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Klageerzwingung II: Unterzeichnung des Antrags, oder: Hat ein „Rechtsanwalt“ unterzeichnet?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Bamberg, Beschl. v. 08.06.2021 – 1 Ws 290/21 – geht es auch um die Formwirksamkeit eines Klageerzwingungsantrages. Hier war der Antrag vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers unterzeichnet. Der war aber „nur“ Hochschullehrer und Strafverteidiger und nicht zugleich auch Rechtsanwalt. Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen.

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 1 StPO) ist bereits deshalb unzulässig, weil er entgegen § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ist. Die Unterzeichnung des Antrags durch einen Strafverteidiger und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule, der, wie vorliegend, nicht gleichzeitig Rechtsanwalt ist, erfüllt das vorgenannte Formerfordernis nicht (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 172 Rn. 32; Müko/Kölbel StPO § 172 Rn. 50; SK/Wohlers StPO 5. Aufl. § 172 Rn. 57; Radtke/Hohmann/Kretschmer StPO § 172 Rn. 24; Gercke/Julius/Temming/Zöller StPO 6. Aufl. § 172 Rn. 19; LK/Graalmann-Scheerer StPO 27. Aufl. Rn. 141; vgl. auch KK/Moldenhauer StPO 8. Aufl. § 172 Rn. 33; BeckOK/Gorf StPO 39. Ed. [Stand: 01.01.2021] § 172 Rn. 15; a.A. Ladiges JR 2013, 295). Indem der Gesetzgeber klar zwischen den Begriffen „Rechtsanwalt“ und „Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule“ differenziert (§ 138 Abs. 1 StPO) und letzteren nur im Ausnahmefall, nämlich hinsichtlich der Möglichkeit als Verteidiger aufzutreten, einem Rechtsanwalt gleichstellt (§§ 138, 345 Abs. 2 StPO) lassen bereits Gesetzeswortlaut und Systematik des Gesetzes klar erkennen, dass ein Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule nicht einem Rechtsanwalt im Sinne des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gleichzusetzen ist. Soweit argumentiert wird, Zweck des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO sei es, offensichtlich aussichtslose Anträge von Rechtsunkundigen zu verhindern, weshalb der Schriftsatz eines Rechtslehrers an deutschen Hochschulen die Formvorschrift erfülle (Ladiges a.a.O.), vermag der Senat diesen Schluss nicht zu ziehen. Um seinen Zweck zu erreichen, knüpft das Gesetz die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags mit § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gerade nicht an die bloße Rechtskundigkeit oder -unkundigkeit eines Unterzeichners, sondern stellt aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit auf ein formales, für alle Seiten leicht zu überprüfendes Kriterium (Rechtsanwaltseigenschaft) ab.“

Die Strafvereitelung des Strafverteidigers, oder: Das (falsche) einheitliche Verteidigungskonzept

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Was passt thematisch nun am besten zum Morgenposting zum 41. Strafverteidigertag (vgl. dazu 41. StV-Tag – Der Schrei nach Strafe, oder: Bremen wir kommen). Nun, ich habe mich für den BGH, Beschl. v.  21.02.2017 –  1 StR 632/16 – entschieden. Sicherlich vom Sachverhalt her nicht unbedingt eine schöne Entscheidung, da es um Strafvereitelung durch einen Strafverteidiger geht. Aber: Sie mag als Warnung dienen, dass man als Verteidiger so, wie es der Kollege hier getan hat, nicht agieren darf.

Der angeklagte Strafverteidiger ist vom LG Ulm wegen versuchter Strafvereitelung in vier Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage und in einem Fall in Tateinheit mit dem Versuch der Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.

Seine Revision hatte nur hinsichtliche der konkurrenzrechtlichen Bewertung Erfolg. Denn:

„………Die Annahme des Landgerichts, es handele sich um vier selbständige, tatmehrheitlich begangene Taten der versuchten Strafvereitelung, trifft nicht zu. Vielmehr liegt nur eine einheitliche Tat vor.

Der wahrheitswidrige Vortrag des Angeklagten im Haftprüfungstermin im Strafverfahren gegen seinen Mandanten und die Einwirkungen auf die drei Zeugen erfolgten aufgrund eines einheitlichen Verteidigungskonzeptes und sind somit als eine Tat im Rechtssinne anzusehen. Denn sie sind sämtlich darauf gerichtet, einen Strafmilderungsgrund in Form einer „nachvollziehbaren Racheaktion“ vorzutäuschen, um eine mildere Bestrafung des Mandanten des Angeklagten zu erreichen. Somit stellen sie bei deliktsbezogener Betrachtung (BGH, Beschluss vom 3. Mai 1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 163 f.) nach den Grenzen der tatbestandlichen Handlungseinheit nur einen einheitli-chen Versuch der Strafvereitelung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 – 3 StR 203/08, BGHR StGB § 258 Abs. 1 Konkurrenzen 1 mwN). Eine rechtlich bedeutsame Zäsur ist innerhalb des Tatzeitraums nicht eingetreten.

Die Bewertung des Verhaltens als einheitlicher Versuch der Strafvereitelung führt zur Annahme von Tateinheit auch bezüglich der im Zuge dieses Handelns begangenen Anstiftungen zur uneidlichen Falschaussage bzw. dem Versuch der Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage durch Verklammerung. Die hierfür erforderliche annähernde Wertgleichheit (vgl. BGH aaO mwN) ist mit Blick auf die konkreten Umstände der Tat trotz der versuchsbedingten Milderung des Strafrahmens der Strafvereitelung gegeben.

2. Der Senat konnte den Schuldspruch selbst umstellen; es ist auszuschließen, dass der Angeklagte sich hiergegen anders hätte verteidigen kön-nen. Mit der Annahme von Tateinheit entfallen die festgesetzten Einzelstrafen und damit auch die Gesamtfreiheitsstrafe. Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es nicht, da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt.“

Strafvereitelung des Strafverteidigers – Wann ist der Rat zu „Selbstschutzmaßnahmen“ des Beschuldigten strafbar?

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Die Strafvereitelung des Strafverteidigers ist ein Thema, das von erheblicher praktischer Relevanz ist. Daher verdient der OLG Nürnberg, Beschl. v. 12.03.2012 – 1 St OLG Ss 272/11 -Beachtung, über die wir demnächst auch im StRR berichten werden.

Zum Sachverhalt: Der angeklagte Rechtsanwalt war Verteidiger eines wegen eines Verstoßes gegen das BtMG angeklagten Mandanten. Im Anschluss an eine Sitzung eröffnete er diesen, dass es für ihn nicht gut aussehe und es deshalb an der Zeit wäre, die Verteidigungsstrategie zu ändern, denn es sei demnächst mit einer belastenden Aussage des Mitangeklagten H zu rechnen. Er forderte von sich aus seinen Mandanten auf, den H fälschlicherweise einer 50:50-Beteiligung an den Rauschgiftdelikten zu bezichtigen und dazu die im Raum stehenden Mengen des gehandelten Rauschgifts zu erhöhen. Der H sollte auf diese Weise in ein schiefes Licht gerückt werden, wovon sich der Verteidiger eine Einbuße der Glaubwürdigkeit der den G belastenden Angaben des H und verbunden damit eine mildere Strafe für seinen Mandanten versprach. Zusätzlich forderte er den G auf, auch der weiteren Mitangeklagten L „etwas hineinzudrücken“, also diese mit falschen Vorwürfen zu belasten, um auf diese Weise deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern und dadurch eine Strafmilderung für seinen Mandanten zu bewirken. In einer Art „Brainstorming“ erörterte er dazu mit seinem Mandanten die Konstruktion möglicher Sachverhaltsvarianten. Im Anschluss daran vereinbarte der Strafverteidiger einen polizeilichen Vernehmungstermin. Vor der Vernehmung besprach er vertraulich mit seinem Mandanten dessen beabsichtigte Aussage, die – wie der Verteidiger wusste – zwar falsch war, aber von ihm als „gute Story“ angesehen wurde. In der Vernehmung machte der G die falschen Aussagen in Anwesenheit des Verteidigers.

Das OLG hat das landgerichtliche Urteil im Strafausspruch aufgehoben; das LG hatte den Verteidiger wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf ohne Bewährung verurteilt. Den Schuldspruch hat das OLG bestätigt. Das OLG argumentiert wie folgt:

  • Grundsätzlich darf der Verteidiger alles tun, was in gesetzlich nicht zu beanstandener Weise seinem Mandanten nützt.  Hier hat der Verteidiger aber, was vom OLG zutreffend festgestellt wird, die Grenzen des Zulässigen klar überschritten.
  • Aus dieser Feststellung folgt für das OLG aber noch nicht die Strafbarkeit des Verteidigers, sondern erst durch die anschließende Bejahung täterschaftlichen Handelns des Verteidigers. Damit bekennt sich das OLG Nürnberg ausdrücklich zur Abgrenzung nach den Regeln der Tatherrschaftslehre und folgt dabei der von einem Teil des Schrifttums vertretenen Theorie von der straflosen Veranlassung zum Selbstschutz . Demnach handelt es sich um bloße straflose Teilnahme an der Selbstbegünstigung, wenn der Verteidiger den Vortäter zu Selbstschutznahmen auffordere oder ihn darin bestärke. Dagegen ist er Täter der Strafvereitelung, wenn er den Mandanten eigenständig sachlichen Beistand in Form physischer oder intellektueller Hilfe gewährt, also z.B. konkrete Hilfe, Ratschläge oder Tipps gibt. Und das war hier schon durch das eigenständige Erfinden von Lügen der Fall. Auf die späteren Akte der Vorbereitung der polizeilichen Vernehmung bzw. auf die Teilnahme an derselben durch den Verteidiger, worauf das OLG abstellt, kam es m.E. gar nicht mehr an..

Wochenspiegel für die 17. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten:

  1. Über einen unpünktlichen Strafverteidiger.
  2. Über das, was Polizisten bei Kontrollen nicht mögen.
  3. Über eine schnelle Geburt.
  4. Sind Briefe wirklich am nächsten Werktag da? Meine nie 🙂
  5. Über den Radfahrer und die Vorfahrt.
  6. Über mal ein ganzes anderes Ranking.
  7. Über (keine) Pflichtverteidigung bei Bewährung.
  8. Über die Fluchtgefahr bei Ausländern.
  9. Über den insolventen Mandaten und die Kosten.
  10. Über einen unerwarteten Steuerbescheid.

Anwaltliche Schweigepflicht: Grundsätzlich umfassend

Der BGH, Beschl. v. 16. 2. 2011 – IV ZB 23/09 befasst sich mit der Reichweite der Verschwiegenheitspflicht eines als Strafverteidiges tätig gewordenen Rechtsanwalts.

Nach dem Sachverhalt bestand Streit über ein Zeugnisverweigerungsrecht. Der Beschwerdeführer war einer der Strafverteidiger in einem Strafverfahren gegen ein Ehepaar wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Im Rahmen der Hauptverhandlung kam es zu einer Absprache über einen Täter-Opfer-Ausgleich und den Abschluss einer Schlichtungsvereinbarung zwischen den Angeklagten und dem Geschädigten, die Voraussetzung einer Strafaussetzung zur Bewährung sein sollte. In einer Verhandlungspause fanden im Gerichtsflur Gespräche unter den Angehörigen der Angeklagten darüber statt, wie die benötigten 10.000 € aufgebracht werden könnten. Man kam dahin überein, dass der Vater und der Bruder je 5.000 € in bar zahlten. Bei diesem Gespräch waren auch die Verteidiger anwesend. Nunmehr nimmt der Bruder des angeklagten Ehemannes die Mutter der angeklagten Ehefrau auf Rückzahlung von 5.000 € mit der Behauptung in Anspruch, er habe ihr das Geld zur „Auslösung“ ihrer Tochter als Darlehen gegeben. Zum Beweis für die Darlehensabrede hat er sich auf das Zeugnis des Beschwerdeführers berufen. Dieser verweigerte die Aussage, weil sein Mandant ihn nicht von seiner Schweigepflicht entbunden hatte. Amtsgericht und Landgericht haben die Aussageverweigerung für unberechtigt gehalten. Die Abmachungen der Angehörigen über eine Erstattungspflicht zählten nicht zu den Tatsachen, die der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Tätigkeit erfahren habe. Sie seien so weit von seiner Verteidigung entfernt, dass sie dem Zufallswisssen eines auf den Termin wartenden Rechtsanwalts gleichzustellen seien. Die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs.1 S.1 Nr.2 ZPO hatte Erfolg.

Der BGH hält die Aussageverweigerung in seiner Entscheidung für berechtigt. Die Reichweite der in § 43a Abs. 2 BRAO geregelte Verschwiegenheitspflicht eines Rechtsanwalts sei verkannt. Unter diese falle alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden sei, ohne dass es darauf ankomme, wie das Wissen erworben wurde. Sie umfasse deshalb auch Zufallswissen, das im Rahmen beruflicher Tätigkeiten erlangt wurde. Davon sei abzugrenzen, was der Anwalt nur anlässlich seiner Tätigkeit erfahre, ohne dass ein innerer Zusammenhang mit dem Mandat bestehe. Als Beispiel führt der BGH Kenntnisse an, die ein Anwalt als wartender Zuhörer einer Verhandlung erlangt und die mit seinem Mandat nichts zu tun haben. Im konkreten Fall sei der Beschwerdeführer jedoch nicht zufälliger Zuhörer einer Unterredung im Gerichtsflur gewesen. Er habe dieser vielmehr als Vertreter seines Mandanten, der den Gerichtssaal nicht verlassen durfte und der sich von einer Freiheitsstrafe bedroht sah, teilgenommen. Dass eine Schlichtungsvereinbarung zustande kam und das dafür benötigte Geld aufgebracht wurde, berührte besonders die Interessen seines Mandanten. Daraus folge, dass der Verteidiger das Gespräch nicht als unbeteiligter Zuhörer verfolgt habe. Von der damit bestehenden Verschwiegenheitspflicht hätte der Verteidiger nur durch seinen Mandanten befreit werden können. Dieser sei „Herr des Geheimnisses“ (BGHZ 109, 260) auch bezüglich solcher Tatsachen, die dem Anwalt von Dritten mitgeteilt worden seien. Die Verweigerung einer Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht sei grundsätzlich zu beachten. Ausnahmen bestünden nur, wenn es um die Bekämpfung schwerster Straftaten oder die Erfüllung von Steuergesetzen geht. Zu einer generellen Abwägung, ob schützenswerte Interessen seines Mandanten berührt seien, sei der Anwalt nicht berechtigt.