Im zweiten Posting dann etwas aus dem allgemeinen Teil des StGB, nämlich der BGH, Beschl. v. 21.11.2024 – 2 StR 503/24 – zur Erforderlichkeit der Notwehrhandlung.
Das LG hat denn Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dagegen die Revision, die in vollem Umfang Erfolg hatte.
Zugrunde liegt ein Streit zwischen zwei alkoholisierten Männern, bei denen einer von ihnen ein Messer eingesetzt hat. Der „Angreifer“ hatte eine BAK von maximal 2,92 ‰. Er brachte dem 67 Jahre alten Angeklagten, der etwa 160 cm groß und infolge einer schlecht ausgeheilten Verletzung im Gebrauch des linken Arms eingeschränkt war, durch zwei Faustschläge in das Gesicht eine blutende Verletzung am Nasenrücken bei. Der Angeklagte, der eine BAK von maximal 2,74 ‰ aufwies, ergriff ein ausgeklappt auf einer Ablage liegendes Klappmesser, stand auf und brachte mit dem Messer dem um einige Jahre jüngeren, größeren und körperlich überlegenen Angreifer, um diesen von weiteren Schlägen abzuhalten, mehrere Verletzungen bei. Dieser befand sich zu keiner Zeit in akuter Lebensgefahr.
Das Schwurgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB schuldig gesprochen, der Angeklagte sei nicht durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt gewesen. Das hat der BGH anders gesehen:
„Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung und damit eine Rechtfertigung durch Notwehr verneint hat, halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 20 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2016 – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593; vom 17. April 2019 – 2 StR 363/18, NStZ 2019, 598, 599, Rn. 10, und vom 4. August 2022 – 5 StR 175/22, NStZ 2023, 156, 157, Rn. 6; jeweils mwN). Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (BGH, Urteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO, und vom 8. Juni 2016 – 5 StR 564/15, NStZ 2017, 276; BGH, Beschlüsse vom 12. April 2016 – 2 StR 523/15, NStZ 2016, 526, 527; vom 17. April 2019 – 2 StR 363/18, aaO, und vom 4. August 2022 – 5 StR 175/22, aaO).
Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist dessen Gebrauch zwar regelmäßig anzudrohen und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch zu unternehmen, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen. Diese Einschränkungen stehen jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Drohung oder der weniger gefährliche Messereinsatz unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BGH, Urteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO, und vom 25. Oktober 2017 – 2 StR 118/16, NStZ-RR 2018, 69, 70; BGH, Beschlüsse vom 17. April 2019 – 2 StR 363/18, aaO, und vom 4. August 2022 – 5 StR 175/22, aaO; jeweils mwN).
2. Diesen Maßstab hat die Schwurgerichtskammer verfehlt.
a) Rechtsfehlerhaft hat sie in ihre Erwägungen zur Erforderlichkeit der Verteidigung den Umstand einbezogen, dass der Angeklagte schon in früheren Streitigkeiten sogar schwerere Schläge von T. erhalten habe und dass ein nicht sofort erfolgender Messereinsatz deshalb nicht „zu einer stark erhöhten Gefahr für weitere Verletzungen … geführt hätte“. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB geht es nicht darum, ob eine weitere Eskalation der Situation hinaufbeschworen wird. Maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob in der zugespitzten Angriffssituation die Verteidigung gewährleistet, dass der Angriff endgültig beendet wird (BGH, Beschlüsse vom 17. April 2019 – 2 StR 363/18, NStZ 2019, 598, 599, Rn. 15, und vom 4. August 2022 – 5 StR 175/22, NStZ 2023, 156, 157, Rn. 7).
b) Die auf der Grundlage dieses rechtsfehlerhaften Ansatzes getroffenen Feststellungen lassen überdies eine Auseinandersetzung mit dem Risiko vermissen, dass dem körperlich unterlegenen, in der Benutzung eines seiner Arme eingeschränkten Angeklagten auf eine verbale Androhung des Messereinsatzes die einzige ihm zur Verfügung stehende Verteidigungswaffe durch T. hätte entwunden werden können. Offen lassen die Feststellungen aber andererseits, wie die Zuschrift des Generalbundesanwalts zutreffend bemerkt, auch, ob in dem dynamischen Geschehen der stark alkoholisierte T. für eine verbale Androhung überhaupt erreichbar gewesen wäre. Der vom Landgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Erfahrungssatz, eine vorherige Androhung eines Messereinsatzes werde jedermann regelmäßig zur Beendigung einer bis dahin unbewaffnet geführten Auseinandersetzung veranlassen, existiert nicht (dazu Rückert, NStZ 2023, 158 f.).
c) Schließlich setzen sich die Feststellungen auch nicht damit auseinander, dass in den ungezielten, mit bedingtem Verletzungsvorsatz geführten bogenförmigen Bewegungen des Messers auch eine Androhung seines erst folgenden gezielten Einsatzes für den Fall einer weiteren Fortsetzung des Angriffs gesehen werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2010 – 1 StR 351/10, NStZ-RR 2011, 238). Ob es sich demgegenüber bei mit direktem Verletzungsvorsatz geführten Stichen gegen Arme oder Beine des Angreifers in der konkreten Kampflage überhaupt um mildere Mittel der Verteidigung gehandelt hätte, hat das Landgericht ebenso unerörtert gelassen wie die Frage, ob sie in gleicher Weise zur sofortigen Unterbindung des Angriffs geeignet gewesen wären.“