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StPO I: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Umfang des „Ausschließungsbeschlusses“

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Heute an diesem so wichtigen (Wahl)Tag stelle ich drei Entscheidungen zu Verfahrensfragen vor.

Und ich starte – zum warm Werden – mit dem BGH, Beschl. v. 31.03.2020 – 5 StR 12/20. Gerügt worden war eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Ohne Erfolg:

„Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

Die Rügen der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nach § 338 Nr. 6 StPO sind jedenfalls unbegründet. Denn der ausreichend begründete Ausschluss der Öffentlichkeit für die Vernehmung der Nebenklägerin nach § 171b Abs. 1 und 3 GVG umfasste auch die damit in engem Zusammenhang stehenden Verlesungen des von ihr gefertigten Erinnerungsprotokolls nach § 249 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1984 – 2 StR 438/84, StV 1985, 402 mit Anmerkung Fezer; LR-StPO/Krauß, 26. Aufl., § 171b GVG Rn. 11) und eines Teils ihrer polizeilichen Vernehmung nach § 253 Abs. 1 StPO (vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 5 StR 437/01, NStZ 2002, 384). Deshalb bedurfte es auch nicht einer in öffentlicher Hauptverhandlung stattfindenden Erörterung des Ausschlusses der Öffentlichkeit für die Dauer der Verlesung des Gedächtnisprotokolls und der öffentlichen Verkündung des darauf gerichteten Beschlusses.“

OWi I: Augenscheinseinnahme des Messgeräts auf dem Parkplatz, oder: Aushang an die Saaltür

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Heute dann mal wieder ein Tag mit drei OWi-Entscheidungen.

Und ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 06.07.2020 – 202 ObOWi 682/20, einem kleinen Schmankerl. Nämlich: Absoluter Rechtsbeschwerdegrund des § 338 Nr. 3 StPO. Hat man im OWi-Verfahren ja nicht so häufig. Das BayObLG hat aufgehoben, und zwar:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde zwingt den Senat auf-grund der zulässig ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 338 Nr. 6 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mitsamt seinen Feststellungen; auf die daneben (unausgeführt) erhobene Sachrüge kommt es deshalb nicht mehr unmittelbar an.

1. Die Rüge ist zulässig. Der Rügevortrag der Rechtsbeschwerde entspricht im Ergebnis, wie auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer vorgenannten Antragsschrift zutreffend feststellt, noch den gesetzlichen Begründungsanforderungen der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO. Insbesondere ergibt sich aus der Rechtfertigungsschrift vom 10.02.2020 neben der gerichtlich zu vertretenden faktischen Nichtwahrung der Öffentlichkeit noch hinreichend, dass es sich bei der Inaugenscheinnahme des in einem Dienstfahrzeug verbauten Geschwindigkeitsmessgeräts auf einem Parkplatz vor dem Gerichtsgebäude nicht nur um eine kommissarische Augenscheinseinnahme i.S.d. §§ 225,,224 StPO, sondern um die Durchführung eines Augenscheins innerhalb und damit als Bestandteil der Hauptverhandlung anlässlich des (Fortsetzungs-) Termins vom 10.12.2019 handelte. Jedenfalls aufgrund der ebenfalls erhobenen Sachrüge und dem hierdurch dem Senat zur Beurteilung der Rüge zusätzlich eröffneten Inhalt der Urteilsgründe ist auch der Gegenstand der gerichtlich angeordneten Inaugenscheinnahme, nämlich gerichtliche Feststellungen zu Art, Aussehen, Zustand und Anzahl der auf dem Messgerät angebrachten Eichmarken zu treffen (vgl. Urteilsausfertigung S. 3 unten), hinreichend konkret bezeichnet. Weiterer Darlegungen etwa des Inhalts, dass sich potentiell interessierte Besucher wegen des Fehlens eines entsprechenden Aushangs oder Hinweises vor dem Sitzungssaal tat-sächlich in Anbetracht der örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten von einer Teilnahme an dem nur wenige Minuten dauernden Augenschein außerhalb der Gerichtsgebäudes hätten abhalten lassen (vgl. hierzu auch die in der Akte niedergelegte dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden vom 15.03.2020, BI. 99 d.A.), bedarf es für die Zulässigkeit der Rüge nicht.

2. Die Rüge ist auch begründet. Der (absolute) Rechtsbeschwerdegrund des § 338 Nr. 6 StPO zwingt den Senat ohne weiteres zur Aufhebung des Urteils einschließlich sämtlicher Feststellungen, wobei jedenfalls bei der hier zu beurteilenden Verfahrenskonstellation nichts anderes allein daraus folgt, dass der gerügte Verfahrensfehler nicht in einem Straf- sondern „lediglich“ in einem (verkehrs-) gerichtlichen Bußgeldverfahren unterlaufen ist. Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung gilt gemäß den §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG im gerichtlichen Bußgeldverfahren ‚ebenso wie andere Maximen des Strafverfahrens grundsätzlich ungeschmälert, zumal eine Abstufung etwa nach dem Maßstab eines „geschützten berechtigten Interesses der Bevölkerung an Informationen über den Gang des Verfahrens“ zu unbestimmt, jedenfalls im Einzelfall nicht praktikabel erscheint (OLG Celle, Beschl. v. 25.04.2005 — 222 Ss 69/05 [OW1] = NdsRpfl 2005, 255 = NZV 2006, 443 und 01.06.2012 — 322 SsBs 131/12 = StraFo 2012, 270 = NZV 2012, 449; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.05.2007 — Ss [B] 22/07 = VRS 113 [2007], 109 = NStZ-RR 2008, 50; OLG Hamm, Beschl. v. 07.07.2009 — 2 Ss OWi 828/08 = VerkMitt 2010, Nr 17 und schon 10.07.2000 — 2 Ss OWi 216/00 = VRS 99 [2000], 282 = StraFo 2000, 385 = StV 2000, 659 = DAR 2000, 581 = NZV 2001, 390, jeweils m.w.N.; a.A. für eine vergleichbare Sachverhalts-konstellation im Ergebnis noch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.02.1982 — 5 Ss OWi 534/81 = VRS 63 [1982], 454 = NJW 1983, 2514).“

Und wegen der Feststellungen im Urteil gibt das BayObLG dem AG auch noch etwas mit auf den Weg.“

 

BGH I: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Wenn ein Gerichtsbeschluss fehlt…

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Heute dann noch einmal drei BGH-Entscheidungen. Und zu denen nur ganz kurz die (amtlichen) Leitsätze. Denn hier ist es zeitlich noch knapp. Ist dann doch noch mehr zu erledigen, als man meint. Umziehen ist schwer :-).

Zunächst daher der Hinweis auf den zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten BGH, Beschl. v. 09.05.2019 –4 StR 605/18, der sich mit Fragen des Ausschlusses der Öffentlichkeit befasst. Die sind für die Revision ja immer von Bedeutung, weil ggf. ein sog. absoluter Revisionsgrund vorliegt (§ 338 Nr. 6 StPO).

Der BGH meint in dem Beschluss:

Liegen die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz2 GVG vor, stellt das Fehlen eines den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge anordnenden Gerichtsbeschlusses keinen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO dar.

Die sog. zweite Vernehmung des Zeugen, oder: Ausschluss der Öffentlichkeit

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Und als drittes Posting heute dann noch der BGH, Beschl. v. 09.05.2018 – 2 StR 543/17 – zur Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit (§ 169 GVG). Es geht um die sog. „zweite Vernehmung“ der Nebenklägering in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung. Die Vertreterin der Nebenklägerin hatte am 1. Verhandlungstag beantragt, für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägering die Öffentlichkeit auszuschließen. Aufgrund eines daraufhin gefassten Beschlusses der Strafkammer wurde die Nebenklägerin sodann unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen und noch am selben Tag entlassen. Am darauffolgenden Verhandlungstag setzte das LG die Beweisaufnahme durch weitere Beweiserhebungen fort, bevor die Nebenklägerin „nochmals in den Zeugenstand gebeten wurde“. Sie wurde wiederum unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, ein erneuter Beschluss zum Ausschluss der Öffentlichkeit erging jedoch nicht. Am 4. und letzten Verhandlungstag stellte das LG auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe zum Nachteil der Nebenklägerin vorläufig ein. Die Rüge des Angeklagten, die zweite Zeugenvernehmung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung sei entgegen §§ 169, 174 Abs. 1 GVG unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt worden, ohne dass zuvor ein Gerichtsbeschluss gefasst und verkündet worden sei, hatte Erfolg.

„Die zweite Zeugenvernehmung der Nebenklägerin ist entgegen §§ 169, 174 Abs. 1 GVG unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt worden, ohne dass hierüber – wie sich dem Protokoll entnehmen lässt (§ 274 StPO) – ein Gerichtsbeschluss gefasst und verkündet worden ist. Der vor Beginn der Erstvernehmung am 9. August 2017 gefasste Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit entfaltete für den Öffentlichkeitsausschluss bei der weiteren Vernehmung am nächsten Verhandlungstag keine Wirkung mehr, da er nur bis zur Beendigung der Vernehmung galt. Ist wie hier eine Vernehmung abgeschlossen und die Zeugin entlassen worden, so ist dann, wenn sie nach zwischenzeitlich durchgeführter weiterer Beweisaufnahme nochmals vernommen werden soll, für den Ausschluss der Öffentlichkeit grundsätzlich ein neuer Beschluss erforderlich (vgl. BGH StV 2008, 126, 127; NStZ 1992, 447).

Der Verstoß gegen die Regeln über die Öffentlichkeit führt grundsätzlich zur Aufhebung des Urteils. Ein Ausnahmefall, in dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Einfluss eines Verfahrensfehlers auf das Urteil denkgesetzlich ausgeschlossen werden kann (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2014, 391 mwN), liegt nicht vor. Selbst wenn Gegenstand der zweiten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin lediglich die später eingestellten Tatvorwürfe gewesen sein sollten, ergibt sich – wie oben bereits ausgeführt – gleichwohl aus den Urteilsgründen, dass der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch aus Angaben der Nebenklägerin zu nicht zur Verurteilung gelangten Tatvorwürfen gebildet hat. Insoweit sah sich der Senat auch nicht veranlasst, dienstliche Erklärungen zum Gegenstand der zweiten Vernehmung der Nebenklägerin einzuholen.

Schließlich ist ein Beruhen des Urteils auf dem fehlenden Gerichtsbeschluss über den Öffentlichkeitsausschluss auch nicht deshalb denkgesetzlich ausgeschlossen, weil sich aus den Urteilsgründen und dem Protokoll das Vorliegen der Voraussetzungen eines zwingend vorgeschriebenen Ausschlusses der Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 GVG ergibt und damit das Fehlen eines gerichtlichen Beschlusses eine bloße Förmlichkeit wäre, die den Bestand des Urteils nicht gefährden könnte. Dies setzte nämlich voraus, dass sich der in der Hauptverhandlung am 9. August 2017 erst- und einmalig angebrachte Antrag der Nebenklägerin auf Ausschließung der Öffentlichkeit nicht nur auf die unmittelbar bevorstehende, sondern auch – ohne Kenntnis des dann bestehenden Vernehmungsgegenstandes – auf etwaige weitere Zeugenvernehmungen der Nebenklägerin bezogen hätte. Davon aber ist vorliegend bei einer zweiten, hier an eine weitere Beweiserhebung anknüpfenden Zeugenvernehmung nicht ohne Weiteres auszugehen. Es versteht sich auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Anlass für die erneute Zeugenvernehmung nicht mit den herkömmlichen Mitteln des Revisionsrechts rekonstruierbar ist, jedenfalls nicht von selbst, dass auch in einer weiteren, auf bestimmte Themenkomplexe ausgerichteten Vernehmung wieder Umstände zur Sprache kommen, deren Erörterung schutzwürdige Interessen der Zeugin verletzen könnten. Insoweit ist – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – nicht davon auszugehen, dass ein einmalig angebrachter Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit weitere mögliche Zeugenvernehmungen erfasst.“

Interessant/lesenswert ist der Beschluss auch wegen der Ausführungen des BGH zur Zulässigkeit der Verfahrensrüge. Die hatte der Verteidiger hier zulässig/ausreichend begründet…..

Klassischer (Anfänger)Fehler XXXIV: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Wenn schon, dann ganz

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Nicht viel Worte macht der BGH im BGH, Beschl. v. 26.10.2016 – 5 StR 396/16 – um die Aufhebung eines Urteils des LG Hamburg. Das hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte der aus Afghanistan stammende Angeklagte seine Ehefrau, die Nebenklägerin, mit drei Litern erhitztem Speiseöl, während sich diese unter der Dusche befand und sich keines Angriffs versah, übergossen. Der Angeklagate hatte mit seiner Revision eine Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG gerügt. Das hatte Erfolg und hat zur zur Aufhebung des Strafausspruchs geführt:

„a) In der Hauptverhandlung wurde die Öffentlichkeit während der Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin auf Antrag des Verteidigers gemäß § 171b Abs. 1 GVG durch Gerichtsbeschluss ausgeschlossen, „da Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Angeklagten und der Zeugin – vor allem aus dem Sexualleben der Eheleute – zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde.“ Bei den Schlussanträgen war die Öffentlichkeit hergestellt. Es befanden sich auch Zuhörer im Sitzungssaal.

Es liegt ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor. Nach dieser Vorschrift wäre die Öffentlichkeit während der Schlussanträge zwingend auszuschließen gewesen, nachdem Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der vom Angeklagten erhobenen Rüge nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180 mit Anmerkung Arnoldi).

b) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann allerdings der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann angesichts der zum objektiven Tatgeschehen geständigen Einlassung des Angeklagten ausschließen, dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nicht-öffentlichen Schlussvorträgen noch Erhebliches hätten vorbringen können, das die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke infrage gestellt hätte.

c) Dagegen kann der Strafausspruch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass jedenfalls der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die der Annahme niedriger Beweggründe entgegengestanden oder die Strafzumessung in anderer Weise zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Der Senat hebt deshalb die Feststellungen betreffend den Strafausspruch und zu dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf.“

M.E. ein Anfängerfehler. Also: Zweiter Durchgang – zumindest teilweise….