Schlagwort-Archive: Strafantrag

StPO III: Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter, oder: Wirksame Stellung des Strafantrags durch Vertreter?

© fotomek – Fotolia.com

Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch einmal der LG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 – 16 Qs 98/22. Ja – „noch einmal“, denn der Beschluss ist schon zweimal Gegenstand der Berichterstattung gewesen (StGB III: Sind die Audioaufnahmen „unbefugt“ erstellt?, oder: Restriktive Auslegung bei Beweisnot und  StPO I: Voraussetzung für den Erlass eines Strafbefehls, oder: Hinreichender Tatverdacht gegeben?). Heute dann zum dritten Mal, und zwar wegen der Frage der rechtzeitigen Stellung des Antrags. Dazu das LG:

„2. Dem Erlass des Strafbefehls steht allerdings bereits ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis entgegen. Es fehlt an einem form- und fristgerecht gestellten Strafantrag der Geschädigten gegen den Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.

Die Strafverfolgung des Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB würde gem. §§ 205 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1, 77b Abs. 1 Satz 1 StGB, 168 Abs. 2 StPO voraussetzen, dass die Geschädigte zuvor form- und fristgerecht einen entsprechenden Strafantrag gestellt hat. Eine Verfolgung von Amts wegen ohne Strafantrag ist ansonsten auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses nicht möglich (im Umkehrschluss zu § 205 Abs. 1 Satz 2 StPO; vgl. BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 77 Rn. 4.1).

Die Frist zur Stellung eines Strafantrags gem. § 77b Abs. 1 StGB beträgt drei Monate nach Kenntniserlangung von der Tat und der Person des Täters. Diese Frist ist bereits abgelaufen, ohne dass die Geschädigte selbst einen Strafantrag in dieser Sache gegen den Angeschuldigten gestellt hätte.

Der Angeschuldigte fertigte die verfahrensgegenständlichen Audioaufnahmen am 31.08.2021. Am 16.09.2021 übergab der Angeschuldigte Kopien der Audioaufnahmen auf einem USB-Stick den Beamten des Polizeipostens Illingen. Es lässt sich anhand der Aktenlage auch nach Rücksprache mit dem Polizeiposten Illingen nicht sicher rekonstruieren, ob die Geschädigte bereits damals über die Audioaufnahmen informiert wurde.

Jedenfalls hatte die Geschädigte spätestens nach Akteneinsicht ihrer Bevollmächtigten am 26.01.2022 sicher Kenntnis von Existenz und Übergabe der von ihr durch den Angeschuldigten gefertigten Audioaufnahmen. Spätestens nach dem 26.04.2022 war damit die gem. § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebliche Frist für einen wirksamen Strafantrag der Geschädigten abgelaufen. Bis dahin hat die Geschädigte selbst keinen entsprechenden Strafantrag gestellt.

Die Prozessbevollmächtigten der angeblich Verletzten haben zwar am 03.02.2022 mittels qualifizierter elektronischer Signatur über das besondere elektronische Anwaltspostfach gemäß der damaligen Fassung von § 32a Abs. 3 Alt. 1 StPO formgerecht ein Strafverfolgungsbegehren wegen der Audioaufnahmen im eigenen Namen zum Ausdruck gebracht. Strafanträge sind auch grundsätzlich von der Vollmacht der Geschädigten gedeckt gewesen. Der in dem Schriftsatz hervorgehobene Begriff „Strafanzeige“ steht der Behandlung als Strafantrag ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH NJW 1992, 2167).

Allerdings haben die Prozessbevollmächtigten die Strafverfolgung im eigenen Namen beantragt und nicht lediglich den Strafantrag ihrer Mandantin übermittelt. Der gesamte Schriftsatz der Bevollmächtigten differenziert zwischen der Geschädigten (“unsere Mandantin“) und den Bevollmächtigten (“wir“). Den Strafantrag stellen dabei die Bevollmächtigten im eigenen Namen (“wir“) und nicht im Namen ihrer Mandantin.

Es handelt sich somit erkennbar nicht lediglich um eine Vertretung in der Erklärung, sondern um die Fallgruppe einer „Vertretung im Willen“ über den Strafantrag selbst. Selbst mit entsprechender Vollmacht ist eine solche Vertretung im Willen nach vorherrschender Auffassung unwirksam, wenn das jeweilige Antragsdelikt immaterielle, höchstpersönliche Rechtsgüter betrifft (vgl. OLG Bremen, NJW 1961, 1489; RGSt 21, 231 (233); MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl. 2020, StGB § 77 Rn. 29; BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 01.11.2022, § 77 Rn. 20; krit. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 77 Rn. 22 m.w.N.). So liegt der Fall bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.“

Verkehrsrecht I: Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Beinaheunfall durch Einwirkung auf ein Pferd?

Bild von deavvi auf Pixabay

Und heute dann ein wenig Verkehrsrecht, und zwar zunächst der BayObLG, Beschl. v. 16.12.2022 – 202 StRR 110/22 – zu den Voraussetzungen für einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Einwirkung auf ein Pferd.

Das AG hat die Angeklagten u.a. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt. Das LG hat dann frei gesprochen. Die dagegen gerichteten Revisionen hatten keinen Erfolg.

Die Berufungskammer war von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„Die beiden miteinander verheirateten Angeklagten und die Nebenklägerin sind Nachbarn. Am Nachmittag des 19.01.2021 ritt die Nebenklägerin auf ihrem Pferd auf der öffentlichen Gemeindestraße zwischen den Anwesen der Angeklagten und der Familie der Nebenklägerin. Der Nebenklägerin war aufgrund vorangegangener Vorfälle mit den Angeklagten bekannt, dass diese aufgrund einer langjährigen Nachbarschaftsstreitigkeit mit der Familie der Nebenklägerin immer wieder versuchen, die Pferde der Nebenklägerin beim Passieren ihres Grundstücks zu erschrecken. Aus diesem Grund hatte die Nebenklägerin ca. eine Minute vor Erreichen des Anwesens der Angeklagten die Kamera ihres Mobiltelefons eingeschaltet, um eventuelle Übergriffe auf sie oder ihr Pferd zu dokumentieren und – wie bereits wiederholt in der Vergangenheit – zur Anzeige zu bringen. Als sich die Nebenklägerin dem Haus der Angeklagten näherte, waren diese mit Schneeräumarbeiten beschäftigt. Während die Nebenklägerin an der Angeklagten vorbeiritt, warf diese mit der Schneeschaufel eine geringe Menge Schnee dem Pferd hinterher. Die Berufungskammer konnte nicht feststellen, ob das Pferd von dem Schnee getroffen wurde. Die von der Nebenklägerin gerittene Stute geriet hierdurch in eine gewisse Aufregung, konnte jedoch von ihr nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Zu einem Sturz oder einer Verletzung der Nebenklägerin kam es nicht. Auch die konkrete Gefahr eines Sturzes konnte nicht festgestellt werden. Dass die Angeklagte einen solchen Sturz und eine daraus resultierende mögliche Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte, konnte die Berufungskammer ebenfalls nicht feststellen. Die Nebenklägerin und die Angeklagte gerieten daraufhin vor der Terrasse des Anwesens der Angeklagten in ein Streitgespräch, bei dem die Nebenklägerin die Angeklagte mehrfach erzürnt anschrie: „Mach nur weiter! Komm, noch ´ne Schippen!“ Der Angeklagte, der wenige Meter entfernt weiterhin Schnee von der Terrasse seines Anwesens geschoben hatte, ohne sich anfangs um die Nebenklägerin zu kümmern, warf nunmehr – durch das laute Schreien der Nebenklägerin provoziert – ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes, worauf diese mit dem Ausruf „Ja, das hat ja wohl ein Nachspiel! Freu´ Dich schon mal!“ in ihr gegenüberliegendes Grundstück ritt. Eine Schreckreaktion des Pferdes durch das Verhalten des Angeklagten war nicht erkennbar. Die Berufungskammer ging auch nicht davon aus, dass der Angeklagte derartiges beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Ebenso wenig gelangte die Berufungskammer zu der Überzeugung, dass der Angeklagte einen Sturz und eine hieraus resultierende Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder auch nur billigend in Kauf genommen hätte. Während des gesamten Vorfalls waren keine anderen Verkehrsteilnehmer auf der Straße unterwegs.“

Das BayObLG verneint sowohl die Strafbarkeit wegen eines vollendeten § 315b StGB als auch wegen eines versuchten § 315b StGB. Hier die Ausführungen zur Vollendung:

„b) Zutreffend hat die Berufungskammer eine Strafbarkeit wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint. Denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fehlt es schon an einer vom Straftatbestand vorausgesetzten konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert, sodass es auf die weiteren Tatbestandsmerkmale nicht mehr ankommt.

aa) Eine konkrete Gefahr ist nur dann anzunehmen, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.07.2021 – 4 StR 155/21 = Blutalkohol 58, 328 [2021] = StV 2022, 26 = ZfSch 2021, 706 = BGHR StGB § 52 Abs 1 Entschluss, einheitlicher 2 = BGHR StGB § 315c Gefahr 2; 08.06.2021 – 4 StR 68/21 = NStZ-RR 2021, 251 = VRS 140, 258 [2021] = VRS 140, Nr 52; 17.02.2021 – 4 StR 528/20 = NStZ-RR 2021, 187; 06.08.2019 – 4 StR 255/19 = NStZ-RR 2019, 343 = VRS 137, 1 [2019] = VRS 137, Nr 1 = NZV 2020, 303; 20.03.2019 – 4 StR 517/18 = VerkMitt 2019, Nr 5 = NStZ 2020, 225).

bb) Gemessen hieran rechtfertigen die tatrichterlichen Feststellungen einen „Beinahe-Unfall“ in diesem Sinne nicht. Vielmehr hat das von der Nebenklägerin gerittene Pferd nach den Urteilsgründen auf die Schneewürfe nicht derart reagiert, dass von einem Beinahe-Unfall gesprochen werden könnte. Auf den von der Angeklagten mittels einer Schneeschippe in Richtung des Pferdes durchgeführten Wurf einer „geringen Menge Schnee“ geriet das Pferd zwar in eine „gewisse Aufregung“, konnte aber bereits nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Letzteres ist umso bemerkenswerter, als dies der Nebenklägerin offensichtlich ohne weiteres gelang, obwohl sie gleichzeitig das Geschehen mit der Kamera ihres Mobiltelefons aufzeichnete, was die Konzentration auf das Geschehen und die Kontrolle des Pferdes von vornherein erschwerte. Nach den Urteilsfeststellungen handelte es sich damit um eine ohne weiteres im Alltag zu erwartende Reaktion eines Pferdes, mit der jederzeit gerechnet werden muss, was aber noch keineswegs dazu führte, dass eine konkrete Gefährdung für Pferd, Reiterin oder sonstige Verkehrsteilnehmer, die ohnehin nicht zugegen waren, eingetreten wäre. Diese Einschätzung wird überdies durch das Verhalten der Nebenklägerin bestätigt, die nach den Urteilsfeststellungen die Angeklagten lautstark mit den Worten „noch ´ne Schippen“ sogar dazu aufforderte, ihr Verhalten zu wiederholen. Auf das Handeln des Angeklagten, der nach den Gründen des Berufungsurteils anschließend ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes warf, reagierte das Pferd überhaupt nicht mehr. Nach den Urteilsfeststellungen ist damit in beiden Fällen allenfalls von einer abstrakten Gefahr, die sich theoretisch zu einer Verletzung hätte verdichten können, auszugehen, was aber für die Tatbestandserfüllung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB gerade nicht genügt.“

Die restlichen Ausführungen bitte selbst lesen……

beA II: Form(un)wirksamkeit eines Strafantrages, oder: Nicht „mittels“ einfacher E-Mail oder im Onlineportal

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Im zweiten Posting des Tages spielt nicht die Regelung in § 32d StPO eine Rolle, sondern die in § 32a StPO. Dazu habe ich zwei Entscheidungen, und zwar eine vom 5. Strafsenat des BGH und eine vom AG Frankfurt (Oder). Beide befassen sich mit der formwirksamen Stellung eines Strafantrages.

Dem BGH, Beschl. v. 12.05.2022 – 5 StR 398/21 – lag ein LG-Urteil zugrunde, das den Angeklagten u.a. wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verurteilt hat. Hinsichtlich dieser hat der BGH das LG-Urteil aufgehoben. Begründung:

Das Urteil können insoweit keinen Bestand haben, da der nach § 145a Satz 2 StGB  erforderliche schriftliche (§ 158 Abs. 2 StPO) Strafantrag der Führungsaufsichtsstelle fehle. Die hatte nämlich innerhalb der Antragsfrist lediglich per E-Mail einen Strafantrag an die  Staatsanwaltschaft gesandt. Elektronische Dokumente, die der Schriftform unterliegen, müssten jedoch – so der BGH – entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 32a Abs. 3 StPO). Eine unsignierte und direkt an den Empfänger versandte einfache E-Mail erfülle keine dieser Voraussetzungen. Nach dem Willen des Gesetzgebers gelte dies auch für Strafanträge, und zwar auch für solche, die von Behörden gestellt werden. Damit bestand ein Verfahrenshindernsi, was insoweit zur Einstellung und Aufhebung geführt hat.

Ich stelle hier nicht die ganze Begründung des umfangreich begründeten BGH-Beschlusses, der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt ist, was seine Bedeutung unterstreicht, ein. Insoweit bitte selbst lesen. Hier soll der Leitsatz des BGH reichen. Der lautet – kurz und trocken:

Keine wirksame Anbringung eines Strafantrags mittels „einfacher“ E-Mail.

Auf der Linie liegt dann auch der oben bereits erwähnte AG-Beschluss. Es handelt sich um den AG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 19.08.2021 – 412 Ds 273 Js 19174/20 (2/21), zu dem zu dem hier interessierenden Teil des Beschlusses folgender Leitsatz passt:

Schriftliche Antragstellung bedeutet bei einem Strafantrag, dass der Strafantrag grundsätzlich vom Strafantragsteller unterzeichnet oder mit dessen qualifizierter elektronischer Signatur versehen sein muss.

StPO I: Wie stellt man Prozessvoraussetzungen fest?, oder: Freibeweisverfahren ist der richtige Weg.

© bluedesign – Fotolia.com

Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen.

Die Berichterstattung beginne ich mit dem KG,  Beschl. v. 20.08.2021 – (2) 121 Ss 92/21 (14/21) – zur Frage. Wie werden Prozessvoraussetzungen – hier ging es um den Strafantrag in einem Verfahren wegen Sachbeschädigung – festgestellt. Das KG gibt die – richtige – Antwort: Das erfolgt i.d.R. im Freibeweisverfahren:

„Der Senat merkt ergänzend Folgendes an:

Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergab das Vorliegen eines wirksamen Strafantrages sowohl hinsichtlich der Sachbeschädigung als auch des Hausfriedensbruchs. Grundsätzlich gilt der Strafantrag bei idealkonkurrierenden Delikten für sämtliche in der Handlungseinheit verwirklichten Antragsdelikte (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 77 Rn. 29), auch wenn eine Beschränkung auf eine von mehreren zusammentreffenden Gesetzesverletzungen (§ 52 StGB) zulässig ist (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1952, 1388; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 158 Rn. 19, 22). Ist eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung weder erklärt, noch sonst eindeutig erkennbar, umfasst der Strafantrag den gesamten geschichtlichen Vorgang, welcher der Beschuldigung zugrunde liegt (vgl. BGHSt 33, 114, 116).

Anhaltspunkte für eine derartige Beschränkung liegen nicht vor. Sie folgt insbesondere nicht aus dem Umstand, dass das von der Polizei versandte Anhörungsformular neben Tatzeit und Tatort als Deliktsbezeichnung lediglich den Tatvorwurf „Sachbeschädigung“ enthält. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, dient diese Angabe allein der Eingrenzung des lebensgeschichtlichen Sachverhalts unter Nennung der vorläufigen rechtlichen Einordnung der Polizeibehörde. Dass der Antragssteller bzgl. einzelner Gesetzesverletzungen, hier des Hausfriedensbruchs, keinen Strafantrag stellen wollte, ergibt sich aus dem Schreiben nicht.

Soweit der Revisionsführer im Rahmen der Verfahrensrüge die Verletzung des § 261 StPO rügt, da das den Strafantrag enthaltene Schreiben nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, dringt er ebenfalls nicht durch. Es kann dahinstehen, ob die Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Denn der Revisionsführer verkennt, dass die Feststellung des Vorliegens eines wirksamen Strafantrages als Prozessvoraussetzung im Freibeweisverfahren erfolgt und – anders als im Strengbeweis – Urkunden entgegen § 249 StPO nicht verlesen werden müssen (st. Rspr. seit RGSt 51, 72). Die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit finden keine Anwendung (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 244 Rn. 9).

Zwar kann es der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebieten, das Ergebnis von Beweiserhebungen im Freibeweis zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen, etwa wenn eine freibeweisliche Beweiserhebung notwendig geworden ist, weil eine Prozessvoraussetzung während der Hauptverhandlung zweifelhaft ist. Wenn die Zweifel aber mit einem Blick in die Akten zu klären sind, ist das Gericht nicht verpflichtet, die Verfahrensbeteiligten von dem Ergebnis der Akteneinsicht zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wäre es anders, so müsste auch jede Feststellung zu den Prozessvoraussetzungen, die das Gericht vor der Hauptverhandlung getroffen hat, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, auch wenn dazu nur eine Akteneinsicht erforderlich war (vgl. Alsberg/Dallmeyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 294).

Vorliegend genügte zur Feststellung der wirksamen Strafantragsstellung ein Blick in die Akten. Das Gericht hat keine darüber hinaus gehenden Beweiserhebungen getätigt, über dessen Ergebnis es die Verfahrensbeteiligten hätte unterrichten müssen.

EV III: Schriftform beim Strafantrag, oder: Strafantrag stellt man nicht über die „Onlinewache“ der Polizei

© kostsov – Fotolia.com

Und die dritte Entscheidung ist dann ein amtsgerichtlicher Beschluss, nämlich der AG Auerbach,  Beschl. v. 26.01.2021 – 3 Cs 500 Js 24368/20. In ihm geht es um das Formerfordernis des § 158 Abs. 2 StPO – also Stellung des Strafantrags.

Die StA hat den Erlass eines Strafbefehls wegen Beleidigung zu Lasten der Mitarbeiterin des Jobcenters vom 11.08.2020. Strafantrag wurde lediglich durch den Dienstvorgesetzten der Geschädigten per Onlineanzeige vom 12.08.2020 gestellt. Der Dienstvorgesetzte bediente sich dabei der Onlinewache der Polizei Sachsen und beantwortete die dort gestellte Frage „Stellen Sie Strafantrag?“ mit „Ja“.

Das AG hat das Verfahren eingestellt:

„Die Beleidigung kann gem. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB nur auf Antrag verfolgt werden. Gemäß § 194 Abs. 3 StGB ist auch eine Antragstellung durch den Dienstvorgesetzten grundsätzlich möglich. Allerdings unterliegen alle Strafanträge wegen Beleidigung der Formvorschrift des § 158 Abs. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift muss der Strafantrag bei Straftaten, den Verfolgung nur auf Antrag möglich ist, bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. Daraus folgt, dass der Strafantrag bei der Polizei schriftlich zu stellen ist.

Die Schriftform ist jedenfalls dann gewahrt, wenn der Strafantrag der Form Vorschrift des § 126 BGB genügt. Danach muss die Urkunde eigenhändig zumindest durch Namensunterschrift unterzeichnet werden. Insgesamt werden aber keine hohen Anforderungen in diesem Zusammenhang gestellt. So genügt es, wenn der Strafantragsteller gegenüber der Polizei seinen Verfolgungswillen unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck bringt, vgl. BGH NStZ 1995, 353. Dementsprechend kann auch im Rahmen der schriftlichen Strafanzeige konkludent der Strafantrag enthalten sein. Auch wird das Merkmal schriftlich im Allgemeinen weit, d. h. über die Grenzen des § 126 BGB hinaus ausgelegt. Schriftlich wird danach als schriftlich niedergelegt, nicht aber zwingend als unterschrieben verstanden. So wurde es als ausreichend angesehen, dass ein Antragsteller im Rahmen seiner polizeilichen Zeugenvernehmung selbst auf Tonband den Strafantrag aufspricht und dieser dann durch die Polizei in ein schriftliches Protokoll umgesetzt wird, vgl. Bayrisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.04.1997, 5 StRR 18/97. Entscheidend sei, dass der Zweck der Formvorschrift, nämlich die Sicherstellung der Identität des Erklärenden und des Inhalts der Erklärung, gewahrt wird.

Diesen letzten Gedanken aufgreifend wird vereinzelt auch vertreten, dass ein über die Onlinewachen der einzelnen Polizeiverwaltungen eingereichter Strafantrag dem Formerfordernis genüge, vgl. Jesse DRiZ 2018, 28. Diese Auffassung wird jedoch nicht geteilt. Es ist bereits fraglich, ob allein durch die Angaben im Rahmen der Onlineanzeige die oben beschriebene Hauptfunktion des Schriftformerfordernisses, nämlich die zweifelsfreie Zuordnung der Erklärung zum Antragsteller als Basis für weitere Ermittlungen, durch eine Onlineanzeige gewahrt werden könnte. Die Nutzung der Onlinewache bleibt im Kern ein anonymer Vorgang. Selbst wenn dabei die IP-Adresse erfasst wird, lässt sich damit allenfalls der genutzte Computer, nicht aber der Nutzer identifizieren. Dies ist ein entscheidender Unterschied zur oben zitierten Rechtsauffassung des Bayrischen Oberlandesgerichts. Bei der Onlineanzeige findet gerade kein persönlicher Kontakt zwischen Polizei und Antragsteller statt, der weitere konkrete Überprüfungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren, insbesondere durch Befragen des aufnehmenden Polizeibeamten, ermöglicht.

Darüber hinaus dient ein Schriftformerfordernis nicht nur dem Schutz des Erklärungsempfängers, sondern auch des Erklärenden. Er soll vor den Folgen einer weitreichenden aber überhastet abgegebenen Erklärung geschützt werden. Denn in der Regel geht mit der Abgabe einer schriftlichen Erklärung das Bewusstsein einher, eine Erklärung von erheblicher Tragweite abzugeben. Nichts anderes gilt, wenn die Erklärung persönlich zum Zwecke der späteren Niederschrift persönlich vor einem Polizeibeamten abgegeben wird, s. o. Für den Strafantrag gilt diese Schutzfunktion aus zweierlei Gründen. Zum einen betreffen die reinen Antragsdelikte im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO häufig Straftatbestände, die im engen persönlichen Umfeld des Antragstellers verwirklicht wurden. Mit dem Erfordernis des Strafantrags hat der Gesetzgeber in den §§ 194 und 247 StGB ausdrücklich dem Geschädigten die Wahl gelassen, ob eine staatliche Einmischung in diese engen persönlichen Verhältnisse durch die Strafverfolgung erfolgen soll oder nicht. Zum anderen zieht ein gestellter Strafantrag für den Fall der Rücknahme auch immer die Kostenfolge des § 470 StPO nach sich. Diese finanziellen Auswirkungen können, etwa wenn sich der Beschuldigte eines Rechtsbeistands bedient, sehr erheblich sein. Gerade vor diesen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen eines gegebenenfalls überhastet und unüberlegt gestellten Strafantrags schützt das Schriftformerfordernis im § 158 Abs. 2 StPO. Diese Schutzfunktion der Schriftform würde völlig aufgegeben, folgte man der Auffassung, auch einen nur online gestellten Strafantrag im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO genügen zu lassen.“