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Vollstreckung I: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Widerruf einer nachträglichen Gesamtstrafe

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In die 49. KW., die „Nikolauswoche“ :-), starte ich dann mit zwei vollstreckunsgrechtlichen Entscheidungen. Muss auch mal sein und ich habe zu der Thematik schon längere Zeit keine Entscheidungen mehr vorgestellt.

Ich beginne hier mit dem OLG Celle, Beschl. v. 26.08.2022 – 2 Ws 181/22 – zum Widerruf einer in einem nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, wenn die Tatzeit der weiteren Tat lediglich in die Bewährungszeit der zeitlich ersten, in die Gesamtstrafe einbezogenen Verurteilung fällt. Das OLG Celle sagt – jetzt: Das geht. „Jetzt“ deshlab, weil das OLG das früher anders gesehen hat, also seine bisherige Rechtsprechung im OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2010 – 2 Ws 285/10 – aufgibt:

„Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht Hannover – Strafvollstreckungskammer – hat zurecht die Aussetzung der Vollstreckung der im Gesamtstrafenbeschluss vom 17.03.2021 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung widerrufen.

1. Denn der Verurteilte ist innerhalb der vom Amtsgericht Delmenhorst festgelegten Bewährungszeit bereits wenige Monate nach seiner Verurteilung erneut mit einschlägigen Delikten straffällig geworden und hat hierdurch gezeigt, dass sich die in ihn gesetzte Erwartung, er werde auch ohne den Vollzug der Freiheitsstrafe künftig keine weiteren Straftaten begehen, nicht erfüllt hat und stattdessen auch in der Zukunft weitere Straftaten von ihm zu befürchten sind.

a) Dem Widerruf steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der neuen Taten der in den Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Delmenhorst einbezogene Strafbefehl des Amtsgerichts Aschaffenburg noch nicht ergangen war.

Bislang ist umstritten, ob der Widerruf einer durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung aufgrund einer weiteren Straftat des Verurteilten allenfalls dann möglich sein könne, wenn diese Tat innerhalb der Bewährungszeit sämtlicher dem Gesamtstrafenbeschluss zugrundeliegender Verurteilungen liegt (so: Senat, 2 Ws 285/10, Beschluss v. 24.08.2010; LG Berlin, 528 Qs 90/13, Beschluss v. 16.09.2013; S/S-Kinzig, StGB, § 56f, Rn 5), oder ob es ausreicht, dass diese Tat innerhalb der Bewährungszeit des als erstes ergangenen einbezogenen Urteils, aber noch vor dem bzw. den nachfolgenden einbezogenen Entscheidungen begangen wurde (so: OLG Hamm, 3 Ws 304/14, Beschluss v. 18.09.2014; OLG Stuttgart, 4 Ws 293/18, Beschluss v. 12.12.2018; OLG Bremen, 1 Ws 111/19, Beschluss v. 17.09.2019).

b) Soweit es der Senat bislang aufgrund dogmatischer Bedenken für erforderlich gehalten hatte, dass eine neue Straftat des Verurteilten nur dann den Widerruf einer durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könne, wenn die neue Straftat innerhalb der Bewährungszeit sämtlicher einbezogener Entscheidungen begangen wurde (Senat, 2 Ws 285/10, Beschluss v. 24.08.2010), hält der Senat hieran nicht mehr fest.

Denn die besseren Argumente sprechen dafür, die Widerrufsmöglichkeit auch auf Fallkonstellationen zu erstrecken, in denen die neue Tat nur in die Bewährungszeit der zeitlich ersten einbezogenen Entscheidung fällt (vgl. bzgl. allem folgenden: OLG Hamm, a.a.O., OLG Stuttgart, a.a.O., OLG Bremen a.a.O.).

aa) Bereits der Wortlaut des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB streitet hierfür. Denn als Voraussetzung für den Widerruf wird hier ausdrücklich lediglich auf die Begehung einer weiteren Straftat im Zeitraum zwischen der Strafaussetzung zur Bewährung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung, nicht aber auf die Strafaussetzung in sämtlichen einbezogenen Urteilen Bezug genommen. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neufassung des § 56f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB auch eine Fassung in Betracht gezogen worden war, nach der dementgegen nur Straftaten, die in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung „in den einbezogenen Urteilen“ und der Gesamtstrafenentscheidung einen Widerruf ermöglichen sollten (vgl. BT-Drucks. 10/2720, S. 22), zeigt die letztlich geschaffene Regelung, dass der Gesetzgeber sich bewusst unter diesen Alternativen dafür entschieden hat, bereits in der Bewährungszeit einer der einbezogenen Entscheidungen begangene Straftaten für einen Widerruf der Bewährung ausreichen zu lassen (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 58). Im Wortlaut des § 56f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB kommt daher auch der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck.

bb) Nicht entgegen steht, dass durch § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB auf den Widerrufsgrund des § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB verwiesen wird, wonach eine erneute Straftat nur dann einen Widerruf begründen kann, wenn sie nach der zum Widerrufszeitpunkt maßgeblichen Aussetzungsentscheidung, im Falle einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung also nach dem Gesamtstrafenbeschluss, begangen worden ist. Denn § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB gilt ausweislich § 56f Abs. 1 S. 2 StGB nur entsprechend, ist also nur sinngemäß anzuwenden. Dies lässt durchaus die Auslegung zu, dass es nach der Bildung einer Gesamtstrafe nicht auf den Zeitpunkt der Gesamtstrafenbildung, sondern auf die erstmalige Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung ankommt. Denn bereits von diesem Zeitpunkt an war der Verurteilte gewarnt und musste sich bewusst sein, dass neue Straftaten zu einer Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe führen können. Dass dem Verurteilten trotz dieser Kenntnis bis zu dem Zeitpunkt einer weiteren Verurteilung, aus der später gemeinsam mit der ersten Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet wird, eine Phase der Konsequenzlosigkeit weiterer Straftaten für die ihm gewährte Bewährung eingeräumt werden soll, erscheint als nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als dem Verurteilten auch die Begehung der zur zweiten, einbezogenen Verurteilung führenden Straftaten bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Verurteilung bekannt war und er deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Aussetzungsentscheidung haben konnte.

Hierfür spricht auch, dass § 57 Abs. 5 StGB für den Fall des Widerrufs der Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung gleicherweise die entsprechende Anwendung des § 56f StGB anordnet, hierbei aber ausdrücklich auch eine zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung begangene weitere Tat für einen Widerruf der Bewährung ausreichen lässt, sofern das aussetzende Gericht von der zwischenzeitlich begangenen Straftat keine Kenntnis hatte. Diese Wertung, dass auch vor der letzten Entscheidung über die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung begangene Straftaten zu einer Abänderung der Bewährungsentscheidung führen können, wenn zum Zeitpunkt dieser Entscheidung der einer Aussetzung entgegenstehende Umstand der Begehung weiterer Straftaten seit der Verurteilung nicht bekannt war, lässt sich auf die durch § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB gleichfalls angeordnete entsprechende Anwendung des § 56f Abs. 1 S. 1 StGB übertragen. Denn auch hier liegt der Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung die Unkenntnis von neuen Straftaten des Verurteilten zugrunde. Auf den Zeitpunkt der Gesamtstrafenbildung ist daher für die Möglichkeit eines Widerrufs aufgrund einer zwischen Verurteilung und Gesamtstrafenbildung begangenen weiteren Straftat nur dann abzustellen, wenn die Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung in Kenntnis der zwischenzeitlich begangenen weiteren Tat erfolgte, das Gericht also bewusst trotz der erneuten Tatbegehung weiterhin eine positive Prognoseentscheidung getroffen hat.

cc) Schließlich spricht für die Auffassung, dass bereits die Begehung einer weiteren Straftat nach der zeitlich ersten einbezogenen Verurteilung für einen Widerruf der später durch eine Gesamtstrafenentscheidung gewährten Strafaussetzung zur Bewährung ausreicht, dass § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB sowohl auf eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Beschluss gemäß § 460 StPO als auch auf eine Gesamtstrafenbildung im Rahmen der Einbeziehung einer vorangegangenen Entscheidung durch ein Urteil gemäß § 55 StGB Anwendung findet (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 58).

Der Gesetzgeber zeigt durch diese Erstreckung des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB auf die Fälle des § 55 StGB, dass es für den Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe gerade nicht darauf ankommen soll, ob der Verurteilte die in ihn gesetzte Erwartung eines künftig straffreien Lebens in sämtlichen der Gesamtstrafenentscheidung zugrundeliegenden Urteilen enttäuscht hat (so noch: Senat a.a.O.), sondern bereits die Enttäuschung dieser Erwartung in der ersten Verurteilung zu einem Widerruf der in einer später unter Einbeziehung dieser Verurteilung gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erfolgten Aussetzung zur Bewährung führen kann und die von der ersten Verurteilung ausgehende Warnfunktion ausreichen soll.

Denn im Falle der Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB durch ein Urteil ist die zweite Verurteilung mit der Gesamtstrafenentscheidung identisch. Eine weitere Tat zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung, die gemäß § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB einen Widerruf begründen kann, liegt bei einer Gesamtstrafenbildung durch § 55 StGB daher praktisch immer nach der ersten, aber noch vor der zweiten Verurteilung.

Auf Gesamtfreiheitsstrafen, die gemäß § 55 StGB gebildet werden, wäre § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB daher ohne relevanten Anwendungsbereich, wenn zu fordern wäre, dass die weitere Tat nach sämtlichen Verurteilungen, aber noch vor Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung begangen worden ist. Denkbar wäre eine Anwendung des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB insofern allenfalls noch bei der Begehung einer weiteren Straftat zwischen Verkündung und Rechtskraft der zweiten Verurteilung. Dass der Gesetzgeber aber den Anwendungsbereich derart einschränken wollte, ist nicht anzunehmen.

Bewährung III: Widerrufsklassiker, oder: Erneute Straffälligkeit und/oder Auflagenverstoß

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Die dritte Entscheidung ist dann eine LG-Entscheidung betreffend den Widerruf (§ 56f StGB). Sie stammt vom LG Berlin. Geschickt hat mir den LG Berlin, Beschl. v. 02.12.2020 – 510 Qs 90/20 der Kollege F. Glaser aus Berlin. Er geht um den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung in den Fällen erneuter Straffälligkeit und/oder eines Auflagenverstoßes. Also ein Klassiker 🙂 .

Das AG hatte widerrufen. Das LG hat den Widerruf gehalten:

„Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung sind in zweifacher Hinsicht erfüllt.

1. Durch seine erneute Straffälligkeit hat der Beschwerdeführer gezeigt, dass sich die der Straf-aussetzung zugrunde liegende Erwartung, er werde keine Straftaten mehr begehen, als unzutreffend erwiesen hat (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB).

Grundlage der zu treffenden Widerrufsentscheidung bilden nicht nur die zuletzt geahndeten Ver-gehen, sondern darüber hinaus das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers während der Bewährungszeit. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer bereits am 15. November 2017 und damit nur zwei Monate, nachdem das Urteil im Ausgangsverfahren, durch das ihm eine Strafaussetzung zur Bewährung gewährt worden war, Rechtskraft erlangt hatte, erneut straffällig wurde. Dieser frühe Bewährungsbruch stellt eine besonders gravierende Missachtung der mit der Verurteilung verbundenen Warnung dar. Dass er bereits Anlass für eine Verlängerung der Bewährungszeit gewesen ist, steht seiner Berücksichtigung im hiesigen Widerrufsverfahren nicht entgegen (vgl. KG, Beschluss vom 23. Oktober 2009 – 2 Ws 376-378/09). Am 11. April 2020 und damit ebenfalls innerhalb der Bewährungszeit hat er zwei weitere Straftaten begangen. Damit aber hat er gezeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zur Bewährung zugrunde lag, nicht erfüllt hat.

Bereits für sich genommen ist jede der neuerlichen Taten als Widerrufsgrund geeignet, wofür nach ständiger Rechtsprechung des Kammergerichts jede in der Bewährungszeit begangene Straftat von einigem Gewicht reicht (vgl. jüngst KG, Beschluss vom 2. November 2020 – 2 Ws 79/19 m.w.N.). Die neuerlichen Straftaten, die Geldstrafen in Höhe von 60 bzw. 50 Tagessätzen nach sich zogen und keinesfalls Bagatelldelikte darstellen, erreichen das erforderliche Gewicht jeweils. Dies gilt auch, wenn man im Hinblick auf die ausgeurteilte Bedrohung der Darstellung des Beschwerdeführers folgen wollte, er hätte nicht mit einem Messer in der Hand vor der Tür des Zeugen pp. gestanden. Dass sich der Beschwerdeführer im Zuge der Auseinandersetzung vom 11: April 2020 selbst Verletzungen zugezogen hat, ist ein Umstand, der im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung zu finden hat, nicht jedoch im Rahmen einer Widerrufsentscheidung.

Im vorliegenden Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass sich das Gewicht einer Tat auch nach der bisherigen Delinquenz eines Verurteilten bemisst. Straftaten, die mit geringeren Geldstrafen geahndet wurden und sogar Bagatelldelikte können einen Widerruf begründen, wenn in ihnen „eine die Rechtsordnung negierende Einstellung zum Ausdruck kommt“ (vgl. KG, Beschluss vom 9. August 2010, 2 Ws 323/10 m.w.N.). Dies aber trifft auf den Beschwerdeführer zu, der vor der Verurteilung im hiesigen Ausgangsverfahren bereits zweimal in kurzen Abständen zu Geldstrafen wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt werden musste. Weder die Verhängung von Geldstrafen noch die Verhängung von Bewährungsstrafen nebst Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin vermochten den Beschwerdeführer aber von neuerlicher Delinquenz abzuhalten.

Erst recht sind die neuerlichen Taten in ihrer Gesamtheit geeignet, den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu rechtfertigen, wobei die Kammer gesehen hat, dass beide Taten am selben Tag begangen wurden und angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen ihnen im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung ein straffer Zusammenzug der Strafen geboten erscheint.

2. Daneben hat der Beschwerdeführer den Widerrufsgrund des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB erfüllt. Er hat beharrlich gegen die ihm gemäß § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB erteilte Arbeitsauflage verstoßen. Dies hat grundsätzlich den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge, ohne dass es — anders als im Fall des § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB — noch zusätzlich der Fest-stellung einer ungünstigen Legalprognose bedürft.

Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen beharrlichen Verstoßes gegen eine Auflage setzt in objektiver Hinsicht ein wiederholtes, andauerndes Verhalten voraus, das auf einer ablehnenden Haltung oder fehlendem Genugtuungswillen beruht. In subjektiver Hinsicht ist Ver-schulden erforderlich (vgl. KG, Beschluss vom 17. August 2012 – 2 Ws 339/12). Dieses scheidet aus, wenn der Verurteilte aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen außerstande war, die verlangten Leistungen zu erbringen.

Der Beschwerdeführer hat die — hinreichend bestimmte (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 4. April 2014 — 3 Ws 165/14 — Rdnr. 6 m.w.N.) — Arbeitsauflage innerhalb der ihm vom Amtsgericht Tier-garten gesetzten und mittlerweile verstrichenen Fristen nicht erfüllt. Trotz regelmäßiger Intervention seiner Bewährungshelferin hat er noch nicht einmal eine einzige der ihm auferlegten 250 Arbeitsstunden erbracht. Auch nach Mahnung durch das Amtsgericht Tiergarten, die weit nach Ablauf der ihm zur Ableistung der Arbeitsauflage gesetzten Frist erfolgte, unternahm der Beschwerdeführer keinerlei Anstrengungen; ein Vorstellungsgespräch im Mai 2020, das dazu diente, ihn in Arbeit zu vermitteln, versäumte er. Vor diesem Hintergrund, der einen Zeitraum von über zweieinhalb Jahren betrifft, muss davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt gewillt war, die ihm auferlegten Stunden gemeinnütziger Arbeit zu erbringen.

Entgegen dem Vortrag des Verteidigers ist dem Beschwerdeführer die Nichterbringung der ihm auferlegten Arbeitsstunden auch vorzuwerfen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Beschwerdeführer zumindest teilweise leistungsfähig gewesen ist (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage 2019, § 56f Rdnr. 16 a.E.). Hiervon ist im vorliegenden Fall unzweifelhaft auszugehen. Dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 27. Juni 2018 (241 Ds 38/18) sowie den Berichten der Bewährungshelferin ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zumindest innerhalb des Zeitraums von Dezember 2017 bis Anfang Juli 2018 „Minijobs“ bei zwei Umzugsfirmen wahrgenommen hat. Dies aber bezeugt, dass der Beschwerdeführer in jenem Zeitraum durchaus zur Ableistung von Arbeitsstunden imstande war. Gleichwohl hatte er noch nicht einmal damit begonnen, auch nur eine der ihm auferlegten Arbeitsstunden abzuleisten. Dafür, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nicht gewillt war, die Arbeitsstunden abzuleisten, spricht auch der Bericht der Bewährungshelferin vom 21. Juni 2018. Die Bewährungshelferin begründete darin den Umstand, dass der Beschwerdeführer zum Berichtszeitpunkt noch nicht mit dem Ableisten der Arbeitsstunden begonnen hatte, damit, dass er hierzu zunächst habe motiviert werden müssen und schließlich eine Entzündung im Schultergelenk geltend gemacht habe…….“

 

Bewährung II: Kettenverlängerung, oder: Sind/waren die Straftaten „neu“?

Bei der zweiten „Bewährungsentscheidung“, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2020 – 1 Ws 137/20. Es geht um sog. Kettenverlängerung der Bewährungszeit. Also eine erste Verlängerung und dann später noch eine weitere. Bei dieser Konstellation muss man als Verteidiger immer sehr genau auf die Widerrufsgrundlagen schauen, vor allem, wenn es um „neue“ Straftaten geht. Da stellt sich dann immer die Frage: Sind die auch wirklich neu? Das war hier nicht der Fall:

„Vorliegend hat die Strafvollstreckungskammer Gründe für eine Bewährungszeitverlängerung darin gesehen, dass gegen den Beschwerdeführer durch die vorgenannten Strafbefehle des Amtsgerichts Potsdam vom 9. Juli 2019 und 14. Januar 2020 erneut Geldstrafen verhängt werden mussten und die Tatzeiten in der laufenden Bewährungszeit gelegen hatten.

Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Auf die dem Strafbefehl vom 09. Juli 2019 zugrundeliegenden Taten vom 16. Juni 2018 und 16. August 2018, mithin auf Taten, die der Verurteilte bereits in der ursprünglichen Bewährungszeit begangen hatte, konnte die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung nicht stützen, denn insoweit steht dem der Vertrauensschutz des Verurteilten entgegen.

Zwar werden in der „alten“ Bewährungszeit entstandene Widerrufsgründe durch einen auf Verlängerung der „alten“ Bewährungszeit lautenden Beschluss nach § 56 f Abs. 2 Nr. 2 StGB grundsätzlich nicht „verbraucht“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.09.1990 – 1 Ws 759/90 -, juris). Allerdings kann nach einer Verlängerung der Bewährungszeit (vorliegend durch Beschluss vom 26. Juli 2019) die erneute Verlängerung der Bewährungszeit auf eine vor dem ersten Verlängerungsbeschluss erfolgte Nachverurteilung nur dann gestützt werden, wenn die neue Straftat dem Gericht bei der Entscheidung über die (erste) Bewährungsverlängerung nicht bekannt war (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 2 Ws 47/18 – NdsRpfl 2018, 112, juris).

Vorliegend war dem Amtsgericht Potsdam bei Erlass des (Verlängerungs-)Beschlusses vom 26. Juli 2019 indes bekannt, dass der Beschwerdeführer am 16. Juni 2018 und am 16. August 2018 erneut straffällig geworden war, denn der Amtsrichter, der am 26. Juli 2019 über die Verlängerung der Bewährungszeit entschieden hat, hatte nur wenige Tage zuvor unter dem 9. Juli 2019 bezüglich dieser Taten selbst den Strafbefehl gegen den Beschwerdeführer erlassen. Auch wenn sowohl das amtsgerichtliche Anhörungsschreiben vom 05. Juni 2019 als auch der Beschluss vom 26. Juli 2019 ausdrücklich nur auf den Strafbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 5. Februar 2019 (82 Ds 10/19) Bezug nehmen, durfte der Beschwerdeführer dennoch darauf vertrauen, dass das Amtsgericht Potsdam alle für die Entscheidung über einen Bewährungswiderruf oder eine Verlängerung der Bewährungszeit maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat und dass sein, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 9. Juli 2019 zugrunde liegendes strafbares Verhalten daher keine weiteren Konsequenzen mehr nach sich ziehen werde (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09. März 2020 – 3 Ws 34/20 -, juris) .

b) Die Strafvollstreckungskammer konnte die Verlängerung der Bewährungszeit auch nicht auf die dem Strafbefehl vom 14. Januar 2020 zugrundeliegende Tat vom 15. Juli 2019 stützen, weil diese Tat zwischen dem Ablauf der ursprünglich bis zum 16. März 2019 festgesetzten Bewährungszeit und vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses vom 26. Juli 2019 begangen worden ist und der Beschwerdeführer auch keine Kenntnis von einer (ersten) beabsichtigten Verlängerung der Bewährungszeit hatte (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. Mai 2009 -2 Ws 176/09-, juris; KG Berlin, Beschluss vom 31. März 2011 -4 Ws 29/11- juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. April 2008 -3 Ws 331/08- juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ws 41/07 -, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 06. Juli 2009 -1 Ws 251/09-, juris Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Dezember 2013 -1 Ws 451/13 -, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2004 – 1 Ws 29/04 – juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 06. Oktober 2011 – 1 Ws 151/11 – OLG Bamberg, Beschluss vom 24. März 2015 -22 Ws 19/15-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Januar 2013 -III-3 Ws 19/13- juris; OLG Rostock, Beschluss vom 07. Dezember 2010 -I Ws 335/10-, juris). Eine Zustellung des hierauf bezüglichen gerichtlichen Anhörungsschreibens vom 05. Juni 2019 war mangels Vorhandenseins eines Briefkastens weder auf dem Postwege noch durch persönliche Übergabe durch die Polizei möglich…..“

Bewährung I: Widerruf von Strafaussetzung, oder: BVerfG zum Weisungsverstoß

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In die 22. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zu Bewährungsfragen.

Zunächst stelle ich den BVerfG, Beschl. v. 28.03.2019 – 2 BvR 252/19 – vor. Gegenstand der Entscheidung ist eine Verfassungsbeschwerde gegen den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen gröblichen und beharrlichen Verstoßes gegen eine Weisung, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:

„1. a) Der wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln im Jahr 2015 vorbestrafte Antragsteller wurde mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 24. August 2017 wegen des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 32 Fällen, in 15 Fällen jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit zwei Fällen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt.

2. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2018 hat das Amtsgericht Augsburg die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten angeordnet; die bisher erbrachten Leistungen von 1.000 Euro würden in Höhe von einem Monat gemäß § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB auf die Strafe angerechnet. Zur Begründung des Widerrufs führte das Gericht unter Verweis auf § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB aus, der Antragsteller habe die mit Beschluss vom 24. August 2017 erteilte Weisung, Urinproben zum Abstinenznachweis abzugeben, gröblich und beharrlich nicht erfüllt, was Anlass zur Besorgnis der Begehung neuer Straftaten gebe.

Der Antragsteller habe keinen der fünf Termine für eine Urinkontrolle wahrgenommen. Er habe dies damit begründet, dass er als selbständiger Monteur für Photovoltaikanlagen im gesamten süddeutschen Raum unterwegs sei. Er erhalte die Arbeitstermine regelmäßig kurzfristig mitgeteilt und habe daher die ebenfalls kurzfristig angesetzten Urinkontrolltermine nicht wahrnehmen können. Im Anhörungstermin sei ihm ein Abwarten bis Ende Oktober für die nächste Urinkontrolle zugesagt worden. Den neuen Termin am 3. Dezember 2018 habe er dennoch nicht wahrgenommen, da er sich bis Ende des Jahres im Raum Freiburg aufhalten werde.

3. Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2018 legte der Antragsteller sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein. Darin verweist er insbesondere darauf, dass die Möglichkeit bestanden hätte, ihm einzuräumen, die Urinkontrolle jeweils an seinem Einsatzort durchzuführen. Ein gröblicher und beharrlicher Weisungsverstoß liege nicht vor, da es ihm aus beruflichen Gründen nicht möglich gewesen sei, die Termine zur Urinkontrolle wahrzunehmen, und er diese nicht ohne unverzügliche Rückmeldung habe verstreichen lassen. Im Übrigen stünden weniger einschneidende Maßnahmen als der Bewährungswiderruf, wie beispielsweise die Verlängerung der Bewährungszeit, zur Verfügung.

Mit Beschluss vom 11. Januar 2019 hat das Landgericht Augsburg die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen. Das Beschwerdevorbringen entkräfte die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht. Das Landgericht trete den Gründen der angefochtenen Entscheidung bei. Ganz am Rande sei zu bemerken, dass die Erfüllung von Auflagen eben nicht unter dem Vorbehalt schlechter Auftragslage stehe.“

StGB III: Widerruf der Bewährung, oder: Vertrauensgrundsatz

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Die dritte Entscheidung des Tages – bevor es dann ins lange Wochenende geht – stammt dann aus dem Bereich der Bewährung (§§ 56 ff. StGB). Der vorgestellte OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.03.2020 – 3 Ws 34/20 – hat eine Widerrufsproblematik zum Gegenstand, die in der Praxis m.E. nicht selten ist.

Und zwar: Der Verurteilte ist in mehreren Verfahren zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wird verlängert. Dann wird die Bewährung auf Antrag der Staatsanwaltschaft widerrufen, und zwar (auch) wegen einer der Verurteilungen, die zur Verlängerung der Bewährungszeit geführt haben. Das OLG sagt auf die Beschwerde – zutreffend: Geht nicht:

1. Gem. § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.

Vorliegend wurde der Beschwerdeführer innerhalb der Bewährungszeit mehrfach, auch einschlägig strafbar, so dass – wie oben dargelegt – die ursprünglich auf vier Jahre festgesetzte Bewährungszeit aus dem Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 15.10.2015 auf insgesamt sechs Jahre verlängert wurde.

2. Soweit die Strafvollstreckungskammer nunmehr jedoch aufgrund des Strafbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 5.11.2018 (25 Cs 203 Js 36094/18 – vgl. oben c) die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen hat, steht dem der Vertrauensschutz des Verurteilten entgegen.

Grundsätzlich kann zwar auch eine Verurteilung wegen eines eher geringfügigen Delikts (wie vorliegend den beiden Vergehen des Hausfriedensbruchs) zum Widerruf der Strafaussetzung führen, wenn – wie vorliegend – der Verurteilte bereits mehrfach bewährungsbrüchig war und die Taten zusammengenommen nicht (mehr) bedeutungslos sind (Fischer, StGB, 67. Aufl., Rdn. 8 a zu § 56 f).

Allerdings kann nach einer Verlängerung der Bewährungszeit (vorliegend durch Be-schluss vom 10.7.2019 – vgl. oben d) der Widerruf einer Strafaussetzung auf eine vor dem Verlängerungsbeschluss erfolgte Nachverurteilung nur dann gestützt werden, wenn die neue Straftat dem Gericht bei der Entscheidung über die Bewährungsverlängerung nicht bekannt war (OLG Celle, B. v. 23.1.2018 – 2 Ws 47/18 – Nds.Rpfl 2018, 112).

Vorliegend befand sich der seit 24.11.2018 rechtskräftige Strafbefehl vom 5.11.2018 bei der Akte, war dem Amtsgericht Mannheim bei Erlass des (Verlängerungs)Beschlusses vom 10.7.2019 bekannt und war auch in dem (vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses) neu eingeholten BZR-Auszug vom 4.7.2019 enthalten. Auch wenn sowohl das amtsgerichtliche Anhörungsschreiben vom 5.6.2019 als auch der Beschluss vom 10.7.2019 ausdrücklich nur auf den Strafbefehl vom 12.4.2019 Bezug nehmen, durfte der Verurteilte dennoch darauf vertrauen, dass das Amtsgericht Mannheim alle für die Entscheidung über eine nochmalige Verlängerung der Bewährungszeit oder einen Bewährungswiderruf maßgeblichen Gesichtspunkte, somit auch die zeitlich vor Erlass des Strafbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 12.4.2019 liegende Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim vom 5.11.2018, berücksichtigt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat und dass sein, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 5.11.2018 zugrunde liegendes strafbares Verhalten daher keine weiteren Konsequenzen mehr nach sich ziehen werde.

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten war daher der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 4.2.2020 aufzuheben.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Aufgrund des dem Verurteilten zustehenden Vertrauensschutzes kam auch eine Verlängerung der Bewährungszeit vorliegend nicht mehr in Betracht. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass mit dem Verlängerungsbeschluss vom 10.7.2019 alle zuvor ergangenen neuen Straferkenntnisse verwertet worden waren.

Im Fall einer erneuten Strafbarkeit des Verurteilten nach Erlass des Verlängerungsbeschlusses vom 10.7.2019 steht die vorliegende Entscheidung einem eventuellen Bewährungswiderruf jedoch nicht entgegen.“

Nichts Besonderes, aber zur Auffrischung der Erinnerung an diese Konstellation mal ganz schön.