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KCanG II: Wegwerfen von Cannabis auf der Flucht, oder: Das ist jetzt „sonstiges Inverkehrbringen“

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Und als zweite Entscheidung zum neuen KCanG etwas aus Bayern, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 08.04.2024 -203 StRR 39/24. Entscheidungen aus Bayern werden sicherlich besonders interessant sein, wenn man sieht, wie dort die Neuregelung „umgesetzt“ werden wird.

Hier geht es jetzt um eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln durch AG und LG. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung und die die ergangene Einziehungsentscheidung dann Revision eingelegt. Die hatte mit der Sachrüge einen Teilerfolg, das BayObLG hat den Schuldspruch neu gefasst und den Rechtsfolgenausspruch und die Einziehungsentscheidung aufgehoben:

„a) Das Tatgericht hat – soweit für die Begründung der Revisionsentscheidung von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Am 17. September 2022 gegen 23.00 Uhr führte der Angeklagte ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis im Stadtgebiet von Weiden i.d.Opf. insgesamt 11,19 Gramm Marihuana wissentlich bei sich. Ein Teil der Betäubungsmittel war zur Übergabe an den Zeugen C. bestimmt. Als der Angeklagte auf dem Weg zum Zeugen bemerkte, dass er zwei Polizeibeamten aufgefallen war, flüchtete er und warf die Betäubungsmittel während der Flucht mit dem Fahrrad vor einem Hauseingang auf dem Boden, wo das Rauschmittel kurz darauf von den Polizeibeamten sichergestellt wurde. Wann und wie der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

b) Nach der gesetzlichen Neuregelung, die zum 1. April 2024 in Kraft getreten ist, ist zwar alleine der Besitz von bis zu 30 Gramm Konsumcannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht mehr strafbar, auch wenn das Betäubungsmittel wie hier nicht ausschließlich für den Eigenkonsum besessen wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 1a des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG, BGBl I Nr. 109 vom 27. März 2024). Entsprechendes gilt nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 lit a KCanG für den Erwerb oder die Entgegennahme einer Menge von bis zu 25 Gramm. Die sich zugunsten des Angeklagten auswirkende Gesetzesänderung ist nach § 354a StPO und § 2 Abs. 3 StGB in der Revision zu beachten.

c) Die Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen versuchter Abgabe von Konsumcannabis. Denn die Grenze zum Versuchsstadium war hier noch nicht überschritten. Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20-, juris Rn. 4, und Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19-, juris jeweils mwN). Bezüglich des Tatbestands der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln wird die Schwelle zum Versuchsbeginn erst überschritten, wenn der Täter unmittelbar zur Überlassung der Betäubungsmittel ansetzt (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl. 2022, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 812 zum Veräußern nach § 29 BtMG; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 1126, 1078 zur Abgabe nach § 29 BtMG). Danach reicht der Transport der abzugebenden Betäubungsmittel zur Übergabe noch nicht aus, vielmehr liegt darin eine straflose Vorbereitungshandlung (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 30. April 1993 – 4St RR 59/93 –, juris; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl. 2022, BtMG § 29 Rn. 856 zur Abgabe nach § 29 BtMG).

d) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte jedoch wegen des versuchten unerlaubten sonstigen Inverkehrbringens von Konsumcannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht.

aa) Die neue gesetzliche Bestimmung kann bezüglich des Umgangs mit Konsumcannabis als Nachfolgeregelung von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG angesehen werden, ohne dass ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot zu besorgen wäre. Das Wesen des vormals in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 1, 3 BtMG und Anlage I a.F. zu BtMG beschriebenen und nach Abs. 2 auch als Versuch strafbaren Delikts des unerlaubten Inverkehrbringens von Cannabis als ein dem Betäubungsmittelgesetz unterfallendes Rauschmittel ist in seinem Kern auch nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Neuregelung unberührt geblieben. Ein Fall, dass der Gesetzgeber durch die völlige Umgestaltung einer Strafvorschrift zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht mehr das bisher verpönte, sondern ein ganz anders geartetes Verhalten als Unrecht betrachtet, mit der Folge, dass die Straftatbestände des alten und des neuen Gesetzes nicht mehr zueinander in Beziehung gesetzt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 1975 – GSSt 1/75 –, BGHSt 26, 167, juris Rn. 14), liegt hier nicht vor. Die Kontinuität des Unrechtstyps ist auch im Rahmen der Neuregelung gewahrt, der Tatvorwurf ist im wesentlichen derselbe geblieben, so dass kein tiefgreifender Wesensunterschied zwischen der alten und der neuen Vorschrift festgestellt werden kann, mit der Folge, dass der Täter, der den neuen Straftatbestand erfüllt, wegen der Straftat verurteilt werden kann (vgl. BGH a.a.O.).

bb) Für den Anwendungsbereich des BtMG ist anerkannt, dass der Auffangtatbestand des sonstigen Inverkehrbringens nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG jedes, gleichwie geartete Eröffnen der Möglichkeit umfasst, dass ein anderer die tatsächliche Verfügung über den Stoff erlangt und ihn nach eigener Entschließung verwenden kann, also jede Verursachung eines Wechsels der Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel durch einen anderen (KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2022 – (2) 161 Ss 52/22 (15/22) –, juris; BayObLG BayObLGSt 1960, 182 zu OpG; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 867; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1157; Barrot in BeckOK BtMG, 22. Ed. 15.03.2024, BtMG § 29 Rn. 377). Wirft jemand – auch anlässlich einer Polizeikontrolle – Betäubungsmittel in einer Weise weg, welche die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden, konsumieren oder weitergeben, war dieses Verhalten nach der bisher geltenden Rechtslage von der Strafvorschrift von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG als sonstiges Inverkehrbringen umfasst (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 6; OLG Zweibrücken, Urteil vom 5. März 1986 – 2 Ss 320/85-, NStZ 1986, 558; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 871; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1170; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378). Die Tat ist erst vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt. Finden diese die Drogen nicht, so bleibt es beim Versuch (OLG Zweibrücken a.a.O.; KG a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 880, 881; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 387, 388; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1172 ff.).

cc) Diese Grundsätze sind auf die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG entsprechend zu übertragen. Denn in der Neuregelung des Umgangs mit Konsumcannabis wurden die Strafvorschriften aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit an das Betäubungsmittelstrafrecht angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/10426 S. 128). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch – weiterhin – die Dereliktion von Konsumcannabis der Strafbarkeit unterfallen (vgl. BT-Drucks. a.a.O. S. 128 f., S. 136 f.). Die Vorschrift von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst damit auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum.

dd) In subjektiver Hinsicht setzt ein (bedingt) vorsätzliches Inverkehrbringen voraus, dass der Täter dabei zumindest billigend in Kauf nimmt, dass seine weggeworfenen Betäubungsmittel aufgefunden und genutzt werden (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 7; OLG Zweibrücken a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 875; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 385 jeweils zu § 29 BtMG).

ee) Da nach den Feststellungen des Landgerichts angesichts der konkreten Umstände der Tat damit zu rechnen war, dass das Cannabis nach dem Wegwerfen in die Verfügungsgewalt von konsum- oder abgabebereiten Dritten gelangte, gleichwohl das Marihuana zeitnah von der Polizei sichergestellt wurde, hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig gemacht. Dies gilt auch, falls der Angeklagte, als er sich des Marihuanas entledigte, hoffte, es nach der Kontrolle selbst wieder an sich nehmen zu können. Ein zielloses Handeln schließt ein Inverkehrbringen nicht aus (Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378).

e) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Das Wegwerfen der Betäubungsmittel hat der Angeklagte im übrigen eingeräumt.

3. Der Strafausspruch unterliegt der Aufhebung, nachdem der Strafrahmen für den unerlaubten Umgang mit Konsumcannabis nunmehr in § 34 Abs. 1 KCanG herabgesetzt und die Tat – unfreiwillig – nicht vollendet worden ist. Auch die Einziehungsentscheidung kann nicht bestehen bleiben (§ 2 Abs. 5 StGB). Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Abweichend zur früheren Rechtslage sind fehlende Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG nicht mehr unschädlich.“

StGB AT II: Neuregelung/neues Recht des § 64 StGB, oder: OLG Saarbrücken zum anwendbaren Recht

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Und dann etwas aus dem Vollzugs-/Vollstreckungsbereich, nämlich zu §§ 64 ff. StGB, und zwar zur Anwendung des neuen Rechts. Dazu hatte ich ja u.a. – neben dem BGH – bereits den OLG Celle, Beschl. v. 20.11.2023 – 2 Ws 317/23 – vorgestellt (vgl. Unterbringung III: Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – OLG Celle zum anwendbaren Recht). Dazu hat sich jetzt auch das OLG Saarbrücken im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.01.2024 – 1 Ws 298/23 – geäußert.

Da es das OLG Saarbrücken ebenso macht wie das OLG Celle, reichen m.E. die Leitsätze der Entscheidung. Die lauten:

1. Auf die Vollstreckung einer vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist über § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB die Vorschrift des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung anzuwenden (Anschluss an OLG Celle, Beschl. v.20.11..2023 – 2 Ws 317/23).
2. Der Begriff des „Hangs“ im Sinne des § 64 Satz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung entspricht dem des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in derselben Fassung.
3. Ein „Hang“ des Untergebrachten im Sinne des § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB in der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Fassung liegt nur vor, wenn bei ihm eine Substanzkonsumstörung besteht, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist oder fortdauert.
4. Eine vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordnete Unterbringung ist nach § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären, wenn bei dem Untergebrachten zwar weiterhin eine Substanzkonsumstörung besteht, diese aber zu keinem Zeitpunkt zu einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Lebensgestaltung, Gesundheit oder Arbeits- oder Leistungsfähigkeit geführt hat.