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Corona I: „Gelber Judenstern“ mit „Ungeimpft“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

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In die 45. KW. starte ich dann heute mit zwei Entscheidungen zu „Corona-Fragen“.

Zunächst stelle ich hier den LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22 – vor. Es geht im die Verwendung des sog. „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes Jude durch das Wort „ungeimpft“.

Gegen die Angeschuldigte wird von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, begangen am 01.12.2021, geführt. Durch die Meldestelle respect! wurde bekannt, dass die Angeschuldigte am 01.12.2021 ein Bild mit einem sogenannten „Judenstern“ in einer seinerzeit aus 27 Mitgliedern bestehenden Facebook-Gruppe „Impfzwang?? Nein danke!! Wir stehen auf!!“ als Gruppenbild hochgeladen hatte. Dabei handelte es sich um eine abgewandelte Version des „Judensterns“ dahingehend, dass auf dem Stern nicht der Begriff „Jude“, sondern der Begriff „Ungeimpft“ zu sehen war. Über und unter dem Judenstern standen die Worte „Der neue Judenstern“.

Von der Staatsanwaltschaft ist der Erlass eines Strafbefehls gegen die Angeschuldigte beantragt worden. Konkret wird der Angeschuldigten Folgendes zur Last gelegt:

„Am 01.12.2021 stellten Sie gegen 21:35 Uhr in der von Ihnen gegründeten öffentlich einsehbaren Facebook-Gruppe mit dem Titel „Impfzwang?? Nein Danke!! Wir stehen auf!!“ als Gruppenbild ein Foto ein, auf dem mittig ein auf einer Scheibe klebendes Plakat abgebildet ist. Das Plakat zeigt einen gelben Judenstern, der zur Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „Ungeimpft“ und der Überund Unterschrift „Der neue Judenstern“. Ihnen war bewusst, dass eine Impfung in keinem Zusammenhang zur Judenverfolgung steht. Sie nahmen billigend in Kauf, dass die unter den Nationalsozialisten begangene planmäßige Ermordung von Juden als Vergleich mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie wahrgenommen werden würde und dadurch eine Bagatellisierung der Art, des Ausmaßes und der Folgen der Unterdrückung, Gewalt und massenhaften Ermordung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht wird. Ihnen war bewusst, dass dies zu einer Herabsetzung von Hemmschwellen mit unmittelbar rechtsgutgefährdenden Folgen führen kann.“

Der Amtsrichter hat den Erlass des Strafbefehls abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hat. Wegen der Einzelheiten der Ablehnungsentscheidung verweise ich auf den verlinkten Volltext der LG Entscheidung. Hier stelle ich nur die (amtlichen) Leitsätze ein, die lauten:

    1. Die Verwendung eines „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch das Wort „ungeimpft“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand des Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2021 – Ss 72/2020 (2/21), BeckRS 2021, 4322; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 27). Eine Deutung des „Judensterns“ als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen ist aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossen. Es ist daher im Hinblick auf die gesellschaftlich geführte Debatte um eine Corona-Impfpflicht, Schutzmaßnahmen und die Privilegien für geimpfte Personen aus Sicht eines objektiven, verständigen Zuhörers auch eine Deutung denkbar, die lediglich die Nachteile der ungeimpften Bevölkerung durch die eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben gegenüber den Geimpften anprangert, ohne sich hierbei konkret auf den Völkermord an den Juden zu beziehen. Die Angeschuldigte hat im konkreten Fall nicht das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht bagatellisiert, sondern vielmehr ihre eigene Situation als Ungeimpfte in der Corona-Pandemie überdramatisiert.
    2. Zwar ist es auf sogenannten Corona-Demonstrationen des Häufigeren zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Demgegenüber haben an diesen Demonstrationen auch zahlreiche Personen teilgenommen, die friedlich gegen eine geplante Impfpflicht oder sonstige Corona-Maßnahmen demonstriert haben und sich mit den Gewalttaten Einzelner nicht identifiziert oder diese gebilligt haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht jeder Aufruf, sich gegen eine Impfpflicht einzusetzen als Appell zum Rechtsbruch oder aggressive Emotionalisierung ausgelegt werden.

Zu der Problematik auch schon LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.2022 – 1 Qs 80/22  und dazu. Corona II: „Gelber Judenstern“ mit „NICHT GEIMPFT“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

Zur Erstattung von Corona-Desinfektionskosten, oder: AG Altena, AG Heinsberg. LG Aachen, LG Hamburg: Ja

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Und heute dann zum letzten Mal in 2021 der „Kessel Buntes“, denn am nächsten Samstag ist der 1. Weihnachtsfeiertag und dann ist das Jahr auch schon vorbei.

Ich stelle hier dann zunächst vier Entscheidungen zur Erstattung von Desinfektionkosten vor, und zwar:

Alle vier Gerichte haben die Desinfektionskosten erstattet, ich erspare mir hier die Einzelheiten, sondern ordne das Selbstleseverfahren an. Das LG Hamburg hat die Revision zugelassen, vielleicht hören wir dann ja mal etwas vom BGH dazu.

Doe Volltexet zu AG Heinsberg und LG Aachen findet man übrigens nicht bei mir, sondern beim Kollegen Frese aus Heinsberg. Ich habe auf die von ihm eingestellten Entscheidungen verlinkt. Ging schneller 🙂 .

 

Bindung an die gerichtliche Auslagenentscheidung, oder: Der Rechtspfleger kann nicht machen, was er will

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Und heute dann – bevor wir in das 2. Adventswochenende überleiten – noch ein wenig Gebührenrecht. Und da stelle ich zunächst den LG Aachen, Beschl. v. 20.09.2021 – 60 Qs 46/21 – vor.

Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem der Angeklagten gemeinschaftlicher versuchter Diebstahl vorgeworfen worden ist. Die Angeklagte ist vom AG freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Freispruch der drei Angeklagten Berufung eingelegt.

Das LG hat daraufhin zunächst Berufungshauptverhandlungstermin auf den 28.11.2019 bestimmt worden. In diesem Hauptverhandlungstermin erschien einer der Mitangeklagten nicht. Die Berufungshauptverhandlung am 28.11.2019 dauerte von 9:00 Uhr bis 9:16 Uhr. Neuer Termin zur Berufungshauptverhandlung wurde dann bestimmt auf den 29.01.2020, nachdem das Verfahren gegen einen der Mitangeklagten abgetrennt worden war. Im Termin zur Berufungshauptverhandlung am 29.01.2020 erschienen beide verbliebenen Angeklagten trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht. Das Landgericht hat sodann neuen Termin zur Berufungshauptverhandlung bestimmt auf den 23.11.2020. In der am 23.11.2020 von 13:00 Uhr bis 14:42 Uhr durchgeführten Berufungshauptverhandlung hat die Staatsanwaltschaft nach durchgeführter Beweisaufnahme die Berufung gegen die ehemaligen Angeklagte zurückgenommen. Das LG hat der Staatskasse die Kosten der von der Staatsanwaltschaft gegen die (ehemalige) Angeklagte eingelegten und wieder zurückgenommenen Berufung, sowie insoweit auch die notwendigen Auslagen der (ehemaligen) Angeklagten auferlegt.

Der Verteidiger der Angeklagten hat Auslagenerstattung für den Angeklagten beantragt. Er hat beantragt, für das Berufungsverfahren einen Betrag in Höhe von insgesamt 2.319,85 EUR gegen die Staatskasse festzusetzen. Geltend gemacht worden sind u.a.:  Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren gem. Nr. 4124 RVG 560,00 EUR, Terminsgebühr für den HVT am 28.11.2019 und 29.01.2020 – 2 x 320,00 EUR gem. Nr. 4126 RVG 640,00 EURm Terminsgebühr für den HVT 23.11.2020 gem. Nr. 4126 RVG 384,00 EUR sowie Terminsauslagen für die Hauptverhandlungstermine, Abwesenheitsgelder und weitere Auslagen.

Nachdem der Vertreter der Staatskasse teilweise ablehnend Stellung genommen hat, hat das AG nach einem längeren Schriftwechsel die Gebühren für das Berufungsverfahren nur teilweise festgesetzt. Zum Teil hat es die Gebühren als unbillig i.S. des § 14 Abs. 1 RVG angesehen. Für den Hauptverhandlungstermin vom 29.01.2020 hat es die Festsetzung einer Terminsgebühr insgesamt abgelehnt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verteidigers hatte zum Teil Erfolg. Soweit sich die frühere Angeklagte gegen die Reduzierung der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühren für die Hauptverhandlungstermine am 28.11.2019 und am 30.11.2020 gewendet hat, ist das Rechtsmittel erfolglos geblieben. Es hatte hingegen Erfolg, soweit das AG die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.1.2020 gänzlich abgesetzt hatte. Dazu führt das LG aus:

„bb) Soweit das Amtsgericht die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.01.2020 vollständig abgesetzt hat, ist dies zu Unrecht erfolgt.

(1) Zwar ist es zutreffend, dass die ehemalige Angeklagte dem Hauptverhandlungstermin unentschuldigt ferngeblieben ist. Dies führt jedoch nach Auffassung der Kammer in der aktuellen Besetzung nicht dazu, dass die für diesen Termin angefallene Terminsgebühr nicht erstattungsfähig, da nicht notwendig im Sinne von § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 ZPO zu betrachten wäre.

Die Kammer hält somit an ihrer vormaligen, u.a. der Rechtsprechung des Amtsgerichts Tiergarten (Beschluss vom 11.01.2016 – 232b Ds 10/15 -, juris) folgenden Rechtsauffassung (LG Aachen, vom 26.05.2021-60 Qs 18/21 -, juris) nicht mehr fest. Vielmehr folgt die Kammer nunmehr der auch zuvor bereits von einer anderen Kammer des Landgerichts Aachen vertretenen, vom Verteidiger der ehemaligen Angeklagten zitierten Entscheidung (LG Aachen, Beschluss vom 9. März 2020 – 99 Qs 2/20, nicht veröffentlicht). Danach ist von maßgeblicher Relevanz, dass das Gesetz die Möglichkeit, auf die schuldhafte Verursachung von Kosten durch den Angeklagten zu reagieren, ausschließlich dem Erkenntnisverfahren vorbehält und in § 467 Abs. 2 StPO vorgeschrieben ist, dass von einer Überbürdung von Auslagen auf die Staatskasse abzusehen ist, wenn der Angeklagte diese durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat. Ein solcher Anspruch erfolgt in der Kostenentscheidung des Urteils bzw. eines entsprechenden Beschlusses. Das erkennende Gericht hat hier aber eine dementsprechende Kostenentscheidung nicht getroffen, sondern die notwendigen Auslagen uneingeschränkt der Staatskasse auferlegt. Für das Kostenfestsetzungsverfahren existiert eine dem § 467 Abs. 2 StPO entsprechende Vorschrift dagegen nicht. Vielmehr stellen die Gebühren und Auslagen, die der Verteidiger berechtigterweise von dem Mandanten verlangen kann, kraft gesetzlicher Bestimmung in Gänze dessen notwendige Auslagen dar (LG Mühlhausen, Beschluss vom 11.12.2003 – 3 Qs 366/02, StraFo 2003, 435). Das Festsetzungsverfahren nach § 464b StPO hat allein die Aufgabe, ziffernmäßig die Höhe der notwendigen Auslagen festzusetzen, bezüglich deren eine rechtskräftige gerichtliche Grundentscheidung vorliegt (Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn 29). Deshalb ist es ausgeschlossen, unvollständige oder fehlerhafte Grundentscheidungen des erkennenden Gerichts in diesem Verfahren zu korrigieren (Hilger, a.a.O. m.w.Nachw.). Deshalb ist es auch nicht zulässig, bei – wie hier – uneingeschränkter Auslagenüberbürdung auf die Staatskasse die Erstattung – dennoch – mit der Begründung abzulehnen, das erkennende Gericht habe Umstände im Sinne des § 467 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 1, 2 oder die in § 464 Abs. 2 bis 4 eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten übersehen oder verkannt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.10.1989 – 2 Ws 475/89 -, NStZ 1990, 204; Hilger, a.a.O. m.w.Nachw.; vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 18.06.1999 – 1 Ws 65/99 -, juris Rn 9).

Demnach ist die Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 29.01.2020 grundsätzlich erstattungsfähig.

(2) Was die Höhe der Terminsgebühr betrifft, kann weitgehend auf die vorstehenden Ausführungen unter 3. b) aa) Bezug genommen werden. …..“

Wegen der Bemessung der Gebühren: Selbstleseverfahren 🙂 .

Zusätzliche Verfahrensgebühr bei Einziehung, oder: Beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts reicht

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Die zweite Entscheidung, der LG Aachen, Beschl. v. 01.04.2021 – 60 Qs 7/21 – nimmt noch einmal zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG Stellung.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den früheren Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Bandendiebstahls geführt. Der Rechtsanwalt war dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Mit der Anklageschrift wurde dem Angeklagten ein Einbruch in eine Tankstelle und die Entwendung von Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 EUR zur Last gelegt. In der Anklageschrift heißt es: „Verbrechen des schweren Bandendiebstahls, strafbar gemäß §§ 244a Abs. 1, 25 Abs. 2, 74 StGB. Die sichergestellten und als Augenscheinobjekte aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung“. Das AG hat den ehemaligen Angeklagten auf Kosten der Landeskasse freigesprochen.

Der Verteidiger hat die Festsetzung von Wahlverteidigergebühren beantragt, und zwar u.a. auch eine 1,0 Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert von 7.200,00 EUR nach Nr. 4142 VV RVG. Der Bezirksrevisor hat zu dem Antrag Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass es sich bei der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG um eine – zusätzliche – Verfahrensgebühr handle, die das Betreiben des Geschäfts u.a. im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz abgelten solle. Eine entsprechende Tätigkeit sei dem Akteninhalt jedoch nicht zu entnehmen. Die Gebühr sei daher abzusetzen. Darauf hat der Verteidiger erwidert, dass sich die Tätigkeit, die er im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz entfaltet habe, nicht unmittelbar aus dem Akteninhalt ergebe. Jedoch sei die Einziehung in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft enthalten. Auch wenn dies in der Anklageschrift nicht ausdrücklich beantragt worden sei, liege die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB nahe. Hierüber habe er den ehemaligen Angeklagten pflichtgemäß belehrt und beraten.

Der Bezirksrevisor ist bei seiner Auffassung verblieben, ebenso der Verteidiger. Das AG hat die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG abzusetzen sei, da die Gebühr nur dann entstehe, wenn der Verteidiger eine Tätigkeit erbringe und nachweise, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet sei (unter Bezugnahme auf Burhoff, RVG, 2. Aufl. Nr. 4142 Rn. 15). Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor und seien von dem Verteidiger auch nicht dargelegt.

Der Verteidiger hat sofortige Beschwerde eingelegt. Das AG hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem LG vorgelegt. Das hat darauf hingewiesen, dass es die sofortige Beschwerde für begründet erachtet. Das Amtsgericht hat sodann den Gegenstandswert des Verfahrens gem. § 33 Abs. 1 VV RVG auf 7.200,00 EUR festgesetzt.

Der Beschluss des LG fasst die Rechtsprechung sehr schön zusammen. Hier die Leitsätze:

  1. In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben (Anschluss an OLG Rostock, Beschl. v. 30. April 2018 – 20 Ws 78/18).

  2. Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) kommt es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für Entstehung der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV nicht mehr an, vielmehr kann die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen.

  3. Für den Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV genügt jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Die Gebühr wird daher bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Es genügt insoweit, dass der Rechtsanwalt eine beratende Tätigkeit darlegt und anwaltlich versichert. Erforderlich ist darüber hinaus, dass im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung „in Betracht kam“ bzw. „nach Aktenlage geboten“ war, „ernsthaft in Betracht kam“ bzw. „nahelag“. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist.

Verkehrsrecht II: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Begriff des Rennens und Urteilsgründe

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Und im zweiten Posting zwei Entscheidungen zum Kraftahrzeugrennen (§ 315d StGB) – also zu der noch recht neuen Vorschrift im StGB.

Ich weise zunächst hin auf den LG Aachen, Beschl. v. 11.02.2021 – 60 Qs 1/21, das in einem umfangreich begründeten Beschluss einen Nichteröffnungsbeschluss des AG Aachen aufgehoben und ein Verfahren eröffnet hat. Dazu folgende Leitsätze:

  1. Die Tatbestände des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfassen Fälle nicht erlaubter Kraftfahrzeugrennen in der Variante der Ausrichtung oder Durchführung (Nr. 1) bzw. der Teilnahme (Nr. 2). Gemeinsame objektive Tatbestandsvoraussetzung ist das Vorliegen eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens. Ziel des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist demgegenüber die Erfassung auch derjenigen Fälle, in denen nur ein einziges Kraftfahrzeug objektiv und subjektiv ein Rennen gewissermaßen nachstellt. Es kann daher nicht zugleich (tateinheitlich) eine Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB und ein unerlaubtes „Einzelrasen“ nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen. Vielmehr schließen sich die vorgenannten Tatbestände gegenseitig aus.

  2. Die Ermittlung eines Siegers ist kein konstitutives Element eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (Anschluss an LG Deggendorf, Urt. v. 22.11.2019 – 1 Ks 6 Js 5538/18). Ausreichend ist, dass der Versuch des Erreichens der Höchstgeschwindigkeit der gegenseitigen Leistungsprüfung dient, ohne dass die Teilnehmer miteinander im Wettbewerb stehen (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20; KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

  3. Auf die Erzielung einer absoluten Höchstgeschwindigkeit kommt es für das Vorliegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nicht an. Der Wille, gemeinsam möglichst schnell zu fahren, erfüllt den Rennbegriff ebenso. Ausschlaggebend ist das Streben nach einer höheren Geschwindigkeit (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18). Ebenso ausreichend ist, dass die betroffenen Kraftfahrzeugführer das Beschleunigungspotential ihrer Gefährte vergleichen (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18; LG Arnsberg, Urt. v. 20.01.2020 – 2 Ks 15/19).

  4. Die für die Ermittlung bzw. Schätzung von Geschwindigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht maßgeblichen Kriterien der Länge der Messstrecke und des Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie insbesondere der Ansatz eines deutlichen Toleranzabzugs zur Berücksichtigung von Ablese- und Eigenfehlern des (unjustierten) Tachometers sollen die zutreffende, den Grundsatz „in dubio pro reo“ wahrende Einordnung eines Geschwindigkeitsverstoßes in das System der Regelbußen und des Regelfahrverbots der Bußgeldkatalog-Verordnung ermöglichen; sie finden im Rahmen der § 315b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB keine Anwendung. Entsprechende Feststellungen sind hier auch ohne genauere Bestimmung der gefahrenen Geschwindigkeit möglich (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20).

  5. Gegen die Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (Anschluss an KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19); OLG Köln, Beschl. v. 05.05.2020 – 1 RVs 45/20; entgegen AG Villingen-Schwenningen, Beschl. v. 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19).

  6. Im Rahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht erforderlich, dass der Nachweis einer doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit geführt werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Feststellung eines abstrakt grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrens mit der Absicht des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit (hier: mehrfaches Durchfahren eines „Eifel-Rundkurses“ mit einer Länge von gut 12 km in 6 Minuten und 38 Sekunden sowie 6 Minuten und 56 Skunden).

Und als zweite „Renn-Entscheidung“ stelle ich den KG, Beschl. v. 22.02.2021 – 3 Ss 13/21 – zu den Anforderungen an das Urteil bei einer Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens vor, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert.

  2. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken.

  3. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat.

  4. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Bei versierten polizeilichen Zeugen können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.

  5. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält.

  6. Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der „uneidlichen Bekundungen der Zeugen“. Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.