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KCan I: Neufestsetzung von Strafe und Bewährung, oder: Verwertung von „alten“ ANOM-Daten

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In die 35 KW. geht es dann mit KCanG-Entscheidungen. Allerdings habe ich heute nicht ganz so viel wie sonst. Das verwundert sicherlich, wenn man die Homepage des BGH im Auge hat und verfolgt, was sich dort zu den Fragen tut. Derzeit gibt es reichlich Entscheidungen des BGH, allerdings letztlich immer zu denselben Fragen, wie vor allem: Milderes Gesetz und Neufestsetzung der Strafe. Die kann man nicht alle vorstellen. Ich stelle hier heute allerdings auch einige Entscheidungen zur Neufestsetzung der Strafe vor.

Im Einzelnen:

Der OLG Schleswig, Beschl. v. 01.08.2024 – 1 Ws 123/24 äußert sich noch einmal zur Zuständigkeit für die Neufestsetzung einer Strafe oder die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB mit folgendem Leitsatz:

1. Für die Neufestsetzung einer Strafe oder die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB ist das erkennende Gericht zuständig.
2. Eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern folgt nicht aus der Verweisung in Art. 313 Abs. 5 EGStGB, da § 462a StPO auch nach der Einführung des Konsumcannabisgesetzes von dieser Verweisung nicht erfasst wird.

Auch der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.08.2024 – 1 Ws 101/24 – nimmt zur Frage der Neufestsetzung der Strafe Stellung, und zwar im Hinblick auf Strafaussetzung zur Bewährung:

Eine nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB veranlasste Neufestsetzung der Strafe erfordert bei Festsetzung einer aussetzungsfähigen Strafe auch eine neue Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung.

Und dann habe ich den AG Mannheim, Beschl. v. 06.08.2024 – 2 Ls 302 Js 14819/21 -, auch zur Neufestsetzung mit folgendem Leitsatz:

Mit der Formulierung „zugleich“ in Art. 313 Abs. 3 Satz 1 EGStGB ist (lediglich) Tateinheit, nicht aber Handlungseinheit gemeint.

Und dann noch etwas Verfahrensrechtliches, und zwar mal wieder Verwertbarkeit von Daten, die durch die Überwachung von Messengerdiensten vor dem 01.04.2024 gewonnenen worden sind, nach dem 01.04.2024 – Stichwort: Katalogtat. Dazu äußert sich der OLG Saarbrücken, Beschl. v.  13.08.2024 – 1 Ws 152/24:

    1. Die Verwertbarkeit von Daten, die über den Kryptomessengerdienst ANOM gewonnen wurden, richtet sich nach denselben Grundsätzen (BGHSt 67, 29) wie die Verwertbarkeit von Daten des Anbieters EncroChat.
    2. Die Daten dürfen in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung einer Straftat, aufgrund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Die Straftat muss auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein.
    3. Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen ist auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen. Liegt demnach aufgrund der zum 1.4.2024 durch das Cannabisgesetz in Kraft getretenen Neuregelungen zum Verwertungszeitpunkt keine Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO mehr vor, scheidet die Verwertbarkeit der ANOM-Chatprotokolle aus und dürfen diese zur Begründung eines dringenden Tatverdachts nicht herangezogen werden.

Vollstreckung III: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Vertrauenstatbestand

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Und die dritte Entscheidung kommt heute dann auch vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2023 – 3 Ws 478/23 – im Rahmen einer Beschwerde gegen eine Widerrufsentscheidung zum ggf. dem Widerruf entgegenstehenden Vertrauenstatbestand Stellung genommen, und zwar wie folgt:

„Ein dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung entgegenstehender Vertrauenstatbestand kann gegeben sein, wenn zum Zeitpunkt der nachträglichen Gesamtstrafenbildung bereits bekannt war, dass die verurteilte Person zeitlich nach der Verhängung der im Gesamtstrafenbeschluss zusammenzuführenden Strafen erneut straffällig geworden und deswegen bereits rechtskräftig verurteilt worden ist und der Richter die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe dennoch zur Bewährung aussetzt. Das gilt aber nur dann, wenn der Verurteilte entweder davon Kenntnis hatte, bei Abfassung des Gesamtstrafenbeschlusses dem Gericht die neue Verurteilung bekannt war oder er aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte hiervon ausgehen durfte.“

Bewährung I: Widerruf der Strafaussetzung, oder: Wenn es die Anlassentscheidung so nicht gibt

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Den Reigen von Bewährungsentscheidungen, die ich heute vorstelle, eröffne ich mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 09.10.2023 – 7 Ws 155/23. Es geht um den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB nach einer Exequaturentscheidung.

Folgender Sachverhalt:

„Das Amtsgericht in Stadt1/Kroatien (Az. Kov-111/2020-22) hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 29. April 2020, rechtskräftig seit dem 16. Juli 2020, wegen „Beihilfe zur unerlaubten Drogenproduktion und zum unerlaubten Drogenverkehr“ verurteilt, weil er im November 2019 am Anbau von Cannabis beteiligt war. Das Gericht hat auf eine Freiheitsstrafe von elf Monate erkannt, die durch „Arbeit für gemeinnützige Zwecke“ ersetzt wurde, wobei „ein in der Haft verbrachter Tag mit zwei Stunden Arbeit ersetzt“ wurde, was nach dem Urteilsspruch 660 Stunden abzuleistende Arbeit entspricht. Ferner hat das Gericht bestimmt, dass diese Arbeit nach der Zustimmung des Beschwerdeführers vor der Probationskommission für gemeinnützige Zwecke in einer von der Kommission festgelegten Frist, die nicht kürzer als einen Monat und nicht länger als zwei Jahre betragen darf, zu erbringen ist. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer die Arbeit für gemeinnützige Zwecke durch eigene Schuld ganz oder teilweise nicht erbringt, ist schließlich bestimmt, dass das Gericht die Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe in Ganzheit oder teilweise anordnen wird.

Die kroatischen Behörden haben die deutschen Behörden unter Vorlage des Urteils und Beifügung einer „Bestätigung aus Anhang I, Rahmenbeschluss 2008/947 / JI des Europarats vom 27. November 2008 für die Anerkennung von Bewährungsentscheidungen“ um die Anerkennung der Bewährungsentscheidung des vorgenannten Urteils ersucht. In dieser Bestätigung ist unter Ziff. 5) ausgeführt, dass der Beschwerdeführer während des Verfahrens fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht habe, was bedeute, dass er noch sechs Monate Haft verbüßen und dementsprechend noch 360 Stunden für das Gemeinwohl arbeiten müsse.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat mit Datum vom 27. September 2021 das Vorliegen von Bewilligungshindernissen gemäß § 90c IRG verneint und am selben Tag Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 90g Abs. 1, 90h Abs. 1 IRG gestellt.

Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Staatsanwaltsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 27. September 2021 traf das Landgericht Frankfurt am Main – Strafvollstreckungskammer – nach Anhörung des Beschwerdeführers mit Datum vom 15. Dezember 2021 die Exequaturentscheidung. Der Ausspruch lautete dahin, dass die Freiheitsstrafe von elf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Stadt1 vom 29. April 2020, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, vollstreckbar ist. Zudem wurde bestimmt, dass Teile der Sanktion, die in Kroatien bereits vollstreckt worden sind, anrechenbar seien. Es wurde eine Bewährungszeit von zwei Jahren festgesetzt, innerhalb welcher der Beschwerdeführer 660 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des für die Überwachung der Bewährung zuständigen Gerichts abzuleisten habe. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist seit dem 30. Dezember 2021 rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Mai 2022 [Az. 5/26 KLs 5702 Js 230083/21 (3/22)] wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil gegen den in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main geständigen Angeklagten ist seit dem 8. Februar 2023 rechtskräftig.

Aufgrund dieser erneuten Verurteilung des Beschwerdeführers hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 12. Juni 2023 die mit der Exequaturentscheidung gewährte Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerrufen. Dabei stellte die Strafvollstreckungskammer – im Anschluss an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 2022 (Az. 2 Ws 57/22) – darauf ab, dass die Bewährungszeit – obschon die Exequaturentscheidung nach der Begehung der erneuten Tat ergangen ist – bereits mit der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Stadt1, also seit dem 16. Juli 2020, zu laufen begonnen habe und die Tatbegehung damit innerhalb der Bewährungszeit liege.

Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main am 16. Juni 2023 zugestellten Beschluss, richtet sich deren sofortige Beschwerde, die beim Landgericht Frankfurt am 19. Juni 2023 einging.

Zur Begründung führt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main in der Beschwerdeschrift aus, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die Überwachung der Bewährungszeit, jedoch nicht die Vollstreckung der Strafe aus dem kroatischen Urteil übernommen worden sei. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main folgt der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Ergebnis und beantragt, den angegriffenen Beschluss aufzuheben. Insofern führt die Generalstaatsanwaltschaft aus, dass die Exequaturentscheidung vom 15. Dezember 2021 inhaltlich zwar unzutreffend gewesen sei, der Beschluss aber in Rechtskraft erwachsen sei. Allerdings sei die Strafvollstreckungskammer, unabhängig davon, ob die Überwachung der alternativen Sanktionen oder fälschlich die Überwachung einer tatsächlich nicht verhängten Strafaussetzung zur Bewährung für vollstreckbar erklärt worden sei, jedenfalls nicht befugt gewesen, in eigener Zuständigkeit eine Widerrufsentscheidung zu treffen. Gemäß § 90k Abs. 1 IRG wäre nämlich allenfalls die Überwachung der vermeintlichen Bewährungsmaßnahme (oder alternativen Sanktion) übernommen worden, nicht aber eine Bewährungsstrafe als solche. Demgemäß obliege dem überwachenden Gericht nicht die Entscheidung über das Schicksal der Strafaussetzung zur Bewährung. Nach § 90k Abs. 3 Nr. 3 IRG habe das Gericht, wenn es im Rahmen der Überwachung selbst einen Grund zum Widerruf sieht, von der weiteren Überwachung abzusehen und gemäß § 90k Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 2 IRG den Urteilsstaat zu unterrichten.“

Und das Rechtsmittel hat beim OLG Erfolg. Das sagt:

Wurde eine bedingte Freiheitsstrafe im Rahmen einer rechtskräftigen Exequaturentscheidung für vollstreckbar erklärt, obschon eine solche nach dem ausländischen Urteil tatsächlich nicht verhängt worden war, kommt ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung jedenfalls dann nicht gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn der Verurteilte die neue Straftat vor der Exequaturentscheidung begangen hat.

Bewährung III: Ablehnung des Widerrufsantrags, oder: Einfache oder sofortige Beschwerde der StA?

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Und als letzte Entscheidung dann noch der schon etwas ältere OLG Bamberg, Beschl. v. 12.04.2023 – 1 Ws 149/23 – zum Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bei Ablehnung des Widerrufsantrags.

Dazu hier nur die Leitsätze, und zwar:

  1. Die Entscheidung über einen Widerruf oder Maßnahmen nach § 56f Abs. 2 StGB ist zu treffen, sobald Widerrufsgründe feststehen. In einem solchen Fall ist weder ein entscheidungsloses Abwarten noch eine Zurückstellung der Entscheidung zulässig.

  2. Ergibt sich aus der Begründung des Beschlusses, nach dessen Beschlussformel die Entscheidung über einen von der Staatsanwaltschaft beantragten Widerruf zurückgestellt wird, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf derzeit nicht vorliegen, liegt keine bloße Verfahrensentscheidung vor. Vielmehr enthält der Beschluss die Entscheidung in der Sache selbst im Sinne einer Ablehnung des Widerrufsantrags.

  3. Gegen die Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist nur die sofortige Beschwerde statthaft.

  4. Zwischen der Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung und der Entscheidung über die in derselben Sache erfolgte Maßregelaussetzung besteht kein zwingender Entscheidungsverbund

Bewährung II: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Leichte Kriminalität und Vertrauensschutz

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Und dann im zweiten Posting zwei KG-Entscheidungen, und zwar:

Im KG, Beschl. v. 16.02.2023 – 2 Ws 1/23 – geht es um den Bewährungswiderruf bei wiederholter Begehung von Delikten der leichteren Kriminalität.

Dazu führt das KG aus:

„Jede in der Bewährungszeit begangene Straftat von einigem Gewicht rechtfertigt, unabhängig davon, ob sie einschlägig oder nicht einschlägig ist, den Widerruf der Bewährungsentscheidung (std. Rspr., vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Januar 2023 – 2 Ws 192/22 –, vom 14. April 2014 – 2 Ws 116/14 – und vom 14. Oktober 2013 – 2 Ws 494-495/13 –, juris; alle m.w.N.). Auch Straftaten, die nur mit Geldstrafen geahndet wurden, sind grundsätzlich als Widerrufsgrund geeignet. Denn § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt nicht voraus, dass die neue Tat der früheren nach Art und Schwere entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 – m.w.N.). Es kommt also nicht darauf an, ob die neue Tat und die frühere kriminologisch vergleichbar sind oder sonst in einem inneren Zusammenhang stehen. Die Erwartung künftiger Straffreiheit wird vielmehr durch jede Tat von nicht unerheblichem Gewicht in Frage gestellt, auch durch eine solche, die nicht mit Freiheitsstrafe geahndet wurde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Januar 2023 – 2 Ws 192/22 – und vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 –). Allerdings stellt die „Erwartungsformel“ klar, dass bloße Gelegenheits- bzw. Fahrlässigkeitstaten und sonstige Verfehlungen von geringem Gewicht nicht in jedem Fall zu einem Widerruf führen, wenn sie zu der früheren Tat in keiner Beziehung stehen und nach der Gesamtschau weiterhin von einer günstigen Prognose ausgegangen werden kann. Ist daher der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erstmals durch ein nicht einschlägiges Bagatelldelikt aufgefallen, das sich in Anbetracht seiner mittlerweile wieder soliden Lebensführung und unter Berücksichtigung der Tatumstände als einmalige Entgleisung darstellt, so scheidet ein Widerruf der Strafaussetzung schon aufgrund der Erwartungsklausel – und nicht erst in Anwendung von § 56f Abs. 2 StGB – aus (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 –). Für den Widerruf kann es andererseits jedoch ausreichen, wenn bei einer Mehrzahl neuer vorsätzlicher Taten jede einzelne zwar nur gering wiegt, alle zusammengenommen nach Unrecht und Schuld aber nicht als bedeutungslos bezeichnet werden können. Auch kann die wiederholte Begehung von Delikten der leichteren Kriminalität zur Widerlegung der der Strafaussetzung zugrundeliegenden Prognose führen (vgl. Senat a.a.O. m.w.N. und Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 2 Ws 520/08 –, juris).

Gemessen an diesen Maßstäben erfordert die Gesamtschau aller Umstände den Widerruf der Bewährung. 3 Abs. 1 Satz 1 StPO.“

Und dann der KG, Beschl. v. 23.11. 2022 – 2 Ws 161/22 – zum Bewährungswiderruf wegen einer durch Strafbefehl geahndeten Tat und zum Vertrauensschutz. Zum Vertrauensschutz führt das KG aus:

„3. Dem danach angezeigten Widerruf stehen entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung auch nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Kammergerichts kann einem Widerruf entgegenstehen, dass bei dem Verurteilten ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ein Widerruf der Strafaussetzung wegen der Anlasstat werde nicht mehr erfolgen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. März 2013 – 2 BvR 2595/12 –, juris; Senat, Beschluss vom 22. Januar – 2 Ws 17/14 –, juris; KG, Beschluss vom 24. März 2015 – 5 Ws 30/15 –). Der Schutz dieses Vertrauens folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, a. a. O.). Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. Dabei kann ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der zuständigen Justizstellen dazu beitragen, aus der maßgeblichen Sicht des Verurteilten ein Vertrauen zu schaffen, zu einem Widerruf werde es nicht mehr kommen (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.).

b) Gemessen daran durfte der Verurteilte nicht darauf vertrauen, dass ein Widerruf im hiesigen Verfahren nicht mehr ergehen werde…..“