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StPO III: (Erneuter) Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Erneute Vernehmung eines Zeugen

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Und als dritte Entscheidung kommt hier das BGH, Urt. v. 28.02.2024 – 5 StR 413/23 – zur Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in den fällen einer erneute Vernehmung eines Zeugen. Dazu der BGH:

„Das Landgericht hat mit der nichtöffentlichen Vernehmung der Nebenklägerin am sechsten Hauptverhandlungstag die Öffentlichkeit gesetzeswidrig beschränkt (§ 338 Nr. 6 StPO).

1. Die strafrechtliche Hauptverhandlung ist grundsätzlich öffentlich (§ 169 GVG). Die Öffentlichkeit kann nur ausnahmsweise nach Maßgabe der §§ 171 ff. GVG ausgeschlossen werden. Stets ist hierfür nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG ein Beschluss des erkennenden Gerichts notwendig. Dies gilt auch, wenn ein Zeuge in der laufenden Hauptverhandlung – nach seiner Entlassung (§ 248 StPO) – erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden soll. Der erforderliche neue Beschluss kann nicht durch eine Anordnung des Vorsitzenden ersetzt werden, in der auf einen vorangegangenen, die Öffentlichkeit ausschließenden, Beschluss Bezug genommen wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2018 – 5 StR 159/18, NStZ 2018, 679; vom 9. April 2013 – 5 StR 612/12, NStZ 2013, 479, 480).

Da die Nebenklägerin nach ihrer ersten nichtöffentlichen Vernehmung am dritten Hauptverhandlungstag nach § 248 StPO entlassen worden war, hätte das Landgericht vor ihrer erneuten nichtöffentlichen Zeugenvernehmung am sechsten Hauptverhandlungstag einen weiteren Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 174 Abs. 1 Satz 2 StPO treffen müssen. Angesichts des zeitlichen Ablaufs war ein neuerlicher Gerichtsbeschluss auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn eine solche Ausnahme kann nur in ganz engen zeitlichen Grenzen in Betracht kommen, etwa wenn die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen und sich die erneute Vernehmung zusammen mit der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. August 2011 – 5 StR 263/11; vom 30. Oktober 2007 – 3 StR 410/07, NStZ 2008, 476, 477). So liegt der Fall hier indes nicht.

Danach liegt ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit vor, der den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO begründet.

2. Trotz des eindeutigen Wortlauts des § 338 Nr. 6 StPO hat der Bundesgerichtshof allerdings für zwei Fallkonstellationen entschieden, dass im Einzelfall ein Verstoß, der nur das Verfahren über den Ausschluss betrifft und (in der Sache) nicht zu deren unzulässiger Beschränkung führt, keinen absoluten Revisionsgrund darstellt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass auf der Grundlage eines sicher feststehenden Verfahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschließen ist und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit eindeutig zu erkennen war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18, BGHSt 64, 64, 67). Der hier zu beurteilende Fall liegt jedoch anders und rechtfertigt eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO nicht.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schadet es nicht, wenn das Gericht – unter den genannten Voraussetzungen – in dem die Öffentlichkeit ausschließenden Beschluss (§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG) entgegen § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG keinen Grund hierfür angibt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 1 StR 325/98, BGHSt 45, 117, 119 f.). Die eine restriktive Anwendung des § 338 Nr. 6 StPO rechtfertigende Fallkonstellation ist hier maßgeblich davon gekennzeichnet, dass ein nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG erforderlicher Beschluss des erkennenden Gerichts vorliegt, dem es lediglich an der Begründung mangelt. In dem hier zu entscheidenden Fall fehlt es aber schon an einem Gerichtsbeschluss über das Ob des Öffentlichkeitsausschlusses und damit an der Verantwortungsübernahme des erkennenden Gerichts in seiner Gesamtheit für die nichtöffentliche Vernehmung der Nebenklägerin.

b) Für den Fall des Fehlens des von § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG vorgeschrieben Gerichtsbeschlusses hat der Bundesgerichtshof eine restriktive Auslegung des § 338 Nr. 6 StPO bislang nur für den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussanträge (§ 171b Abs. 2 Satz 3 GVG) angenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18, BGHSt 64, 64, 67 ff.). Dies beruht auf folgenden Erwägungen: War die Öffentlichkeit von der Verhandlung wegen einer in § 171b Abs. 2 GVG genannten Straftat ganz oder teilweise ausgeschlossen, ist sie nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG für die Schlussanträge zwingend auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf. Die Regelung lässt dem Gericht mithin weder zum Ob eines Ausschlusses noch zu dessen Umfang einen Ermessensspielraum. Vielmehr muss die Öffentlichkeit ohne weiteres für die gesamten Schlussvorträge ausgeschlossen werden, wenn die Hauptverhandlung auch nur teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Diese Folge steht ab dem Öffentlichkeitsausschluss für alle Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit fest (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18, BGHSt 64, 64, 68).

Ein derartiger tatbestandlicher Rückbezug auf eine feststehende innerprozessuale Tatsache lässt sich der Regelung des § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG indes nicht entnehmen. Anders als § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG setzt sie schon einen hierauf gerichteten Antrag voraus, was – wie der hier zu entscheidende Fall zeigt – eine Auslegung von Prozesserklärungen der Personen erfordern kann, deren Lebensbereich von der Verhandlung betroffen ist (vgl. zur Auslegungsfähigkeit von Prozesserklärungen BGH, Beschlüsse vom 26. September 2019 – 5 StR 206/19, StraFo 2020, 72, 74; vom 10. Juli 1984 – 1 StR 13/84, BGHSt 32, 394, 400). Zudem müssen die Voraussetzungen von § 171b Abs. 1 oder 2 GVG vorliegen. Jedenfalls für die hier vorliegende Fallkonstellation des § 171b Abs. 1 GVG steht dem Gericht ein Ermessenspielraum zu. Denn es muss selbst beim Vorliegen eines Antrags auf Ausschließung der Öffentlichkeit der in ihrem Lebensbereich betroffenen Person deren schutzwürdige Belange mit dem Interesse der Allgemeinheit an der öffentlichen Erörterung der inmitten stehenden Umstände abwägen (§ 171b Abs. 1 Satz 1 und 2 GVG). Das erkennende Gericht muss deshalb in seiner Gesamtheit die Verantwortung für den Öffentlichkeitsausschluss durch die Fassung eines Beschlusses nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG übernehmen. Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Öffentlichkeitsmaxime im demokratischen Rechtsstaat (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2001 – 1 BvR 2623/95, NJW 2001, 1633, 1635) ist daher nicht zu rechtfertigen, die Vorschrift des § 338 Nr. 6 StPO auch für die Fälle des zwingenden Ausschlusses nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG restriktiv anzuwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2021 – 2 StR 188/20, NStZ 2021, 760). Selbst wenn es angesichts der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Verfahrensgeschehens nicht nahegelegen haben mag, dass die Strafkammer in ihrer Gesamtheit eine andere Entscheidung als ihr Vorsitzender getroffen hätte, handelt es sich bei dem gesetzlich vorgesehenen Beschlusserfordernis nicht um eine „bloße Förmlichkeit“ (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 2 StR 543/17 Rn. 10, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 7).

Ist ein Zeuge nach seiner ersten nichtöffentlichen Vernehmung nach § 248 StPO entlassen worden war, muss das Tatgericht vor seiner erneuten nichtöffentlichen Zeugenvernehmung einen weiteren Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Eine Ausnahme kann nur in ganz engen zeitlichen Grenzen in Betracht kommen, etwa wenn die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen und sich die erneute Vernehmung zusammen mit der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt.

Revision II: Öffentlichkeits- und Verlesungsrüge, oder: Ist die Verfahrensrüge ausreichend begründet?

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Und dann geht es weiter mit Entscheidungen zur Verfahrensrüge, und zwar mit zwei BGH-Beschlüssen, und zwar:

mit dem BGH, Beschl. v. 01.08.2023 – 4 StR 88/23 – „Öffenlichkeitsrüge“:

„b) Die Revision, die sich nicht dagegen wendet, dass dem Ausschluss der Öffentlichkeit entgegen § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG kein Gerichtsbeschluss zugrunde lag, rügt als Verstoß gegen § 169 Abs. 1, § 171b GVG in Verbindung mit § 338 Nr. 6 StPO, dass vor den ergänzenden Angaben des Angeklagten zur Sache die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht wiederhergestellt worden war. Sie macht geltend, der Angeklagte habe nicht nur eine Erklärung im Sinne des § 257 Abs. 1 StPO zur vorangegangenen Beweiserhebung, sondern eine Einlassung zur Sache abgegeben. Daher habe die Öffentlichkeit vor seiner Äußerung wiederhergestellt werden müssen.

2. Die Rüge ist bereits unzulässig, denn der Vortrag des Beschwerdeführers zu ihrer Begründung genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Er enthält nicht sämtliche Tatsachen, deren es zur Prüfung des behaupteten Verfahrensverstoßes bedürfte.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfasst ein Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensvorgang beschränkt, auch weitere Verfahrensvorgänge, die mit diesem in enger Verbindung stehen oder sich aus ihm entwickeln und die daher zu demselben Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Urteil vom 22. März 2023 – 1 StR 243/22 Rn. 9; Beschluss vom 17. November 2020 – 4 StR 223/20 Rn. 4; jew. mwN). Infolgedessen muss zur Begründung der Rüge eines zu weit erstreckten Ausschlusses der Öffentlichkeit nicht nur vorgetragen werden, welche Verfahrensvorgänge während seiner Dauer, also in nichtöffentlicher Hauptverhandlung, ausgeführt wurden, sondern diese müssen dabei auch so genau bezeichnet werden, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung ihres etwaigen Zusammenhangs mit dem den Öffentlichkeitsausschluss gebietenden Verfahrensvorgang möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2014 – 1 StR 78/14 Rn. 12 [insoweit in NStZ 2015, 226 nicht abgedruckt]).

b) Hieran fehlt es vorliegend.“

und der BGH, Beschl. v. 19.1.2023 – 4 StR 325/23 – zur „Verlesungsrüge“

„Nachdem sich die Angeklagte, ihr Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft damit einverstanden erklärt hatten, erließ die Strafkammer in der Hauptverhandlung einen Beschluss, wonach insgesamt 24 im Einzelnen bezeichnete ärztliche Berichte gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO verlesen werden sollten. Eine nähere Begründung enthielt der Beschluss nicht. Die Schriftstücke wurden schließlich im Wege des Selbstleseverfahrens (§ 249 Abs. 2 StPO) in die Hauptverhandlung eingeführt.
b) Die Rüge wurde schon nicht zulässig erhoben. Wie sich bereits aus dem Vorbringen in der Revisionsbegründung und ergänzend auch aus den Urteilsgründen ergibt, wurden mehrere derjenigen Ärztinnen und Ärzten, die aus den Schriftstücken als deren Verfasser hervorgehen, in der Hauptverhandlung als Zeugen gehört. In Bezug auf die hiervon betroffenen ärztlichen Berichte handelte es sich daher nicht um eine die Vernehmung der Auskunftsperson ersetzende, sondern vielmehr um eine vernehmungsergänzende Verlesung (hierzu etwa BGH, Beschluss vom 8. Februar 2018 – 3 StR 400/17 Rn. 18 mwN), die auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 StPO statthaft ist (Kreicker in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 251 Rn. 6). Angesichts dessen hätte es zur Wahrung der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Voraussetzungen der Darlegung bedurft, in Bezug auf welche konkreten ärztlichen Berichte es sich überhaupt um eine vernehmungsersetzende Verlesung im Sinne von § 250 Satz 2, § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO handelte (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20 Rn. 32 mwN).“

StPO I: Nichtöffentliche Belehrung von Zeugen, oder: „Beruhen“ denkgesetzlich ausgeschlossen

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Es ist (immer) noch warm, aber lamentiert wird nicht. Es ist ja schließlich Sommer 🙂 . Und auch im Sommer wird gearbeitet. Hier heute mit drei StPO-Entscheidungen.

Zunächst gibt es – zum Warmwerden 🙂 – das BGH, Urt. v. 22.03.2023 – 1 StR 243/22 -, das sich mal wieder mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit befasst.

Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Dagegen die Revision, mit der die Rüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erhoben worden ist. Beanstandet worden ist die Belehrung mehrerer Zeugen während des Ausschlusses der Öffentlichkeit. Im Ergebnis ohne Erfolg:.

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Der Nebenklagevertreter beantragte in der Hauptverhandlung vom 28. März 2022, für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Öffentlichkeit auszuschließen. Diesem Antrag gab das Landgericht mit Beschluss vom selben Tag statt. Zur Begründung stützte es sich auf § 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GVG und führte aus, die Nebenklägerin sei Geschädigte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sodass schutzwürdige Umstände aus ihrem privaten Lebensbereich zur Sprache kämen; angesichts ihres Antrages sei der Ausschluss zwingend.

Nachdem die Nebenklägerin anschließend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatte und als Zeugin entlassen worden war, wurden vier weitere Zeugen in den Sitzungssaal gebeten und gemäß § 57 StPO belehrt. Anschließend verließen die Zeugen mit Ausnahme des Zeugen W.    den Sitzungssaal; dann wurde die Sitzung in öffentlicher Hauptverhandlung fortgesetzt.

2. a) Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.

Der Beschwerdeführer war nicht gehalten, sich im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es den Zeugen trotz Ausschlusses der Öffentlichkeit gelingen konnte, den Sitzungssaal zu betreten. Da die Öffentlichkeit erst mit entsprechender Anordnung des Vorsitzenden wiederhergestellt wird, was nach dem Protokoll (§ 272 Nr. 5, § 274 StPO) erst nach der Zeugenbelehrung geschah (Bd. III, Bl. 313), kommt dem Umstand, ob die Tür(en) zum Sitzungssaal nicht versperrt waren, keine Bedeutung zu.

b) Die auf § 338 Nr. 6 StPO gestützte Rüge ist unbegründet. Der von der Revision geltend gemachte Verstoß liegt zwar vor; ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil ist aber „denkgesetzlich“ ausgeschlossen.

aa) Der Ausschluss der Öffentlichkeit während der Belehrung der vier Zeugen verstößt gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 57 Satz 1, 2 StPO; denn er war nicht durch den Beschluss des Landgerichts nach § 171b GVG gedeckt. Zwar umfasst der Ausschluss der Öffentlichkeit, der sich auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt wie die Dauer der Vernehmung einer Beweisperson beschränkt, nach ständiger Rechtsprechung alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2017 – 2 StR 428/16 Rn. 6 und vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 6 Rn. 6; jeweils mwN). Die Belehrung der Zeugen stand jedoch ersichtlich in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vernehmung der Nebenklägerin.

bb) Dieser Verfahrensverstoß führt jedoch ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des Urteils.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95 Rn. 8 f., BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 3; vom 21. März 2012 – 1 StR 34/12, BGHR StPO § 54 Abs. 1 Aussagegenehmigung 1; vom 19. Juli 2007 – 3 StR 163/07 Rn. 5, BGHR StPO § 338 Beruhen 2 und vom 2. Februar 1999 – 1 StR 636/98; Urteil vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 404/07 Rn. 12, BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5).

So liegt der Fall hier: Das Gericht hat seiner Entscheidung allein die Angaben der Zeugen zugrunde gelegt, die sie in öffentlicher Hauptverhandlung getätigt haben. Dass das Urteil auf der unter Verstoß gegen die Vorschriften der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung erfolgten Zeugenbelehrung beruht, ist unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausgeschlossen, da die Zeugen tatsächlich belehrt wurden, sodass der Aussageinhalt davon nicht beeinflusst worden sein kann. Zudem handelt es sich bei § 57 StPO lediglich um eine Ordnungsvorschrift, die dem Schutz des Zeugen dient und den Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt, sodass auf das Unterbleiben der Belehrung eine Revision nicht gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2021 – 5 StR 329/21 Rn. 15 und vom 19. Dezember 2001 – 3 StR 427/01 Rn. 4; Urteile vom 27. November 1968 – 3 StR 282/68 Rn. 4 und vom 7. Juli 1997 – 5 StR 17/97 Rn. 18; je mwN). Um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss dies erst recht gelten, wenn Zeugen lediglich unter Verstoß gegen § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG belehrt worden sind.2

Na ja.

StPO I: Ist der Grundsatz der Öffentlichkeit verletzt? oder: Zentraler Aushang im Eingangsbereich reicht

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Am letzten Arbeitstag dieser (Kar)Woche bringe ich heute StPO-Entscheidungen, und zwar jeweils von OLGs.

Den Opener macht das KG, Urt. v. 21.12.2022 – (3) 121 Ss 165/22 (67/22) – zum Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 GVG). Der Angeklagte hatte gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt und die Verfahrensrüge erhoben.  Mit der hatte er geltend gemacht, das LG habe nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen, weil die Berufungshauptverhandlung am Sitzungstag in einen anderen Saal verlegt worden und am ursprünglichen Sitzungssaal kein entsprechender Hinweis angebracht gewesen sei.

Dazu das KG:

„1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe wegen eines vor dem ursprünglichen Sitzungssaal nicht angebrachten Hinweises auf den geänderten Sitzungsort den Grundsatz der Öffentlichkeit nach Maßgabe von § 338 Nr. 6 StPO verletzt, ist jedenfalls unbegründet.

a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 Abs. 1 Satz 1 GVG) erfordert es, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten davon Kenntnis zu verschaffen, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (vgl. BGH NStZ 1982, 476; OLG Schleswig, Beschluss vom 31. März 2022 – II OLG 15/22 -, juris). Der Hinweis auf eine bestimmte Verhandlung hat grundsätzlich in Form eines Aushangs zu erfolgen, damit jeder interessierte Zuschauer die Möglichkeit erhält, die gewünschte Verhandlung zu verfolgen (vgl. OLG Koblenz NZV 2011, 266; OLG Zweibrücken NJW 1995, 333; Kissel/Mayer, GVG 10. Aufl., § 169 GVG Rdn. 47).

Entgegen der missverständlichen – vom Wortlaut der Entscheidungsgründe abweichenden – Formulierung des Leitsatzes zum Beschluss des OLG Schleswig vom 31. März 2022 (a.a.O.) bedarf es nicht stets eines zusätzlichen Aushangs vor dem Sitzungssaal (so aber – ohne Begründung – Kissel/Mayer a.a.O.), wenn Zuschauer auf andere Weise zumutbar in Erfahrung bringen können, wann und wo eine bestimmte Hauptverhandlung stattfindet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 169 Rdn. 4a), namentlich dann, wenn dies aus einem im Eingangsbereich des Gerichts angebrachten Aushang unzweifelhaft hervorgeht. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass gerade in großen und unübersichtlichen Gerichtsgebäuden (wofür das Kriminalgericht Moabit exemplarisch ist) die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich ohne besondere Schwierigkeiten über Ort und Zeit einer Hauptverhandlung zu informieren, in zumutbarer Weise nicht durch Aushänge an den Sälen eröffnet wird, sondern vielmehr durch einen zentralen Aushang im Eingangsbereich des Gerichts. Andernfalls wären Besucher gezwungen, das Gerichtsgebäude nach einer bestimmten Sitzung “abzusuchen”. Zugleich wären sie damit dem Risiko ausgesetzt, zu spät zur Sitzung zu erscheinen.

b) Den dargelegten Anforderungen zur Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist die von der Strafkammer durchgeführte Berufungshauptverhandlung gerecht geworden. Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Kammervorsitzenden vom 31. Oktober 2022 befanden sich an den Gerichtstafeln der beiden dem Publikumsverkehr zugänglichen Eingänge (Wilsnacker Straße und Turmstraße) Aushänge, die am Sitzungstag auf den (korrekten) Saal und den Sitzungsbeginn der anberaumten Berufungshauptverhandlung hinwiesen. Dass vor dem Saal, in dem die Sitzung ursprünglich stattfinden sollte, kein Hinweis auf die in einen anderen Saal verlegte Hauptverhandlung angebracht war, hatte keinen Einfluss auf die bestehenden Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit über Ort und Zeit der Sitzung, mag der fehlende Verlegungshinweis auch wegen der davon abweichenden Ladung von Verfahrensbeteiligten zu einer vermeidbaren Verzögerung der Berufungshauptverhandlung geführt haben.“

Corona I: Begrenzung der Zuhörerzahl wegen Covid-19, oder: Ausschluss der Öffentlichkeit?

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Ich hatte neulich ja schon über den BGH, Beschl. v. 11.05.2022 – 5 StR 306/21 berichtet (vgl. StPO I: Strengbeweisverfahren/Gerichtskundigkeit, oder: Kein Hinweis auf “Gerichtskundigkeit”). 

Auf den komme ich jetzt wegen einer vom BGH im Zusammenhang mit Covid 19 angesprochenen Frage betreffend den Ausschluss der Öffentlichkeit zurück. Es war (auch) eine unzulässige Begrenzung der Zuhörerzahl geltend gemacht worden. Dazu der BGH:

„1. Die Rüge einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (§ 338 Nr. 6 StPO) durch eine Begrenzung der Zuhörerzahl ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Revisionen hat die Strafkammervorsitzende die Entscheidung, die Zuhörerzahl aufgrund der COVID-19-Pandemie zu beschränken, in ihrer sitzungspolizeilichen Anordnung nach eigenem Ermessen getroffen und sich nicht an die – eine Höchstzahl an Zuhörern vorgebende – Hausordnung des Gerichtspräsidenten gebunden gesehen. Daraus, dass die Vorsitzende die zulässige Zuhörerzahl im Wege der Verweisung auf die jeweils geltende Hausordnung bestimmt hat, ergibt sich nichts anderes. Die Strafkammervorsitzende hat die „hier getroffenen Maßnahmen“ lediglich „vor dem Hintergrund“ der Hausordnung des Gerichtspräsidenten ergriffen, sie eigenständig begründet und nur ergänzend auf die Begründung des Landgerichtspräsidenten Bezug genommen. Inhaltlich war die Beschränkung der Zuhörerzahl aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen nicht zu beanstanden.

Da die Vorsitzende eine eigene Entscheidung getroffen hat, kommt es nicht darauf an, dass der grundsätzliche Vorrang der sitzungspolizeilichen Befugnisse gegenüber dem Hausrecht des Gerichtspräsidenten (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 1972 – 4 StR 71/72, BGHSt 24, 329; Beschluss vom 19. Januar 1982 – 5 StR 166/81; auf diese Entscheidungen Bezug nehmend BVerfG, Beschluss vom 14. März 2012, 2 BvR 2405/11, NJW 2012, 1863) bindende Regelungen der Justizverwaltung zur Kapazität eines Sitzungssaals nicht in jeglicher Hinsicht ausschließt. Derartige Anordnungen können die Sitzungsgewalt des Vorsitzenden im Einzelfall durchaus einschränken, um etwa bau- oder gesundheitspolizeilichen Anforderungen, Erfordernissen des Brandschutzes oder Verkehrssicherungspflichten Rechnung zu tragen (vgl. bereits BGH, Urteil vom 10. Juni 1966 – 4 StR 72/66, BGHSt 21, 72 zur Einhaltung gesundheits- oder gewerbepolizeilicher Sicherungsvorschriften bei einer Augenscheinseinnahme). Die in der Sitzungspolizei zum Ausdruck gelangende unabhängige richterliche Gewalt wird hierdurch regelmäßig nicht in Frage gestellt, insbesondere wenn Gefahren für gewichtige Rechtsgüter abzuwehren sind, die auf vom Prozessgegenstand unabhängigen Gründen beruhen, und zugleich die getroffenen Maßgaben das richterliche Handeln in der Verhandlung nicht spezifisch tangieren.“