: Strafcharakter?

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Die zweite gebührenrechtliche Entscheidung betrifft dann die Nr. 4142 VV RVG. Es handelt sich um den LG Hanau, Beschl. v. 28.06.2019 – 4b Qs 50/19.

Er ist in/nach einem Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht ergangen. Das AG hat den Angeklagten der Verletzung der Unterhaltspflicht schuldig gesprochen und ihn verwarnt. Eine Geldstrafe ist festgesetzt geworden, die Verurteilung blieb vorbehalten. Weiterhin ordnete das Amtsgericht die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 3.379,69 € an.

Wegen dieser Einziehung hat der Verteidiger die Festsetzung der Gebühr Nr. 4142 VV RVG beantragt. Das AG hat das abgelehnt. Begründung: Diese Gebühr entstehe nicht für „Wertersatz, wenn er den Charakter eines zivilrechtlichen Schadenersatzes hat“.

Das LG hat das anders gesehen und meint:

Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4142 VV RVG entsteht auch dann, wenn die gem. §§ 73, 73c, 73d StGB n. F. angeordnete Einziehung nicht Strafcharakter hat, sondern allein der Entziehung durch die Straftat erlangter unrechtmäßiger wirtschaftlicher Vorteile dient.

Es bezieht sich dabei auf die zutreffende Rechtsprechung des KG und des LG Berlin zu der Frage, über die ich ja hier auch schon berichtet habe.

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens, oder: „Quasi-fingierter-Unfall“

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In der zweiten Entscheidung, dem schon etwas älteren LG Hanau, Beschl. v. 28.11.2018 – 3 T 254/18 – wird die Problematik der Erstatung der Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens behandelt. Das AG hat in einem selbstständigen Beweisverfahren die Kosten festgesetzt, das LG hat das im Beschwerdeverfahren „gehalten“:

„Nach der Rechtsprechung des BGH sind nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähige notwendige Kosten solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf dem Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahmen abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte, wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage wäre. Dazu gehören auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag.

Zwar liegen die vorgenannten Kriterien vorliegend ersichtlich nicht vor, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten werden in der Rechtsprechung aber auch bejaht, bei Verdacht eines fingierten Unfalls bzw. bei der zweifelhaften Echtheit einer Unterschrift (vgl. hierzu Zöller Rn. 13 zu § 91 ZPO m. w. N.).

Der vorliegende Sachverhalt ist jedenfalls mit der Konstellation eines fingierten Verkehrsunfalls vergleichbar.

In der Antragsschrift bezweifelt die Antragstellerin, dass der Antragsgegner überhaupt einen Austauschmotor eingebaut habe bzw. dass dieser Austauschmotor nur 79.000 km gelaufen sei.

Die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner mithin betrügerisches Verhalten zu ihrem Nachteil vor. Um diesem Vorwurf zu entgegnen war es auch aus Sicht einer wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei sachdienlich, zu diesem Vorwurf ein Gutachten einzuholen, da auch die eigene Sachkunde nicht ausgereicht hätte, einem solchen Vorwurf zu entgegnen. Unabhängig von den vorgenannten Ausführungen besteht eine Erstattungsfähigkeit auch dann, wenn das Privatgutachten ein vom. Gericht benötigtes Gutachten ersparte. Vorliegend hat die Antragstellerin nach Erhalt des Gutachtens den Antrag auf Beweissicherung zurückgenommen, wodurch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im weiteren Verlauf des Beweissicherungsverfahrens vermieden worden ist.

Der Vortrag der Antragstellerin, dass die Rücknahme ihres Antrags nichts mit dem Gutachten zu tun gehabt habe, ist im Hinblick auf das Ergebnis des Gutachtens wenig überzeugend.“

OWi II: Einsicht in Messunterlagen – Rechtsmittel, oder: Licht und Schatten

Der zweite Beitrag des Tages befasst sich auch mit der Einsicht in Messunterlagen, allerdings geht es nun um Rechtsmittel. Und da habe ich drei Entscheidungen, auf die ich hinweisen will (zum teil hat auch schon der Kollege Gratz dazu berichtet):

  • LG Würzburg, Beschl. v. 24.09.2018 – 1 Qs 155/18, der wenn ein Antrag auf Einsichtnahme in die Messunterlagen pp. erstmals im gerichtlichen Verfahren gestellt wird, die Beschwerde gegen eine ablehnende Entscheidung zwar als zulässig, aber als unbegründet ansieht, weil ein Einsichtsrecht in Messdaten nicht bestehen soll.
  • LG Hanau, Beschl. v. 07.01.2019 – 4b Qs 114/18, der die Beschwerde gegen eine im gerichtlichen Bußgeldverfahren ergangene ablehnende Entscheidung des AG bezüglich Einsicht in Messunterlagen ebenfalls für zulässig ansieht und zugleich auch die Herausgabe von Messreihe, Statistikdatei und Geräteakte anordnet.
  • Und dann noch der das KG zu den  Anforderungen an die Verfahrensrüge verweigerter Akteneinsicht im KG, Beschl. v. 20.12.2018 – 3 Ws (B) 303/18 – mit den leider bekannten Leitsätzen/Forderungen:

1. Rügt der Betroffene die rechtswidrige Ablehnung eines Akteneinsichtsantrags, muss die Rechtsbeschwerdebegründung eine konkret-kausale Beziehung zwischen dem behaupteten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt dartun.

2. Hierzu bedarf es substantiierten Vortrags, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen die Verteidigung daraus gezogen hätte.

3. Soweit eine konkrete Benennung mangels Zugriffs auf die Unterlagen nicht möglich ist, muss sich der Verteidiger bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht dartun.

Also auch hier: Licht und Schatten. Zur Entscheidung des KG muss man m.E. nichts mehr sagen. Das ist die sattsam bekannte Auffassung des KG und anderer OLG, die m.E. falsch ist. Aber, wen interessiert es …..