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KCanG I: Besitz von Cannabis als Geldwäsche ?, oder: Nicht geringe Menge, Gesamtmenge und verbotener Besitz

Heute stelle ich ein paar Entscheidungen zum KCanG vor. In dem Bereich merkt man m.E. deutlich einen Rückgang der Entscheidungsflut. Auch beim BGH fällt m.E. nicht mehr so viel an.

Zunächst bringe ich hier das OLG Celle, Urt. v. 11.04.2025 – 2 ORs 18/25 – mit folgendem Sachverhalt:.

Das AG – hat den Angeklagten mit Urteil vom 23.01.2024 wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hin hat das LG das amtsgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass es den Angeklagten hinsichtlich eines den 10.04.2023 betreffenden Tatvorwurfs wegen Handeltreibens mit Cannabis schuldig gesprochen hat.  Im Übrigen hat es den Angeklagten hinsichtlich eines den 20.04.2023 betreffenden Tatvorwurf freigesprochen.

Dazu folgende Feststellungen:

„1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befand sich der Angeklagte am 10.04.2023 im Bereich der für Drogen- und Cannabishandel bekannten Straße „A. M.“ in H. und hielt dabei in seiner Hosentasche insgesamt 24,5 Gramm Cannabis in 25 einzeln verpackten Verkaufseinheiten zum gewinnbringenden Weiterverkauf vor, welches er zuvor für 70 Euro erworben hatte. Er beabsichtigte diese für 25 Euro pro Einheit an Abnehmer zu veräußern, um sich eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zur Mitfinanzierung seines Lebensunterhaltes zu verschaffen.

Zur Beweiswürdigung stellt das Urteil zunächst auf das Teilgeständnis des Angeklagten ab, wonach er das Cannabis zu dem Zweck besessen habe, es mit seinen Freunden zu rauchen. Das Landgericht hat seine weitergehenden, das Handeltreiben tragenden Feststellungen auf die Angaben der Zeugen PK S. und PK’in L. sowie die Ergebnisse der bei dem Angeklagten durchgeführten Wohnungsdurchsuchung gestützt, bei der insbesondere eine Feinwaage aufgewunden wurde.

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Handeltreiben mit Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 1 KCanG gewürdigt. Es hat eine Gewerbsmäßigkeit seines Handelns angenommen und den Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG zugrunde gelegt und eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten verhängt. Es hat dabei eine kurze Freiheitsstrafe sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven Gründen als unerlässlich erachtet. Gleichwohl hat es in der Annahme, dass sich der Angeklagte bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zur Warnung dienen lassen wird, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es mangels Hang abgelehnt, weil der Angeklagte glaubhaft versichert habe, mittlerweile keine Betäubungsmittel mehr zu konsumieren.

2. Von dem weiteren Anklagevorwurf aus der Anklageschrift vom 26.05.2023, wonach dieser am 20.04.2023 im Bereich der L. in H. insgesamt 6 Gramm Cannabis in acht einzeln verpackten Verkaufseinheiten zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorgehalten haben soll, hat es den Angeklagten freigesprochen. Zwar hat das Landgericht insoweit festgestellt, dass der Angeklagte am 20.04.2023 um 21:00 Uhr im Bereich der L. in H. insgesamt 6 Gramm Cannabis (netto) in acht einzeln Verpackten Verkaufseinheiten in einem größeren Plastikbeutel mit sich führte, die er zuvor für 50 Euro erworben hatte. Von einem Handeltreiben hat sich die Kammer jedoch nicht zu überzeugen vermocht. Dabei hat es einerseits den vom Angeklagten angeführten Eigenkonsum/Eigenbedarf wie auch die „relativ geringe Menge“ und den Umstand, dass der Angeklagten nicht an einem „klassischen“ Handelsplatz angetroffen worden ist, in den Blick genommen. Ferner hat es gewürdigt, dass keine Verkaufshandlungen beobachtet worden sind und der Angeklagte keine größere Bargeldmenge mitgeführt hat. Andererseits hat es die einschlägigen Vorstrafen wegen Handeltreibens bedacht.“

Gegen dieses Urteil wendet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der der freisprechende Teil des Urteils beanstandet wird. Die Staatsanwaltschaft macht unter Beschränkung auf den den 20.04.2023 betreffenden Tatvorwurf eine Verletzung des § 264 StPO geltend, weil das Landgericht das Verhalten nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend behandelt habe.

Das hat das OLG anders gesehen. Die Revision hatte keinen Erfolg. Das OLG geht davon aus, dass das LG bei seiner Entscheidung nicht gegen die aus § 264 Abs. 2 StPO resultierende Kognitionspflicht verstoßen habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext und beschränke micht hier auf die Leitsätze des OLG:

1. Der Anwendungsbereich des § 261 StGB ist mittels teleologische Reduktion dahingehend einzuschränken, dass der Erwerb und Besitz von Cannabis unterhalb der Schwellenwerte von § 34 Abs. 1 Nrn. 1, 12 KCanG nicht zu einer Geldwäschestrafbarkeit führt (Anschluss an OLG Hamburg, Urt. v. 12.12.2024 – 5 ORbs 21/24).

2. § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG entfaltet in diesem Fall gegenüber § 261 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB privilegierende Spezialität.

Und dann habe ich noch eine weitere Entscheidung, und zwar OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.04.2025 – 1 ORs 3 SRs 55/24 -, der sich noch einmal zur Ermittlung der „nicht geringen Menge“ äußert – Stcihwort: Gesamtmenge. Das OLG schließt sich dem BGH an (vgl. BGH Beschl. v. 12.06.2024 – 1 StR 105/24; BGH Beschl. v. 24.04.2024 – 4 StR 50/24; BGH Beschl. v. 30.04.2024 – 6 StR 536/23), und zwar mit folgendem Leitsatz:

Für § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG ist die im Besitz befindliche Gesamtmenge an Cannabis als verbotener Besitz zu Grunde zu legen; zur Bestimmung einer nicht geringen Menge im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG hat aber derjenige Teil der Gesamtmenge an Cannabis, mit dem der jeweilige Umgang straffrei wäre, außer Betracht zu bleiben.

StPO I: Drei Beschlüsse zur Durchsuchung und mehr, oder: Form, Tatverdacht, Verhältnismäßigkeit, KCanG

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Es gibt den Spruch: Wer rastet. der rostet. Und daher wird heute an Ostermontag nicht gerastet – oder neudeutsch: „gechilled“ – sondern gearbeitet. D.h., es gibt auch heute am Feiertag hier das normale Programm, und zwar mit StPO-Entscheidungen. Da hat sich in der letzten Zeit durch meinen Japan-Aufenthalt, für den die Beiträge vorbereitet waren, auch einiges angesammelt.

Ich starte hier dann mit drei Entscheidungen zur Durchsuchung. Von denen stelle ich aber jeweils nur die Leitsätze vor, da sie so ganz viel Neues nicht enthalten:

Also:

 

1. Mängel insbesondere bei der ermittlungsrichterlich zu verantwortenden Umschreibung des Tatvorwurfs in einem Durchsuchungsbeschluss können im Beschwerdeverfahren nicht geheilt werden. 

2. Die Durchsuchung muss als schwerwiegender Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen vor allem in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen.

3. Ein Durchsuchungsbeschluss verkennt die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung und trägt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung, wenn in die zu treffende Abwägungsentscheidung nicht der Umstand geflossen ist, dass für das absolute Antragsdelikt des § 201 Abs 1 Nr 1 StGB zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung der erforderliche Strafantrag nach § 205 Abs 1 S 1 StGB nicht gestellt war.

1. Die Annahme der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft für die mündliche Anordnung einer Durchsuchung scheidet aus, wenn sich der angeschuldigte Wohnungsinhaber sowohl zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme der Polizei mit der Bereitschaftsstaatsanwältin um 3:25 Uhr, zum Zeitpunkt der Anordnung um 4:45 Uhr als auch noch bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme um 8:55 Uhr in polizeilichem Gewahrsam befindet.

2. Wird dennoch unter Missachtung des Richtervorbehalts die Durchsuchung vom Staatsanwalt angeordnet, unterliegen die gewonnenen Ergebnisse einem Beweisverwertungsverbot.

1. Die StPO sieht weder eine besondere Form für Durchsuchungsanordnungen nach §§ 102, 105 StPO vor noch deren Unterzeichnung.

2. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006, NJW 2007, 1443, m.w.N.). Gemessen an diesen Maßstäben liegen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung vor, wenn sich aus einer sichergestellten, an den Beschuldigten adressierten Postsendung und der festgestellten Gesamtmenge an Cannabis der Verdacht ergibt, dass der Beschuldigte mit Cannabis in nicht geringer Menge Handel getrieben hat. 

2. Der Zweck der (körperlichen) Untersuchung nach § 81 a Abs. 1 S. 1 StPO darf nur die Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen sein, für deren Vorliegen bereits bestimmte Anhaltspunkte bestehen. Das ist nicht der Fall, wenn die mit der Untersuchung begehrten Feststellungen für das Verfahren nicht von Bedeutung sind, wenn also z.B. die körperliche Untersuchung mit Blutentnahme zum Zwecke des Nachweises von Substanzen im Körper auf die Feststellung von Umgang mit Cannabis gerichtet ist, der aber nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes gerade nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz gefällt.

 

 

KCanG/BtM III: Einfuhr von Cannabis zum Handel, oder: Einfuhr als unselbständiger Teilakt des Handeltreibens

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Und dann als dritte Entscheidung habe ich heute noch den BGH, Beschl. v. 15.08.2024 – 5 StR 243/24. Schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht.

Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte. Der BGH hat das Urteil des LG im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte (nur) der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in zwei Fällen schuldig ist und hat den Strafausspruch aufgehoben:

„1. Der Angeklagte unterstützte in den zwei Fällen unbekannte Dritte bei dem Export von Cannabisblüten aus Spanien nach Deutschland zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs, indem er als Geschäftsführer einer nur zu solchen Zwecken gegründeten spanischen Transportfirma fungierte und seine persönlichen Daten für die getarnte Beförderung des Cannabis durch gutgläubige internationale Speditionen zur Verfügung stellte. Zudem fuhr er weisungsgemäß an die jeweiligen Ankunftsadressen, um das Cannabis entgegenzunehmen und an Abnehmer zu transportieren. Im Fall II.1 handelte es sich um 74 kg Cannabisblüten mit einer Wirkstoffmenge von 11,3 kg THC und im Fall II.2 um 77 kg Cannabisblüten mit einer Wirkstoffmenge von 11,2 kg THC, die jeweils von den Polizeibehörden sichergestellt wurden und nicht in den Verkehr gelangten.

Das Landgericht hat die Taten rechtlich jeweils als Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB gewertet und die Strafen dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG entnommen.

2. Da sich die festgestellten Handlungen ausschließlich auf Cannabis im Sinne von § 1 Nr. 8 KCanG beziehen, hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB die seit dem 1. April 2024 geltende Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 KCanG (BGBl. I 2024 Nr. 109) als hier milderes Recht zur Anwendung zu bringen; die Voraussetzungen des den gleichen Strafrahmen wie § 30 Abs. 1 BtMG eröffnenden § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG (Bande) hat die Strafkammer nicht festgestellt.

a) Dies führt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO zur Umstellung des Schuldspruchs jeweils auf Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB. Den Schuldspruchänderungen steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insoweit nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Beihilfe zur Einfuhr von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) kommt nicht in Betracht.

Die Einfuhr von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG, die wie hier dem gewinnbringenden Umsatz dient, geht als unselbständiger Teilakt im Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2024 – 5 StR 296/24; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 92, 108; zu § 29 Abs. 1 BtMG vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 StR 35/13; vom 1. März 2007 – 3 StR 55/07; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 534).

Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn sich die Einfuhrhandlungen zum Zwecke des Handeltreibens mit Cannabis, so wie hier, auf eine nicht geringe Menge beziehen (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG). Denn anders als beim Handel mit Betäubungsmitteln (§§ 29a, 30 BtMG) sieht das KCanG keinen höheren Strafrahmen für eine Einfuhr von Cannabis im Verhältnis zum Handeltreiben vor. Beide Begehungsvarianten (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KCanG) werden vom Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, das pauschal auf Handlungen gemäß § 34 Abs. 1 KCanG verweist, einheitlich erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2024 – 5 StR 296/24). Eine parallele Handhabung der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses wie im Betäubungsmittelgesetz hinsichtlich der Tatbestände der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) und dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), zwischen denen nach herrschender Meinung Tateinheit besteht (vgl. nur BGH, Urteile vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93, BGHSt 40, 73; vom 24. November 1982 – 3 StR 384/82, BGHSt 31, 163), kommt deshalb nicht in Betracht.

3. Die Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, weil der nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB zu verschiebende Strafrahmen des § 34 Abs. 1 und 3 KCanG (vgl. zur nicht geringen Menge im Sinne von § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24; vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24; Urteil vom 24. April 2024 – 5 StR 516/23) eine mildere Strafe androht als der von der Strafkammer angewendete gemilderte Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG. Dies zieht den Wegfall des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).“

KCanG/BtM II: BGH zur Neufestsetzung von Strafen, oder: Keine analoge Anwendung der Regelungen

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 6 StR 542/24.

Das LG hat den Angeklagten wegen Zwangsprostitution in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei unter Einbeziehung von Strafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Der BGHh beanstandet die Gesamtstrafenbildung, weil das LG die für die einbezogenen Strafen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht mitgeteilt hat. Bei der Sachlage sei eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Gesamtstrafenbildung nicht möglich.

So weit, so gut: Interessant wird der Beschluss mit der ergänzenden Stellungnahme des BGH zu der Antragsschrift des GBA – insoweit dann KCanG:

„Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Neufestsetzung der Strafen aus der früheren Verurteilung, die sich auf Handeltreiben mit Cannabis beziehen, nicht in Betracht. Der Hinweis auf Art. 316p EGStGB iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB verfängt nicht. Denn Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB erweitert den Anwendungsbereich des Art. 313 Abs. 1 EGStGB auf Fälle, in denen der Angeklagte wegen tateinheitlicher Verwirklichung (§ 52 StGB) einer Strafvorschrift verurteilt wurde, „die aufgehoben ist oder die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr unter Strafe stellt oder mit Geldbuße bedroht“, und sieht als Rechtsfolge die Neufestsetzung der Strafe vor (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 155, 192; OLG Köln, Beschluss vom 12. September 2024 – 2 Ws 553/24; BeckOK-StGB/Seel, 63. Ed., Art. 313 EGStGB Rn. 9). Die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht gegeben. Denn das Handeltreiben mit Cannabis ist nach wie vor strafbar (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 4 KCanG); zudem fehlt es an einer tateinheitlichen (Vor-)Verurteilung.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist für eine analoge Anwendung des Art. 316p iVm Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB, der verfassungsrechtlich unbedenklich ist, kein Raum. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Frage, ob und in welchem Umfang der rückwirkende Erlass nicht vollstreckter Strafen und die Tilgung entsprechender Verurteilungen in Betracht kommt, wurde im Gesetzgebungsverfahren angesichts der damit einhergehenden Belastungen der Landesjustiz ausführlich erörtert (vgl. dazu einerseits den Gesetzentwurf der Bundesregierung in BT-Drucks. 20/8704, S. 134, 155 sowie andererseits die Stellungnahme des Bundesrats BT-Drucks. 20/8704, S. 192; vgl. ferner Engel ZRP 2024, 50). Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass der Gesetzgeber den Wortlaut der Vorschriften versehentlich zu eng gefasst und weitergehende Amnestieregelungen nicht im Blick hatte.

Gegen die vom Beschwerdeführer geforderte Neubemessung rechtskräftiger Strafen im Rahmen nachträglicher Gesamtstrafenbildung sprechen schließlich auch Sinn und Zweck des § 55 StGB. Grundgedanke der Vorschrift ist, dass Täter durch die getrennte Aburteilung von Taten, bei denen die Voraussetzungen der §§ 53, 54 StGB vorliegen, weder besser noch schlechter, sondern so gestellt werden, als wären alle Taten gemeinsam abgeurteilt worden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; Schäfer/
Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1228 mwN). Die von der Verteidigung begehrte Neufestsetzung der Strafen würde hingegen zu einer gesetzlich nicht vorgesehenen Privilegierung von Mehrfachtätern führen, bei denen eine Entscheidung nach § 55 StGB vor Inkrafttreten des KCanG nicht getroffen worden ist.“

Entziehung der Fahrerlaubnis nach neuem KCanG, oder: Täglicher Cannabis-Konsum

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Heute steht dann mal wieder – es ist Samstag – der „Kessel Buntes“ an. Und in dem „köcheln“ heute zwei VG-Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis, also mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht.

Ich beginne mit dem VG Ansbach, Beschl. v. 20.01.2025 – AN 10 S 24.2731. Der würde an sich auch an einem KCanG-Tag passen, aber zum KCanG habe ich im Moment keine berichtenswerten Entscheidungen. Daher dann heute. In der Entscheidun geht es noch einmal um die Entziehung der Fahrerlaubnis und/bei Cannabismissbrauch nach neuem Recht.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird um einstweiligen Rechtsschutz gegen den Entzug einer Fahrerlaubnis sowie die damit verbundene Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins.

Die Antragstellerin war Inhaberin der Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, A (unb.), B, M, L und S. Die Antragsgegnerin erhielt Kenntnis von der vorschriftswidrigen Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel im Rahmen eines Suizidversuchs der Antragstellerin im Jahr 2022. Dem Arztbrief des behandelnden Klinikums vom 10.02.2022 war eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, Differentialdiagnose Schizophrenie Spektrum Störung zu entnehmen. Am 26.04.2022 wurde bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtiger schwerer Episode und psychotischen Symptomen diagnostiziert.

Im daraufhin eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin am 17. Mai 2023 zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf, da sich aufgrund der oben genannten Diagnosen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV i.V.m. Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV Zweifel an der Fahreignung ergeben hätten. Laut dem beigebrachten ärztlichen Gutachten der pp. vom 4. September 2023 lag bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung und damit eine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 FeV vor. Die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 bestehe, sofern die Auflage der sechsmonatigen fachärztlichen Kontrollen eingehalten werde. Eine am 28.07.2023 durchgeführte leistungspsychologische Untersuchung ergab keine Hinweise auf fahreignungsrelevante Beeinträchtigungen der psychofunktionalen Leistungsfähigkeit. Im Rahmen des Begutachtungsprozesses gab die Antragstellerin an, in der Vergangenheit über einen Zeitraum von eineinhalb bis zwei Jahren täglich Cannabis konsumiert zu haben. Die zwei während der medizinischen Untersuchung forensisch gesicherten, entsprechend den Beurteilungskriterien unter Sicht abgegebenen Urinproben ergaben keinen Hinweis auf aktuellen Drogenkonsum.

Mit Schreiben vom 25.09.2023 teilte die Antragsgegnerin dann mit, dass ausweislich des Gutachtens der pp. bei der Antragstellerin ein missbräuchlicher Drogen- und Arzneimittelkonsum in der Vergangenheit vorgelegen habe, jedoch mutmaßlich seit Anfang 2022 eine Betäubungsmittelabstinenz vorliege. Ein damit verbundener Einstellungswandel müsse im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung auf Stabilität hin überprüft werden. Sie wurde zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (ohne Reaktions- und Leistungstests) einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung folgender Fragen aufgefordert.

Nach negativer Begutachtung wurde wurde der Antragstellerin der beabsichtigte Entzug der Fahrerlaubnis angekündigt und ihr die Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen. Die Antragstellerin gab dann an, dass sie von der Antragsgegnerin zuvor die Auskunft erhalten habe, dass keine Abstinenznachweise zu erbringen seien und legte ein ärztliches Attest ihres behandelnden Psychiaters vor, welches einen positiven Krankheitsverlauf und eine glaubhaft berichtete vollständige Cannabisabstinenz auswies.

Mit Bescheid vom 08.03.2024 wurde der Antragstellerin die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, A (unb.), B, M, L und S entzogen. Zugleich verpflichtete die Antragsgegnerin sie, ihren Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides wurden angeordnet. Zudem wurde der Antragstellerin unmittelbarer Zwang angedroht.

Die Antragstellerin gab dann ihren Führerschein bei der Antragsgegnerin ab. Sie hat dann Klage erhoben und begehrt einstweiligen Rechtsschutz.

Und sie hatte Erfolg.

Ich stelle nicht die gesamte – wie immer bei einem VG umfangreiche – Begründung ein, sondern beschränke mich auf die Leitsätze. Die lauten:

1. Auch wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, rechtmäßig gewesen ist, kann viel dafür sprechen, dass sowohl der Entzug der Fahrerlaubnis wie auch die Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins gegen Treu und Glauben als allgemeiner auch im Verwaltungsrecht geltender Rechtsgrundsatz verstoßen. Das kann der Fall sein, wenn sich die Entziehung der Fahrerlaubnis vor dem Hintergrund der zum 1. April 2024 geänderten Rechtslage als widersprüchlich darstellt, das ggf. unter Anwendung des § 13a Nr. 2 FeV überwiegend wahrscheinlich sein kann, dass der Betroffene eines Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis diese ohne Weiteres wieder erteilt werden müsste.

2. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV (Alkoholmissbrauch) und um den Begriff des fahrerlaubnisrechtlich relevanten Cannabismissbrauchs nicht zu überdehnen, ist im Rahmen des § 13a Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Cannabiskonsum und einer Teilnahme am Straßenverkehr zu fordern. Hat der Betroffene keinem Zeitpunkt unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug geführt, darf ein mittelbarer Zusammenhang gerade nicht daraus gezogen werden, dass der in der Vergangenheit täglich Cannabis konsumierte, denn es ist unter Heranziehung der neuen Fassung der Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV ohne Hinzutreten weiterer Umstände gerade nicht mehr auf einen Kontrollverlust oder eine fehlende Trennfähigkeit zu schließen.