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Akteneinsicht II: 4 x zur AE im Bußgeldverfahren, oder: Umfang, Einstellung, Umformatierung, Rohmessdaten

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Vor ein paar Jahren habe ich  bald wöchentlich über Fragen der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren berichtet. Inzwischen haben sich manche Probleme zu dem Themenkreis erledigt, andere sind hinzu gekommen. Insgesamt steht das Thema nicht mehr so im Vordergrund, wenn auch die OLG weitgehend nach wie vor mauern und versuchen, die Rechtsprechung der VerfG zu umgehen. In dem Zusammenhang warten alle auf die vom BVerfG angekündigte zweite Entscheidung (2 BvR 1167/20).

Ich habe hier heute dann mal wieder einige AG-Entscheidungen, die mir Kollegen zu der Problematik in der letzten Zeit geschickt haben. Die stelle ich der Vollständigkeit halber, aber auch, um mal wieder das Problem zu erinnern, vor:

Dem Betroffenen steht aus dem Recht auf faire Verfahrensgestaltung ein Anspruch auf Einsicht in die Messserie des Tattages sowie in die gegenständliche xml-Datei nebst Überlassung von Passwort und Token zu.

Ermöglicht es die Verwaltungsbehörde dem Gericht für die Dauer des Verfahrens nicht die Bedienungsanleitung des Gerätes ausreichend zur Kenntnis zu nehmen, sie zur Akte zu nehmen und untersagt sie auch ein Kopieren, so ist die Messung nicht prüfbar. Das Verfahren kann nach § 47 OWiG eingestellt werden.

Dem Akteneinsichtsrecht im Bußgeldverfahren wird damit genüge getan, dass die Verwaltungsbehörde der Verteidigung eine Kopie des gesamten Originalmessfilms im sbt-Format zur Verfügung stellt. Es existiert weder ein Recht noch eine Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, die sich bei den Akten befindlichen Datenträger bzw. die darauf befindlichen Daten durch eine Umformatierung abzuändern.

Auch unter Beachtung der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 (2 BvR 1616/18) steht dem Betroffenen ein Recht auf Zugang zu, außerhalb der Akte befindlichen Informationen, insbesondere der vollständigen Rohmessdaten der Messreihe nicht zu.

Klageerzwingung II: Unterzeichnung des Antrags, oder: Hat ein „Rechtsanwalt“ unterzeichnet?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Bamberg, Beschl. v. 08.06.2021 – 1 Ws 290/21 – geht es auch um die Formwirksamkeit eines Klageerzwingungsantrages. Hier war der Antrag vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers unterzeichnet. Der war aber „nur“ Hochschullehrer und Strafverteidiger und nicht zugleich auch Rechtsanwalt. Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen.

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 1 StPO) ist bereits deshalb unzulässig, weil er entgegen § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ist. Die Unterzeichnung des Antrags durch einen Strafverteidiger und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule, der, wie vorliegend, nicht gleichzeitig Rechtsanwalt ist, erfüllt das vorgenannte Formerfordernis nicht (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 172 Rn. 32; Müko/Kölbel StPO § 172 Rn. 50; SK/Wohlers StPO 5. Aufl. § 172 Rn. 57; Radtke/Hohmann/Kretschmer StPO § 172 Rn. 24; Gercke/Julius/Temming/Zöller StPO 6. Aufl. § 172 Rn. 19; LK/Graalmann-Scheerer StPO 27. Aufl. Rn. 141; vgl. auch KK/Moldenhauer StPO 8. Aufl. § 172 Rn. 33; BeckOK/Gorf StPO 39. Ed. [Stand: 01.01.2021] § 172 Rn. 15; a.A. Ladiges JR 2013, 295). Indem der Gesetzgeber klar zwischen den Begriffen „Rechtsanwalt“ und „Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule“ differenziert (§ 138 Abs. 1 StPO) und letzteren nur im Ausnahmefall, nämlich hinsichtlich der Möglichkeit als Verteidiger aufzutreten, einem Rechtsanwalt gleichstellt (§§ 138, 345 Abs. 2 StPO) lassen bereits Gesetzeswortlaut und Systematik des Gesetzes klar erkennen, dass ein Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule nicht einem Rechtsanwalt im Sinne des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gleichzusetzen ist. Soweit argumentiert wird, Zweck des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO sei es, offensichtlich aussichtslose Anträge von Rechtsunkundigen zu verhindern, weshalb der Schriftsatz eines Rechtslehrers an deutschen Hochschulen die Formvorschrift erfülle (Ladiges a.a.O.), vermag der Senat diesen Schluss nicht zu ziehen. Um seinen Zweck zu erreichen, knüpft das Gesetz die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags mit § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gerade nicht an die bloße Rechtskundigkeit oder -unkundigkeit eines Unterzeichners, sondern stellt aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit auf ein formales, für alle Seiten leicht zu überprüfendes Kriterium (Rechtsanwaltseigenschaft) ab.“

Kein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid per Email, oder: Finger weg!!!

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Und die zweite Entscheidung kommt aus dem Süden, und zwar vom LG Tübingen. Das nimmt im LG Tübingen, Beschl. v. 28.01.2019 – 9 Qs 6/19 – (noch einmal) zur Frage Stellung: Ist die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid mit Email wirksam/zulässig. Das LG sagt – mit der wohl h.M. zu dieser Frage: Nein:

Zutreffend geht das Amtsgericht Reutlingen davon aus, dass der Einspruch vom 10.10.2018 ver-spätet war. Die zweiwöchige Frist sowie die durch die Bußgeldbehörde nachträglich eingeräumte Frist zum 23.08.2018 war bereits abgelaufen.

Der Einspruch vom 06.08.2018 war wegen Verstoßes gegen das Formerfordernis nach § 67 Abs. 1 S. 1 OWiG unwirksam.

§ 67 Abs. 1 S. 1 OWiG sieht vor, dass der Einspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde, die den Bußgeldbescheid erlassen hat, eingelegt werden kann. Hierfür genügt die Einlegung per E-Mail nicht (Vgl. LG Münster, Beschluss vom 12.10.2015 – 2 Qs-89 Js 1834/15-76/15; LG Fulda, Beschluss vom 02.07.2012 – 2 Qs 65/12; LG Heidelberg, Beschluss vom 18. 1. 2008 – 11 Qs 2/08 Owi; AG Hünfeld, Beschluss vom 26.11.2012 – 3 OWi 32 Js 17217/12; a.A. LG Mosbach, Beschluss vom 30. August 2018 — 1 Qs 22/18).

Mit Verordnung der Landesregierung zur Übergangsregelung zum Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs und zur Änderung der Subdelegationsverordnung Justiz vom 5. Dezember 2017 wird geregelt, dass § 110a OWiG in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2018 weiter Anwendung findet. Nach § 110a Abs. 1 S.1 OWiG in der bis zum 31.12.2018 in Ba¬den-Württemberg geltenden Fassung können an die Behörde oder das Gericht gerichtete Erklä¬rungen, Anträge oder deren Begründung, die nach diesem Gesetz ausdrücklich schriftlich abzu¬fassen sind, als elektronisches Dokument eingereicht werden, wenn dieses mit einer qualifizier¬ten elektronischen Signatur versehen ist. Die Verordnung des Justizministeriums über den elek¬tronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg (Landes-Elektronischer-Rechtsverkehr-Verord¬nung – LERVVO) vom 21. März 2018 (gültig bis 31.12.2018) regelt in § 7, dass anstelle der Über¬mittlung eines elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur die Übermittlung auch auf einem sicheren Übermittlungswege erfolgen kann.
Eine einfache E-Mail genügt diesen Formerfordernissen nicht (Vgl. LG Münster, Beschluss vom 12.10.2015 – 2 Qs-89 Js 1834/15-76/15).

Sinn und Zweck des Formerfordernisses in § 67 OWiG ist es zu gewährleisten, dass der Erklä-rungsinhalt dem konkreten Absender zugeordnet werden kann ‚und sein Erklärungswille klar her-vortritt. Eine E-Mail identifiziert den Absender nicht ausreichend, weshalb hier die besondere Missbrauchsanfälligkeit erhebliche Sicherheitsbedenken gegen die Zulässigkeit des Einspruchs per E-Mail aufkommen lässt.

Auch hat die Bußgeldbehörde vorliegend durch die Angabe ihrer E-Mail-Adresse im Briefkopf keine zusätzliche Form der Rechtsbehelfseinlegung geschaffen. Im Gegenteil wird in der Rechtsbehelfsbelehrung auf das Formerfordernis „schriftlich bzw. zur Niederschrift bei der oben genannten Behörde“ hingewiesen (vgl. LG Fulda, Beschluss vom 02.07.2012 – 2 Qs 65/12). Jedenfalls gab die Bußgeldbehörde dem Betroffenen mit ihrem Schreiben vom 13.08.2018 unmissverständlich zu verstehen, dass sein per E-Mail eingelegter Einspruch nicht wirksam war und setzte ihm eine Frist bis zum 23.08.2018, um formwirksam Einspruch einzulegen. Diese Frist ließ der Betroffene jedoch verstreichen. Der am 10.10.2018 eingelegte Einspruch durch seinen Rechtsanwalt war mithin verfristet. Unschädlich ist hierbei auch, dass die Bußgeldbehörde den Rechtsanwalt des Betroffenen mit Schreiben vom 15.11.2018 zur Begründung des Einspruchs auffordert, da dies die zuvor mit Schreiben vom 13.08.2018 getroffene Einschätzung zur Formunwirksamkeit des Einspruchs unberührt lässt. Im Übrigen präjudiziert die Sachprüfung der Verwaltungsbehörde nicht die gerichtliche Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (LG Münster, Beschluss vom 12.10.2015 – 2 Qs-89 Js 1834/15-76/15).“

Also: Finger weg von Email.

Der schmale Grat in der Revision, oder: Volle Verantwortung der Verteidigers erforderlich

© Dan Race - Fotolia.com

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Der BGH, Beschl. v. 02.07.2014 – 4 StR 215/14 – zeigt mal wieder anschaulich, wie schmal der Grat sein kann, auf dem man als Verteidiger bei der Begründung der Revision wandelt und wie nahe häufig der Absturz = die Unzulässigkeit der Revision ist. Im Verfahren fand der BGH ein „gehöriges Haar in der Suppe“ und hat die Revision verworfen, weil sie nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entsprochen hat:

„2. Die Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO unzulässig, weil sie nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entspricht. Danach muss eine Revisionsbegründung in einer von einem Verteidiger unterzeichneten Schrift erfolgen, die er grundsätzlich selbst zu verfassen, zumindest an ihr gestaltend mitzuwirken hat. Ferner darf kein Zweifel bestehen, dass der Rechtsanwalt die volle Verantwortung für den Inhalt der Schrift übernommen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Juni 2002 – 3 StR 151/02, NStZ-RR 2002, 309).

Solche Zweifel ergeben sich hier aus der Fassung der Revisionsbegründung. Die sich an den Satz „… wird … für den Beschuldigten die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt“ anschließenden Formulierungen „beanstandet der Beschuldigte“ und „begegnen die Feststellungen … erheblichen Bedenken auf Seiten des Beschuldigten“ sowie „nach Auffassung des Beschuldigten liegen dieser Feststellung …“ belegen, dass der Verteidiger lediglich die vom Angeklagten stammenden Beanstandungen vorträgt und zusammenfasst, ohne selbst dafür die Verantwortung zu übernehmen. Diese Wortwahl in Verbindung mit der Wiedergabe der vom Beschuldigten stammenden Ausführungen in indirekter Rede deutet auf eine Distanzierung des Verteidigers hin, zumal dieser dem Revisionsbegründungsschriftsatz keine eigenen Begründungselemente hinzugefügt hat. Ergänzend kommt die Distanzierung des Verteidigers in seiner abschließenden Bemerkung zum Ausdruck, er habe seinen Mandanten ausführlich über das Rechtsmittel der Revision belehrt, der Beschuldigte habe aber darauf beharrt, die vorstehenden Ausführungen zu machen.

Auch der vorangestellten allgemeinen Sachrüge kann in diesem Zusammenhang keine eigenständige Bedeutung zugemessen werden. Da der Angeklagte lediglich durch die angeordnete Unterbringung beschwert sein kann, der Verteidiger sich jedoch in seinen nachfolgenden Ausführungen von der Ansicht des Beschuldigten, die Voraussetzungen einer Unterbringung im Sinne von § 63 StGB lägen nicht vor, distanziert, verbleibt kein Raum mehr für eine dar-über hinausgehende Sachrüge. Der Satz „… wird unter Bezugnahme … für den Beschuldigten die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt“ kann deshalb nur als zusammenfassender Einleitungssatz der vom Angeklagten stammenden Begründung, nicht aber als eigenständige, von der Revisionsbegründung des Angeklagten unabhängige Rechtsmittelbegründung des Verteidigers verstanden werden. Insgesamt bestehen deshalb durchgreifende Zweifel daran, dass der Verteidiger die volle Verantwortung für den Inhalt der Begründung übernommen hat; die Revisionsbegründungsschrift ist deshalb trotz Unterzeichnung durch den Verteidiger unwirksam.

Also aufgepasst – wenn es nicht unzulässig werden soll. Den Beschluss würde ich auch unter „Fortbildung“ einstellen/buchen.

Das Phänomen der Reue, oder: Die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Nicht selten bereuen Angeklagte später eine Rechtsmittelrücknahme. Dieses Phänomen kann man häufig nach einem Verteidigerwechsel feststellen. Dann wird die Wirksamkeit der vom früheren Verteidiger erklärten Rechtsmittelrücknahme bezweifelt/angefochten und versucht, das Verfahren fortzusetzen. I.d.R. geht es dann um die Frage, ob der Verteidiger eine für die Rechtsmittelrücknahme ausreichende Vollmacht hatte. So auch im BGH, Beschl. v. 05.02.2014 – 1 StR 527/13, in der sich der BGH zum wiederholten Mal mit den Fragen zu befassen hatte. Von Bedeutung insofern, weil der 1. Strafsenat noch einmal darauf hinweist, dass für die Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme keine bestimmte Form vorgesehen ist und der Nachweis auch noch nach Abgabe der Rücknahmeerklärung – auch durch anwaltliche Versicherung des Verteidigers – geführt werden kann.