Schlagwort-Archive: Schriftformerfordernis

Strafantrag I: Schriftform als Wirksamkeitserfordernis, oder: Online-Strafanzeige

Bild von Tumisu auf Pixabay

Und dann auf die 16. KW., allerdings womit 🙂 ?. Ich habe im Moment kein „Klima“, kein „beA“. Also gibt es StPO – das geht immer 🙂 -, und daraus zwei Entscheidungen zum Thema Strafantrag, und zwar einmal vom BGH und einmal vom KG.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 21.11.2023 – 4 StR 72/23 -, also schon etwas älter und inzwsichen auch schon veröffentlicht. Aber dennoch..

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die teilweise Erfolg hatte. Der BGH hat das Urteil in drei Fällen der Verurteilung aufgehoben und eingestellt:

„In den Fällen II.5, II.7 und II.8 der UrteilsgrĂĽnde war das Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen, weil der Verurteilung wegen Verleumdung in drei Fällen gemäß § 187 StGB ein Verfahrenshindernis entgegensteht. Es fehlt an dem nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB, § 158 Abs. 2 StPO erforderlichen schriftlichen Strafantrag der Verletzten.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 8. Juli 2021 erstattete die Zeugin G. online auf dem Portal des Polizeipräsidiums Anzeige und schilderte, dass ein ihr unbekannter Mann am Vortag an ihrer Arbeitsstelle, in der Personalabteilung und in einer anderen Filiale ihres Arbeitgebers angerufen und behauptet habe, die Zeugin habe seinen Sohn sexuell belästigt und missbraucht. Zur Vorgeschichte schildert die Zeugin in der Online-Anzeige, dass dieser Mann ihre Cousine zwei Monate zuvor auf Snapchat kontaktiert und sie aufgefordert habe, ihr Trikot hochzuheben. Nach dem Telefonat habe sie den Mann aufgefordert damit aufzuhören und mit dem Gang zur Polizei gedroht. In der Folge wurde die Zeugin am 27. August 2021 in dem daraufhin eingeleiteten Verfahren wegen versuchten sexuellen Missbrauchs zum Nachteil ihrer Cousine polizeilich vernommen. Dabei machte sie auch Angaben zu der Verleumdung an ihrer Arbeitsstelle, die Anlass für ihre Anzeige war. Das Vernehmungsprotokoll wurde von der Zeugin unterschrieben. In dem weiteren Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung zu ihrem Nachteil erschien die Zeugin dann nicht mehr zur Vernehmung.

2. Damit ist dem sich aus § 158 Abs. 2 StPO ergebenden Schriftformerfordernis für einen Strafantrag nicht genügt.

a) § 158 Abs. 2 StPO verlangt grundsätzlich die Unterschrift des Antragsstellers (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 4 StR 168/20 Rn. 6 mwN). Dazu kann auch ein unterschriebenes Vernehmungsprotokoll ausreichen, sofern dadurch der Verfolgungswille unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1995 – 2 StR 462/94 Rn. 6). Für eine vergleichbare zweckorientierte Abschwächung des Formerfordernisses, wie sie für die Einreichung in Papierform anerkannt ist, lässt die für die Einreichung elektronischer Dokumente allein maßgebliche Vorschrift des § 32a StPO keinen Raum (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 398/21, BGHSt 67, 69 Rn. 9).

b) Daran gemessen genügen weder die online auf dem Portal des Polizeipräsidiums erstattete Anzeige noch das unterschriebene Vernehmungsprotokoll den Formerfordernissen eines Strafantrags.

Die Anzeige, die die Geschädigte am 8. Juli 2021 online auf dem Portal des Polizeipräsidiums erstattet hat, enthält keine Unterschrift. Auch das unterschriebene Vernehmungsprotokoll genĂĽgt den Anforderungen nicht, denn ein unmissverständlicher Verfolgungswille hinsichtlich des Antragsdelikts der Verleumdung lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Soweit sich die Zeugin bei dieser Vernehmung zu den Verleumdungen äuĂźert, beschreibt sie lediglich den Grund fĂĽr ihre Anzeige; dass sie aber auch hinsichtlich dieser Delikte zu ihrem Nachteil eine Strafverfolgung erstrebt, ergibt sich daraus nicht.“

Die richtige Form des Strafantrages ist ja derzeit ggf. noch ein Verteidigungsansatz. Durch das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“  sind aber Änderungen beim Schriftformerfordernis betreffend den Strafantrag geplant. Ich habe darüber berichtet. Das macht es demnächst ggf. schwieriger.

EV III: Schriftform beim Strafantrag, oder: Strafantrag stellt man nicht ĂĽber die „Onlinewache“ der Polizei

© kostsov – Fotolia.com

Und die dritte Entscheidung ist dann ein amtsgerichtlicher Beschluss, nämlich der AG Auerbach,  Beschl. v. 26.01.2021 – 3 Cs 500 Js 24368/20. In ihm geht es um das Formerfordernis des § 158 Abs. 2 StPO – also Stellung des Strafantrags.

Die StA hat den Erlass eines Strafbefehls wegen Beleidigung zu Lasten der Mitarbeiterin des Jobcenters vom 11.08.2020. Strafantrag wurde lediglich durch den Dienstvorgesetzten der Geschädigten per Onlineanzeige vom 12.08.2020 gestellt. Der Dienstvorgesetzte bediente sich dabei der Onlinewache der Polizei Sachsen und beantwortete die dort gestellte Frage „Stellen Sie Strafantrag?“ mit „Ja“.

Das AG hat das Verfahren eingestellt:

„Die Beleidigung kann gem. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB nur auf Antrag verfolgt werden. Gemäß § 194 Abs. 3 StGB ist auch eine Antragstellung durch den Dienstvorgesetzten grundsätzlich möglich. Allerdings unterliegen alle Strafanträge wegen Beleidigung der Formvorschrift des § 158 Abs. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift muss der Strafantrag bei Straftaten, den Verfolgung nur auf Antrag möglich ist, bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft schriftlich oder zu Protokoll, bei einer anderen Behörde schriftlich angebracht werden. Daraus folgt, dass der Strafantrag bei der Polizei schriftlich zu stellen ist.

Die Schriftform ist jedenfalls dann gewahrt, wenn der Strafantrag der Form Vorschrift des § 126 BGB genügt. Danach muss die Urkunde eigenhändig zumindest durch Namensunterschrift unterzeichnet werden. Insgesamt werden aber keine hohen Anforderungen in diesem Zusammenhang gestellt. So genügt es, wenn der Strafantragsteller gegenüber der Polizei seinen Verfolgungswillen unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck bringt, vgl. BGH NStZ 1995, 353. Dementsprechend kann auch im Rahmen der schriftlichen Strafanzeige konkludent der Strafantrag enthalten sein. Auch wird das Merkmal schriftlich im Allgemeinen weit, d. h. über die Grenzen des § 126 BGB hinaus ausgelegt. Schriftlich wird danach als schriftlich niedergelegt, nicht aber zwingend als unterschrieben verstanden. So wurde es als ausreichend angesehen, dass ein Antragsteller im Rahmen seiner polizeilichen Zeugenvernehmung selbst auf Tonband den Strafantrag aufspricht und dieser dann durch die Polizei in ein schriftliches Protokoll umgesetzt wird, vgl. Bayrisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.04.1997, 5 StRR 18/97. Entscheidend sei, dass der Zweck der Formvorschrift, nämlich die Sicherstellung der Identität des Erklärenden und des Inhalts der Erklärung, gewahrt wird.

Diesen letzten Gedanken aufgreifend wird vereinzelt auch vertreten, dass ein über die Onlinewachen der einzelnen Polizeiverwaltungen eingereichter Strafantrag dem Formerfordernis genüge, vgl. Jesse DRiZ 2018, 28. Diese Auffassung wird jedoch nicht geteilt. Es ist bereits fraglich, ob allein durch die Angaben im Rahmen der Onlineanzeige die oben beschriebene Hauptfunktion des Schriftformerfordernisses, nämlich die zweifelsfreie Zuordnung der Erklärung zum Antragsteller als Basis für weitere Ermittlungen, durch eine Onlineanzeige gewahrt werden könnte. Die Nutzung der Onlinewache bleibt im Kern ein anonymer Vorgang. Selbst wenn dabei die IP-Adresse erfasst wird, lässt sich damit allenfalls der genutzte Computer, nicht aber der Nutzer identifizieren. Dies ist ein entscheidender Unterschied zur oben zitierten Rechtsauffassung des Bayrischen Oberlandesgerichts. Bei der Onlineanzeige findet gerade kein persönlicher Kontakt zwischen Polizei und Antragsteller statt, der weitere konkrete Überprüfungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren, insbesondere durch Befragen des aufnehmenden Polizeibeamten, ermöglicht.

DarĂĽber hinaus dient ein Schriftformerfordernis nicht nur dem Schutz des Erklärungsempfängers, sondern auch des Erklärenden. Er soll vor den Folgen einer weitreichenden aber ĂĽberhastet abgegebenen Erklärung geschĂĽtzt werden. Denn in der Regel geht mit der Abgabe einer schriftlichen Erklärung das Bewusstsein einher, eine Erklärung von erheblicher Tragweite abzugeben. Nichts anderes gilt, wenn die Erklärung persönlich zum Zwecke der späteren Niederschrift persönlich vor einem Polizeibeamten abgegeben wird, s. o. FĂĽr den Strafantrag gilt diese Schutzfunktion aus zweierlei GrĂĽnden. Zum einen betreffen die reinen Antragsdelikte im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO häufig Straftatbestände, die im engen persönlichen Umfeld des Antragstellers verwirklicht wurden. Mit dem Erfordernis des Strafantrags hat der Gesetzgeber in den §§ 194 und 247 StGB ausdrĂĽcklich dem Geschädigten die Wahl gelassen, ob eine staatliche Einmischung in diese engen persönlichen Verhältnisse durch die Strafverfolgung erfolgen soll oder nicht. Zum anderen zieht ein gestellter Strafantrag fĂĽr den Fall der RĂĽcknahme auch immer die Kostenfolge des § 470 StPO nach sich. Diese finanziellen Auswirkungen können, etwa wenn sich der Beschuldigte eines Rechtsbeistands bedient, sehr erheblich sein. Gerade vor diesen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen eines gegebenenfalls ĂĽberhastet und unĂĽberlegt gestellten Strafantrags schĂĽtzt das Schriftformerfordernis im § 158 Abs. 2 StPO. Diese Schutzfunktion der Schriftform wĂĽrde völlig aufgegeben, folgte man der Auffassung, auch einen nur online gestellten Strafantrag im Sinne des § 158 Abs. 2 StPO genĂĽgen zu lassen.“