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SV III: Mündliche Anhörung des SV durch die StVK, oder: Bloßes Schweigen ist kein Verzicht

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Und zum Schluss der heutigen Berichterstattung habe ich hier dann noch den OLG Hamm, Beschl. v. 07.08-2025 – III-1 Ws 76/25  – zur Erforderlichkeit der mündlichen Anhörung des Sachverständigen im Verfahren betreffend die sog. Zwei-Drittel-Aussetzung.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Verurteilten im Beisein seines Verteidigers zur Aussetzung der Reststrafe angehört. Ein sodann eingeholtes schriftliches Prognosegutachten im Sinne von § 454 Abs. 2 StPO übersandte sie an den Verurteilten und seinen Verteidiger, die auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichteten. Dann wurde das Vollstreckungsheft einschließlich des Prognosegutachtens an die Staatsanwaltschaft zur Antragstellung und mit der Bitte um Mitteilung innerhalb von zwei Wochen, ob auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet werde. Die Staatsanwaltschaft übersandte das Vollstreckungsheft unter Bezugnahme auf ihren, mit dem einer bedingten Aussetzung des Strafrestes nicht widersprochen worden war. Im Übrigen äußerte sie sich nicht zu einem Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen. Die StVK hat dann zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen dann später die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Die gemäß § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig. Insbesondere hat die Staatsanwaltschaft nicht wirksam auf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde verzichtet. Der Rechtsmittelverzicht wird mit Eingang bei Gericht wirksam. Maßgeblich ist insofern allein der zunächst in Form eines Vermerks niedergelegte Rechtsmittelverzicht der Staatsanwaltschaft vom 13.02.2025. Der so erklärte Verzicht ist mit dem Vollstreckungsheft zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nach dem 20.02.2025 – und damit nach der sofortigen Beschwerde , die auch als Widerruf der Verzichtserklärung auszulegen ist – bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen. Damit ist der Widerruf des Rechtsmittelverzichts wirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 09.08.1995 – 1 StR 699/94; Cierner in: BeckOK StPO, 54. Edition Stand 01.01.2025, § 302 Rn. 22f m.w.N.).

In der Sache hat die sofortige Beschwerde (vorläufig) Erfolg. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.

Entgegen § 454 Abs. 2 S. 3 StPO hat es die Strafvollstreckungskammer unterlassen, den Sachverständigen mündlich anzuhören, obwohl sie dessen gutachterliche Stellungnahme in seinem Gutachten vom 23.12.2024 bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt – und folglich im Sinn des § 454 Abs. 2 S. 1 StPO verwandt – hat (vgl. Senat, Beschluss vom 26.05.2023 – III-1 Ws 95/23; Beschluss vom 24.04.2012 – 1 Ws 145/12, juris m.w.N.).

Gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO ist der Sachverständige zwingend mündlich zu hören, wobei der Staatsanwaltschaft, dem Verurteilten, einem etwa vorhandenen Verteidiger und der Vollzugsanstalt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben ist. Auf diese Weise soll den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gegeben werden, das Gutachten eingehend zu diskutieren und das Votum des Sachverständigen zu hinterfragen (OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2008, – 3 Ws 262/08). Die damit nach § 454 Abs. 2 S. 3 StPO erforderliche Anhörung hätte gemäß § 454 Abs. 2 S. 4 StPO nur unterbleiben dürfen, wenn der Verurteilte, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet hätten. Hier fehlt es an dem Verzicht der Staatsanwaltschaft. Auf eine entsprechende Anfrage der Strafvollstreckungskammer hat die Staatsanwaltschaft einen Verzicht nicht ausdrücklich erklärt. Ein konkludenter Verzicht der Staatsanwaltschaft liegt ebenfalls nicht vor. Das bloße Schweigen auf eine Zuschrift des Gerichts genügt für die Annahme eines Verzichts nicht, denn der Verzicht auf die mündliche Anhörung muss eindeutig erklärt werden (OLG Celle – Beschluss vom 29.04.2024 – 1 Ws 126/24; vgl auch KG Berlin, NStZ 1999, 319 [320]; NJW 1999, 1797 [1798]zum Verzicht des Verurteilten/Untergebrachten und seines Verteidigers: OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2018 – III – 3 Ws 363/18Senat, Beschluss vom Beschluss vom 26.05.2023 – III-1 Ws 95/23; ; Appl, in: KK-StPO, § 454 Rn. 29a; vgl. auch Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 454 Rn. 63 f.). An einer ausdrücklichen Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft fehlt es hier. Ein solcher Verzicht ist insbesondere auch nicht darin zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft das Vollstreckungsheft unter Hinweis darauf, einer Aussetzung der Strafe zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt nicht zu widersprechen, an die Strafvollstreckungskammer zurückgesandt hat. Dieser Erklärung ist ein (eindeutiger) Erklärungsgehalt im Sinne eines Verzichts auf die mündliche Anhörung nicht beizumessen. Vielmehr stellt sich die Erklärung als Nichtreaktion auf die gerichtliche Anfrage dar, die vielfältige Ursachen haben kann. Jedenfalls ist daraus nicht zwangsläufig zu erkennen, dass sich die Staatsanwaltschaft nach Kenntnisnahme vom schriftlichen Sachverständigengutachten und des sich aus den Akten ergebenden Sachstandes bewusst dafür entschieden hat, auf eine mündliche Anhörung des Sachverständigen zu verzichten (vgl. dazu: OLG Hamm, Beschluss vom 15.12.2016 – III – 4 Ws 380/16).

Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung der Sache an die mit der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe trotz mittlerweile erfolgter Verlegung in die JVA Werl nach § 462a Abs. 1 S. 1 StPO befasste Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund (BGH, NJW 1975, 1847). Eine Sachentscheidung durch den Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO ist nicht veranlasst, da der Senat die mangels Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft zwingend erforderliche Anhörung des Sachverständigen im Beschwerdeverfahren nicht nachholen kann (OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2007 – 3 Ws 647/07 = BeckRS 2007, 19259, Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 11.01.2012 – 2 StR 346/11 = NStZ 2012, 408; Senat, Beschluss vom Beschluss vom 26.05.2023 – III-1 Ws 95/23; KG Berlin, NStZ 1999, 319 [320]; NJW 1999, 1797 [1798]; vgl. auch Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl. 2024, § 454 Rn. 46 und § 309 Rn. 8).“

KCanG II: Prognosegutachten einholen ja oder nein?, oder: Maßgeblich Einordnung der Tat nach dem KCanG

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Im zweiten Posting kommt dann etwas aus dem Strafvollstreckungsverfahren, und zwar der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.03.2025 – 3 Ws 46/25.

Das LG – Strafvollstreckungskammer – hat die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe aus einem Urteil  vom 15.01.2020, rechtskräftig seit dem 18.06.2020, ohne vorherige Einholung eines Prognosegutachtens zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde.

Gegen den Verurteilten wird eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten. Im Urteil wurde eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten für unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge gem. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG festgesetzt. Einbezogen wurde außerdem in die Gesamtstrafenbildung eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen.

Die sofortige Beschwerde der StA hatte Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Strafvollstreckungskammer musste vor ihrer Entscheidung kein Prognosegutachten gem. § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO einholen. Der Verurteilte wurde zwar zu einer (Einzel-)Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren Dauer verurteilt (3 Jahre und 9 Monate). Die Straftat fiel, fällt aber nach – weitgehend zum 01.04.2024 erfolgten – Inkrafttreten des KCanG nunmehr nicht unter die in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten. Nach jener Norm sind Verbrechen nach § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) oder b) StGB vom Anwendungsbereich erfasst. Gem. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB sind bei vorsätzlichen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht sind, folglich vom Weiterverweis erfasst. Die Verurteilung des Landgerichts Darmstadt wegen eines vorsätzlichen Verbrechens nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, wobei die Strafdrohung von einem bis 15 Jahren reichte, erfüllte damit bis Inkrafttreten des KCanG die genannten Voraussetzungen. Nunmehr unterfällt unerlaubtes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht mehr dem BtMG, sondern § 34 KCanG, vorliegend gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 4 KCanG. Maßgeblich ist die nunmehrige Einordnung. Denn § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO verweist auf die jeweils geltende Regelung in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB und von ebenda wird (dynamisch) weiterverwiesen. Der Gesetzgeber hat die Folgen der Herausnahme von Cannabis aus dem Anwendungsbereich des BtMG bedacht und etwa für die Führungsaufsicht (§ 38 KCanG) oder für die Fortgeltung der Anwendung der §§ 35-38 BtMG bei cannabisbezogener Abhängigkeitserkrankung reglementiert. Hinsichtlich der Strafvollstreckung hat er einen etwaigen Straferlass in Art. 316p EGStGB geregelt. Raum für eine Auslegung dergestalt, dass eine vormalige Verurteilung nach dem BtMG, die nunmehr nach dem KCanG erfolgen würde, oder auch nach Inkrafttretens des KCanG erfolgte Verurteilungen, in den Anwendungsbereich von § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO fallen, besteht nicht. Anderenfalls würde nicht dem Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen. Dessen neue Gefahrenbeurteilung (siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 20/8704, S. 68), die sich eben auch in der Entscheidung zur Nichtaufnahme des KCanG in § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) StGB niederschlägt, würde ansonsten unterminiert. Für hiesiges Gesetzesverständnis spricht schließlich: Das Prognosegutachten nach § 454 Abs. 2 StPO soll die Entscheidung, ob die weitere Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 1 StPO), vorbereiten, vgl. BGH NJW 2000, 1663. Folgend der gesetzgeberischen Konzeption ist es seit dem 31.01.1998 bei bestimmten, nach gesetzgeberischer Würdigung eher schwerwiegenden, Straftaten regelmäßig geboten – außer es ist auszuschließen, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht respektive die Strafkammer keine Entlassung „erwägt“ – ein Sachverständigengutachten einzuholen. Zuvor war ein Gutachten gem. § 454 Abs. 1 S. 5 StPO a.F. nur bei vollstreckter lebenslanger Freiheitsstrafe einzuholen. Mit der Neuregelung sollte nach den Gesetzesmaterialien nunmehr auch bei sonstigen „gefährlichen Verurteilten“ (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 13/9062, S. 14: „Denn dem erhöhten Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit sollte bei all jenen gefährlichen Verurteilten Rechnung getragen werden, die wegen schwerwiegender Delikte mit Freiheitsstrafen belegt wurden.“) ein Prognosegutachten zum „wirksamen Schutzes der Bevölkerung vor Rückfalltaten“ obligatorisch werden, siehe Begründung BReg zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 13/8586, S. 1, 10; Beschlussempfehlung Rechtsausschuss, BT-Drs. 13/8989, S. 2, 8. § 454 Abs. 2 S. 1 StPO gilt in unveränderter Fassung seit dem 31.01.1998. Anders als die Verfahrensnorm, erfuhr § 66 Abs. 3 S. 1 StGB mannigfache Änderungen, ohne dass der Gesetzgeber einen Novellierungsbedarf für die Verfahrensnorm bejahte. Insofern bestehen auch keine Gründe für die Annahme einer unbewussten Nichtregelung. Denn schließlich hat der Gesetzgeber durch die Änderungen im materiellen Recht (zu § 66 Abs. 3 S. 1 StGB) seine jeweils changierenden Bewertungen von besonders „gefährlichen Verurteilten“ angepasst.

Folglich ist die veränderte Gefahrenbewertung des Gesetzgebers in Bezug auf Cannabis bei der in die Zukunft gerichteten Entscheidung des § 454 Abs. 1 StPO zu berücksichtigen.

Entgegen der Strafvollstreckungskammer kann der Senat folgend den zutreffenden Erwägungen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.01.2025 keine günstige Legalprognose gem. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 StGB stellen. ….“

Bewährung II: Bewährungsverlängerung statt Widerruf, oder: Welches Rechtsmittel ist richtig?

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Und dann hier die zweite Entscheidung mit dem OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2025 – 2 Ws 14/25.

Die Staatsanwaltschaft hatte einen Widerrufsantrag gestellt. Den hat das LG abgelehnt und stattdessen die Bewährungszeit verlängert.

Frage: Was ist das richtige Rechtsmittel?

Das OLG sagt:

Sieht das Gericht auf den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft hin von einem Widerruf ab und verlängert es stattdessen lediglich nach § 56f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB die Bewährungszeit ist die sofortige Beschwerde nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO das statthafte Rechtsmittel.

Bewährung I: Grund für Widerruf von Strafaussetzung, oder: Neue Straftaten und gröblicher Auflagenverstoß

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Heute gibt es drei Entscheidungen zu Bewährungsfragen. Da es sich aber um nichts wesentlich Neues handelt, gibt es jeweils nur die Leitsätze.

Den Opener macht der OLG Jena, Beschl. v. 30.01.2025 – 3 Ws 479/24 – zum Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straftaten und/oder gröblichem Auflagenverstoß.

Dazu sagt das OLG:;

1. Im Rahmen der Prüfung eines Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB stehen neue Straftaten während der Bewährungszeit einer (nach wie vor) günstigen Legalprognose nicht entgegen.

2. Die Begehung eher geringfügiger neuer Straftaten durch einen mehrfach bewährungsbrüchigen Verurteilten können im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein solches Gewicht erlangen, dass sie einen Widerruf rechtfertigen.

3. Andererseits stehen Taten geringerer Schwere – auch etwaige leichtere Rückfalltaten – einer günstigen Sozialerwartung nicht stets entgegen.

4. Für einen Bewährungswiderruf müssen die frühere und neuere Tat in einem derartigen Zusammenhang stehen, dass gerade aus der neuerlichen Straffälligkeit der Rückschluss auf eine frühere Fehlprognose möglich ist.

5. Im Rahmen der Prüfung eines Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB wird eine ungünstige Kriminalprognose umso eher anzunehmen sein, je mehr es der flankierenden Maßnahmen – in Gestalt der betreffenden Auflagen und Bewährungsaufsicht – bedurfte, um die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können.

6. Ein gröblicher oder beharrlicher Verstoß im Sinne der Vorschrift genügt nicht; maßgeblich ist, ob dieser zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten in einer die Gefahr weiterer Straftaten begründenden kausalen Beziehung steht.

StrEG II: Teilvollstreckung nach Bewährungswiderruf, oder: Keine Entschädigung nach dem StrEG?

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Die zweite Entscheidung, der schon etwas ältere LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.08.2024 – 18 Qs 15/24 -, äußert sich zur Frage der Entschädigung nach dem StrEG bei Teilvollstreckung zwischen dem Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung und der Aufhebung des Widerrufsbeschlusses durch das Beschwerdegericht.

Dazu sagt das LG  mit dem AG: Gibt es nicht:

„2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Wer durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird, § 1 Abs. 1 StrEG. Unter dem Begriff der Verurteilung ist jede rechtsförmliche Feststellung einer strafrechtlichen Schuld zu verstehen (BeckOK StPO/Cornelius, 52. Ed. 1.7.2024, StrEG § 1 Rn. 1 m.w.N.).

a) Wenn das Gericht die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder Maßregel (§ 67b StGB) oder eines Strafrestes (§ 57 StGB) oder des Maßregelvollzugs (§ 67 Abs. 2, § 67e StGB) widerruft, die Widerrufsentscheidung aber auf sofortige Beschwerde aufgehoben wird, gibt es für eine Teilvollstreckung zwischen Widerruf und Aufhebung nach ganz herrschender Meinung keine Entschädigung nach dem StrEG (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.02.1993 – 1 Ws 92-93/93; LG Karlsruhe, Beschluss vom 23. Oktober 2023 – 11 O 19/23; MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 29; Kunz, StrEG, 4. Auflage 2010, § 1 Rn. 29; a. A. OLG Köln, Beschluss vom 23. August 2002 – 2 Ws 372/02). Für Maßnahmen im Bereich der Strafvollstreckung kann nach den Regelungen des StrEG keine Entschädigung verlangt werden (vgl. KG, Beschluss vom 25. Februar 2005 – 5 Ws 67/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Juni 1981 – 3 Ws 261/81; Meyer, StrEG, 10. Auflage 2017, § 1 Rn. 15, 15a). Die nachträglichen gerichtlichen Entscheidungen ergehen vielmehr im Rahmen der kriminalpolitischen Zielsetzungen, die das materielle Strafrecht mit dem Bewährungssystem verfolgt. Sie betreffen allein die Vollstreckung, nicht das Urteil (vgl. MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 27). Während die Entschädigungspflicht des Staates nach § 1 StrEG voraussetzt, dass eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung später in einem Strafverfahren wegfällt oder gemildert wird, zielt § 2 StrEG auf solche Fälle ab, in denen es trotz vorläufiger Strafverfolgungsmaßnahmen erst gar nicht zu einer Verurteilung gekommen ist. Beide Voraussetzungen liegen bei der Vollstreckung des rechtskräftigen Urteils nicht vor. Das gilt auch dann, wenn das der Strafvollstreckung entgegenstehende Hindernis der Strafaussetzung durch deren Widerruf beseitigt wird. Auch in diesem Fall handelt es sich um die Vollstreckung des rechtskräftigen auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils, das weder durch den Widerruf der Strafaussetzung noch durch die Aufhebung dieses Widerrufs in seinem materiellen Inhalt berührt wird. Hinzukommt, dass § 2 StrEG abschließend aufzählt, welche Strafverfolgungsmaßnahmen zu einer Entschädigungspflicht des Staates führen. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach rechtskräftigem Widerruf der Strafaussetzung bis zu dessen späteren Wegfall zählt nicht dazu (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.02.1993 – 1 Ws 92-93/93; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.06.1981 – 3 Ws 261/81 für Sicherungshaftbefehl).

b) aa) Die Kammer hat diese Frage in ihrer Entscheidung vom 07.09.2020 (18 Qs 45/20) mangels Entscheidungserheblichkeit noch dahinstehen lassen (Bl. 48), schließt sich der herrschenden Meinung mit deren zutreffenden Argumenten aber an. § 1 Abs. 1 StrEG spricht ausdrücklich von einer strafgerichtlichen Verurteilung als schadenstiftendem Ereignis. Ein Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung nach den §§ 56f StGB; 453 StPO stellt aber kein Urteil im Sinne der §§ 260, 267, 268, 275 StPO und auch nicht einen diesem gleichstehenden (§ 410 Abs. 3 StPO) Strafbefehl dar.

bb) Der – umstrittene – Ansatz, § 1 Abs. 1 StrEG umfasse auch Fälle der Wiedereinsetzung und Rechtskraftdurchbrechung, rechtfertigt keine andere Betrachtung.

(A) Vertreten wird, von § 1 Abs. 1 StrEG würden alle Fälle umfasst, in denen die Rechtskraft nachträglich durchbrochen werde, weil das Gebot materieller Gerechtigkeit der Rechtskraftwirkung vorgehe (MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 2). Auch bei einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei der Regelungsbereich von § 1 StrEG eröffnet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl. 2023, StrEG § 1 Rn. 2; BeckOK StPO/Cornelius, 52. Ed. 1.7.2024, StrEG § 1 Rn. 6.1; MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 21; BayObLG, Beschluss vom 26. Februar 1986, RReg. 4 St 256/85; aA: Meyer, StrEG, 10. Auflage 2017, § 1 Rn. 11). Dafür, dass auch die Wiedereinsetzung in diesem Sinne umfasst sei, sprächen sowohl der Wortlaut von § 1 Abs. 1 StrEG, als auch der Sinn und Zweck des Gesetzes, den Ausgleich eines nicht gerechtfertigten Sonderopfers zu ermöglichen. Dem Beschuldigten, der einer durch das Verfahrensergebnis nicht gedeckten Strafverfolgungsmaßnahme ausgesetzt sei, werde im Allgemeininteresse, nämlich aus Gründen der Strafrechtspflege, ein Sonderopfer auferlegt. Dem Ausgleich der hierdurch verursachten Schäden diene die im StrEG normierte Staatshaftung. Hinsichtlich des dem Verurteilten auferlegten Sonderopfers bedeute es keinen Unterschied, ob die rechtskräftige Strafe nach Wiederaufnahme oder nach Wiedereinsetzung gemildert worden sei (BayObLG, Beschluss vom 26. Februar 1986, RReg. 4 St 256/85).

(B)

(I) Bei rechtlich zutreffender Würdigung der Sach- und Rechtslage lag – entgegen der Annahme des Amtsgerichts im Beschluss vom 15.07.2020 (Bl. 30) – bereits kein Fall der Wiedereinsetzung und Rechtskraftdurchbrechung in diesem Sinne vor, weil bezogen auf den Beschluss vom 11.05.2020 (Bl. 12 ff.) und das Schreiben der Verurteilten vom 18.06.2020 (Bl. 17) keine Frist versäumt wurde (§ 44 StPO).

…..“