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beA II: beA-Nutzungspflicht für ausländischen Anwalt?, oder: BGH bejaht (im Grundsatz)

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Und dann die zweite „beA-Entscheidung“. Das ist der BGH, Beschl. v. 15.05.2025 – IX ZB 1/24 -. in dem der BGH zu der Frage Stellung genommen hat, ob auch ein ausländischer – hier war es ein österreichischer- Rechtsanwalt – Schrift­sät­ze in Zi­vil­ver­fah­ren nach § 130d ZPO als elek­tro­ni­sches Do­ku­ment an das Ge­richt über­mit­teln muss. Der BGH hat die Frage – im Grundsatz – bejaht.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte selbst im Volltext nachlesen:

1. Zur Wahrung des Schriftlichkeitserfordernisses für bestimmende Schriftsätze durch Zeichnung im Rubrum des Schriftsatzes durch einen österreichischen Rechtsanwalt.

2. Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Grundsatz in einem Verfahren vor den Zivilgerichten vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

 

beA I: Wirksame Berufung einer Einzelanwältin?, oder: Einfache Signatur auch auf sicherem Übermittlungsweg

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Und dann heute mal wieder zwei Entscheidungen zum beA bzw. zum Drumherum. Zunächst der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 09.04.2025 – XII ZB 599/23 – zum Erfordernis der einfachen Signatur bei Übersendung eines Schriftsatzes auf einem sicheren Übermittlungsweg.

Das LG hatte die Beklagte zur Zahlung von 8.110 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, einer Einzelanwältin, am 04.08.2023 zugestellt worden. Mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 04.09.2023 ist für die Beklagte auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem beA am selben Tag Berufung eingelegt und die Berufung in gleicher Form durch Schriftsatz vom 22.09.2023 begründet worden. Die Schriftsätze enden jeweils mit der Bezeichnung „Rechtsanwältin“, ohne dass sich darüber ein Name oder eine Unterschrift befindet. In den Transfervermerken findet sich in dem Feld „Qualifiziert elektronisch signiert“ die Angabe „nein“.

Das OLGhat nach Hinweis auf Bedenken gegen die Formwirksamkeit von Einlegung und Begründung der Berufung den von der Beklagten gestellten Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der Berufungseinlegungsfrist zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, die der BGH als unzulässig angesehen hat, weil die Voraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt seien:

„1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufungseinlegung nicht formgerecht erfolgt ist, weil es an der nach § 130 a Abs. 3 Satz 1 ZPO erforderlichen einfachen Signatur fehlt.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes besteht die einfache Signatur aus der Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann beispielsweise der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein. Die einfache Signatur soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die qualifizierte elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht. Die einfache Signatur soll sicherstellen, dass die von dem Übermittlungsweg beA ausgewiesene Person mit der Person identisch ist, welche mit der wiedergegebenen Unterschrift die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22 – FamRZ 2022, 1865 Rn. 10 f. mwN).

Dem genügen die von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eingereichten Schriftsätze nicht. Die Anfügung der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ stellt keine Signatur dar (Senatsbeschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22 – FamRZ 2022, 1865 Rn. 12). Damit sind die zwingenden Formerfordernisse nicht erfüllt.

b) Das Erfordernis der einfachen Signatur kann auch nicht deshalb als entbehrlich angesehen werden, weil die mit ihm verbundenen Zwecke auf anderem Weg erfüllt wären.

Zwar spricht die gewählte Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130 a Abs. 4 ZPO für die Identifizierbarkeit des Urhebers. Dennoch bietet der Briefbogen einer Anwaltskanzlei keine Gewähr für eine vollständige Aufzählung der in einer Kanzlei tätigen Rechtsanwälte und ist daher kein rechtssicherer Bezugspunkt für die Zuordnung der Verantwortlichkeit für einen Schriftsatz zu einem bestimmten Berufsträger. Der Briefbogen hat lediglich die gesetzlichen Mindestangaben nach § 10 BORA zu enthalten, so dass etwa angestellte Rechtsanwälte nicht aufgelistet werden müssen. Dass im Briefbogen der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist, schließt daher nicht aus, dass ein dort nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (BGH Urteil vom 11. Oktober 2024 – V ZR 261/23 – NJW-RR 2025, 83 Rn. 22; vgl. auch BSG Beschluss vom 15. Mai 2024 – B 8 SO 3/22 R – juris Rn. 7).

Im Übrigen erschöpft sich darin aber der Zweck des Formerfordernisses entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht. Vielmehr wird durch die (einfache) Signatur zudem sichergestellt, dass der Absender die inhaltliche Verantwortung für das Dokument übernimmt (vgl. zum früheren Unterschriftserfordernis BGH Beschluss vom 26. Oktober 2011 – IV ZB 9/11 – juris Rn. 6 mwN). Bei fehlender (einfacher) Signatur ist daher ähnlich wie bei fehlender Unterschrift nach dem früheren Unterschriftserfordernis nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dem übersandten Dokument lediglich um einen bloßen – etwa versehentlich übersandten – Entwurf handelt. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 2022 (NJW 2022, 3028) steht dem schließlich schon deswegen nicht entgegen, weil im dort zugrundeliegenden Fall als Signatur eine eingescannte Unterschrift auf dem Schriftsatz vorhanden war.

2. Eine Wiedereinsetzung in die Berufungseinlegungsfrist kommt wegen des der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens ihrer Rechtsanwältin nicht in Betracht.“

Ich habe da mal eine Frage: Ist die Nr. 4142 VV RVG auch im Berufungsverfahren entstanden?

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Meine Frage kommt heute mal wieder aus dem Rechtspflegerforum, und zwar:

„Im Urteil 1. Instanz wurde die Wertersatzeinziehung ausgesprochen. Der Pflichtverteidiger rechnet die VV 4142 RVG ab. Ok.

Der Pflichtverteidiger legt Berufung ein, beschränkt auf das Strafmaß. Drei Wochen später nimmt er sie in Absprache mit dem Mandanten zurück. Zwischenzeitlich ist in der Akte nichts passiert. Bekommt er für die Berufung auch die Nr. 4142 RVG?

Fühlt sich für mich falsch an. Der Gerold/Schmidt sagt : „So führt zB allein die Prüfung einer im tatrichterlichen Urteil ausgesprochenen Einziehung im Rahmen der Fertigung einer Revisionsbegründungsschrift zum Entstehen der Gebühr VV 4142 RVG für die Revisionsinstanz.“ Auf die Berufung wird leider nicht eingegangen. Diese wurde ja aber eben auch nicht begründet.“

Vergütung des anthropologischen Sachverständigen, oder: Einordnung in die richtige Honorargruppe

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Und dann im zweiten Posting der schon etwas ältere OLG Celle, Beschl. v. 11.11.2024 – 2 Ws 302/24 – zur Vergütungshöhe beim anthropologischer Sachverständigen.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat die frühere Angeklagte in einem gegen sie geführten Strafverfahren vom Tatvorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. In dem Verfahren hatte das AG zwecks Feststellung, ob es sich bei der Fahrzeugführerin, die auf dem aktenkundigen Foto einer Geschwindigkeitsmessung abgebildet war, um die frühere Angeklagte handelte, einen anthropologischen Sachverständigen mit einem Vergleichsgutachten beauftragt. Nach Abschluss des Verfahrens reichte der Sachverständige eine Kostenrechnung hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistungen ein. Das AG setzte die Vergütung des Sachverständigen gemäß § 4 Abs. 1 JVEG auf den geltend gemachten Gesamtbetrag i.H. von 1.653,94 EUR fest und legte hierbei einen Stundensatz i.H. von 120 EUR zugrunde. Die Höhe der Sachverständigenvergütung hat das AG gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen bestimmt und hat einen Stundensatz von 120 EUR als angemessen angesehen.

Dagegen hat die Bezirksrevisorin Beschwerde eingelegt. Sie hat einen Stundensatz von (nur) 90 EUR als angemessen angesehen. Das LG hat die Beschwerde der Bezirksrevisorin als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Bezirksrevisorin. Diese hatte – vorläufig – Erfolg:

„…..

Unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.

a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt in Übereinstimmung mit der einhelligen Rechtsprechung (vgl. OLG Braunschweig, aaO; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.02.2024 – 2 Ws 40/23 –, juris; OLG Hamm, Beschl. v. 24.07.2023 – III 1 Ws 41/23 –, juris; KG, Beschl. v. 30.09.2016 – 1 Ws 37/16 –, juris; OLG Köln, Beschl. v. 04.08.2014 – 2 Ws 419/14 –, juris; jeweils mwN) zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Leistung eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Anthropologie keiner der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG genannten Sachgebiete und auch keiner der in Teil 2 der Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen entspricht, so dass eine unmittelbare Anwendung der vom Gesetzgeber für diese Sachgebiete und Honorargruppen vorgesehenen Stundensätze nicht in Betracht kommt. Folgerichtig hat das Landgericht angenommen, dass die Vergütung der Leistungen eines anthropologischen Sachverständigen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG nach billigem Ermessen zu bestimmen ist.

b) Das Landgericht ist indes im Rahmen der vorgenommenen Ermessensabwägung bzgl. der Höhe der Vergütung des im Ausgangsverfahren vom Amtsgericht Verden hinzugezogenen anthropologischen Sachverständigen rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich der zugrunde zu legende Stundensatz an dem vom Gesetzgeber für das Sachgebiet „grafische Leistungen“ in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG festgelegten Stundensatz zu orientieren hat.

Die Frage, wie der Stundensatz für die Vergütung eines anthropologischen Sachverständigen zu bestimmen ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.

Teile der Rechtsprechung nehmen einen qualitativen Vergleich der Tätigkeit des anthropologischen Sachverständigen mit den Tätigkeiten in den in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebieten vor. Sie gehen dabei – wie auch das Landgericht im vorliegenden Fall – davon aus, dass die größten Überschneidungen mit dem Sachgebiet des „grafischen Gewerbes“ bestünden. Daher sei der für dieses Sachgebiet gesetzlich geregelte Stundensatz – aktuell 115 € – entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Hamm, aaO; KG, aaO, unter Verweis auf die Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes). Auf die Stundensätze der in Anlage 1 ebenfalls aufgeführten Honorargruppen M1 bis M3 könne nicht abgestellt werden. Denn anthropologische Vergleichsuntersuchungen würden weder medizinische Fachkenntnisse voraussetzen noch medizinische Fragestellungen zum Gegenstand haben. Die Honorargruppen M1 bis M3 seien jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich medizinischen und psychologischen Sachverständigen vorbehalten (vgl. KG, aaO).

Das Oberlandesgericht Braunschweig hält eine einheitliche Vergütung für anthropologische Sachverständige hingegen für nicht möglich, da den von ihnen vorgenommenen Begutachtungen keine standardisierten Untersuchungsmethoden zugrunde liegen würden. Die zu erbringenden Leistungen würden von der jeweiligen Begutachtungsmaterie abhängen und ihr Umfang sowie ihr Schwierigkeitsgrad je nach den Umständen des Einzelfalls wesentlich voneinander abweichen. Es seien Fälle denkbar, in denen eine Zuordnung zu einem der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebiete sachgerecht erscheine; ebenso aber auch Fälle, in denen eine Zuordnung zu einer der in der Anlage 1 genannten Honorargruppen M1 bis M3 gerechtfertigt sein könne (vgl. OLG Braunschweig, aaO).

Das Oberlandesgericht Köln knüpft hingegen an die Regelung in § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG an, wonach Sachverständigentätigkeiten, die in keinem der in der Anlage 1 zu

§ 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebieten aufgeführt sind, nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der außergerichtlich und außerbehördlich allgemein vereinbarten Stundensätze zu vergüten seien. Zwar gebe es für die Tätigkeiten von anthropologischen Sachverständigen keinen freien Markt. Es könne jedoch auf den von der Justiz herausgebildeten „internen Marktwert“ abgestellt werden. Für hauptberuflich tätige anthropologische Sachverständige sei der gesetzlich festgelegte Stundensatz für das in der genannten Anlage 1 aufgeführte Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ zugrunde zu legen. Bei einer nur nebenberuflich ausgeübten Sachverständigentätigkeit sei hingegen auf die in Anlage 1 festgelegten Stundensätze für die Honorargruppen M1 bis M3 für medizinische und psychologische Sachverständige abzustellen (vgl. OLG Köln, aaO).

Der Senat schließt sich der vom OLG Frankfurt vertretenen Ansicht an, wonach sich die Höhe des Stundensatzes für einen gerichtlich hinzugezogenen anthropologischen Sachverständigen an den für die in der Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen M1 bis M3 gesetzlich geregelten Stundensätzen für medizinische und psychologische Sachverständige zu orientieren hat. Das OLG Frankfurt stützt sich insoweit zutreffend auf den in den Gesetzesmaterialien zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers. Er habe ausdrücklich empfohlen, den Stundensatz für einen Anthropologen aus den Honorargruppen M1 bis M3 zu entnehmen, wobei im Hinblick auf die von den Umständen des Einzelfalls abhängigen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade anthropologischer Vergleichsgutachten für die Auswahl der konkreten Honorargruppe ein Spielraum verbleibe (vgl. OLG Frankfurt, aaO, unter Hinweis auf BT-Drs. 17/11472, S. 355). Dieser Erwägung tritt der Senat bei. Der Ansicht des OLG Frankfurt ist auch deshalb der Vorzug zu geben, weil es für die gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen zu bestimmende Vergütung von Sachverständigentätigkeiten, die von keinem der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebiete erfasst werden, nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht primär auf die Qualifikation oder auf die Vergleichbarkeit der konkreten Tätigkeit mit den Tätigkeiten anderer Sachverständiger ankommt, sondern auf die marktübliche Vergütung der Tätigkeit. Denn der Gesetzgeber hat die Stundensätze für die Sachverständigen aus den in der genannten Anlage 1 aufgeführten Sachgebieten auf der Basis einer umfangreichen Marktanalyse und in dem Bestreben neu bestimmt, ihre Stundensätze an die marktüblichen Vergütungen anzupassen (vgl. LG Hannover, Beschl. v. 25.06.2015 – 46 Qs 43/14 –, juris, unter Hinweis auf BT-Drs 17/11472, S. 145). Da es für die Tätigkeiten medizinischer oder psychologischer Sachverständiger jedoch keinen freien Markt gibt, hat der Gesetzgeber eigens für sie die Honorargruppen M1 bis M3 gebildet. Es erscheint daher folgerichtig, sich bei der Bestimmung der angemessenen Vergütung eines anthropologischen Sachverständigen, für dessen Tätigkeit es ebenfalls keinen freien Markt gibt, an den Honorargruppen M1 bis M3 zu orientieren und die konkrete Höhe im Einzelfall anhand von Art, Umfang und Schwierigkeitsgrad der jeweils erbrachten Leistung zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Empfehlung des Gesetzgebers, bei der Vergütung anthropologischer Sachverständiger auf die Stundensätze der Honorargruppen M1 bis M3 zurückzugreifen, sachgerecht (vgl. LG Hannover, aaO).

c) Im Ergebnis der vorstehenden Ausführungen erweist sich die vom Landgericht für die Vergütung von anthropologischen Sachverständigen generell befürwortete und auch im vorliegenden Streitfall vorgenommene schematische Zugrundelegung des in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG für das Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ vorgesehenen Stundensatzes als rechtsfehlerhaft. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Die Sache war zu neuer Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn zu der gemäß

§ 9 Abs. 2 S. 1 JVEG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Festsetzung der Vergütung von Sachverständigentätigkeiten, die von keinem der in der Anlage 1 aufgeführten Sachgebiete erfasst werden, ist das Landgericht berufen.“

Solche Entscheidungen tangieren den Angeklagten/Betroffenen einmal im Hinblick auf die Frage, in welcher Höhe ggf. eine Sachverständigenvergütung für ein eingeholtes Privatgutachten erstattet wird (dazu u.a. LG Chemnitz, Beschl. v. 3.7.2018 – 2 Qs 241/18; LG Wuppertal Beschl. v. 8.2.2018 – 26 Qs 214/17 ; AG Konstanz, Beschl. v. 22.05.2024 – OWi 52 Js 22028/22). Ist der Angeklagte/Betroffene hingegen verurteilt und sind ihm gem. § 465 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt worden, ist die Höhe von Sachverständigenvergütung für den Angeklagten/Betroffenen von Bedeutung, wenn er von der Staatskasse auf „Erstattung“ von dieser gezahlter Sachverständigenhonorare in Anspruch genommen wird. Daher sollte man als Rechtsanwalt/Verteidiger immer auch solche Entscheidungen wie die des OLG Celle und die dort erwähnte Rechtsprechung anderer OLG im Auge haben, um ggf. damit argumentieren zu können.

Einstellung des OWi-Verfahrens wegen Verjährung, oder: I.d.R. Auslagenerstattung durch die Staatskasse

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Ich beginne den Gebührentag heute mit einigen Entscheidungen zur Auslagenerstattung (des Bußgeldverfahrens) nach Einstellung des Verfahrens. Dazu stelle ich aber jeweils nur die Leitsätze der Entscheidungen vor, da ich zu der Problematik in der letzten Zeit ja einige Entscheidungen vorgestellt habe und die Argumentation letztlich immer gleich ist.

Hier kommen dann also:

Die Möglichkeit, nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, besteht nur dann, wenn zusätzlich zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es als billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen. Das ist, wenn der Grund für den Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verjährung darin liegt , dass eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheids beim früheren Betroffenen wegen fehlender Datumsangabe der Zustellung auf dem Briefumschlag nicht erfolgt ist, nicht der Fall.

Liegt der Eintritt des für die Verfahrensbeendigung maßgeblichen Verfahrenshindernisses nicht in der Sphäre des Betroffenen, ist es nicht grob unbillig, im Fall der Einstellung des Bußgeldverfahrens die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen. Das ist der Fall, wenn der Eintritt der Verfolgungsverjährung allein auf die unwirksame Zustellung des Bußgeldbescheides, die auf dem fehlenden Datum auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks beruhte, zurückzuführen ist.

Da es bereits den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO entspricht, dass der Verurteilung lediglich ein Verfahrenshindernis entgegensteht, müssen, wenn bei einer Einstellung von einer Auslagenerstattung durch die Staatskasse abgesehen werden soll, weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen. Das ist nicht der Fall, wenn der Eintritt des Verfahrenshindernisses, wie z.B. der Eintritt der Verjährung, allein von staatlicher Seite zu verantworten ist.