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Pflichti I: Ist der „Pflichti“ (k)ein richtiger Verteidiger?, oder: Si tacuisses, philosophus mansisses

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Heute dann ein „Pflichti-Tag“, den ich allerdings nicht mit einer Entscheidung zu Pflichtverteidigungsfragen eröffne, sondern mit einem Posting zu einer allgemeinen Frage. Nämlich zur Frage des Selbstverständnisses eines Verteidigers/Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers.

Ausgangspunkt ist ein Beitrag/Posting eines anwaltlichen Kollegen auf Facebook, der/das mich – das schon mal vorab – dann doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt hat. Für mich war es der Aufreger des Tages.

Der Kollege hatte nämlich u.a. bei Facebook ein Video hoch geladen, in dem er mit folgendem Statement zu sehen und zu hören war:

„Strafverteidiger oder Pflichtverteidiger? Das ist die Frage, die sich viele Betroffene stellen.

In letzter Zeit haben sich viele, viele Mandanten an uns gewandt und kamen dann mit der Aufforderung eines Gerichts, mit der Bitte darum, einen Pflichtverteidiger zu benennen. Und die Leute waren dann ganz aufgeregt und verunsichert und haben gesagt: Was sollen wir denn tun? Uns wird hier in Aussicht gestellt, dass ein Pflichtverteidiger uns begleitet. Das wollen wir aber gar nicht. Denn wir wollen einen richtigen Anwalt haben und darin bestärken wir unsere Mandanten auch. Wir übernehmen diese Mandate natürlich auch. Also wir sind nicht nur als Pflichtverteidiger tätig, sondern wir übernehmen auch richtige Strafverfahren.

Was ist der Unterschied? Der Unterschied ist, dass in dem Fall, dass man einen eigenen Anwalt nimmt, man selbst für die Kosten aufkommt. Und wenn es ein Pflichtanwalt ist, also ein staatlicher Pflichtanwalt, werden die Kosten zunächst vom Staat übernommen. Ich sage meinen Mandanten immer: Den ersten guten Eindruck beim Gericht macht man doch dadurch, dass man zeigt, dass man sich selbst um seine Dinge kümmert und nicht dem Staat auf der Tasche liegt, was die Kosten anbelangt.“

Zu dem Video gibt es dann auch noch einen Begleittext, in dem es heißt:

„Vor Gericht ist auch der erste Eindruck wichtig. Bei einem Pflichtverteidiger werden die Kosten zunächst von der Staatskasse bezahlt, der Beschuldigte muss also nicht schon während dem Verfahren für die Kosten aufkommen. Anders ist dies beim Strafverteidiger, hier muss der Beschuldigte selbst für die Kosten für seinen Anwalt aufkommen. Doch ich finde: durch einen Wahlverteidiger wird ein erster guter Eindruck beim Gericht gemacht, da der Beschuldigte nicht dem Staat (und damit der Allgemeinheit) mit den Kosten „auf der Tasche liegt.

Zudem muss der Beschuldigte, sofern er das Gerichtsverfahren verliert, nachträglich auch noch die Kosten für den Pflichtverteidiger bezahlen.“

So weit, so gut, oder: Wohl eher nicht so gut, wie ich finde.

Und das habe nicht nur ich so empfunden, sondern eine ganze Reihe anwaltlicher Kollegen, die zu dem Beitrag des Kollegen Stellung genommen haben, ebenfalls. Denn aus deren Kommentaren war deutlich zu entnehmen, dass sie die Frage der “Pflichtverteidigung“ anders sehen als der Ersteller des Postings. Das ist zutreffend. Die Pflichtverteidigung ist nach der Rechtsprechung Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips und des fairen Verfahrens und dient, wie eine Kollegin treffend formuliert hat, dazu „einem Menschen in gesetzlich hart umgrenzten Fällen, ohne Ansehen seiner finanziellen Situation eine Verteidigung zu ermöglichen.“

Ich habe meinen Unmut über das Posting (natürlich) auch zum Ausdruck gebracht und wie folgt kommentiert:

„Herr Kollege, könnten Sie mir bitte den Unterschied zwischen einem Pflichtverteidiger, einem Strafverteidiger und einem richtigen Verteidiger erklären?

Sie erwecken zudem den Eindruck, als ob ein Pflichtverteidiger ein minderwertiger Verteidiger ist, was nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, die Sie hoffentlich kennen, falsch ist.

Was sollen solche Postings? Ich kenne viele Rechtsanwälte, die auch dann einen sehr guten Job machen, wenn sie „nur“ Pflichtverteidiger sind. Die werten Sie ab.

M.E. sind solche Postings gefährlich, denn sie erwecken den Eindruck einer Zwei-Klassen-Verteidigung.

Gewogen und zu leicht gefunden.“

Darauf ist – natürlich – keine Antwort gekommen. Was will man darauf auch antworten, außer dass es in Strafverfahren nicht einen „richtigen Anwalt“ und „Pflichtverteidiger“ gibt? Ebenso wenig gibt es „richtige“ Strafverfahren“ und ggf. andere – welche? – Strafverfahren. Das was dort geschrieben wurde, ist schlicht falsch. Es gibt Strafverfahren und es gibt Verteidiger. Die angedeuteten Unterschiede gibt es nicht und die sollte und darf man auch potentiellen Mandanten nicht suggerieren, aus welchen Gründen auch immer. Und sicherlich ist es auch falsch zu behaupten, man mache einen „ersten guten Eindruck beim Gericht …. doch dadurch, dass man zeigt, dass man sich selbst um seine Dinge kümmert und nicht dem Staat auf der Tasche liegt, was die Kosten anbelangt“. Abgesehen davon, dass es in einem Strafverfahren nicht auf einen „guten Eindruck beim Gericht“ ankommt, sondern darauf, ob die zur Last gelegte Tat mit rechtsstaatlichen Mitteln nachgewiesen werden kann, dürfte es den Gerichten in der Regel völlig egal sein, ob ein „Pflichtverteidiger“ oder ein „richtiger Anwalt“ für den Beschuldigten/Mandanten tätig wird.

Im Übrigen nur noch das, was ebenfalls ein Kollege in einem Kommentar formuliert hatte:

Ich habe bereits Wahlverteidiger und Wahlverteidigerinnen erlebt, die sich ordentliche Stundensätze haben zahlen lassen, aber schlecht vorbereitet waren und mit so gut wie null Engagement verteidigten. Oder auch solche, die es einfach nicht konnten! Mehr Schein als Sein.

Und ich habe Pflichtverteidigerinnen und Pflichtverteidiger erlebt, die für staatliche Unterbezahlung mit höchstem Engagement verteidigt haben – trotz wirtschaftlichem Minusgeschäft.“

Das unterschreibe ich und bedanke mich zugleich bei allen Verteidigern/Verteidigerinnen, die für die gesetzlichen Gebühren des RVG, mit denen ihr Engagement häufig nicht angemessen abgegolten ist, als „Nur-Pflichtverteidiger“ einen guten Job machen.

Abschließend: Alles in allem war das o.a. Posting das, wie es ebenfalls ein Kollege formuliert hat: „Eigentor des Monats“ oder: Si tacuisses, philosophus mansisses.

Corona I: Rausschmiss wegen fehlender Maske, oder: Keine Zulassung der Rechtsbeschwerde

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Ich starte in die 11. KW. mit zwei Entscheidungen zu Corona. Über die Thematik habe ich längere Zeit nicht mehr berichtet. Das zeigt, dass die Pandemie wohl doch im Abklingen ist und zudem viele Fragen, die sich gestellt haben, inzwischen obergerichtlich geklärt worden sein dürften. Heute habe ich dann allerdings noch einmal zwei Entscheidungen, aber auch das sind „Aufarbeitungsentscheidungen“.

Zunächst stelle ich hier den OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.01.2023 – 2 Ss(OWi) 8/23 – vor. Er nimmt Stellung zu sitzungspolizeilichen Anordnungen (Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung) und Maßnahmen (Saalverweis) gegen einen Verteidiger im Bußgeldverfahren. Wegen dieser Fragen war die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantraft worden. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen:

„Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Zwar kommt bei Verletzung elementarer Verfahrensgrundsätze, wozu auch das Recht auf Mitwirkung eines Verteidigers gehört, eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Betracht. Eine solche Verletzung lässt sich der Verfahrensrüge aber nicht entnehmen:

Ein Vorsitzender war zu Hochzeiten der Pandemie gem. § 176 GVG grundsätzlich berechtigt, vom Verteidiger das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris). Ob diese Anordnung allerdings auch im Oktober 2022 noch ermessensfehlfrei gewesen ist, erscheint zweifelhaft, da bereits ab 3.4.2022 in Niedersachsen die generelle Maskenpflicht für Innenräume weggefallen war. Das kann aber dahinstehen, da sich der Verteidiger der Anordnung letztlich gebeugt und an der Verhandlung nach kurzer Abwesenheit weiter teilgenommen hat.

Sollte der Verteidiger zuvor des Saales verwiesen worden sein, könnte dies -eine Angemessenheit der Anordnung unterstellt im Hinblick auf § 177 GVG problematisch sein, da dort Verteidiger nicht genannt sind und eine Ausnahme vom BGH (NJW 1977, 437) nur für Extremfälle als denkbar angesehen worden ist. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sogar die Pflicht zum Tragen einer Robe bei grundsätzlicher Weigerung in Anwendung des § 176 GVG zur Zurückweisung für die Sitzung führen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl. § 176 GVG RN 11). Ob die „Roben-Rspr.“ auch auf die Missachtung einer Anordnung, die dem Gesundheitsschutz dient, übertragen werden kann, ist gleichwohl zweifelhaft, auch wenn eine Aussetzung der Verhandlung und Auferlegung der Kosten nach § 145 Abs. 4 StPO allenfalls beim Pflichtverteidiger oder zumindest notwendiger Verteidigung in Betracht kommt (ablehnend: Kirch-Heim, Die Störung der Hauptverhandlung, NStZ 2014, 431).

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Senats vom 3.1.2022 (MDR 2022, 272) verweist, war die Anordnung von Ordnungsmitteln dort deshalb zulässig, weil – nicht: selbst dann, wenn – der Rechtsanwalt sich selbst verteidigt hat.

Ob ein Verweis aus dem Saal unter dem einen oder anderen Gesichtspunkt -Extremfall oder Anwendung der „Roben-Rspr.“- rechtmäßig gewesen wäre, bedarf aber ebenfalls keiner Klärung.

Eine Verletzung des Rechts auf Verteidigung hätte allenfalls dann angenommen werden können, wenn nach Verweis des Verteidigers aus dem Saal ein Antrag auf Unterbrechung bis zur -nach ca. 4 Minuten erfolgten Beschaffung einer Maske gestellt und abgelehnt worden wäre. Dass ein solcher Antrag gestellt worden ist, wird jedoch nicht geltend gemacht.

Soweit der Verteidiger insbesondere rügt, die Anordnung der Maskenpflicht sei deshalb unzulässig gewesen, weil er über ein Attest, dass ihn von dieser Pflicht befreie, verfüge, ist die Rüge unter diesem Gesichtspunkt nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, weil der nähere Inhalt des Attestes nicht mitgeteilt wird, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob das Amtsgericht überzogene Anforderungen an den Inhalt gestellt hat.

Der Senat weist darauf hin, dass er zumindest für zukünftige Hauptverhandlungen die Anordnung einer Maskenpflicht, von Ausnahmefällen -z.B. einer akuten Atemwegsinfektion der betreffenden Person abgesehen, als ermessensfehlerhaft ansehen würde, wobei in diesen Ausnahmefällen eine Maske gestellt oder Gelegenheit zur Beschaffung gegeben werden müsste.“

Termin III: Ladungsvollmacht des Verteidigers, oder: Bisheriger Wahlverteidiger wird Pflichtverteidiger

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In der dritten Entscheidung des Tages, dem OLG Hamburg, Beschl. v. 24.06.2021 – 2 Ws 52/21 -, spielen dann Fragen in Zusammenhang mit der Ladungsvollmacht eine Rolle (§ 145a Abs. 2 StPO).

In dem Verfahren war zu dem auf den 07.05.2021 anberaumten Hauptverhandlungstermin nur der Verteidiger, nicht aber der Angeklagte, dessen Ladung an den Verteidiger zugestellt worden ist, erschienen. Daraufhin hat die Vorsitzende die Hauptverhandlung unterbrochen, einen Fortsetzungstermin auf den 25.05.2021 anberaumt und die anwesenden Prozessbeteiligten vor dem Protokoll geladen. Mit Beschluss vom 12.05.2021 hat sie das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet und verfügt, den Angeklagten über seinen Verteidiger unter Beifügung des Beschlusses vom 12.05.2021 zu laden. Tatsächlich erfolgte die Zustellung an eine nicht mehr aktuelle Adresse des Angeklagten, wo die Ladung nicht zugestellt werden konnte. Am 25.05.2021 hat die Vorsitzende daher einen Fortsetzungstermin auf den 27.05.2021 anberaumt und die Prozessbeteiligten erneut vor dem Protokoll geladen und die sich wohl im Rücklauf befindliche Ladung für den 25.05.2021 nebst Beschluss vom 12.05.2021 dem Verteidiger mit dem Hinweis überreicht, dass die Ladung für den neuen, auf den 27.05.2021 anberaumten, Termin gelte.

Da der Angeklagte auch zum Hauptverhandlungstermin am 27.05.2021 nicht erschienen war, hat die Vorsitzende einen Haftbefehl nach § 329 Abs. 3 StPO erlassen und verkündet. Der Angeklagte hat haftbeschwerde eingelegt. Die hatte Erfolg:

„Die Haftbefehle in den Verfahren unter den Aktenzeichen 704 Ns 140/16 und 704 Ns 87/17 waren aufzuheben. Die Voraussetzungen, unter denen das Berufungsgericht gemäß § 329 Abs. 3 StPO die Verhaftung des Angeklagten anzuordnen hat, lagen nicht vor.

Der Erlass eines Haftbefehls im Berufungsverfahren nach § 329 Abs. 3 StPO setzt die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin voraus. Ordnungsgemäß ist die Ladung dann, wenn sie entweder dem Angeklagten in der durch §§ 216, 323 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgeschriebenen Form oder dessen Verteidiger zugestellt wird, soweit dieser über die besondere Ladungsvollmacht gemäß § 145a Abs. 2 StPO verfügt.

Der Angeklagte selbst ist nicht unter einer eigenen ladungsfähigen Anschrift geladen worden. Auch konnten die Ladungen des Angeklagten zu den Hauptverhandlungsterminen im Berufungsverfahren nicht wirksam an seinen Verteidiger zugestellt werden. Die in den Verfahren dem Verteidiger erteilten Ladungsvollmachten konnten vorliegend keine Wirksamkeit entfalten.

1. Nach § 145a Abs. 2 Satz 1 StPO darf eine Ladung an den Verteidiger nur zugestellt werden, wenn er in einer bei den Akten – vom Beschuldigten unterschriebenen – befindlichen Vollmacht ausdrücklich zur Empfangnahme von Ladungen ermächtigt ist. Damit hebt § 145a Abs. 2 Satz 1 StPO die Bedeutung einer solchen Bevollmächtigung gegenüber der Befugnis des Verteidigers zur Entgegennahme von sonstigen Zustellungen im Sinne des § 145a Abs. 1 StPO hervor (vgl. OLG Düsseldorf StV 1990, 536). Dies hat zur Folge, dass die Vollmacht des Verteidigers zur Entgegennahme von Ladungen nur dann wirksam ist, wenn sie eindeutig, d.h. für jeden auf Anhieb zweifelsfrei als solche zu erkennen ist (vgl. OLG Köln NStZ 1998, 240; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 145a Rdn. 12; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer StPO § 145a Rdn. 10; SK/Wohlers, StPO, 5. Aufl., § 145a Rdn. 20). Im Zweifel, wobei die Erklärung wegen der Bedeutung der Ladung im allgemeinen restriktiv auszulegen ist (vgl. OLG Düsseldorf StV 1990, 536; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 145a Rdn. 12; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer StPO § 145a Rdn. 10; HK/Julius/Schiemann, StPO, 8. Aufl.; Rdn. 8), liegt eine Bevollmächtigung daher nicht vor.

Eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinn des § 145a Abs. 2 StPO ist nicht nur gegenüber dem Wahlverteidiger sondern auch gegenüber dem Pflichtverteidiger zu erklären (vgl. OLG Hamm NStZ 2017, 432; OLG Karlsruhe StraFo 2011, 509; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334). Wird der bisherige Wahlverteidiger (§ 138 StPO), der nach § 145a Abs. 2 StPO besonders ermächtigt ist, zum Pflichtverteidiger bestellt, so ist eine erneute Bevollmächtigung erforderlich. Denn der Wahlverteidiger legt durch einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger konkludent sein Mandat nieder, wodurch das zivilrechtlich begründete Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Beschuldigten und damit auch die im Rahmen des Wahlverteidigermandats erteilte – rechtsgeschäftliche – Zustellungsvollmacht, erlischt (vgl. OLG Düsseldorf StV 1982, 127; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334; MüKo/Thomas/Kämpfer, StPO, § 145a Rdn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 145a Rdn. 12; SK/Wohlers, StPO, 5. Aufl., § 145a Rdn. 18; KMR/Staudinger, StPO, § 145a Rdn. 9; einschränkend KG NStZ 2012, 175, danach soll dies nicht gelten, wenn der Beschuldigte den Wahlverteidiger ausdrücklich als Zustellungs- und Ladungsbevollmächtigten benannt hat). Eine vorher bestehende Ladungszustellungsvollmacht muss daher erneut durch den Beschuldigten erteilt werden. Eine solche Behandlung erfordert das Gebot der Rechtsklarheit.

2. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so genügen die in den Verfahren 704 Ns 140/16 und 704 Ns 87/17 erteilten Ladungsvollmachten nicht den Anforderungen, mit der Folge, dass die Ladungen zu allen Hauptverhandlungsterminen in der Berufungsinstanz nicht wirksam an den Angeklagten – über seinen Verteidiger – zugestellt worden sind.

a) In dem Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 6000 Js 561/16, (Aktenzeichen im Berufungsverfahren 704 Ns 87/17) ist im Rahmen einer früheren Haftprüfung am 1. September 2016, der Verteidiger war dem Angeklagten bereits am 11. Juli 2016 beigeordnet worden, eine Zustellungs- und Ladungsvollmacht mit folgendem Inhalt zur Akte gelangt. „Hiermit erteile ich, E.B., Herrn RA Dr. T., Hamburg, in der Sache Amtsgericht Hamburg-Mitte, Az. 256 Ds 44/16, unwiderrufliche Zustellungs- und Ladungsvollmacht.“

Diese besondere Ladungsvollmacht stellt keine für das Berufungsverfahren geltende besondere Ladungsverfügung nach § 145a Abs. 2 StPO dar. Denn sie bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut allein auf das Verfahren vor dem „Amtsgericht Hamburg-Mitte“ (gemeint Amtsgericht Hamburg), zumal auch nur das dortige Aktenzeichen angegeben ist. Bei diesem Wortlaut kann die vorliegende Zustellungsvollmacht nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie über den klaren Wortlaut hinaus für das gesamte Verfahren gelten soll. Im Übrigen würden Zweifel über den Umfang zu Lasten des Umfangs der Vollmacht wirken.

b) Ausweislich des Protokolls der nichtöffentlichen Sitzung vor dem Amtsgericht Hamburg am 18. März 2015 in dem damaligen Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 6000 Js 189/15 (Aktenzeichen im Berufungsverfahren 704 Ns 140/16) hat der Verteidiger erklärt, dass sein Mandant ihm Ladungsvollmacht erteilt habe und diese zu den Akten gereicht. Diese lautet wie folgt: „Hiermit erteile ich, E. B. Herrn Rechtsanwalt Dr. B.T., Hamburg, in der Sache 015/1K/0177848/2015 unwiderrufliche Ladungsvollmacht gemäß § 148a Sb. 2 StPO.“ Zeitlich nachfolgend hat er einen Antrag auf Beiordnung gestellt, woraufhin der Haftrichter ihn dem Angeklagten beigeordnet hat.

Durch die Niederlegung des Wahlverteidigermandats ist die Zustellungsvollmacht erloschen. Eine neue Zustellungsvollmacht ist dem dann als Pflichtverteidiger bestellten Verteidiger nicht erteilt worden, mit der Folge, dass keine für die Wirksamkeit der Ladung an den Angeklagten erforderliche Vollmacht im Sinn des § 148a Abs. 2 StPO vorlag.

Insoweit kann dahinstehen, ob – bei der gebotenen restriktiven Auslegung – die Ladungsvollmacht überhaupt für das gesamte Verfahren gelten sollte. Daran bestehen erhebliche Zweifel, da der Umfang der Ladungsvollmacht im Kontext ihrer Erteilung – auf diese Weise sollte möglicherweise der Vollzug des Haftbefehls abgewendet werden – auszulegen ist.

3. Aufgrund der fehlenden wirksamen Ladungen zu den Hauptverhandlungsterminen können die gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehle keinen Bestand haben und waren daher aufzuheben…..“

U-Haft II: Durchsuchung des Verteidigers in der JVA, oder: Auch Umkrempeln der Hosentaschen geht nicht

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom LG Dortmund. Thematik im LG Dortmund, Beschl. v. 29.04.2021 – 33 Kls 4/21: Durchsuchung des Verteidigers vor dem Besuch des inhaftierten Mandanten. Dem Verteidiger sollte Zutritt zur Justizvollzugsanstalt Hagen zum Zwecke des Besuchs seines Mandanten nur gestattet werden unter der Voraussetzung, dass er die Hosentaschen von innen nach außen krempelt und die Jacken (Winterjacken und Anzugsjackett) ablegt und während des Besuchs in ein Schließfach einschließt. Dagegen hat sich der Verteidiger mit Erfolg gewehrt:

„2. Die Anordnung, der Justizvollzugsanstalt Hagen, nach der dem Antragsteller der Zutritt zur Justizvollzugsanstalt Hagen zum Zwecke des Besuchs seines Mandanten (Untersuchungsgefangener) verweigert worden ist, respektive nur gestattet worden ist unter der Voraussetzung, dass er die Hosentaschen von innen nach außen krempelt und die Jacken (Winterjacken und Anzugsjackett) ablegt und während des Besuchs in ein Schließfach einschließt, ausgesprochen durch den JVHS Pp., rechtswidrig.

Durchsuchungen des Verteidigers sind grundsätzlich unzulässig, weil sie den freien Verkehr mit dem Mandanten einschränken und den Angeklagten möglicherweise in seiner Verteidigung beeinträchtigen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 148, Rn. 12).

Dennoch ist die Durchsuchung nach Waffen und anderen gefährlichen Gegenständen auch bei einem Rechtsanwalt unter Berücksichtigung des ungehinderten Verkehrs mit dem Verteidiger aus Sicherheitsgründen zulässig.

Auch nach § 22 Satz 1 UVollzG NRW i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 2 StVollzG kann der Zutritt — auch von Rechtsanwälten — von ihrer Durchsuchung abhängig gemacht werden, wenn dies aus Gründen der Sicherheit der Anstalt erforderlich ist. Sofern von dem Ermessen, das die Norm vorsieht, Gebrauch gemacht werden soll, sind die Gründe dem zu Durchsuchenden darzulegen.

Ein Sicherheitsbedürfnis wurde jedoch nicht vorgetragen, als der Besuch des Antragstellers davon abhängig gemacht wurde, dass dieser seine Hosentaschen von innen nach außen krempeln sollte. Aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 05.03.2021 und auch aus der Stellungnahme des Leiters der JVA vom 25.03.2021 sowie aus der Stellungnahme zur Dienstaufsichtsbeschwerde des JVHS Pp. vom 08.03.2021 geht nicht hervor, dass die Durchsuchung aufgrund eines erkennbaren Verdachts durchgeführt werden sollte. Insoweit wird auch nicht behauptet, dass der Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Hagen dem Antragsteller Gründe, die eine Durchsuchung rechtfertigen würden, zum Zeitpunkt des Zutritts dargelegt hat.

Vielmehr wird von der Justizvollzugsanstalt Hagen vorgetragen, dass die Maßnahme „die Hosentaschen von innen nach außen zu krempeln“ unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten das mildeste Mittel darstelle. Dem kann nicht beigepflichtet werden, da das Durchschreiten des Metalldetektorrahmens oder das Absonden mit einem Metalldetektor demgegenüber die milderen Mittel gewesen wären, dies insbesondere auch unter den derzeit bestehenden besonderen Umständen der Covid-19 Pandemie. Warum diese Maßnahme in dem vorliegenden Fall nicht in Betracht gezogen wurden, bleibt offen.

Auch die allgemeine Hausverfügung der Justizvollzugsanstalt Hagen rechtfertigt eine Durchsuchung in dem hiesigen Einzelfall nicht.

Dem vorangestellt ist bereits rechtlich umstritten, ob eine pauschale Durchsuchungsanordnung, normiert in einer Hausordnung, eine wirksame Berechtigung darstellt, alle Besucher (also auch Rechtsanwälte und Notare) anlasslos zu durchsuchen. Vielmehr dürfte diesbezüglich die Darlegung eines allgemeinen Sicherheitsbedürfnisses erforderlich sein.

Nach der Hausverfügung der Justizvollzugsanstalt Hagen ist eine anlasslose Durchsuchung aller Besucher jedoch auch nicht geregelt. Vielmehr sind alle Besucher der Anstalt, auch Rechtsanwälte und Notare, durch den Metalldetektorrahmen zu schicken und ggfls. körperlich zu durchsuchen, insbesondere dann, wenn sich beim Absonden ein Verdachtsmoment ergibt.

Somit liegt die Berechtigung einer Durchsuchung gegebenenfalls dann vor, wenn sich ein Verdachtsmoment ergibt. Ein solcher ist jedoch nicht vorgetragen (s.o.).“

Ob in der Aufforderung, den Wintermantel und das Anzugjackett auszuziehen und in einem Schließfach einzuschließen eine unzulässige Entkleidung im Sinne des StVollzG NRW vorlag, kann dahinstehen. Denn diese Aufforderung war ebenfalls rechtswidrig und auch nicht von der allgemeinen Hausordnung gedeckt. Für die Aufforderung, das Anzugsjacketts insbesondere zu einer kalten Jahreszeit auszuziehen und sodann in das Schließfach einzuschließen, sodass der Antragsteller lediglich mit einem T-Shirt bekleidet zu seinem Mandanten hätte gehen müssen, gab es keinerlei Berechtigung. Auch insoweit hätte die Möglichkeit bestanden, den Antragsteller — bekleidet mit dem Anzugsjackett — durch den Metalldetektorrahmen gehen zu lassen.

Verdachtsmomente, die eine Durchsuchung gerechtfertigt hätten, sind diesbezüglich nicht vorgetragen.

Der Antragsteller war somit bereits nicht verpflichtet sein Jackett auszuziehen/durchsuchen zu lassen, sodass auch kein Anlass bestand, nachzufragen, ob er das Jackett nach erfolgter Durchsuchung zurückbekommen könne.

Die Kammer verkennt nicht, dass die vorliegende Situation sicherlich nicht alltäglich in dieser Form in der Justizvollzugsanstalt Hagen vorkommt. Vielmehr dürfte es — wie dem Gericht bekannt ist — bei Rechtsanwälten der Fall sein, dass diese den Metalldetektorrahmen durchschreiten, nachdem sie ihre persönlichen Sachen in den Spint gelegt haben und es damit sein Bewenden hat. Da insbesondere der Gesprächsverlauf zwischen den Beteiligten streitig ist, ist nicht auszuschließen, dass sich die Situation aufgrund der geführten Gespräche zugespitzt hat. Dennoch wurde durch die Anordnung der freie Verkehr des Antragstellers mit seinem Mandanten beeinträchtigt, ohne dass dafür sicherheitsrelevante Aspekte dargelegt wurden.“

StPO I: Lange Postlaufzeit der Urteilszustellung, oder: Wir glauben dem Verteidiger/Organ der Rechtspflege

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Heute dann mal wieder drei StPO-Entscheidungen, aber nicht vom BGH, sondern von den sog. Instanzgerichten.

Und als erstes stelle ich den LG Hanau, Beschl. v. 12.10.2020 – 5 KLs 1136 Js 14486/17 – vor. Es geht um die Frage der rechtzeitigen Begründung einer Revision. Die Staatsanwaltschaft hatte Verwerfung beantragt, das LG hat den Antrag aber abgelehnt:

„Die Revision des Angeklagten war nicht als unzulässig nach § 346 Abs. 1 StPO zu verwerfen, weil sie nicht verspätet oder formwidrig eingelegt worden ist.

Die Revisionen beachtet die nach § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebene Form und ist innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 S. 1 StPO binnen eines Monats nach Zustellung des vollständig abgefassten Urteils bei dem Verteidiger pp. bei dem Landgericht Hanau angebracht worden. Als Zeitpunkt der Zustellung bei dem Verteidiger war das von dem Rechtsanwalt pp. mit dem 27.07.2020 bescheinigte Datum des von ihm erklärten Empfangsbekenntnisses zugrunde zu legen. Die Revisionsbegründungsschriften jeweils des Rechtsanwaltes pp. und des weiteren Rechtsanwaltes pp. aus Frankfurt am Main gingen beide als Telefax – binnen eines Monats – am 27.8.2020 bei dem Landgericht Hanau ein.

Trotz einer äußerst ungewöhnlichen Postlaufzeit an den Rechtsanwalt pp. von drei Wochen seit der Ausführung der Zustellungsverfügung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und einem zwischenzeitlich bei jenem eingegangenen und unter dem 10.8.2020 von ihm zurückgesandten Paket mit den vollständigen Akten vermag die Kammer nicht mit der notwendigen Gewissheit festzustellen, dass der Eingang der Urteilsausfertigung bei dem Rechtsanwalt pp. wahrheitswidrig bescheinigt worden und ein früherer Zugang der Ausfertigung anzunehmen ist. Zwar weisen der ebenfalls postalische Zugang des Pakets mit den Akten und die Laufzeiten sämtlicher späteren, jeweils mit Zustellungsurkunde versandten Schriftstücke (maximal fünf Tage) darauf hin, dass – auch unter Berücksichtigung zunehmend längerer Postlaufzeiten bei den Anbietern von Postdienstleistungen — die Laufzeit einer Briefsendung von drei Wochen sehr ungewöhnlich ist, zumal den Rechtsanwalt pp. auch im bisherigen Verfahren vor der Urteilsverkündung sämtliche Sendungen stets zeitnah erreichten. Gleichwohl lassen sich Unzuverlässigkeiten des beauftragten Postzustelldienstes in engen Einzelfällen nicht vollständig ausschließen. Letztlich sind bei dem als Organ der Rechtspflege unter erhöhter Wahrheitspflicht stehenden Rechtsanwalt hohe Anforderungen an die Annahme eines von ihm unzutreffend datierten Bekenntnisses des Empfangs zu stellen.

Die in den zur Akteneinsicht an den Rechtsanwalt pp. übersandten enthaltene Urschrift des Urteils kann die förmliche Zustellung nicht bewirken, weil es sich dabei nicht um eine für den Empfänger hergestellte Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift handelt.

Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs der in der Akte enthaltenen Urschrift kann aber auch aus dem Gesichtspunkt einer auch bei einer Notfrist eingreifenden – Heilung von Zustellungsmängeln nach § 189 ZPO nicht abgestellt werden. Denn nach dem soeben Gesagten ist die zur Zustellung bestimmte Ausfertigung mit der Übersendung der Akte gerade nicht dem Rechtsanwalt pp. zugegangen, sondern lediglich die Urschrift des Urteils war darin enthalten. Es handelt sich dabei nicht um das von § 189 ZPO vorausgesetzte Dokument. Auch die weiteren Voraussetzungen der Bestimmung liegen nicht vor. Es fehlt nämlich daran, dass – wie es das Gesetz vorsieht – die formgerechte Zustellung des Dokumentes nicht nachgewiesen werden kann oder das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist. Beides liegt nicht vor. Selbst ein unleserliches, ohne Datum oder mit einem unrichtigen Datum versehenes Empfangsbekenntnis berührt die Wirksamkeit der Zustellung nicht (Zöller/Stöber, ZPO, § 174 Rn. 14 m.w.N.). Die gesondert zugestellte Ausfertigung mit Zustellungswillen des Vorsitzenden ist dem Rechtsanwalt pp. aber in der gesetzlich vorgesehenen Form der Zustellung an einen Rechtsanwalt zugegangen. Zuletzt fehlt es auch an der Mitwirkungsbereitschaft des Rechtsanwaltes zur Zustellung bereits bei Erhalt der Akteneinsicht. Denn es bedarf insofern zwingend der Äußerung des Willens des Adressaten, die Sendung als zugestellt in Empfang zu nehmen (Zöller-Stöber, § 174 ZPO, Rn. 6). Allein die Veranlassung der Rücksendung der Akten lässt nicht auf einen Willen schließen, als Rechtsanwalt den Inhalt eines bestimmten Dokumentes aus den Akten zur Kenntnis zu nehmen oder dieses als tatsächlich zugegangen gelten zu lassen. Denn regelmäßig wird bei einer Akteneinsicht zweckmäßigerweise nach Durchführung des Kopierens zeitnah die Rücksendung an das Gericht veranlasst. Erst dann wird oft von dem Inhalt der Kopien Kenntnis genommen.

Dass dem Verteidiger pp. oder dem weiteren Verteidiger in sonstiger Weise bereits vor dem 27.07.2020 die Ausfertigung des Urteils zuging und er diese mit dem Willen, die Sendung als zugestellt gegen sich geltend zu lassen, in Empfang genommen hat, lässt sich nicht nachweisen.“

Also: Die Kammer „glaubt“ dem Verteidiger. Warum auch nicht?

Und wir glauben der Kammer, obwohl: Sie ist ein wenig durcheinander gekommen in den Eingangssätzen des Beschlusses. Es geht nicht um die Einlegung der Revision, sondern um deren Begründung 🙂 , das ändert aber nichts daran, dass der Beschluss richtig ist.