Und als letzte Entscheidung dann noch etwas zum Rechtsmittelverzicht. Es geht in dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29.07.2025 – 1 ORbs 2 SsBs 13/25 – zwar um den Verzicht auf die Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft, die Ausführungen des OLG können aber auch für den Betroffenen Bedeutung erlangen und sie können auch auf andere Rechtsmittel angewendet werden.
Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Nachdem das AG die Akte mit dem Hauptverhandlungsprotokoll an die Staatsanwaltschaft versandt hatte, wo sie am 16.01.2025 einging, hat die Staatsanwaltschaft gemäß Verfügung vom 20.01.2025 Rechtsbeschwerde eingelegt, welche am 22.01.2025 beim AG einging. Das vollständige Urteil ging der Staatsanwaltschaft am 29.01.2025 zu. Nach Rücklauf der am 06.02.2025 wieder beim AG eingegangenen Akte enthielt diese die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 30.01.2025, wonach auf Rechtsmittel verzichtet werde. In der Folge nahm sodann der zuständige Amtsrichter am 13.02.2025 fernmündlich Kontakt mit der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Staatsanwaltschaft auf. Hierbei wurde von dieser mitgeteilt, dass es sich bei der Verfügung vom 30.01.2025 nicht um eine förmliche Rechtsmittelrücknahme handele und die Akte vielmehr „durchgegangen“ sei, da auf dem Aktendeckel die Einlegung der Rechtsbeschwerde nicht vermerkt gewesen sei. Keinesfalls habe die Rechtsbeschwerde durch den Standardzusatz „Ich verzichte auf Rechtsmittel.“ zurückgenommen werden sollen.
In der durch den Senat bei der Staatsanwaltschaft eingeholten dienstlichen Stellungnahme wurde die inhaltliche Richtigkeit des Vermerks des Amtsrichters bestätigt und zusätzlich ausgeführt:
„Das Verfahren 5888 Js 35958/24 war zum damaligen Zeitpunkt in Vertretung (das Dezernat 5888 Js war durch Pensionierung des Dezernenten seit Sommer 2024 vakant) mit bearbeitet worden. Im Zuge des erhöhten Aktenaufkommens ist diese Akte tatsächlich fehlerhaft bearbeitet und bei Eingang des Urteils die Standard-Rücksendung „mit Rechtsmittelverzicht“ im Text RP ausgewählt worden, statt die Anfertigung der jetzt erforderlichen Rechtsmittelbegründung durchzuführen. Eine Rücknahme des Rechtsmittels war nicht angedacht und hätte zudem der Rücksprache und Zustimmung der Abteilungsleitung bedurft. Nach dem Telefonanruf und Rücksendung der Akte wurde sodann das eingelegte Rechtsmittel begründet.“
Das OLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen:
„Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, da sie aufgrund des durch die Staatsanwaltschaft schriftlich erklärten Rechtsmittelverzichts wirksam zurückgenommen wurde (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 1 StPO).
Der Inhalt der Erklärung in der Verfügung vom 30.01.2025 ist als Verzicht auf das Rechtsmittel unmissverständlich. Zwar bezieht sich nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut von § 302 Abs. 1 S. 1 StPO die Zurücknahme auf ein bereits eingelegtes Rechtsmittel, wohingegen es sich bei dem Verzicht um die verbindliche Erklärung handelt, ein Rechtsmittel nicht einlegen zu wollen. Gleichwohl schließt § 302 Abs. 1 StPO nicht aus, dass der Verzicht auf ein Rechtsmittel nach seiner vorherigen Einlegung geschieht. Der Verzicht beinhaltet somit als umfassenderer Begriff auch die Rücknahme eines bereits eingelegten Rechtsmittels, enthält also dessen Rücknahme und schließt die erneute Rechtsmitteleinlegung aus (vgl. Jesse in: LR-StPO, 26. Auflage, § 302 StPO, Rn. 3, 28, juris; BGH, Beschluss vom 01.07.1980 – 4 StR 347/80, zitiert nach Pfeiffer, in: NStZ 1982, S. 188 ff. (190), beck-online; Frisch in: SK-StPO, 6. Auflage, § 302 StPO, Rn. 2, Wolters Kluwer Online; s.a. Paul in: KK-StPO, 9. Auflage, § 302 StPO, Rn. 1, beck-online).
Ebenso bestehen keine Zweifel an der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts. Zwar ist im Hinblick auf den – von der Staatsanwaltschaft als inhaltlich zutreffend bestätigten – Telefonvermerk des Amtsrichters davon auszugehen, dass die zuständige Sachbearbeiterin der Staatsanwaltschaft den Rechtsmittelverzicht irrtumsbedingt abgegeben hat. Dieser Irrtum ist jedoch unbeachtlich und weder dem Gericht noch dem Betroffenen zuzurechnen.
Der wirksame Verzicht auf die Einlegung bzw. die Rücknahme eines Rechtsmittels kann als prozessuale Willenserklärung im Grundsatz auch dann nicht mehr widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden, wenn der Betroffene – gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft – ihn infolge eines Irrtums über seine Tragweite ausgesprochen haben sollte. Ein (Motiv-)Irrtum ist somit ohne Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts bzw. dessen Rücknahme (vgl. BGH, Beschluss vom 21.06.1967 – 2 StR 290/67, in: GA 1969, S. 281; BGH, Beschluss vom 15.10.1981 – 1 StR 646/81, BeckRS 1981, 108353, Rn. 1; BGH, Beschluss vom 25.09.1990 – 4 StR 204/90, juris, Rn. 5 ff.; BGH, Beschluss vom 31.05.2005 – 1 StR 158/05, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 29.11.1983 – 4 StR 681/83, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 28.07.2004 – 2 StR 199/04, juris, Rn. 5 BGH, Beschluss vom 18.09.1996 – 3 StR 373/96, in: NStZ 1997, S. 148, beck-online; BGH, Beschluss vom 08.10.2015 – 2 StR 103/15, juris, Rn. 7; BGH, Beschluss vom 01.09.1988 – 4 StR 394/88, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 10.11.2015 – 1 StR 520/15, juris, Rn. 3; BGH, Urteil vom 21.04.1999 – 5 StR 714/98, juris, Rn. 37; OLG Hamm, Beschluss vom 29.08.1979 – 6 Ss OWi 2049/79, juris, Rn. 17).
Umstände, die der Wirksamkeit des Verzichts ausnahmsweise entgegenstehen könnten oder ein Festhalten an diesem als grob unbillig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Weder bestehen Zweifel an der prozessualen Handlungsfähigkeit noch sind Umstände gegeben, aufgrund derer der Irrtum ausnahmsweise beachtlich sein könnte, wie beispielsweise bei einem aufgrund Täuschung hervorgerufenen Irrtums, einer unrichtigen Belehrung durch das Gericht, unzulässiger Willensbeeinflussung oder schwerwiegender Willensmängel (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24.08.2016 – 1 StR 301/16, juris, Rn. 9 ff.; BGH, Beschluss vom 24.07.2019 – 3 StR 214/19, juris, Rn. 23 ff.; BGH, Beschluss vom 29.11.1983 – 4 StR 681/83, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 15.10.1981 – 1 StR 646/81, BeckRS 1981, 108353, Rn. 1; BGH, Beschluss vom 25.04.2001 – 5 StR 53/01, juris, Rn. 5; BGH, Urteil vom 21.04.1999 – 5 StR 714/98, juris, Rn. 37; BGH, Beschluss vom 05.12.2001 – 1 StR 482/01, juris, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 22.08.2012 – 1 StR 170/12, juris, Rn. 13 f.; BGH, Beschluss vom 08.10.2015 – 2 StR 103/15, juris, Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 29.08.1979 – 6 Ss OWi 2049/79, juris, Rn. 17; KG, Beschluss vom 20.01.1999 – 1 AR 1551/98 – 4 Ws 303/98, juris, Rn. 3; OLG Hamm, Beschluss vom 07.02.1977 – 4 Ws 427/76, juris, Rn. 2; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.1981 – 2 Ws 334/81, in: NStZ 1982, S. 521, beck-online; OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.05.1993 – 3 Ws 253/93, in: NStZ 1993, S. 507, beck-online).
Auch der Umstand, dass die Rücknahme des Rechtsmittels innerhalb der Staatsanwaltschaft der Rücksprache und Zustimmung der Abteilungsleitung bedurft hätte, steht der Wirksamkeit der Rücknahme nicht entgegen.
Der Rechtsmittelverzicht führt zum Verlust des Rechtsmittels.“


