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Einziehung II: Einziehung bei/nach Geldwäsche, oder: Anwendbares Recht?

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Und dann das zweite Posting zur Enziehung. Hier geht es um die Frage des anwendbaren Rechts. Dazu zwei Entscheidungen.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 16.05.2024 – 3 StR 379/23. In dem Verfahren geht es um eine Familie, deren Mit­glie­der, u.a. drei Brüder, gemeinsam mit ihren Eltern mit Hil­fe er­schli­che­ner So­zi­al­leis­tun­gen ein Haus erbaut haben. Das LG hat u.a. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges verurteilt und außederm die Einziehung des Wertes von Taterträgen als Gesamtschuldner angeordnet.

Der BGH hat die Revision von zwei Brüdern verworfen, die des dritten hatte teilweise Erfolg. Diesen hatte das LG wegen Geldwäsche verurteilt. Er hatte 2017 als 20-jähriger mit seinen Eltern beschlossen, die unrechtmäßig erhaltenen Sozialleitsungen für den Kauf einer Immobilie einzusetzen. Im August 2018 erwarb er ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück, im Oktober 2018 wurde er als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen. Um die illegale Herkunft des als Eigenkapital genutzten Geldes zu verschleiern, zahlte der Angeklagte einen Teilbetrag über Dritte auf seinem Konto ein. In dem Einfamilienhaus lebten alsdann die Eltern und zwei der drei Brüder. Das LG hatte auch die Einziehung des Grundstücks angeordnet. Nach Auffassung des BGH war zu beanstanden, dass das LG nicht erörtert hatte, ob Erwachsenen- oder Jungendstrafrecht anzuwenden war. Außerm konnte die Einziehungsanordnung so nicht bestehen bleiben. Dazu führt der BGH aus:

„3. Die Einziehungsentscheidung hat im Ergebnis ebenfalls keinen Bestand.

a) Ausgehend von der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht hat das Landgericht allerdings rechtsfehlerhaft angenommen, dass im vorliegenden Fall § 261 Abs. 1 und 7 Satz 1 StGB aF zur Anwendung kommt. Dabei hat es für die Beurteilung des milderen Rechts nach § 2 Abs. 3 StGB nicht auf einen Vergleich der Strafrahmen, sondern auf die einziehungsrechtlichen Folgen abgestellt. Dieser Ansatz begegnet rechtlichen Bedenken.

aa) Der Tatbestand des § 261 StGB ist vor dem erstinstanzlichen Urteil durch das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9. März 2021 (BGBl. I S. 327 ff.) neu gefasst worden. Dadurch hat sich der Strafrahmen für das vorsätzlich begangene Grunddelikt insofern geändert, als er nicht mehr bei einer erhöhten Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe beginnt, sondern allgemein Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht.

bb) Vor diesem Hintergrund ist bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht § 261 Abs. 1 StGB nF gemäß § 2 Abs. 3 StGB das mildeste Gesetz. Die mit der Neufassung des Gesetzes verbundenen Erweiterungen hinsichtlich der Nebenfolgen (§ 261 Abs. 10 StGB nF) ändern daran nichts.

Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18, NStZ 2018, 652, 653 mwN). Dabei ist der Grundsatz strikter Alternativität zu beachten. Es kann nur entweder die frühere oder die neue Gesetzesvorschrift in ihrer Gesamtheit angewendet werden; eine Beurteilung teilweise nach der alten und teilweise nach der neuen Vorschrift ist nicht zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 mwN).

Demgemäß ist in aller Regel eine abgestufte Prüfungsreihenfolge einzuhalten. Zunächst muss feststehen, dass bei beiden (oder mehreren) in Betracht kommenden Gesetzesfassungen die Strafbarkeit fortbesteht. Sodann ist unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles das mildeste Gesetz zu ermitteln. Hierbei sind zuerst die nach beiden Gesetzen zulässigen Hauptstrafen miteinander zu vergleichen. Erst wenn sich daraus das mildere Gesetz nicht ergibt, kann es auf Nebenstrafen und Nebenfolgen ankommen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1965 – 3 StR 12/65, NJW 1965, 1723).

Da der Angeklagte den Tatbestand der Geldwäsche sowohl nach § 261 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 3 StGB aF als auch nach § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 7 StGB nF erfüllte, kommt es – bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht – auf einen Vergleich der Hauptstrafen an. Danach ist die geltende Gesetzesfassung des § 261 Abs. 1 StGB das mildeste Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.

cc) Bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht richtete sich die Einziehung demnach nach der Vorschrift in § 261 Abs. 10 Satz 3 StGB nF, die einen Vorrang der §§ 73 ff. StGB vor einer Einziehung nach § 74 Abs. 2 StGB anordnet (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2023 – 3 StR 459/22, juris Rn. 7; Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 9 ff., 24 ff.). Nach dieser Regelung wäre die Immobilie als ein durch die Geldwäsche des Angeklagten erlangter Tatertrag einzuordnen. Sie unterläge dann der – zwingenden – Einziehung nach § 261 Abs. 10 Satz 3 StGB nF i.V.m. § 73 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 24).

b) Bei Anwendung von Jugendstrafrecht, was nicht sicher auszuschließen ist, wären nach dem zuvor Ausgeführten die zu vergleichenden Hauptstrafen im Hinblick auf die jeweils nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und 3 JGG vorgesehenen Rechtsfolgen identisch. Insoweit ist die nach altem Recht leicht erhöhte Untergrenze des für Erwachsene geltenden Regelstrafrahmens ohne Bedeutung. Deshalb ist für den Günstigkeitsvergleich nach § 2 Abs. 3 StGB auf die Nebenfolge der Einziehung abzustellen.

Danach käme Tatzeitrecht zur Anwendung, da die Einziehung nach § 74 Abs. 2 i.V.m. § 261 Abs. 7 Satz 1 StGB aF enger gefasst ist und eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts vorschreibt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2022 – 3 StR 175/22, NStZ-RR 2023, 8, 9 mwN zu einem Fall einer besonders schweren Geldwäsche, bei welcher der Strafrahmen bei beiden Gesetzesfassungen identisch ist). Demgemäß käme bei einer – hier wohl vorliegenden – Selbstgeldwäsche nur eine Einziehung des hierdurch erlangten Vermögensgegenstands als Tatobjekt in Betracht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018 – 5 StR 234/18, NJW 2019, 533 Rn. 29; Urteil vom 10. November 2021 – 2 StR 185/20, NJW 2022, 1028 Rn. 56 mwN). Das Hausgrundstück war indes nicht Objekt einer von dem Angeklagten begangenen Selbstgeldwäsche; dies war allein der bemakelte Geldbetrag, der zu dessen Bezahlung aufgewendet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 – 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 23).

c) Nach alledem muss auch über die Einziehung des Hausgrundstückes neu verhandelt und entschieden werden.“

Und dann noch den LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 09.07.2024 – 5/08 Qs 10/24 -, auch zur Frage des anwendbaren Rechts. Dazu gibt es aber nur den Leitsatz, und zwar:

Ist das zugrundeliegende Strafverfahren eingestellt worden, ist im selbständigen Einziehungsverfahren bei der Prüfung der Frage, ob altes oder neue Geldwäscherecht Anwendung findet, also der Frage, welches Recht das mildere Gesetz ist, auf die Regelungen zur Einziehung abzustellen.     

 

KCanG I: Gleichzeitiges Bereithalten einer Waffe, oder: Klammerwirkung auch nach neuem Recht

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Es ist Montag, also Start in die neue Woche. Und da habe ich ja zum Wochenanfnag häufig Entscheidungen zu neuen Problemkreisen, das war bei Corona so, dann kamen die Klimakleber und das beA. Derzeit beschäftigen uns die Fragen, die mit dem KCanG zusammenhängen. Dazu gibt es dann heute auch wieder drei Entscheidungen.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 30.04.2024 – 6 StR 164/24. Nein, es ist keine Entscheidung des BGH, in der dieser sagt: Tut uns leid, dass wir die neue „nicht geringe Menge“ nur bei 7,5 g n/ml angesetzt haben, wir ändern das mal wieder – das AG Mannheim (vgl. AG Mannheim, Urt. v. 29.04.2024 – 2 Ls 801 Js 37886/23 und dazu: KCanG II: „Neue“ „nicht geringe Menge“ liegt bei 75 g, oder: Fortbildung des AG Mannheim für den BGH?) hat Recht. Nein, es bleibt alles beim Alten – leider. Die Entscheidung zementiert den „BGH-Grenzwert“ und nimmt dabei zu einer konkurrenzrechtlichen Frage Stellung.

Das LG hat den Angeklagten wegen „bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen ein Waffenbesitzverbot in Tatmehrheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe v verurteilt. Der BGH hat unter Aufrechterhaltung der Feststellungen aufgehoben:

„1. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

a) Mach den Feststellungen kaufte der Angeklagte im Frühjahr 2022 ein Kilogramm Amphetamingemisch und 200 Gramm Marihuana. Das Amphetamingemisch verkaufte er gewinnbringend nahezu vollständig zum Preis von 5.000 Euro. Vom Marihuana verkaufte er nur einen kleinen Teil, verbrauchte es teilweise und bewahrte die übrigen 168,1 Gramm mit einer Wirkstoffmenge von 14,81 Gramm THC auf, um sie später zu konsumieren oder zu verkaufen (Fall II.1 der Urteilsgründe). Im Dezember 2022 kaufte der Angeklagte ein weiteres Kilogramm Amphetamingemisch, von dem er 226,12 Gramm zum Preis von fünf Euro pro Gramm verkaufte. Am 27. Februar 2023 verwahrte er in der Küche seines Wohnhauses neben der Restmenge des im Dezember gekauften Amphetamingemischs mit einem Wirkstoffanteil von 64,69 Gramm Amphetaminbase auch das restliche im Frühjahr 2022 erworbene Marihuana. Dort lagen griffbereit auf der Sitzfläche eines Stuhls eine funktionsbereite, geladene Schreckschusspistole und in einem Schrank ein Teleskopschlagstock (Fall II.2 der Urteilsgründe).

b) Die Strafkammer hat bei ihrer konkurrenzrechtlichen Wertung nicht erkennbar bedacht, dass eine Tat anzunehmen gewesen wäre, wenn es sich bei dem zur Veräußerung bestimmten Anteil des am 27. Februar 2023 noch vorhandenen Marihuanas um eine nicht geringe Menge gehandelt hätte.

aa) Werden zwei unterschiedliche, zum Verkauf bestimmte, nicht geringe Mengen von Betäubungsmitteln in einem Raum aufbewahrt, verbindet wegen der Teilidentität der Ausführungshandlungen das gleichzeitige Bereithalten einer Waffe im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG an diesem Ort beide Taten zur Tateinheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2020 – 1 StR 9/20,BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Nr. 2 Konkurrenzen 2; vom 9. Juli 2020 – 5 StR 208/20; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, Betäubungsmittelgesetz 10. Aufl., § 30a Rn. 130a).

bb) Die Annahme nur einer Tat kommt auch bei Berücksichtigung der nach § 354a StPO, § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden neuen Vorschriften des zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes (KCanG) in Betracht. Denn der als Verbrechen ausgestaltete Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, der hier erfüllt sein könnte, hat die Kraft, das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hinsichtlich des im Frühjahr 2022 erworbenen Amphetamins (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln hinsichtlich des im Dezember 2022 gekauften Amphetamins (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) zu einer Tat zu verklammern. Soweit der Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG eine nicht geringe Menge voraussetzt, wäre dieser Grenzwert von 7,5 Gramm THC (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24) unter Berücksichtigung des festgestellten Wirkstoffgehaltes von acht Prozent bei einer Handelsmenge von 93,75 Gramm erreicht.

c) Der Senat ist gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu ändern, weil ihm die dafür nötigen Feststellungen fehlen. Es ist offengeblieben, welcher Anteil des noch vorhandenen Marihuanas zum Konsum und welcher zum Verkauf bestimmt war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2018 – 5 StR 582/17, NStZ-RR 2018, 113).“

StGB AT II: Neuregelung/neues Recht des § 64 StGB, oder: OLG Saarbrücken zum anwendbaren Recht

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Und dann etwas aus dem Vollzugs-/Vollstreckungsbereich, nämlich zu §§ 64 ff. StGB, und zwar zur Anwendung des neuen Rechts. Dazu hatte ich ja u.a. – neben dem BGH – bereits den OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2023 – 2 Ws 317/23 – vorgestellt (vgl. Unterbringung III: Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – OLG Celle zum anwendbaren Recht). Dazu hat sich jetzt auch das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2024 – 1 Ws 298/23 – geäußert.

Da es das OLG Saarbrücken ebenso macht wie das OLG Celle, reichen m.E. die Leitsätze der Entscheidung. Die lauten:

1. Auf die Vollstreckung einer vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist über § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB die Vorschrift des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung anzuwenden (Anschluss an OLG Celle, Beschl. v.20.11..2023 – 2 Ws 317/23).
2. Der Begriff des „Hangs“ im Sinne des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung entspricht dem des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in derselben Fassung.
3. Ein „Hang“ des Untergebrachten im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung liegt nur vor, wenn bei ihm eine Substanzkonsumstörung besteht, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist oder fortdauert.
4. Eine vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordnete Unterbringung ist nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären, wenn bei dem Untergebrachten zwar weiterhin eine Substanzkonsumstörung besteht, diese aber zu keinem Zeitpunkt zu einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Lebensgestaltung, Gesundheit oder Arbeits- oder Leistungsfähigkeit geführt hat.

Unterbringung II: Erstes zur Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – anwendbares Recht

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Und im zweiten Posting geht es dann auch noch einmal um das anwendbare Recht in sog. Altfällen.

Dazu bin ich u.a. auf den BGH, Beschl. v. 25.10.2023 – 5 StR 246/23 – und den BGH, Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 405/23 – gestoßen. In beiden Fällen hat der BGH im Erkenntnisverfahren die Anwendung des neuen Rechts auf „Altfälle“ „gefordert.

In dem dem Beschluss vom 25.10.2023 zugrunde liegenden Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen 21 Fällen des schweren Bandendiebstahls, wobei es dreimal beim Versuch blieb, und zwei weiteren Fällen des Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung geführt:

„Die Ausführungen des Landgerichts belegen nicht, dass die Voraussetzungen der seit 1. Oktober 2023 geltenden und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle maßgeblichen Neufassung des § 64 StGB vorliegen, was der Senat nach § 354a StPO zu beachten hat. Beim Angeklagten liegt zwar ein langjähriges Abhängigkeitssyndrom hinsichtlich „Crystal“ (Metamphetamin) vor, das den von der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzten Begriff einer Substanzkonsumstörung erfüllt (vgl. näher BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Die bisherigen Feststellungen belegen aber nicht, dass die Taten des Angeklagten im Sinne der Neuregelung „überwiegend“ hierauf zurückgehen.

Der Gesetzgeber hat hierzu ausgeführt (BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.): „Durch die Ergänzung des Wortes ‚überwiegend‘ soll nunmehr gesetzlich konkretisiert werden, unter welchen Voraussetzungen ein kausaler Zusammenhang zwischen ‚Hang‘ und ‚Anlasstat‘ angenommen werden kann. Nur für den Fall, dass die rechtswidrige Tat überwiegend auf den Hang der Person, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zurückgeht, ist ein solcher künftig anzunehmen. ‚Überwiegend‘ ursächlich ist der ‚Hang‘ für die ‚Anlasstat‘, wenn dieser mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend war … Die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat ist für die Annahme der Kausalität also nur noch dann ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt. Eine Mitursächlichkeit des ‚Hangs‘ für die ‚Anlasstat‘ unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – ggf. unter sachverständiger Beratung – positiv festzustellen.“

Das Landgericht hat bei seiner Prüfung – zum damaligen Zeitpunkt zutreffend – diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht vor Augen gehabt und deshalb seine Feststellungen nicht daran ausgerichtet. Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der offenbar über keine nennenswerten anderweitigen Einkünfte im Tatzeitraum verfügende Angeklagte habe die Taten „(auch) zur Finanzierung seines … Betäubungsmittelkonsums begangen“, belegt – auch wenn sie nach dem damaligen Rechtszustand ausreichend war – ein solches Überwiegen nicht. Soweit das Landgericht darauf verwiesen hat, der Angeklagte habe das Metamphetamin gezielt vor Tatbegehung eingenommen, um Hemmungen zu beseitigen, bleibt unberücksichtigt, dass ein symptomatischer Zusammenhang fehlen kann, wenn sich der Täter ohne Rauschmitteleinfluss zur Tat entscheidet und erst anschließend gezielt durch Einnahme von Rauschmitteln enthemmt, um die Tat leichter begehen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NJW 1990, 3282; Beschluss vom 30. Juni 2016 – 3 StR 231/16; LK-StGB/Cirener, 13. Aufl., § 64 Rn. 39).

Weil das Landgericht den durch die Neufassung des § 64 StGB veränderten und für die Senatsentscheidung nach § 2 Abs. 6 StGB und § 354a StPO maßgeblichen Anordnungsmaßstab noch nicht berücksichtigen konnte, bedarf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.“

Unterbringung I: Erstes zur Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle und Vorwegvollzug

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Und dann ab heute wieder aktuell. Mein Urlaub ist beendet, es gibt also keine vorbereiteten Beiträge mehr.

Und ich beginne heute mit Entscheidungen zur Unterbringung nach § 64 StGB. Da hat sich ja durch die Gesetzesreform im Sommer 2023 einiges geändert (vgl. dazu den Beitrag des RiOLG Hillebrandt aus StRR 7/2023: Die Neuregelung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

ich stelle dazu heute zunächst einen BGH-Entscheidung vor, und zwar den BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 1 StR 354/23 – zur Frage der Anwendung des neuen Rechts mit folgendem Sachverhalt und Gründen des BGH

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen und wegen versuchter Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; von einem Tatvorwurf zu Lasten einer anderen Geschädigten hat es ihn freigesprochen. Außerdem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und unter Annahme einer prognostizierten Therapiedauer von einem Jahr und neun Monaten bestimmt, dass neun Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Vollstreckung der Maßregel zu vollziehen sind. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstandet, ist aus den zutreffenden Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Allein die Dauer des Vorwegvollzugs, den das Landgericht für sich genommen nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB aF rechtsfehlerfrei berechnet hat, bedarf nach Änderung der §§ 64, 67 StGB mit Wirkung zum 1. Oktober 2023 der Neubestimmung durch das Revisionsgericht (§ 2 Abs. 6 StGB, §§ 354a, 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; § 354 Abs. 1 StPO analog).

1. Gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz StGB in der Fassung des am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023 (BGBl. I Nr. 203) ist der vor der Maßregel zu vollstreckende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und der anschließenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nach Erledigung von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Der Senat ist aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen und tatgerichtlichen Wertung in der Lage und befugt, die Dauer des Vorwegvollzugs selbst zu berechnen (vgl. zur Anwendung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 durch das Revisionsgericht insoweit: BGH, Beschluss vom 15. November 2007 – 3 StR 390/07, BGHR StPO 354 Abs. 1 Maßregelausspruch 1 Rn. 3-7).

2. Allein die bei Inkrafttreten des neuen Maßregelrechts schon rechtskräftigen „Altfälle“ sollen vom neuen Vollstreckungsregime ausgenommen werden; insoweit soll sich die Berechnung des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB aF, also nach dem Halbstrafenzeitpunkt, bestimmen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 77 f. und Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB).

3. Die Voraussetzungen der Art. 316o Abs. 1 Satz 2, Art. 313 Abs. 2 EGStGB sind nicht gegeben.

4. Gemäß § 2 Abs. 6 StGB und mangels eingreifender besonderer Übergangsregelung gilt vielmehr die Vollstreckungsvorschrift des § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB nF seit dem 1. Oktober 2023. Dass die den gleichen Zeitpunkt bestimmende Übergangsvorschrift des Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB (neugefasst gemäß dem eingefügten Art. 5 Abs. 2 durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts vom 18. August 2023 [BGBl. I Nr. 218]) ihrerseits wohl erst zum 1. Februar 2024 in Kraft treten soll, ist demnach unerheblich.“