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Vollzug I: Ernährungsmehrbedarf bei Sport in der JVA, oder: Vegetarische, laktosefreie und vegane JVA-Kost?

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Ich stelle heute dann im Anschluss an den letzten „Vollzugstag“ noch einmal Entscheidungen aus dem Strafvollzug vor.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen zur „richtigen“ Ernährung im Strafvollzug. Von den beiden OLG-Beschlüssen gibt es hier aber nur die Leitsätze, da sie recht umfangreich begründet sind und die ganzen Begründungen hier den „Rahmen sprengen“ würden. Bei den Beschlüssen handelt es sich um folgende Entscheidungen:

Der OLG Schleswig, Beschl. v. 13.10.2025 – 2 Ws 60/25 Vollz – behandelt die Frage, wie Ernährungsmehrbedarf bei Sport im Justizvollzug zu decken ist und wer ihn decken muss. Dazu das OLG:

1. Die nähere Ausgestaltung des für die Erreichung des Vollzugsziels notwendigen Sportangebots steht im pflichtgemäßen Ermessen des Justizvollzugs.

2. Kommt es durch die Nutzung des Sportangebots des Justizvollzugs zu einem Ernährungsmehrbedarf, so ist dieser durch die Anstaltsverpflegung zu decken. Der Gefangene darf nicht darauf verwiesen werden, diesen Mehrbedarf durch private Einkäufe zu decken.

In der zweiten Entscheidung, dem BayObLG, Beschl. v. 04.09.2025 – 203 StObWs 239/25 – geht es ebenfalls um die Frage einer besonderen Ernährung, nämlich darum, ob die JVA veganes Essen anbieten muss und/oder wer das beschaffen muss. Dazu heißt es:

1. Die JVA hat im Rahmen der Anstaltsverpflegung die religiösen und die moralisch-ethischen Überzeugungen der Strafgefangenen zu berücksichtigten. Es besteht aber keine Verpflichtung, sämtliche Verbote und Gebote aller Glaubensgemeinschaften sowie weltanschaulicher Überzeugungen umzusetzen.

2. Ob eine Justizvollzugsanstalt innerhalb der Anstaltsverpflegung veganes Essen anbietet, ist einer Ermessensentscheidung mit Blick auf die Zahl der dort zu verköstigenden inhaftierten Personen, die Ausstattung der Küche der Anstalt und die Zahl der für die Essensversorgung der Gefangenen verfügbaren Mitarbeiter vorbehalten.

3. Die Anstalt ist aber gehalten, den betroffenen Gefangenen eine ihren Vorschriften entsprechende Ernährung dadurch zu ermöglichen, dass sich die Gefangenen einzelne Speisen und Lebensmittel auf eigene Rechnung selbst beschaffen können.

4. Hier: Nach der im Einzelfall vorgenommenen Abwägung konnte die JVA den Gefangenen auf vegetarische, laktosefreie Kost und den ergänzenden Eigenerwerb veganer Lebensmittel verweisen.

 

 

BtM II: Hat es sich überhaupt um BtM gehandelt?, oder: Allein das positive Ergebnis vom Schnelltest reicht nicht

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Als zweite Entscheidung habe ich einen ganz interessanten Beschluss des OLG Naumburg zu den Urteilsgründen beim (unerlaubten) Besitz von BtM.

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Anbau von Cannabis verurteilt. Dagegen die (Sprung-) Revision des Angeklagten. Die GStA hat Aufhebung beantragt. Das OLG hat dann im OLG Naumburg, Beschl. v. 08.10.2025 – 1 ORs 131/25 – aufgehoben:

„Die Sprungrevision des Angeklagten ist gemäß §§ 335, 341, 344, 345 StPO zulässig und hat mit der Sachrüge auch Erfolg. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift unter anderem ausgeführt:

„Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß §§ 1, 3, 29 Abs. 1 Nr. 3, 33 BtMG nicht.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Köthen besaß der Angeklagte am 20.06.2024 in seiner Wohnung 0,88 g Crystal mit dem Wirkstoff Methamphetamin und 1,17 g Heroin mit dem Wirkstoff Diacetylmorphin (UA S. 4).

Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung nicht zu dem Tatvorwurf eingelassen

Das Amtsgericht hat seine Feststellung, der Angeklagte habe zur Tatzeit Crystal und Heroin besessen, auf die glaubhaften Aussagen der vernommenen polizeilichen Zeugen, die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder sowie auf den in der Hauptverhandlung verlesenen polizeilichen Bestimmungs- und Wiegebericht Betäubungsmittel vom 16.08.2024 (BI. 64-67 d.A.) gestützt (UA S. 4).

Diese Feststellungen sind indes nicht ausreichend, um mit einer für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Angeklagte zur Tatzeit tatsächlich Methamphetamin und Heroin besessen hat.

Die allein aufgrund des positiven Ergebnisses eines Schnelltests gestützte Annahme, bei dem sichergestellten Stoff handele es sich um Betäubungsmittel, ist rechtsfehlerhaft, wenn nicht in den Urteilsgründen dargelegt wird, dass es sich bei dem angewendeten Schnelltest um ein wissenschaftlich abgesichertes und zuverlässiges Standardtestverfahren handelt (OLG Naumburg Beschluss vom 26.10.2023 – 1 ORs 144/23, BeckRS 2023, 32332; OLG Hamm Beschl. v. 04.03.1999 – 5 Ss 136/99, BeckRS 2007,  9890; OLG Celle, Beschluss vom 25.06. 2014, 32 Ss 94/14; juris Patzak/Fabricius/Patzak BtMG § 29 Rn. Rn.998).

Im angefochtenen Urteil fehlen bereits Angaben zu der Qualität des verwendeten Tests, wobei den Gründen schon nicht entnehmen ist, dass es hierbei um einen ESA-Test gehandelt hat (vgl. RB vom 30.07.2025, S. 55-58).

Auch fehlen Feststellungen zu der Methode, die zur Feststellung des Methamphetamins und Heroins angewendet worden ist. Ob es sich bei den verwendeten Tests um ein wissenschaftlich abgesichertes und auch in der Praxis als zuverlässig anerkannten Standardverfahren zum sicheren Nachweis von Methamphetamin und Heroin handelt, hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil nicht dargelegt.

Gerade beim ESA-Schnelltest muss sich das Gericht wegen der Messunsicherheiten von der Zuverlässigkeit der Messung und des Messergebnisses ausdrücklich überzeugen und hierzu in den schriftlichen Urteilsgründen nähere Ausführungen treffen (OLG Jena, Beschluss vom 30.8 2005 – 1 Ss 56/05, BeckRS 2006, 902; OLG Braunschweig Beschl. v. 28.9.2011 – Ss 44/11, BeckRS 2015, 12191; OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.1999, 5 Ss 136/99, juris; Patzak/Fabricius/Patzak a.a.O.).

Anhand der Urteilsgründe ist dem Senat demnach die gebotene Prüfung nicht möglich.

Da der ESA-Test jedenfalls der Praxis nicht als Standardverfahren bekannt ist, der diesen Anforderungen genügt, kann der Senat – unabhängig davon, dass die Urteilsgründe zum konkret verwendeten Test schweigen – auch nicht aus eigener Sachkunde dessen Zuverlässigkeit einschätzen.

Insofern kann nicht zuverlässig festgestellt werden, ob das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei der bei dem Angeklagten sichergestellten Substanzen um Methamphetamin und Heroin gehandelt hat.“

Dem schließt sich der Senat an.“

Strafe III: Anhalt für kommunikativen Prozess?, oder: Milderung wegen Täter-Opfer-Ausgleichs

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Und dann kommt hier noch der OLG Köln, Beschl. v. 23.09.2025 – 1 ORs 179/25. Der Angeklagte ist wegen Untreue verurteilt. Dagegen hat er Revision eingelegt, die erfolgreich war; insoweit komme ich noch einmal auf die Entscheidung zurück.

Zur Strafzumessung gibt das OLG Köln folgende „Segelanweisung“:

„2. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin:

a) Das amtsgerichtliche Urteil verhält sich nicht dazu, ob die Voraussetzungen des § 46a StGB vorliegen. Eine Erörterung des § 46a StGB ist jedoch geboten, wenn die Urteilsfeststellungen dazu Anlass geben (SenE v. 12.01.2021 – III-1 RVs 4/21 -). Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer stattgefunden hat, müssen sich die Urteilsgründe hierzu verhalten, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen, ob das Tatgericht die Voraussetzungen des § 46 a Nr. 1 StGB zu Recht für nicht erfüllt angesehen hat oder zu hohe Anforderungen an die Milderungsmöglichkeit nach §§ 46 a Nr. 1, 49 I StGB gestellt hat (BGH NStZ-RR 2002, 329). So liegt der Fall hier. Angesichts der Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses erscheint es jedenfalls nicht fernliegend, dass es zu einer Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten mit dem Ziel der Schadenswiedergutmachung kam.

b) Sind die Merkmale eines Regelbeispiels für die Annahme eines besonders schweren Falles erfüllt, so begründet dies lediglich eine Indizwirkung dafür, dass die Anwendung des erhöhten Strafrahmens veranlasst ist. Diese Wirkung kann durch Umstände, die den Unrechts- und Schuldgehalt des Regelbeispiels kompensieren, ausgeräumt werden (SenE v. 20.10.2017 – III-1 RVs 258/17 -; SenE v. 06.11.2018 – III-1 RVs 231/18 -; SenE v. 08.03.2019 – III-1 RVs 13-14/19 -). Das gilt namentlich im Falle des Vorliegens von vertypten Strafmilderungsgründen (SenE v. 16.04.2010 – III-1 RVs 74/10 -; SenE v. 12.07.2013 – III-1 RVs 130/13 -; SenE v. 06.11.2018 – III-1 RVs 231/18 -).“

OWi I: Beim Fahren Tippen auf der E-Zigaretten-Display, oder: Das wird teuer ……

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Heute gibt es dann OWi-Entscheidungen, Ja, richtig gelesen. Den OWi-Bereich gibt es auch noch. Und da habe ich dann tatsächlich drei Entscheidungen.

Den Opener mache ich mit dem OLG OLG Köln, Beschl. v. 25.09.2025 – 1 ORbs 139/25 -, der ja auch bereits durch die Presse gegangen ist. Das ist der „E-Zigaretten-Beschluss, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Das AG hat den Betroffenen wegen „verbotswidriger Benutzung einer E-Zigarette als Kraftfahrzeugführer“ gem. § 23 Abs. 1a S. 2 StVO zu einer Geldbuße verurteilt. Nach den Feststellungen des AG befuhr der Betroffene mit seinem Kraftfahrzeug eine BAB. Hierbei habe er bewusst eine E-Zigarette mit einem Display benutzt, indem er dieses mit der rechten Hand halbhoch in Brusthöhe hielt und Tippbewegungen durchführte, um die Stärke der E-Zigarette einzustellen, wobei er seinen Blick vom Verkehrsgeschehen abwendete. Das AG hat in der Hauptverhandlung ein Lichtbild in Augenschein genommen, ausweislich dessen die E-Zigarette über ein Display verfügt, mit welchem verschiedene Dampf-Stärken und Einstellungen verändert werden können.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. OWiG). Die Frage, ob eine E-Zigarette mit Display und Einstellungsmöglichkeiten ein elektronisches Gerät darstelle, das im Sinne von § 23 Abs. 1a StVO der Kommunikation, Information oder Organisation diene, sei – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden. Die zugelassene Rechtsbeschwerde hatte dann aber keinen Erfolg:

„2. Die Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt in der Sache selbst ohne Erfolg.

Ohne Rechtsfehler ist das Tatgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene zur Einstellung der Dampfstärke auf das Display der E-Zigarette getippt habe. Seine Entscheidung ist daher bereits deswegen richtig, weil das von dem Betroffenen benutzte – elektronische – Gerät einen in § 23 Abs. 1a S. 2 StVO („Geräte im Sinne des Satzes 1 sind auch“) ausdrücklich genannten „Berührungsbildschirm“ (Touchscreen) darstellt und dessen Funktionalität in Anspruch genommen wurde (vgl. zur Ladestandsanzeige einer Powerbank OLG Koblenz DAR 2021, 221). Darauf, ob der Touchscreen fest im Fahrzeug verbaut oder beweglich ist, kommt es nicht an (Hentschel/König-König, Straßenverkehrsrecht, 48. Auflage 2025, § 23 StVO Rz. 31; Juris-PK-Straßenverkehrsrecht-Helle, Stand 21.08.2025, § 23 StVO Rz. 24).

Wollte man dies anders sehen, handelte es sich bei dem von dem Betroffenen benutzen Gerät – in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Amtsgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft – um ein solches, das (jedenfalls) Informationen bereithält, indem es die gewählte Dampfstärke der E-Zigarette ausweist, nach deren Veränderung die Information über den nunmehr gewählten Zustand ebenfalls ausgewiesen wird.

Das Gerät „dient“ auch im Sinne von § 23 Abs. 1a S. 1 StVO der Information. Zwar besteht die Zweckbestimmung der E-Zigarette in erster Linie in der Produktion von Dämpfen zum Einatmen. Jedoch kann von einem „Dienen“ zwanglos auch gesprochen werden, wenn – wie hier – die Hauptfunktion eines Geräts durch Hilfsfunktionen unterstützt wird. So ermöglicht etwa ein elektronischer Fahrzeugschlüssel (sog. Smartkey), der in erster Linie dem Öffnen und Verschließen des Fahrzeugs dient, das Ablesen von Informationen – etwa – über den Servicebedarf des Fahrzeugs und die Steuerung von Fahrzeugfunktionen (OLG Hamm DAR 2021, 700).

Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, dass die eingesetzte Funktionalität des hier in Rede stehenden Geräts dasjenige Ablenkungspotential in sich birgt, das den Verordnungsgeber zum Verbot der Nutzung entsprechender Geräte bewogen hat: Anerkannt ist, dass ein verbotswidriges „Benutzen“ im Sinne von § 23 Abs. 1a S. 1 StVO bei allen im Zusammenhang mit der fraglichen Funktion vorgenommenen Handhabungen zwischen Aufnahme und Ablegen des Geräts vorliegt (zusf. Hentschel/König-König a.a.O., § 23 StVO Rz. 32 m. N.). Das hier in Rede stehende Tippen auf das Display zur Veränderung des Stärkegrads der E-Zigarette stellt danach ein „Benutzen“ dar; es unterscheidet sich nicht wesentlich – etwa – von der sicher erfassten Veränderung der Lautstärke eines Mobiltelefons.

3. Soweit der Betroffene – in der Sache zutreffend – rügt, das Tatgericht habe im Hauptverhandlungstermin eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde verkündet, von der es in den schriftlichen Urteilsgründen wieder abgerückt sei, fehlt es jedenfalls an einer Beschwer, da die Rechtsbeschwerde durch den Senat zugelassen worden ist.“

Man mag die Entscheidung als „zu weitgehend“ empfinden, sie ist jedoch auf der Grundlage der Neuregelung des § 23 Abs. 1a StVO zutreffend. Die Vorschrift wird weit ausgelegt. Also: Finger weg, will man – wie hier – das Rauchen nicht teuer mit einer Geldbuße bezahlen.

Nachdenklich macht der Hinweis des OLG darauf, dass der „Betroffene – in der Sache zutreffend – rügt, das Tatgericht habe im Hauptverhandlungstermin eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde verkündet, von der es in den schriftlichen Urteilsgründen wieder abgerückt sei“. Mir erschließt sich nicht, nach welcher Vorschrift des OWiG das AG (!) „die Zulassung der Rechtsbeschwerde verkündet“ hat. Das OLG hat dazu nicht Stellung genommen, sondern eben nur darauf hingewiesen, es fehle „jedenfalls an einer Beschwer, da die Rechtsbeschwerde durch den Senat zugelassen worden ist“.

Haft I: Verhältnismäßigkeit der weiteren U-Haft, oder: Vier Jahre U-Haft und Beschleunigungsgebot

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In die neue Woche starte ich dann mit zwei Haftentscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Köln, Beschl. v. 23.09.2025 – 2 Ws 489/24 -, der noch einmal zum Beschleunigungsgebot und zur Fortdauer der U-Haft Stelluneg nimmt.

Das AG hat gegen den verurteilten Angeklagten am 06.08.2020 einen Haftbefehl wegen Totschlags erlassen. Der Verurteilte hat sich aufgrund dieses Haftbefehls seitdem bis zum 20.12.2022 in Untersuchungshaft befunden.

Die Hauptverhandlung hat ab dem 03.03.2021 stattgefunden. Das Urteil vom 19.03.2021, durch das der Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist, hat der BGH auf die Revision des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 08.06.2022 insgesamt aufgehoben. Nach der Schlussverfügung des BGH vom 22.09.2022 ist das Verfahren am 10.11.2022 wieder beim LG eingegangen. Auf den Haftprüfungsantrag des Angeklagten vom 28.11.2022 hat das LG den Haftbefehl mit Beschluss vom 20.12.2022 außer Vollzug gesetzt.

Während der ab dem 26.09.2023 terminierten Hauptverhandlung ist der Angeklagte an dem Fortsetzungstermin am 05.12.2023 nicht erschienen. Aus diesem Grund hat die Kammer den Haftbefehl mit Beschluss vom selben Tag wieder in Vollzug gesetzt. Seit seiner Festnahme am 08.12.2023 befindet sich der Angeklagte erneut in Untersuchungshaft. In der Zwischenzeit hat das LG den Angeklagten mit Urteil vom 19.12.2023 erneut wegen u.a. versuchten Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Das LG hat den Haftbefehl vom 06.08.2020 aufrecht zu erhalten und in Vollzug zu belassen.

Nach dem Eingang der Revisionen beider Angeklagten und der Übersendung der Akten hat der Generalbundesanwalt am 26.06.2024 die Rücksendung der Akten nach deren Eingang am 21.06.2024 veranlasst, da auf einem Protokoll vom 12.12.2023 die Unterschrift des Protokollführers fehlte. Nach der Rücksendung der Akten hat das Verfahren dem Bundesgerichtshof im Dezember 2024 vorgelegen. Mit Beschluss vom 29.01.2025 hat der Bundesgerichtshof den Schuldspruch des Angeklagten dahingehend abgeändert, dass dieser wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist. Zudem ist mit der Entscheidung der Strafausspruch der beiden Angeklagten und die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB aufgehoben worden.

Hiernach sind die Akten am 30.06.2025 erneut beim LG eingegangen. In einem Haftprüfungstermin vom 30.07.2025 hat das LG den Haftbefehl aufrecht erhalten. Dagegen die Haftbeschwerde, die keinen Erfolg hatte.

Das OLG hat seine Entscheidung umfassend begründet. Ob überzeugend, mag jeder für sich nach dem Selbststudium entscheiden. Das OLG sieht jedenfalls die Verhältnismäßigkeit nocht nicht verletzt. Wegen des Umfangs der Begründung stelle ich hier nur die Leitsätze ein, die wie folgt lauten:

1. Das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren, wie dem Revisionsverfahren, bei der Prüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft zu beachten. Allerdings vergrößert sich mit der Verurteilung auch das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Angeklagten als erwiesen angesehen worden ist.

2 Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen ist grundsätzlich auch bei einem außer Vollzug gesetzten Haftbefehl zu beachten, da der Angeklagte durch diesen aufgrund von ggf. der flankierenden Maßnahmen belastet ist. Es gilt jedoch aufgrund der Tatsache, dass der Angeklagte keinen Freiheitsentzug im engeren Sinne erleidet, sondern – mit den auflagebedingten Einschränkungen – seinen Alltag selbstbestimmt gestalten kann, nur in eingeschränktem Maße.

3. Zu zu berücksichtigenden Verfahrensverzögerungen im Revisionsverfahren.

4. Die Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ergibt sich nur dann aus dem Umstand, dass der Angeklagte bereits 2/3 der maximal noch drohenden Freiheitsstrafe verbüßt hat, wenn die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung aus der Haft bereits sicher vorliegen würden.

5. Der Umstand, dass der Bundesgerichtshof ein Urteil des Tatgerichts einmal in Gänze und einmal in Bezug auf den Strafausspruch aufgehoben hat, begründet bei einer komplexen Beweislage keine Verfahrensverzögerung.

6. Ob eine partnerschaftliche Beziehung den Fluchtreiz erhöht oder eher eine regulierende Wirkung entfaltet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.