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Und dann im zweiten Posting der schon etwas ältere OLG Celle, Beschl. v. 11.11.2024 – 2 Ws 302/24 – zur Vergütungshöhe beim anthropologischer Sachverständigen.
Folgender Sachverhalt: Das AG hat die frühere Angeklagte in einem gegen sie geführten Strafverfahren vom Tatvorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis freigesprochen. In dem Verfahren hatte das AG zwecks Feststellung, ob es sich bei der Fahrzeugführerin, die auf dem aktenkundigen Foto einer Geschwindigkeitsmessung abgebildet war, um die frühere Angeklagte handelte, einen anthropologischen Sachverständigen mit einem Vergleichsgutachten beauftragt. Nach Abschluss des Verfahrens reichte der Sachverständige eine Kostenrechnung hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistungen ein. Das AG setzte die Vergütung des Sachverständigen gemäß § 4 Abs. 1 JVEG auf den geltend gemachten Gesamtbetrag i.H. von 1.653,94 EUR fest und legte hierbei einen Stundensatz i.H. von 120 EUR zugrunde. Die Höhe der Sachverständigenvergütung hat das AG gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen bestimmt und hat einen Stundensatz von 120 EUR als angemessen angesehen.
Dagegen hat die Bezirksrevisorin Beschwerde eingelegt. Sie hat einen Stundensatz von (nur) 90 EUR als angemessen angesehen. Das LG hat die Beschwerde der Bezirksrevisorin als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Bezirksrevisorin. Diese hatte – vorläufig – Erfolg:
„…..
Unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann die Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.
a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt in Übereinstimmung mit der einhelligen Rechtsprechung (vgl. OLG Braunschweig, aaO; OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.02.2024 – 2 Ws 40/23 –, juris; OLG Hamm, Beschl. v. 24.07.2023 – III 1 Ws 41/23 –, juris; KG, Beschl. v. 30.09.2016 – 1 Ws 37/16 –, juris; OLG Köln, Beschl. v. 04.08.2014 – 2 Ws 419/14 –, juris; jeweils mwN) zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Leistung eines Sachverständigen auf dem Gebiet der Anthropologie keiner der in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG genannten Sachgebiete und auch keiner der in Teil 2 der Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen entspricht, so dass eine unmittelbare Anwendung der vom Gesetzgeber für diese Sachgebiete und Honorargruppen vorgesehenen Stundensätze nicht in Betracht kommt. Folgerichtig hat das Landgericht angenommen, dass die Vergütung der Leistungen eines anthropologischen Sachverständigen gemäß § 9 Abs. 2 JVEG nach billigem Ermessen zu bestimmen ist.
b) Das Landgericht ist indes im Rahmen der vorgenommenen Ermessensabwägung bzgl. der Höhe der Vergütung des im Ausgangsverfahren vom Amtsgericht Verden hinzugezogenen anthropologischen Sachverständigen rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich der zugrunde zu legende Stundensatz an dem vom Gesetzgeber für das Sachgebiet „grafische Leistungen“ in Teil 1 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG festgelegten Stundensatz zu orientieren hat.
Die Frage, wie der Stundensatz für die Vergütung eines anthropologischen Sachverständigen zu bestimmen ist, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.
Teile der Rechtsprechung nehmen einen qualitativen Vergleich der Tätigkeit des anthropologischen Sachverständigen mit den Tätigkeiten in den in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebieten vor. Sie gehen dabei – wie auch das Landgericht im vorliegenden Fall – davon aus, dass die größten Überschneidungen mit dem Sachgebiet des „grafischen Gewerbes“ bestünden. Daher sei der für dieses Sachgebiet gesetzlich geregelte Stundensatz – aktuell 115 € – entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Hamm, aaO; KG, aaO, unter Verweis auf die Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes). Auf die Stundensätze der in Anlage 1 ebenfalls aufgeführten Honorargruppen M1 bis M3 könne nicht abgestellt werden. Denn anthropologische Vergleichsuntersuchungen würden weder medizinische Fachkenntnisse voraussetzen noch medizinische Fragestellungen zum Gegenstand haben. Die Honorargruppen M1 bis M3 seien jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich medizinischen und psychologischen Sachverständigen vorbehalten (vgl. KG, aaO).
Das Oberlandesgericht Braunschweig hält eine einheitliche Vergütung für anthropologische Sachverständige hingegen für nicht möglich, da den von ihnen vorgenommenen Begutachtungen keine standardisierten Untersuchungsmethoden zugrunde liegen würden. Die zu erbringenden Leistungen würden von der jeweiligen Begutachtungsmaterie abhängen und ihr Umfang sowie ihr Schwierigkeitsgrad je nach den Umständen des Einzelfalls wesentlich voneinander abweichen. Es seien Fälle denkbar, in denen eine Zuordnung zu einem der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebiete sachgerecht erscheine; ebenso aber auch Fälle, in denen eine Zuordnung zu einer der in der Anlage 1 genannten Honorargruppen M1 bis M3 gerechtfertigt sein könne (vgl. OLG Braunschweig, aaO).
Das Oberlandesgericht Köln knüpft hingegen an die Regelung in § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG an, wonach Sachverständigentätigkeiten, die in keinem der in der Anlage 1 zu
§ 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebieten aufgeführt sind, nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der außergerichtlich und außerbehördlich allgemein vereinbarten Stundensätze zu vergüten seien. Zwar gebe es für die Tätigkeiten von anthropologischen Sachverständigen keinen freien Markt. Es könne jedoch auf den von der Justiz herausgebildeten „internen Marktwert“ abgestellt werden. Für hauptberuflich tätige anthropologische Sachverständige sei der gesetzlich festgelegte Stundensatz für das in der genannten Anlage 1 aufgeführte Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ zugrunde zu legen. Bei einer nur nebenberuflich ausgeübten Sachverständigentätigkeit sei hingegen auf die in Anlage 1 festgelegten Stundensätze für die Honorargruppen M1 bis M3 für medizinische und psychologische Sachverständige abzustellen (vgl. OLG Köln, aaO).
Der Senat schließt sich der vom OLG Frankfurt vertretenen Ansicht an, wonach sich die Höhe des Stundensatzes für einen gerichtlich hinzugezogenen anthropologischen Sachverständigen an den für die in der Anlage 1 aufgeführten Honorargruppen M1 bis M3 gesetzlich geregelten Stundensätzen für medizinische und psychologische Sachverständige zu orientieren hat. Das OLG Frankfurt stützt sich insoweit zutreffend auf den in den Gesetzesmaterialien zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers. Er habe ausdrücklich empfohlen, den Stundensatz für einen Anthropologen aus den Honorargruppen M1 bis M3 zu entnehmen, wobei im Hinblick auf die von den Umständen des Einzelfalls abhängigen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade anthropologischer Vergleichsgutachten für die Auswahl der konkreten Honorargruppe ein Spielraum verbleibe (vgl. OLG Frankfurt, aaO, unter Hinweis auf BT-Drs. 17/11472, S. 355). Dieser Erwägung tritt der Senat bei. Der Ansicht des OLG Frankfurt ist auch deshalb der Vorzug zu geben, weil es für die gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 JVEG nach billigem Ermessen zu bestimmende Vergütung von Sachverständigentätigkeiten, die von keinem der in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG aufgeführten Sachgebiete erfasst werden, nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht primär auf die Qualifikation oder auf die Vergleichbarkeit der konkreten Tätigkeit mit den Tätigkeiten anderer Sachverständiger ankommt, sondern auf die marktübliche Vergütung der Tätigkeit. Denn der Gesetzgeber hat die Stundensätze für die Sachverständigen aus den in der genannten Anlage 1 aufgeführten Sachgebieten auf der Basis einer umfangreichen Marktanalyse und in dem Bestreben neu bestimmt, ihre Stundensätze an die marktüblichen Vergütungen anzupassen (vgl. LG Hannover, Beschl. v. 25.06.2015 – 46 Qs 43/14 –, juris, unter Hinweis auf BT-Drs 17/11472, S. 145). Da es für die Tätigkeiten medizinischer oder psychologischer Sachverständiger jedoch keinen freien Markt gibt, hat der Gesetzgeber eigens für sie die Honorargruppen M1 bis M3 gebildet. Es erscheint daher folgerichtig, sich bei der Bestimmung der angemessenen Vergütung eines anthropologischen Sachverständigen, für dessen Tätigkeit es ebenfalls keinen freien Markt gibt, an den Honorargruppen M1 bis M3 zu orientieren und die konkrete Höhe im Einzelfall anhand von Art, Umfang und Schwierigkeitsgrad der jeweils erbrachten Leistung zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Empfehlung des Gesetzgebers, bei der Vergütung anthropologischer Sachverständiger auf die Stundensätze der Honorargruppen M1 bis M3 zurückzugreifen, sachgerecht (vgl. LG Hannover, aaO).
c) Im Ergebnis der vorstehenden Ausführungen erweist sich die vom Landgericht für die Vergütung von anthropologischen Sachverständigen generell befürwortete und auch im vorliegenden Streitfall vorgenommene schematische Zugrundelegung des in der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG für das Sachgebiet „grafisches Gewerbe“ vorgesehenen Stundensatzes als rechtsfehlerhaft. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Die Sache war zu neuer Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Denn zu der gemäß
§ 9 Abs. 2 S. 1 JVEG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Festsetzung der Vergütung von Sachverständigentätigkeiten, die von keinem der in der Anlage 1 aufgeführten Sachgebiete erfasst werden, ist das Landgericht berufen.“
Solche Entscheidungen tangieren den Angeklagten/Betroffenen einmal im Hinblick auf die Frage, in welcher Höhe ggf. eine Sachverständigenvergütung für ein eingeholtes Privatgutachten erstattet wird (dazu u.a. LG Chemnitz, Beschl. v. 3.7.2018 – 2 Qs 241/18; LG Wuppertal Beschl. v. 8.2.2018 – 26 Qs 214/17 ; AG Konstanz, Beschl. v. 22.05.2024 – OWi 52 Js 22028/22). Ist der Angeklagte/Betroffene hingegen verurteilt und sind ihm gem. § 465 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt worden, ist die Höhe von Sachverständigenvergütung für den Angeklagten/Betroffenen von Bedeutung, wenn er von der Staatskasse auf „Erstattung“ von dieser gezahlter Sachverständigenhonorare in Anspruch genommen wird. Daher sollte man als Rechtsanwalt/Verteidiger immer auch solche Entscheidungen wie die des OLG Celle und die dort erwähnte Rechtsprechung anderer OLG im Auge haben, um ggf. damit argumentieren zu können.