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beA I: Qualifizierte elektronische Signatur auf Anlage, oder: „Bündelsignatur“ gibt es nicht

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Heute ist „Kessel-Buntes-Tag“ oder auch „beA-Samstag“. Denn ich stelle heute mal wieder zwei Entscheidungen zum beA vor. Beide kommen vom BGH. Die Flut von Rechtsprechung zum beA reißt nicht ab. Insbesondere auch der BGH veröffentlicht immer wieder Entscheidungen, in denen es um rechtzeitige Einlegung von Rechtsmitteln geht.

So auch in dem BGH, Beschl. v. 19.01.2023 – V ZB 28/22. Ergangen ist dieser Beschluss in einem Verfahren, in dem wechselseitig Ansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag geltend gemacht werden. Das LG hat mit dem am 14.12,2021 zugestellten Urteil der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Am 12. 01.2022 ist beim OLG Oldenburg über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eine Berufungsschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als PDF-Dokument eingegangen. Dieses Dokument war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen; vielmehr war (nur) die der Berufungsschrift als separates PDF-Dokument beigefügte Anlage, die das angefochtene Urteil enthielt, qualifiziert elektronisch signiert.

Das OLG hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten. Die war beim BGh nicht erfolgreich:

„1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beklagte nicht innerhalb der am 14. Januar 2022 abgelaufenen einmonatigen Berufungsfrist formgerecht Berufung eingelegt hat (§ 517, § 519 Abs. 1 ZPO), wirft keine die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründenden Rechtsfragen auf. Die am 12. Januar 2022 als PDF-Dokument per EGVP eingegangene Berufungsschrift genügt nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 ZPO.

a) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO). Nur dann sind Echtheit und Integrität des Dokuments gewährleistet (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 11 mwN). Die sicheren Übermittlungswege ergeben sich aus § 130a Abs. 4 ZPO, wozu namentlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (§§ 31a, 31b BRAO) gehört (vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument darf außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs. 1 ERVV).

b) Diesen Anforderungen wird die am 12. Januar 2022 beim Oberlandesgericht eingegangene Berufungsschrift des Beklagten nicht gerecht. Sie ist nicht entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen oder auf einem sicheren Übermittlungsweg (vgl. § 130a Abs. 4 ZPO) durch die verantwortende Person eingereicht worden. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten stattdessen vorgenommene qualifizierte elektronische Signatur der als PDF-Dokument beigefügten Anlage, die die Abschrift des angefochtenen Urteils enthält, reicht nicht aus.

c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die qualifizierte elektronische Signatur der Berufungsschrift sei deshalb entbehrlich, weil es sich bei den an das Berufungsgericht über das EGVP übersandten Dateien (Berufungsschrift und Anlage) um eine „gewollte Einheit“ gehandelt habe und sich aus der qualifizierten elektronischen Signatur der Anlage ergebe, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Verantwortung für die Rechtsmittelschrift übernommen habe.

aa) Richtig ist allerdings, dass die qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung hat wie eine handschriftliche Unterschrift (Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. L 257 S. 73; vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 9 mwN). Sie soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die einfache elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 11 mwN; zur Unterschrift vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254; Beschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZB 22/19, NJW-RR 2020, 309 Rn. 11 mwN). Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht.

bb) Zutreffend ist auch, dass das Fehlen der Unterschriftsleistung auf der Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift unschädlich ist, wenn aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137; Urteil vom 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – IV ZB 9/11, juris Rn. 6, 11). Das ist z.B. dann der Fall, wenn die nicht unterzeichnete Berufungsbegründung mit einem von dem Rechtsanwalt unterschriebenen Anschreiben fest verbunden ist („Paket“; vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 f.), oder wenn die eingereichten beglaubigten Abschriften der nicht unterzeichneten oder nicht eingereichten Urschrift der Berufungsbegründung einen von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogenen Beglaubigungsvermerk enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1957 – VIII ZB 7/57, BGHZ 24, 179, 180 mwN; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137; Beschluss vom 26. März 2012 – II ZB 23/11, NJW 2012, 1738 Rn. 9).

cc) Um einen vergleichbaren Fall handelt es sich hier nicht. Die qualifizierte elektronische Signatur der als Anlage zur Berufungsschrift übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils ersetzt nicht die qualifizierte elektronische Signatur der über das EGVP übersandten Berufungsschrift.

(1) Die qualifizierte elektronische Signatur der Anlage bietet keine Gewähr dafür, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Urheber der Berufungsschrift ist und er diese in den Rechtsverkehr bringen will. Zwar soll mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden (§ 519 Abs. 3 ZPO). Die Anlage zu der Berufungsschrift muss aber – anders als diese – nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie – wie hier – nicht über einen sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO). Anhand der qualifizierten elektronischen Signatur der Anlage lässt sich nicht feststellen, ob die als Absender ausgewiesene Person identisch ist mit derjenigen Person, die für den Inhalt des Schriftsatzes Verantwortung übernimmt, und ob die Berufungsschrift mit deren Wissen und Wollen abgesendet worden ist.

(2) Die Anlage und die Berufungsschrift können auch nicht als gewollte Einheit behandelt werden. Zu einer einem „Paket“ aus Anschreiben und Berufungsschrift vergleichbaren Verbindung der im EGVP-Verfahren übermittelten Dokumente kann es nicht kommen. Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 ERVV). Die im EGVP-Verfahren eingesetzte qualifizierte Container-Signatur – die hier ohnehin nicht verwendet worden ist – genügt seit dem 1. Januar 2018 nicht mehr den Anforderungen des § 130a ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 – XII ZB 573/18, BGHZ 222, 105 Rn. 14 ff.).

2. Auch hinsichtlich der Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines dem Beklagten zurechenbaren Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) sind Zulassungsgründe nicht ersichtlich.

a) Die Fristversäumung war nicht unverschuldet im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO, weil der Beklagte sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der die zu signierenden Dateien verwechselt hat, gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Der Prozessbevollmächtigte muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2022 – V ZB 58/21, MDR 2022, 907 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – XII ZB 93/19, FamRZ 2019, 1880 Rn. 5; jeweils mwN). In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder die Einreichung des einfach signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg vorzunehmen (§ 130a Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 15).

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„Quickie“ im Parkhaus auf der Motorhaube, oder: Wenn der „relevante Vorgang“ nur 9 Minuten dauerte

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Und dann die zweite Entscheidung des Tages. Das ist das LG Köln, Urt. v. 09.01.2023 – 21 O 302/22. Nun ja Verkehrsrecht? Man kann darüber streiten 🙂 . Einigen wir uns auf: Es handelt sich nicht um Verkehrsrecht i.e.S, sondern (nur) um Verkehrsrecht i.w.S. 🙂 🙂

Der Entscheidung liegt folgender „verkehrsrechtlicher“ Sachverhalt zugrunde: Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadenersatz für die Beschädigung seines Pkws. Das ist, während der Kläger diesen in dem Parkhaus der Beklagten eingestellt hatte, beschädigt worden. Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, ob die Beklagte während des Einstellzeitraums eine Verkehrssicherungspflicht (sic! 🙂 ) verletzt hat.

Der Kläger hatte sein Fahrzeug am 20.07.2021 gegen 18.00 Uhr in dem Parkhaus der Beklagten auf der zweiten Ebene rückwärts eingeparkt, um dann – bis zum nächsten Morgen – zur Arbeit zu gehen. In der Nacht kamen zwei unbekannte Personen in das Parkhaus der Beklagten und hatten Geschlechtsverkehr auf der Motorhaube des klägerischen Fahrzeuges. Im Anschluss verließen die beiden Personen das Parkhaus, ohne dass deren Identität beklagten- oder polizeiseitig festgestellt worden wäre.

Als der Kläger sodann am 21.07.2021 gegen 08.00 Uhr zu seinem Fahrzeug zurückkehrte, bemerkte er, dass sein Wagen verschiedene Beschädigungen aufwies. Daraufhin nahm er Kontakt zum Wachpersonal des Parkhauses auf, welches ihm die Aufnahmen der Überwachungskameras zeigte. In diesem Zuge erlangte der Kläger Kenntnis von den Handlungen der beiden Unbekannten. Deren Identität konnte nicht festgestellt werden.

Der Kläger macht nun gegenüber der Beklagten Schadensersatz geltend für Beschädigungen, die nach seiner Behauptung beim Verlassen des Wagens am 20.07.2021 um 18.00 Uhr nicht vorhanden waren und daher während der Parkzeit und durch die Handlungen der beiden Unbekannten entstanden seien. Der Kläger ist der Auffassung, dass es Aufgabe der Beklagten, bzw. ihrer Mitarbeiter, gewesen sei, die Videoaufzeichnungen durchgehend zu beobachten und derartige  Vorkommnisse zu unterbinden. Wenigstens sei zu erwarten gewesen, dass die Beklagte den Vorgang bemerken und die Polizei rufen würde, damit die Identität der Unbekannten festgestellt werden könnte.

Das LG hat die Klage abgewiesen:

„Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Zahlungsanspruch i.H.v. 4.676,36 EUR.

1. Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Fahrzeug-Einstellvertrag.

Dabei gehen die Nebenpflichten der Beklagten nicht so weit, dass sie die von ihr installierten Überwachungskameras ununterbrochen beobachten lassen müsste um etwaige Verstöße gegen die Sicherheit und Ordnung im Parkhaus lückenlos zu bemerken oder gar verhindern zu können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Kameras mehr zu repressiven als zu präventiven Zwecken eingesetzt werden; das heißt, für den Fall, dass ein Fahrzeughalter bei Rückkehr zu seinem Fahrzeug neue Beschädigungen feststellt, kann er auf die Beklagte zukommen, diese kann entsprechend bei den Aufnahmen nachforschen und ggf. bei der Aufklärung des Schadenfalls helfen. Im Normalfall wird dies auch erfolgreich sein, da beispielsweise bei „Parkremplern“ regelmäßig das Kennzeichen des Unfallgegners zu sehen und die Tat entsprechend dokumentiert sein dürfte.

Im vorliegenden Fall dürfte die eigentliche Beschädigungshandlung sich in zeitlich engen Grenzen gehalten haben. Insoweit hat der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der „relevante Abschnitt“ von dem er die Bildschirmfotos angefertigt hat, die mit der Klageschrift eingereicht wurden, lediglich 9 Minuten lang ist. Bei einer solch kurzen Dauer stellt es nach Ansicht des Gerichts keine Verfehlung der Beklagten dar, dass diese Handlungen nicht bemerkt oder gar verhindert wurden. Insoweit ist es auch fraglich, wie das Personal der Beklagten die Täter ohne Eigengefährdung hätte stellen sollen oder ob die hypothetisch hinzugerufene Polizei schnell genug vor Ort gewesen wäre.

Soweit der Kläger bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung erstmals angegeben hat, dass das Geschehen um sein Auto herum mehrere Stunden angehalten haben soll, so war dieser Vortrag als verspätet zurückzuweisen. Seine Berücksichtigung hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, da dann möglicherweise eine Beweisaufnahme notwendig geworden wäre. Bis zum Termin der mündlichen Verhandlung war in keiner Weise ersichtlich, dass es sich bei den streitgegenständlichen Vorgängen um eine mehrstündige Aktion gehandelt haben sollte. Das Gericht hatte auch schon mit der Terminsverfügung vom 08.11.2022 darauf hingewiesen, dass es der Klage keine Aussicht auf Erfolg beimisst, da es nicht davon ausgeht, dass die Beklagte die Kameras durchgehend beobachten lassen muss. Auch die Beklagte hatte in ihrer Klageerwiderung vom 02.11.2022 ausführlich thematisiert, dass es ihr gar nicht möglich gewesen wäre eine solche zeitlich eng umrissene Aktion zu entdecken und zu verhindern; insbesondere bestehe ihrerseits auch keine Pflicht, die Aufnahmen der Überwachungskameras lückenlos beobachten zu lassen. Es hätte daher aller Anlass bestanden die tatsächlichen Geschehensabläufe schon in der Klageschrift, spätestens aber mit den Reaktionen des Gerichts und der Beklagtenseite, zutreffend darzustellen, wenn klägerseits darauf abgestellt werden sollte, dass ein etwaiger Nachtdienst der Beklagten nur einmal in mehreren Stunden auf die Kameras hätte schauen müssen.

Für das Gericht bestand hingegen kein Anlass die Ermittlungsakte bei dem PP Köln zum Aktenzeichen 00000 beizuziehen, da der Sachverhalt dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht streitig zu sein schien und nicht ersichtlich war, welche weitergehenden Informationen sich aus der Ermittlungsakte ergeben sollten. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts sich den relevanten Sachverhalt durch Beiziehung von Ermittlungsakten und Sichtung von Beweismaterial selber zusammen zu suchen. Vielmehr hätte der Kläger diesen von Vorneherein schlüssig vortragen müssen.

Auf den entsprechenden Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat der Klägervertreter auch keinen Schriftsatznachlass mehr beantragt.

2. Ein klägerischer Anspruch ergibt sich auch nicht aus einem pflichtwidrigen Unterlassen der Beklagten im Kontext des Deliktsrechts. Insoweit kann wertungsmäßig nach oben verwiesen werden.“

Mit dem Porsche Cabrio auf dem Nürburgring, oder: Haftungsquote und Nutzungsausfall

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen, und zwar zwei LG-Entscheidungen.

Hier zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 03.11.2022 – 10 O 39/20 -, das mir der Kollege Nugel aus Essen geschickt hat. Gestritten worden ist in dem Verfahren um den Schadensersatz nach einem Unfall auf dem Nürburgring. Dem urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte eine sog. Touristenfahrt auf dem Nürburgring unternommen. Bei dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug trat ein Betriebsmittelverlust auf. Aufgrund dieses Betriebsmittelbverlustes kam der Kläger mit seinem Porsche Cabrio bei der nachfolgenden Fahrt auf der Nordschleife des Nürburgrings bei der Durchfahrt einer Kurve von der Fahrbahn ab. Dadurch wurde sein Fahrzeug erheblich beschädig.

Der Kläger hat nun die Kfz-Haftpflichtversicherung des vor ihm befindlichen Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Gestritten haben die Parteien über die entsprechende Haftungsquote und einen vom Kläger begehrten Nutzungsausfall. Durch ein eingeholtes Sachverständigengutachten kontte dem Kläger frei von Zweifeln ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nicht nachgewiesen werden.

Ich stelle hier nur die Ausführungen des LG zur Haftungsquote ein. Das LG geht dabei von 75 % zu 25 % zu Lasten des Beklagten aus:

„1. Sowohl die Beklagten als auch der Kläger haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG iVm § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich im Übrigen nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (jurisPK Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG, Rn. 15; zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04). Nach diesen Maßstäben war der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar. Dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre, hat dieser nicht vorgetragen. Eine Unabwendbarkeit lässt sich auch für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht darstellen. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass eine Vermeidbarkeit für den Fahrer des klägerischen Pkws nicht festgestellt werden könne. Dennoch ergibt sich nicht, dass der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar gewesen wäre. Denn ein Idealfahrer hat auf der Nordschleife des Nürburgrings immer mit Verunreinigungen der Fahrbahn durch Betriebsmittel zu rechnen. Ein vorsichtiger Fahrer hätte seine Fahrweise hierauf eingerichtet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können.

2. Die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG danach vorzunehmende Haftungsabwägung führt zu einer Haftungsverteilung von 75 % (Beklagtenseite) zu 25 % (Klägerseite). Denn aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall des Klägerfahrzeugs durch Wegrutschen auf der vom Beklagtenfahrzeug verursachten Betriebsmittelspur allein verursacht worden ist. Jedoch ist aufgrund der Erkennbarkeit der Betriebsmittelspur auf der Strecke auf Klägerseite eine Mithaftung in Höhe von 25 % zu berücksichtigen.

Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs allein aufgrund der – unstreitig von dem Beklagten-fahrzeug verursachten – Betriebsmittelspur von der Fahrbahn abgekommen und mit der Leitplanke kollidiert ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.08.2021 ausgeführt, dass wenn ein Fahrzeug allein infolge einer der Streckenführung nicht angepassten Geschwindigkeit zur kurvenäußeren Seite von der Fahrbahn abkommt, die Abkommensbewegung in der Regel nahe dem Kurvenende beginnt und häufig auch verbunden ist mit einer zunehmenden Querstellung der Fahrzeuglängsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung. Im vorliegenden Fall habe die Abkommensbewegung des klägerischen Fahrzeugs von der Fahrbahn bereits nahe des Kurvenbeginns eingesetzt und das Fahrzeug habe bis zur im Wesentlichen streifenden Leitplankenberührung keine ausgeprägte Winkelstellung seiner Längsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung eingenommen. Daher sei nicht zu bestätigen, dass das Klägerfahrzeug allein wegen einer für die Streckenführung nicht angepassten, zu hohen Geschwindigkeit von der Fahrbahn angekommen war. Weiterhin konnte der Sachverständige eine Geschwindigkeit von 120 km/h in der Abkommenssituation ausschließen und feststellen, dass als realistisch vielmehr ein Geschwindigkeitsbereich von rund 60 bis annähernd 80 km/h zum Zeitpunkt des Abkommens von der Fahrbahn in Betracht komme. Zudem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 nochmals erläutert, dass es ganz untypisch für einen Kontrollverlust wegen überhöhter Geschwindigkeit sei, wenn ein Fahrzeug zum Kurveneingang von der Fahrbahn abkomme. Vielmehr handele es sich vorliegend allein um ein Abkommen von der Fahrbahn aufgrund der verunreinigten Fahrbahnoberfläche. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an und macht sie sich vollständig zu eigen. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht aufgrund einer überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist, sondern vielmehr aufgrund der verunreinigten Fahrbahn – wobei die Verursachung der Verunreinigung an sich zwischen den Parteien unstreitig ist.

Allerdings ist eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 % anzunehmen.

Zwar kann dem Kläger kein Verstoß des Fahrers gegen das Gebot Fahren auf Sicht zur Last gelegt werden. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Gebot Fahren auf Sicht dem klägerischen Fahrzeug nicht nachgewiesen werden kann. Hierzu führt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 12.08.2021 überdies aus, dass wenn das klägerische Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 77 km/h im Mittel mit einer Verzögerung von 7,5 m/s2 bis zum Stillstand abbremst, ein Bremsweg von 30,2 m erforderlich sei und sich selbst bei einer nur unterdurchschnittlichen Vorbremsung von 1 s ein Anhalteweg von rechnerisch rund 52 m ergebe. Zudem konnte der Sachverständige feststellen, dass sowohl die bildliche Darstellung des Streckenverlaufs im Bereich der Rechtskurve in welcher das klägerische Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen war, als auch das Videomaterial (vom streitgegenständlichen Unfall, insoweit wird Bezug genommen auf den zur Akte gereichten USB-Stick, Retent) abschätzen lasse, dass auch im Kurvenverlauf eine Sicht über diese Strecke auf die Fahrbahn versperrende Hindernisse zulasse. Es lasse sich daher rechnerisch nicht nachweisen, dass der Fahrer des klägerischen Pkws bis zum Abkommen von der Fahrbahn bei annähernd 80 km/h nicht auf Sicht gefahren sei.

Die von dem klägerischen Pkw ausgehende Betriebsgefahr tritt jedoch nicht vollständig hinter dem groben Verschulden des Beklagten zu 1) zurück. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die Verunreinigung auf der Straße und die davon ausgehenden Gefahren hätte erkennen können. Zwar hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs glaubhaft bekundet, er habe von der Ölspur im Fahrzeug nichts mitbekommen; die Ölspur habe er im Auto nicht wahrnehmen können. Allerdings hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten in überzeugender und nachvollziehbarer Weise feststellen können, dass bei der abgebildeten Intensität der Fahrbahnverschmutzung diese bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahnoberfläche im Abstand von einer Größenordnung von 50 m vor dem Fahrzeug – möglicherweise auch wenig abgeschwächt – wahrnehmbar gewesen sein kann.

Dies rechtfertigt eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 %.“

Die Ausführungen des LG zum Nutzungsausfall überlasse ich dem Selbstleseverfahren im verlinkten Volltext. Dazu passt folgender Leitsatz:

Wird ein Porsche Cabrio nur als Sommerfahrzeug genutzt, trifft den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast bei dem Einwand, dass ihm ein zweites Fahrzeug zur Verfügung steht und daher ein Nutzungsausfall für den zeitweisen Gebrauchsverlust bei diesem Sportwagen ausscheidet.

Vorschuss für Einholung eines Privatgutachtens?, oder: Das gerichtliche Gutachten gibt umfassend Antworten

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So, heute dann noch RVG-/Gebührentag und dann ist Wochenende. Unter der Thematik „RVG/Gebühren“ stelle ich heute dann Entscheidungen zu Vorschüssen vor.

Ich beginne mit einem Beschluss aus dem Zivilrecht, und zwar mit dem OLG Celle, Beschl. v. 14.11.2022 – 14 W 30/22 – zur Frage eines Kostenvorschusses für ein prozessbegleitendes Privatgutachten. Der dem Kläger im Rahmen von PKH in dem (Zivil)Verfahren beigeordnete Prozessbevollmächtige hat gemäß § 47 Abs. 1 RVG beantragt, einen Kostenvorschuss für die Einholung eines Privatgutachtens zur Widerlegung bzw. Erschütterung eines gerichtlichen Gutachtens zu gewähren. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg:

„Die Aufwendungen für die Beauftragung eines Privatgutachters sind hier zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Erstattung von Kosten für einen privat beauftragten Sachverständigen in Betracht, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig waren (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02, Rn. 13, juris; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 – VI ZB 7/05, Rn. 10, juris). Die Beurteilung dieser Frage hat sich dabei daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich hätte ansehen dürfen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02, Rn. 13, juris; Beschluss vom 26. Februar 2013 – VI ZB 59/12, Rn. 5, juris). Danach kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Beteiligter infolge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (vgl. BGH aaO.; OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2012 – II-4 WF 11/12, BeckRS 2012, 12070). Diese Ausnahme ist insbesondere auf Zivilverfahren zugeschnitten, in denen es den Parteien nach dem sogenannten Beibringungsgrundsatz obliegt, substantiiert die gebotenen Tatsachen und Informationen vorzutragen, die als Grundlage für die Entscheidung des Gerichts erforderlich sind (vgl. hierzu Herget in: Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 91 ZPO, Rn. 13.73).

In Bezug auf prozessbegleitend eingeholte Privatgutachten ist die Erstattungsfähigkeit entsprechender Aufwendungen allerdings insoweit eingeschränkt, dass es Sache des Gerichts ist, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigen-gutachten durchzuführen. Die Rechtsprechung hat die Erstattungsfähigkeit prozessbegleitender Privatgutachten aber dann bejaht, wenn es darum geht, ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2001, AZ: 8 W 481/01, Tn. 6, sowie Beschluss vom 11.07.2007, AZ: 8 W 265/07 Rn. 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Rn. 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Rn. 3) oder wenn eine Partei auf die Hinzuziehung eines Sachverständigen angewiesen ist, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen, Beweisangriffe abzuwehren oder Beweisen des Gegners entgegentreten zu können (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.02.1997, AZ: 10 W 21/97 Rn. 4; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Rn. 14; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.08.2006, AZ: 10 W 52/06, Rn. 11; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Rn. 3) oder wenn die Einholung des Gutachtens der Wiederherstellung der Waffengleichheit dient (OLG Hamm, Beschluss vom 14. Mai 2013 – I-25 W 94/13 –, Rn. 12, juris mwN).

Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Einholung eines prozessbegleitenden Privatgutachtens vorliegend auch nicht deshalb erforderlich, um das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. T. vom 10. Juli 2022 zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern. Gründe für eine Ausnahme zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Es wird lediglich pauschal behauptet, der Kläger sei aufgrund seiner beruflichen Ausbildung nicht in der Lage, die medizinischen Ausführungen ausreichend zu hinterfragen und etwaige Widersprüche aufzudecken. Der konkrete Fall und der Umstand, dass der Kläger einen Rechtsanwalt zur Unterstützung hat, wird nicht gewürdigt.

Dabei geht es vorliegend anders als im Fall des OLG Hamm (aaO) nicht um einen komplexen Sachverhalt mit umfassenden betriebswirtschaftliche Auswertungen und Fragen, die durch den Gerichtssachverständigen nicht zweifelsfrei beantwortet werden konnten. Hier geht es vielmehr um einen überschaubaren Sachverhalt und den Nachweis unfallbedingter Verletzungen und Beeinträchtigungen, wie es im Bereich des Verkehrsunfallrechts regelmäßig vorkommt. Dabei ist es in der Praxis bei diesen Fällen regelmäßig erforderlich, dass sich der Prozessbevollmächtigte mit der von ihm vertretenen Partei mit entsprechenden medizinischen oder unfallanalytischen Gutachten hinsichtlich der Beweisfragen auseinandersetzt und ggf. geeignete Nachfragen an den gerichtlichen Sachverständigen stellt. Dieser hat vorliegend die Beweisfragen in seinem schriftlichen Gutachten vom 10. Juli 2022 anschaulich, umfassend und nachvollziehbar beantwortet. Die Beschwerde zeigt dabei auch nicht auf, warum der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht in der Lage sein will, – wie seine Kollegen – Vorhalte und zielführende Nachfragen an den Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Erörterung zu stellen. Vielmehr sind bisher gegen das Gutachten klägerseits keine konkreten Einwände erhoben worden.

Gleiches gilt für die Fälle des OLG Stuttgart (aaO), in denen ausnahmsweise die Erstattungsfähigkeit der Kosten für prozessbegleitende Privatgutachten bejaht wurde. Hier geht es, wie ausgeführt, weder um komplexe Fragen aus dem Bereich Statik und Standsicherheit bei Vorliegen und Verwertung eines Privatgutachtens der Gegenseite (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2001, aaO) noch um die Problematik einer Unternehmensbewertung, die einer besonderen Sachkunde bedarf, bei zugleich durch einen Privatgutachter unterstützter Gegenseite (OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.07.2007, aaO).

Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 18. Juni 2001, aaO) hat die Erstattung prozessbegleitender Privatgutachterkosten in einem Bauprozess abgelehnt, ebenso das OLG Koblenz (Beschluss vom 21. August 2007, aaO), wenn keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die Partei nicht selbst qualifizierten Vortrag halten kann, so dass ein Gerichtsgutachten zu den streitigen Fragen einzuholen ist. Ähnlich hat das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 30. August 2006, aaO.) darauf abgestellt, dass eine Partei grundsätzlich die für den Vermögensverfall maßgeblichen Tatsachen selbst vortragen könne und die Beweiserhebung im Übrigen Sache des Gerichts sei. Das OLG Celle, 2. Zivilsenat (Beschluss vom 25. Juli 2008, aaO) hat betont, dass zu dem Erfordernis eines Privatgutachtens substantiiert vorzutragen und dabei jede Partei gehalten sei, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lasse. Es gelte das Gebot sparsamer Prozessführung.

Nach alledem sind hier keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, wonach die zusätzlich zum Gerichtsgutachten begehrte Einholung eines Privatgutachtens erforderlich wäre.

Der Senat ist nach seinen Erfahrungen im Bereich des Verkehrsunfallrechts im Übrigen davon überzeugt, dass eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die begehrte kostenauslösende Maßnahme vorliegend nicht als sachdienlich ansehen würde und erst Recht – ohne PKH – bei diesem Fall, in diesem Verfahrensstand sowie auch angesichts der Höhe des im Raum stehenden Schmerzensgeldes nicht mit 2.500,00 € für ein Privatgutachten in Vorleistung treten würde.“

Die Entscheidung ist zwar in einem Zivilrechtsstreit ergangen, die Ausführungen des OLG haben aber nicht nur für das Zivilverfahren, sondern auch für das Straf- bzw.- ggf. das Bußgeldverfahren Bedeutung. Denn auch spielen die angesprochenen Fragen in der Praxis eine Rolle, und zwar i.d.R., wenn es um die Erstattung eines vom Angeklagten eingeholten Privatgutachtens geht. Auch hier ist es i.d.R. schwer, eine Erstattung der Auslagen zu erreichen(vgl. zu allem Burhoff in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2021, Rn. 4900 ff.).

Klick auf Bestellbutton „Bußgeld jetzt abwehren“, oder: Anwaltsvertrag zustandegekommen?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, ist das AG Düsseldorf, Urt. v. 10.01.2023 – 37 C 124/22. Es geht in dem Urteil um die Frage, ob zwischen dem klagenden Rechtsanwalt und dem beklagten Mandanten ein Anwaltsvertrag zustande gekommen ist.

Der Kläger, der Rechtsanwalt geht davon aus. Der Beklagte habe am 11.08.2019 einen Rechtsanwaltsvertrag hinsichtlich der Überprüfung des Vorgehens gegen einen Bußgeldbescheid geschlossen, indem er in einer Email des Klägers auf die Schaltfläche „Bußgeld jetzt abwehren“ geklickt habe.

Das AG hat das anders gesehen und die Klage abgewiesen:

„Die Klage ist unbegründet.

1. Der Kläger hat im Rahmen des Klageantrags keinen Anspruch gegen den Beklagten gem. §§ 611 Abs. 1, 675 BGB auf Zahlung von 150,00 €.

a) Zwischen den Parteien ist gem. § 312j Abs. 4 BGB kein Anwaltsvertrag zustande gekommen, indem der Beklagte am 11.08.2019 um 01:17 Uhr die Schaltfläche „Bußgeld jetzt abwehren!“ aus der E-Mail des Klägers vom 10.08.2019 um 12:51 (Anlage K7) anklickte, da der Kläger mit der Beschriftung der Schaltfläche gegen seine Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB verstoßen hat.

Ein Anwaltsvertrag ist als Geschäftsbesorgungsvertrag zu typisieren (vgl. Beck’sches Rechtsanwals-Handbuch/Hamm § 53 Rn. 1; Grüneberg/Sprau BGB § 675 Rn. 23; Jauering/Mansel BGB § 675 Rn. 12), bei dem sich der Anwalt zur Erbringung von anwaltstypischen Leistungen verpflichtet. Der Anwaltsvertrag kommt nach den allgemeinen Vorschriften, Antrag und Annahme, §§ 145 ff. BGB, zustande. Im elektronischen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmer und Verbrauchern kommt ein Vertrag zudem nur zustande, sofern die Verbraucherschutzvorschriften der §§ 312i f. BGB eingehalten werden.

Gem. § 312j Abs. 3 BGB hat der Unternehmer bei einem Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr die Bestellsituation so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, ist die Pflicht des Unternehmers nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist.

Dieser Pflicht ist der Kläger nicht nachgekommen.

aa) § 312j BGB ist auf Anwaltsverträge anwendbar (BGH NJW 2021, 304). Der in Rede stehende Anwaltsvertrag ist ein Verbrauchervertrag.

Die Norm setzt einen Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr voraus (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 21; BeckOK BGB/Maume BGB § 312j Rn. 10). Verbraucherverträge sind Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, § 310 Abs. 3 BGB (BeckOK BGB/Martens BGB § 312 Rn. 8).

Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt, § 14 Abs. 1 BGB. Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, § 13 BGB.

Der Kläger handelte als Unternehmer, da er im Rahmen der Bestellsituation als Rechtsanwalt auftrat (Jauernig/Mansel BGB § 14 Rn. 2). Der Beklagte ist Verbraucher, da er bei der Einholung von Informationen über die Bußgeldhöhe nicht gewerblich tätig war und dies auch nicht zu seiner selbstständigen beruflichen Tätigkeit gehörte.

bb) Der in Rede stehende Vertragsabschluss fand im elektronischen Geschäftsverkehr statt.

Ein Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr liegt vor, wenn sich der Unternehmer zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen der Telemedien bedient, § 312i Abs. 1 BGB. Der Begriff Telemedien ist weit auszulegen und umfasst alle Informations- und Kommunikationsdienste, die nicht Telekommunikation im engeren Sinne oder Rundfunk sind, also jeden Online-Auftritt. Telemedien sind damit typischerweise Onlinedienste, wie Internetsuchmaschinen, Websites privater und gewerblicher Anbieter, Online-Shops oder Online-Auktionshäuser (vgl. BeckOK BGB/Maume BGB § 312i Rn. 13).

Das ist hier der Fall. Der Informations- und Kommunikationsaustausch zwischen den Parteien erfolgte über die gewerbliche Website „www….“ des Klägers.

cc) Bei dem Bestellbutton mit der Beschriftung „Bußgeld jetzt abwehren!“ handelt es sich um eine Schaltfläche im Sinne des § 312j Abs. 3 S. 2 BGB.

Der Begriff der Schaltfläche ist weit zu verstehen. Eine Schaltfläche ist jedes grafische Bedienelement, das dem Anwender erlaubt, eine Aktion in Gang zu setzen oder dem System eine Rückmeldung zu geben (MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn.25). Das ist hier der Fall. Der Button in der E-Mail des Klägers vom 10.08.2019 um 12:51 ist durch Absätze von dem vor- und nachstehenden Text abgesetzt. Grafisch ist der Text mit grüner Farbe in einem rechteckigen Kästchen hinterlegt (vgl. Anlage K7). Mit dem Betätigen der Schaltfläche konnte der Beklagte dem Softwaresystem des Klägers eine Rückmeldung geben (vgl. Anlage K8).

dd) Der Kläger hat die Schaltfläche „Bußgeld jetzt abwehren!“ in seiner E-Mail vom 10.08.2019 um 12:51 Uhr nicht mit Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“, oder mit einer entsprechenden gleichwertigen Formulierung beschriftet.

Die Formulierung stellt keine entsprechende eindeutige Formulierung im Sinne des § 312j Abs. 3 S. 2 BGB dar. Eine gleichwertige Formulierung liegt vor, wenn die vertragliche Bindung und die Zahlungspflicht vermittelt werden (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 27). Die Schaltfläche ist so zu beschriften, dass der Verbraucher im Zeitpunkt der Abgabe seiner vertragsrelevanten Erklärung eindeutig und unmissverständlich darüber informiert wird, dass seine Bestellung eine finanzielle Verpflichtung auslöst. Sie muss in ihrer Eindeutigkeit der Aussage der Formulierung „zahlungspflichtig bestellen“ mindestens ebenbürtig sein (vgl. Begr. RegE, BT-Drs. 17/7745, 11 f.; BeckOK BGB/Maume BGB § 312j Rn. 26). Die Beschriftung der Schaltfläche mit der Formulierung „Bußgeld jetzt abwehren!“ (vgl. Anlage K7) erfüllt diese Anforderungen nicht. Mit dieser Bezeichnung wird dem Verbraucher nicht mitgeteilt, dass durch das Betätigen der Schaltfläche direkt eine vertragliche Bindung zwischen ihm und dem Rechtsanwalt eingegangen wird. Zudem wird mit dieser Formulierung die Zahlungsverpflichtung des Verbrauchers nicht vermittelt, da hierauf nicht hingewiesen wird und insbesondere keine Angaben zu den Kosten mitgeteilt werden, denn das Abwehren des Bußgelds ist jedermann möglich und gerade keine Formulierung, die spezifisch auf eine anwaltliche Dienstleistung schließen lässt. Es kommt nicht darauf an, ob im Zusammenhang mit dem Text oberhalb des Buttons eindeutig erkennbar ist, dass ein zahlungspflichtiger Rechtsanwaltsvertrag geschlossen wird, denn für die Bestimmung des Sinngehalts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 Verbraucherrechte-RL ausschließlich auf den Inhalt der Schaltfläche abzustellen (EuGH NJW 2022, 1439 Rn. 28). Wegen der Beschränkung auf den Inhalt der Schaltfläche ist es auch unerheblich, dass der Beklagte zuvor Unterlagen der Rechtsschutzversicherung übersandt haben soll, zumal sich hieraus gerade kein Hinweis ergibt, dass der Beklagte teilweise auch selbst zahlungspflichtig ist.

Es handelt sich auch nicht um einen Vertragsschluss durch individuelle Kommunikation gemäß § 312j Abs. 5 S.1 BGB, da seitens des Klägers ein automatisiertes Verfahren mit Textbausteinen angewandt wird. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Beklagte zuvor Unterlagen seiner Rechtsschutzversicherung übersandte, denn es ist nicht ersichtlich, dass hierüber auf den Einzelfall bezogen kommuniziert worden ist.

b) Der Anwaltsvertrag ist auch nicht konkludent durch schlüssiges Verhalten des Beklagten zustande gekommen.

Hier kann offenbleiben, ob ein Verstoß gegen die Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB zur Unwirksamkeit des Vertrages oder nur zu dessen schwebender Unwirksamkeit führt (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 32 f.), da der Beklagte jedenfalls kein Verhalten zu erkennen gegeben hat, das auf die Genehmigung bzw. den Abschluss des Anwaltsvertrags schließen lässt. Insbesondere hat der Beklagte gegenüber dem Kläger kein ausdrückliches Erfüllungsverlangen geäußert, wodurch eine schwebende Unwirksamkeit des Vertrags ex tunc hätte beseitigt werden können (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 33).

Da der Beklagte nach dem Betätigen der Schaltfläche keine weiteren Äußerungen oder Handlungen gegenüber dem Kläger vornahm, ist auch kein neues (konkludentes) Angebot des Beklagten auf Neuabschluss des Vertrags zu erkennen, das aufgrund einer individuellen Kommunikation nicht unter § 312j Abs. 3, 4 BGB fallen würde (vgl. MüKoBGB/Wendehorst BGB § 312j Rn. 33).“