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StPO I: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Das muss das Gericht beschließen, nicht der Vorsitzende allein

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Heute stelle ich drei BGH-Entscheidungen zur StPO vor.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 21.01.2021 – 2 StR 188/20. Es geht um eine Problemtaik in Zusammenhang mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Widerstandsunfähigen Der Angeklagte hatte mit seiner Revision u.a. gerügt, § 338 Nr. 6 StPO sei verletzt, weil die Öffentlichkeit während der Vernehmung einer Zeugin lediglich auf Anordnung des Vorsitzenden ausgeschlossen worden sei. Die Rüge hatte Erfolg:

„1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am Hauptverhandlungstermin vom 4. September 2019 beantragte die Zeugin P. , während ihrer Vernehmung die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger traten dem nicht entgegen. Daraufhin erging eine Anordnung des Vorsitzenden, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen werde. Sodann wurde sie ausgeführt und die Zeugin in nicht öffentlicher Sitzung zur Sache vernommen. Sie blieb unvereidigt und wurde sodann entlassen. Anschließend wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt.

2. Die Rüge ist zulässig und begründet.

a) Der Zulässigkeit der Rüge steht nicht entgegen, dass der Angeklagte oder sein Verteidiger die Anordnung des Vorsitzenden nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet haben. Bedarf eine Maßnahme in der Hauptverhandlung von vornherein eines Gerichtsbeschlusses (s. unten I. 2. b), so ist der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StPO nicht eröffnet. Anlass für ein Verfahren nach § 238 Abs. 2 StPO besteht deshalb nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 315/11, NStZ 2012, 585).

b) Die Rüge ist auch begründet. Das durch das Protokoll bewiesene Vorgehen steht nicht im Einklang mit § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG. Danach ist vorgesehen, dass ein Beschluss, der die Öffentlichkeit ausschließt, grundsätzlich öffentlich verkündet werden muss. Vorausgesetzt ist ein Gerichtsbeschluss, nicht ausreichend ist eine Anordnung des Vorsitzenden. Damit liegt ein durchgreifender Verfahrensverstoß nach § 338 Nr. 6 StPO vor (BGH, Beschluss vom 29. Juni 1984 – 2 StR 170/84, StV 1984, 499; Beschluss vom 1. Dezember 1998 – 4 StR 585/98, NStZ 1999, 371).

Für eine einschränkende Auslegung von § 338 Nr. 6 StPO dahin, dass bei einem Antrag einer schützenswerten Person auf Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 1 StPO eine Verletzung des Beschlusserfordernisses von ihr nicht erfasst sein soll, ist nach Auffassung des Senats kein Raum. Der Generalbundesanwalt stützt seine diesbezüglichen Erwägungen auf den Beschluss des 4. Strafsenats vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18 (BGHSt 64, 64), wonach das Fehlen eines den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge anordnenden Gerichtsbeschlusses dann keinen absoluten Revisionsgrund darstellt, wenn die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vorliegen. § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG betrifft jedoch einen Fall, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen nach dieser Vorschrift zwingend und ohne weitere Prüfung zum Ausschluss der Öffentlichkeit führt und auch der Ausschlussumfang abschließend gesetzlich geregelt ist (SSW-StPO/Quentin, 4. Aufl., § 174 GVG Rn. 17). Dem Verfahrensmangel eines Gerichtsbeschlusses kommt dann geringeres Gewicht zu, weil auf der Grundlage eines sicher feststehenden Ver- fahrensablaufs eine unzulässige Beschränkung der Öffentlichkeit auszuschlie-

ßen und der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten sowie die Öffentlichkeit eindeutig erkennbar ist (BGH, Beschluss vom 9. Mai 2019 aaO, S. 67). So liegt der Fall hier nicht. Stellt eine schützenswerte Person einen Antrag nach § 171b Abs. 3 Satz 1 GVG, muss ihm (nur) stattgegeben werden, wenn die vom Gericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Voraussetzungen von § 171b Abs. 1 oder 2 vorliegen. Ist das nicht der Fall, erfolgt eine Ablehnung ebenfalls durch Beschluss (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 171b GVG Rn. 10; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 171b Rn. 14).

c) Der dargelegte Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II. 2 bis 4 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafenausspruch sowie im Maßregelausspruch.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht notwendig zur Aufhebung des gesamten Urteils. Bezieht sich der Vorgang, während dessen die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen war, nur auf einen abtrennbaren Teil des Urteils, so ist auch nur dieser Teil des Urteils aufzuheben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 342/95, NJW 1996, 138 mwN). So liegt es hier. Der fehlerhaft angeordnete Ausschluss der Öffentlichkeit betrifft lediglich die Straftaten zum Nachteil der Zeugin P. (Fälle II. 2 bis 4 der Urteilsgründe) sowie auch den auch auf diese Taten gestützten Maßregelausspruch. Zudem entzieht die Aufhebung von Einzelstrafen dem Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage. Im Übrigen ist ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf die angefochtene Entscheidung denkgesetzlich ausgeschlossen.