Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 19.12.2024 – III ZB 16/24.
Gestritten wird um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und die Verwerfung des Rechtsmittels gegen ein Urteil des Landgerichts, durch das eine auf Zahlung von 397.318 EUR abgewiesen und der Kläger auf die Widerklage der Beklagten zur Zahlung von 49.446,05 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Gegen das am 06.11.2023 zugestellte LG-Urteil hat der Kläger am 06.12.2023 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 08.01.2024 – eingegangen am 09.01.2024 – hat der Kläger beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Auf den Hinweis des Gerichts, die Berufung könnte unzulässig sein, da die Frist zur Berufungsbegründung am Montag, 08.01.2024, abgelaufen sei, hat der Kläger mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz vom 19.01.2024 wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Zur Begründung seines Antrags hat der Kläger ausgeführt, der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist sei von einer ansonsten zuverlässigen Angestellten fälschlicherweise für den 09.10.2024 sowohl in den elektronischen wie auch in den händischen Fristenkalender sowie in die Handakte eingetragen worden. Bei der Vorlage der auf den 02.01.2024 notierten Vorfrist sei der Fehler dem Vertreter des erkrankten Sachbearbeiters aufgefallen, und dieser habe die Angestellte angewiesen, die Fristen in sämtlichen Kalendern mit absoluter Priorität auf den 08.01.2024 zu korrigieren, die Akte zur weiteren Bearbeitung an den zu diesem Zeitpunkt abwesenden Rechtsanwalt S. zu übertragen und für diesen einen Fristverlängerungsantrag vorzubereiten. Der Vertreter habe die Angestellte etwa eine halbe Stunde später gefragt, ob sie die Frist weisungsgemäß abgeändert habe, was diese bejaht habe, und die Korrektur des Handkalenders überprüft. Jedoch habe die Angestellte die Einträge im elektronischen Kalender sowie in der Handakte nicht korrigiert.
Am 08.01. sei die Akte auf Rechtsanwalt S. übertragen worden und die Angestellte habe den Fristverlängerungsantrag vorbereitet. Dabei seien ihr die unterschiedlichen eingetragenen Fristen aufgefallen, und sie habe in der Annahme, die auf den 08.01.2024 korrigierte Frist sei falsch, diese wiederum auf den 09.01.20.24 abgeändert. Die für einen solchen Fall bestehende Weisung, einen Rechtsanwalt zu konsultieren, habe sie wegen einer Vielzahl an zu bearbeitenden Angelegenheiten missachtet. Die Akte habe die Angestellte dem Rechtsanwalt S. am 08.01.2024 mit dem auf den Folgetag lautenden Fristablaufvermerk vorgelegt und einen vorbereiteten „Verlegungsantrag“ am 09.01.2024 zur Signatur in das elektronische Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingesetzt.
Das OLG hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Klägers verworfen. Hiergegen wendet sich seine Rechtsbeschwerde, die keinen Erfolg hatte:
„2. Diese Ausführungen lassen einen Zulassungsgrund (§ 574 Abs. 2 ZPO) nicht erkennen. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht. Dabei kann dahinstehen, ob der Vertreter des Sachbearbeiters angesichts der besonderen Umstände bereits am 2. Januar 2024 gehalten gewesen wäre, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen. Jedenfalls hat es der sachbearbeitende Rechtsanwalt am 8. Januar 2024 pflichtwidrig versäumt, bei Vorlage der Handakte die falsch notierte Frist zu überprüfen.
Die sorgfältige Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung schließt stets auch die selbständige Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit mit ein. Der Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung mit einer Sache befasst wird, hat dies deshalb zum Anlass zu nehmen, die Fristvermerke in der Handakte zu überprüfen. Nur hinsichtlich der Fristenberechnung und Fristenkontrolle, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen, kann sich der Rechtsanwalt von der routinemäßigen Fristenüberwachung entlasten. Dagegen ist er im Rahmen seiner Vorbereitung einer Prozesshandlung nicht davon befreit, die Einhaltung der maßgeblichen Fristen nochmals zu überprüfen (vgl. Senat, Urteil vom 25. September 2014 – III ZR 47/14, NJW 2014, 3452 Rn. 11 mwN).
Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass sein Prozessbevollmächtigter am 8. Januar 2024 eine solche Überprüfung vorgenommen hat. Soweit er sich darauf beruft, ein Rechtsanwalt dürfe darauf vertrauen, dass eine Kanzleiangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung – hier die Korrektur des Fristeintrags – befolge (Rechtsbeschwerdebegründung S. 9), verkennt er, dass die von ihm angeführte Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 – VI ZB 78/21, NJW 2022, 1964 Rn. 13 mwN) solche Fälle betrifft, in denen ein vom Rechtsanwalt bereits unterzeichneter und mit einer Korrekturanweisung dem Büropersonal übergebener Schriftsatz nicht mehr in seinen Einflussbereich gelangt (BGH aaO Rn. 14). Dagegen wird der Rechtsanwalt – selbst dann, wenn er sich unmittelbar nach Erteilung einer Weisung überobligationsmäßig über die Befolgung seiner Anordnung vergewissert hat – nicht der Pflicht enthoben, nochmals die richtige Notierung der Frist zu überprüfen, wenn ihm die Akte zur Vorbereitung der fristwahrenden Handlung vorgelegt wird (vgl. Senat aaO Rn. 12).“
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