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StGB III: Widerruf der Bewährung, oder: Vertrauensgrundsatz

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Die dritte Entscheidung des Tages – bevor es dann ins lange Wochenende geht – stammt dann aus dem Bereich der Bewährung (§§ 56 ff. StGB). Der vorgestellte OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.03.2020 – 3 Ws 34/20 – hat eine Widerrufsproblematik zum Gegenstand, die in der Praxis m.E. nicht selten ist.

Und zwar: Der Verurteilte ist in mehreren Verfahren zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wird verlängert. Dann wird die Bewährung auf Antrag der Staatsanwaltschaft widerrufen, und zwar (auch) wegen einer der Verurteilungen, die zur Verlängerung der Bewährungszeit geführt haben. Das OLG sagt auf die Beschwerde – zutreffend: Geht nicht:

1. Gem. § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat.

Vorliegend wurde der Beschwerdeführer innerhalb der Bewährungszeit mehrfach, auch einschlägig strafbar, so dass – wie oben dargelegt – die ursprünglich auf vier Jahre festgesetzte Bewährungszeit aus dem Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 15.10.2015 auf insgesamt sechs Jahre verlängert wurde.

2. Soweit die Strafvollstreckungskammer nunmehr jedoch aufgrund des Strafbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 5.11.2018 (25 Cs 203 Js 36094/18 – vgl. oben c) die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen hat, steht dem der Vertrauensschutz des Verurteilten entgegen.

Grundsätzlich kann zwar auch eine Verurteilung wegen eines eher geringfügigen Delikts (wie vorliegend den beiden Vergehen des Hausfriedensbruchs) zum Widerruf der Strafaussetzung führen, wenn – wie vorliegend – der Verurteilte bereits mehrfach bewährungsbrüchig war und die Taten zusammengenommen nicht (mehr) bedeutungslos sind (Fischer, StGB, 67. Aufl., Rdn. 8 a zu § 56 f).

Allerdings kann nach einer Verlängerung der Bewährungszeit (vorliegend durch Be-schluss vom 10.7.2019 – vgl. oben d) der Widerruf einer Strafaussetzung auf eine vor dem Verlängerungsbeschluss erfolgte Nachverurteilung nur dann gestützt werden, wenn die neue Straftat dem Gericht bei der Entscheidung über die Bewährungsverlängerung nicht bekannt war (OLG Celle, B. v. 23.1.2018 – 2 Ws 47/18 – Nds.Rpfl 2018, 112).

Vorliegend befand sich der seit 24.11.2018 rechtskräftige Strafbefehl vom 5.11.2018 bei der Akte, war dem Amtsgericht Mannheim bei Erlass des (Verlängerungs)Beschlusses vom 10.7.2019 bekannt und war auch in dem (vor Erlass des Verlängerungsbeschlusses) neu eingeholten BZR-Auszug vom 4.7.2019 enthalten. Auch wenn sowohl das amtsgerichtliche Anhörungsschreiben vom 5.6.2019 als auch der Beschluss vom 10.7.2019 ausdrücklich nur auf den Strafbefehl vom 12.4.2019 Bezug nehmen, durfte der Verurteilte dennoch darauf vertrauen, dass das Amtsgericht Mannheim alle für die Entscheidung über eine nochmalige Verlängerung der Bewährungszeit oder einen Bewährungswiderruf maßgeblichen Gesichtspunkte, somit auch die zeitlich vor Erlass des Strafbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 12.4.2019 liegende Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim vom 5.11.2018, berücksichtigt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat und dass sein, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 5.11.2018 zugrunde liegendes strafbares Verhalten daher keine weiteren Konsequenzen mehr nach sich ziehen werde.

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten war daher der Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 4.2.2020 aufzuheben.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Aufgrund des dem Verurteilten zustehenden Vertrauensschutzes kam auch eine Verlängerung der Bewährungszeit vorliegend nicht mehr in Betracht. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass mit dem Verlängerungsbeschluss vom 10.7.2019 alle zuvor ergangenen neuen Straferkenntnisse verwertet worden waren.

Im Fall einer erneuten Strafbarkeit des Verurteilten nach Erlass des Verlängerungsbeschlusses vom 10.7.2019 steht die vorliegende Entscheidung einem eventuellen Bewährungswiderruf jedoch nicht entgegen.“

Nichts Besonderes, aber zur Auffrischung der Erinnerung an diese Konstellation mal ganz schön.

Bewährung III: Beharrliche Kontaktverweigerung, oder: Immer wieder vorwerfbar

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Den Abschluss im Bewährungsreigen macht dann das LG Münster mit dem LG Münster, Beschl. v. 21.12.2017 – 9 Qs 40/17, den mir der Kollege H. Urbanzyk aus Coesfeld geschickt hat. Der Verurteilte ist wegen Diebstahls und gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall sowie Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die Bewährungszeit war auf 2 Jahre festgesetzt worden. Weil er sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzogen und dadurch Anlass zu der Besorgnis gegeben hatte, dass er erneut Straftaten begehen werde, hat das AG Coesfeld dem Verurteilten aufgegeben, 30 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Diese Auflage hat er fristgerecht erfüllt.
Mit dem angefochtenen Beschluss  hat das AG Coesfeld dann aber die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verurteilte habe keinen Kontakt zu seinem Bewährungshelfer gehalten und trotz mehrerer schriftlicher Aufforderungen des Gerichts Gesprächstermine mit diesem nicht wahrgenommen. Außerdem sei er Vorladungen zu Anhörungsterminen nicht nachgekommen. Damit habe sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzogen.

Das LG sieht das anders:

„Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Verurteilte sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen werde.

Der Verurteilte leidet unter einer schweren emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ, wodurch er in seiner Lebensführung erheblich eingeschränkt ist. Das ergibt sich aus dem zwischenzeitlich in dem vorgenannten Strafverfahren (4 Ns — 82 Js 7351/16 — 42/16 LG Münster) eingeholten psychiatrisches Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie W. T. Aus diesem Grund steht der Verurteilte auch unter umfassender gesetzlicher Betreuung. Die Aufgabenkreise des Betreuers umfassen u.a. die Regelung des Postverkehrs sowie die Vertretung gegenüber Behörden. Ausweislich der in dem Betreuungsverfahren eingeholten ärztlichen Stellungnahme des Kreismedizinaldirektors Dr. T. führt die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten zu Minderungen seiner sozialen Leistungsfähigkeit und der Selbstversorgung, weswegen er nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Auf dieser Grundlage kann das mangelhafte Kontaktverhalten des Verurteilten jedenfalls nicht als beharrlich eingestuft werden. Die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordern, dass er immer wieder willentlich und verantwortlich den Einfluss des Bewährungshelfers unmöglich macht. Das kann aufgrund des hier vorliegenden Krankte eitsbildes nicht festgestellt werden.

Zusätzlich kann aufgrund der vorgenannten Diagnose nicht festgestellt werden, dass eine eventuelle negative Sozialprognose darauf beruht, dass der Verurteilte sich der Leitung und Weisung des Bewährungshelfers entzieht. Als Ursache dürfte vielmehr die vorliegende schwere Persönlichkeitsstörung zu Grunde zu legen sein.“

Ist der Anwaltsvertrag ein widerruflicher Fernabsatzvertrag?, oder: Ja, aber, sagt der BGH

Den „Moneys-Friday“ eröffne ich heute mit dem BGH, Urt. v. 23.11.2017 – IX ZR 204/16. Es war klar, dass eine Entscheidung zu der Problematik kommen würde. Nämlich zu der Frage: Gelten die Regeln über Fernabsatz auch für Anwaltsverträge und können die unter Hinweis darauf ggf. widerrufen werden? der BGH sagt: Ja, aber:

Zugrunde liegt der Entscheidung des BGH kein strafrechtliches Mandat, sondern ein zivilrechtliches. Es geht um Anwaltsgebühren, die von der Klägerin von dem Beklagten verlangt werden. Der Beklagte hatte sich an einer Fondsgesellschaft beteiligt. Am 22.o1.2014 erhielt er von der I-GmbH ein Schreiben, in dem diese ihre Dienste anbot und zur Rücksendung eines ausgefüllten Fragebogens und einer Vollmacht einlud. Dem Schreiben beigefügt war u.a. eine auf die Klägerin lautende Rechtsanwaltsvollmacht. Die Klägerin hatte der Gesellschaft Blankoformulare für eine Vielzahl von potentiellen, von der Gesellschaft zu werbenden Mandanten zur Verfügung gestellt.Der Beklagte unterzeichnete die außergerichtliche Vollmacht und sandte sie zusammen mit den anderen von ihm vervollständigten Unterlagen an die Gesellschaft zurück. Diese übermittelte die Unterlagen der Klägerin, die ohne Kontaktaufnahme mit dem Beklagten mittels eines Serienbriefes dessen Ansprüche gegenüber der Fondsgesellschaft geltend machte.

Nachdem die außergerichtliche Inanspruchnahme erfolglos geblieben war, forderte die Klägerin den Beklagten auf, eine weitere Vollmacht auf sie auszustellen, die auch die Prozessvertretung vorsah. Dies lehnte der Beklagte ab, woraufhin die Klägerin diesem ihr außergerichtliches Tätigwerden mit einer 1,3 Geschäftsgebühr in Rechnung stellte.

Der Beklagte wies diese Forderung schriftlich am 27.05.2014 und am 30.06.2014 zurück, im ersten Schreiben erklärte er zugleich, vorsorglich mit sofortiger Wirkung die über die Gesellschaft erteilten Vollmachten zu widerrufen. Die auf Zahlung des Anwaltshonorars nebst Zinsen gerichtete Klage blieb vor dem AG und LG erfolglos. Und: Die Klägerin hatte beim BGH auch keinen Erfolg. Dazu die Leitsätze der Entscheidung:

Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden.
Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem liegt jedoch in der Regel nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält.
Wie man damit umgeht, weiß ich noch nicht. Muss ich mir selbst auch erst einmal überlegen.

Wiedereinsetzung III: Bewährungswiderruf, oder: Wiedereinsetzungsantrag interessiert nicht

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Und zum Abschluss des „Fristversäumungstages“ dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.06.2017 – 2 Ws 107/17. Der hat allerdings nur mittelbar mit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu tun. Es geht nämlich um die Frage, ob der Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung §§ 56f StGB) auch erfolgen kann, wenn in dem die Anlasstat betreffenden Verfahren hinsichtlich der Nachverurteilung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt worden ist. Das OLG sagt unter Hinweis auf § 47 StPO: ja, das geht:

„Grundsätzlich ist der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB jedenfalls dann zulässig, wenn eine rechtskräftige Nachverurteilung vorliegt. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat für den Fall des Vorliegens einer rechtskräftigen Nachverurteilung keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung gesehen (EGMR, Urteil vom 12.11.2015 – 2130/10 (E/Deutschland), NJW 2016, 3645). Anderes kann daher nur dann gelten, wenn das neue Urteil ersichtlich unrichtig ist oder auf einer offensichtlich fehlerhaften Rechtsanwendung beruht (KG Berlin, Beschluss vom 01. Dezember 2004, – 1 AR 1135/04StraFo 2005,80; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Juli 1995, – 1 Ws 555/95 -, StV 1996, 45). Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. April 2016 ist jedoch in sich schlüssig und nicht erkennbar rechtswidrig. Auch belegen die Feststellungen die Begehung einer neuen Straftat, so dass eine rechtskräftige Nachverurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer einschlägigen Straftat vorliegt, die den Widerruf der Strafaussetzung im hiesigen Verfahren rechtfertigt.

Die Tatsache, dass der Verurteilte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Es würde den Strafzwecken zuwiderlaufen, vor dem Widerruf eine rechtskräftige Entscheidung über einen Antrag auf Wiedereinsetzung oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens abzuwarten. Durch solche Anträge tritt grundsätzlich keine Vollstreckungshemmung in den ihnen zugrunde liegenden Verfahren ein (§§ 47 Abs. 1, 360 Abs. 1 StPO). Daher wäre es widersprüchlich, in anderen Verfahren eine Ausnahme von der Rechtskraftwirkung zu machen. Anderes kann gegebenenfalls dann gelten, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit einem Antrag auf Vollstreckungsaufschub verbunden wird.“

Bindungswirkung von OLG Entscheidungen, oder: Wenn eine ganze Kammer rausfliegt.

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In Mecklenburg-Vorpommern tobt(e) ein (Klein)Krieg zwischen der Schwurgerichtskammer des LG Neubrandenburg und dem OLG Rostock in einem „NS-Verfahren“, in dem der ehemalige, inzwischen 96 Jahre alte SS-Mann Hubert Zafke wegen Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen angeklagt ist. Nebenkläger in dem Verfahren sind die Brüder Walter und William Plywaski aus Boulder in Colorado/USA. Gemeinsam mit ihrer Mutter, Regina Plywaski, und dem Vater waren sie nach Auschwitz deportiert worden. Noch am Tag der Ankunft, dem 15.08.1944, ist die Mutter ermordet worden. Dieser 15.08.1944 ist der erste Tag des Tatzeitraums in der Anklage gegen Hubert Zafke.

Die Berechtigung zur Nebenklage von Walter Plywaski hat das OLG Rostock inzwischen  insgesamt dreimal festgestellt: Zum ersten Mal in der Eröffnungsentscheidung vom 27.11.2015 – 20 Ws 192/15. Das Schwurgericht hat die Nebenklageberechtigung dann Anfang 2016 „widerrufen“. Der „Widerufsbeschluss“ ist dann vom OLG aufgehoben worden. Anfang 2017 hat das LG dann die Berechtigung beider Nebenkläger erneut widerrufen. zur Nebenklage. Die Schwurgerichtskammer begründet diese Entscheidung im Wesentlichen damit, sie halte ungeachtet der gegenteiligen Auffassung des OLG weiterhin daran fest, dass die Ermordung der Mutter der beiden Nebenkläger nicht vom Anklagevorwurf erfasst werde. Hinzu komme, dass der BGH in seinem Beschluss vom 20.09.2016 – 3 StR 49/16 – ausdrücklich offengelassen habe, ob bei einer durchgehenden (einheitlichen) Unterstützungshandlung zu massenweisen Tötungsdelikten von einer tateinheitlichen oder von tatmehrheitlicher Beihilfe zum vielfachen Mord an den Opfern entsprechender Transporte in die NS-Vernichtungslager auszugehen sei. Die dazu vertretene Auffassung des 2. Strafsenats des BGH in seiner Entscheidung vom 20.02.1969 – 2 StR 636/68 -, der von tatmehrheitlicher Beihilfe zu jedem einzelnen Mord ausgegangen sei, beanspruche damit immer noch Geltung.

Das OLG hat dann im OLG Rostock, Beschl. v. 28.02.2017 – 20 Ws 69/17 – erneut aufgehoben und recht deutliche Worte gefunden. Das Landgericht ohne neue Tatsachengrundlage an die entspechenden OLG -Beschlüsse  gebunden und deshalb nicht befugt war, diese (erneut) aufzuheben. Eine solche Aufhebungsbefugnis, wie sie die Schwurgerichtskammer abermals für sich in Anspruch genommen hat, steht – solange sich die Entscheidungsgrundlage nicht durch neue Umstände ändert – allein dem OLG, das sich hierzu indes nicht veranlasst sieht. Und:

„Dass der von der Schwurgerichtskammer zur Untermauerung seiner abweichenden Auffassung zitierte Beschluss des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofes vom 20.09.2016 – 3 StR 49/16 – für die Frage der Anschlussberechtigung von Wa. P. unergiebig und von der Schwurgerichtskammer wohl auch fehlinterpretiert worden ist, ist von dem Vertreter des weiteren Nebenklägers Wi. P., Prof. Dr. N., sowohl in seinem der angefochtenen Entscheidung vorausgegangenen Schreiben vom 09.01.2017, das sich der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt W. in seiner Rechtsmittelbegründung zu eigen gemacht hat, wie auch in der Beschwerdebegründung von Prof. Dr. N. vom 21.02.2017 umfassend und zutreffend ausgeführt worden. Dem schließt sich der Senat an.“

Und – insoweit zitiert nach dem LG Neubrandenburg, Beschl. v. 23.06.2017 – 60 Ks 1/15:

„Die in dem letzten Absatz des angefochtenen Beschlusses geäußerte sehr harsche und ihn persönlich herabwürdigende Kritik der Schwurgerichtskammer an dem Nebenklägervertreter Prof. Dr. N… erachtet der Senat aus den vorgenannten Gründen nicht nur für in der Sache verfehlt, sondern auch wegen ihrer verletzenden Diktion für nicht hinnehmbar, zumal sie dazu angetan ist, bei den (Hervorhebung durch die Kammer) Nebenklägern erneut die Besorgnis der Befangenheit der diese verbale Entgleisung unterzeichnenden Richter zu begründen.“

Wer meint, nun sei Schluss (gewesen), der täuscht sich. Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat zwar gemeint (auch insoweit zitiert nach dem LG Neubrandenburg, Beschl. v. 23.06.2017 – 60 Ks 1/15):

„Am 21.3.2017 gab der VorsRiLG K… einen Vermerk zur Akte. Er führt darin aus, dass, falls die Besorgnis des OLG nachvollziehbar sei, er das Verfahren über die Selbstablehnung in die Wege leiten müsste. Die Besorgnis der Befangenheit sei jedoch nicht anzunehmen. Das OLG habe lediglich eine private Ansicht wiedergegeben, die womöglich zum Ziel habe, die Nebenkläger zu bestimmen, einen Antrag wegen der Besorgnis der Befangenheit zu stellen. Die beanstandete Äußerung der Kammer sei durch das OLG außerhalb des sie begründenden Kontextes dargestellt.“

Das hat die (Vertreter)Kammer aber anders gesehen. Denn die von den Nebenklägern und der Staatsanwaltschaft gestellten Ablehnungsanträge hatten Erfolg. Die drei betroffenen Berufsrichter “ sind aus dem Verfahren genommen worden. Begründung im LG Neubrandenburg, Beschl. v. 23.06.2017 – 60 Ks 1/15:

„Die Begründetheit der Ablehnung ergibt sich jedoch daraus, dass erstens das OLG Rostock die Auffassung vertritt, dass die Kammer nicht befugt war, die Nebenklagezulassung zu widerrufen, zweitens die Ausführungen der Nebenklägervertreter N… und W… zur rechtlichen Einordnung der Entscheidung des BGH vom 20.9.2016 – 3 StR 49/16 – entgegen der im Kammerbeschluss vertretenen Auffassung als umfassend und zutreffend bezeichnet, sodann die Bemerkungen der Kammer gegenüber dem Nebenklägervertreter Prof. Dr. N… als persönlich herabwürdigend, in der Sache verfehlt und nicht hinnehmbar bezeichnet und schließlich ausführt, dies sei dazu angetan, bei beiden Nebenklägern – also nicht nur beim durch Prof. Dr. N… vertretenen Nebenkläger – die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

Wenn schon das OLG Rostock – für den Nebenkläger ohne weiteres als höherrangiges Gericht erkennbar – zunächst die Kammer als nicht zur Entscheidung befugt einordnet, die Entscheidung zudem als sachlich falsch bezeichnet und darüber hinaus Formulierungen im Beschluss als nicht hinnehmbar und die Besorgnis der Befangenheit begründend bezeichnet, muss sich beim Nebenkläger nahezu zwangsläufig der Eindruck ergeben, die den Beschluss unterzeichnenden Richter waren ihm gegenüber nicht unvoreingenommen, als sie beschlossen haben, ihn aus dem Verfahren auszuschließen. Darauf dass die aufgehobene Entscheidung nicht auf Willkür, sondern wie auch das OLG Rostock ausführt wohl auf einer Fehlinterpretation beruht, kommt es bei dieser Sachlage für die Frage der Befangenheit nicht mehr an.

Dass das OLG eine rein private Ansicht in einem gerade den Nebenkläger betreffenden Beschluss äußert, kann gerade nicht angenommen werden. Jedenfalls kann nicht erwartet werden, dass ein vernünftiger Nebenkläger davon ausgehen muss, das OLG habe eine rein private Ansicht geäußert.“

M.E. hätte man auch darauf abstellen können, dass das OLG nun dreimal gesagt hatte: Einmal Nebenkläger, immer Nebenkläger. Irgendwann ist dann doch Schluss. Und das dürfte dann hier der Fall sein. Ist selten, dass eine ganze Kammer aus einem „Verfahren fliegt“.

Zum Ganzen dann auch bei LTO: NS-Prozess gegen Hubert Zafke Im fal­schen Zug?