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Rücknahme oder Widerruf einer Fahrlehrerlaubnis, oder: Wie berechnet sich der Gegenstandswert?

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Und im zweiten Posting dann der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.09.2024 – 9 S 960/24. Es geht um den Gegenstandswert in einem Hauptsacheverfahren, in dem um die Erteilung, die Rücknahme oder den Widerruf einer Fahrlehrerlaubnis gestritten worden ist. Der VGH sagt: Das geht nach dem (Netto-)Gewinn und der Gegenstandswert beträgt mindestens 15.000,– EUR:

„Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgebend ist dabei der Wert, den die Sache bei objektiver Beurteilung für den Antragsteller hat, nicht die Bedeutung, die er ihr subjektiv beimisst. Wertbestimmend ist demnach das wirtschaftliche „Angreiferinteresse“, das sich unmittelbar dem Antrag oder dem antragsbegründenden Vorbringen entnehmen lassen muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.09.2016 – 5 KSt 6.16 u.a. -, juris Rn. 2). Mit § 52 Abs. 1 GKG ist dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, den Wert des Streitgegenstands zu schätzen und sich dabei einer Schematisierung und Typisierung zu bedienen. Dementsprechend orientiert sich der Senat grundsätzlich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der zuletzt am 18.07.2013 beschlossenen Änderung (im Folgenden: Streitwertkatalog), der die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die Streitwertpraxis der Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte zusammenfasst (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.05.2024 – 6 S 1860/23 -, juris Rn. 7). Als Handreichung für eine möglichst einheitliche Wertfestsetzung in der gerichtlichen Praxis enthält der Streitwertkatalog zwar lediglich Empfehlungen. Angesichts der Tatsache, dass den Empfehlungen des Streitwertkatalogs eine Gesamtschau der bundesweiten Verwaltungsrechtsprechung zugrunde liegt, kommt ihnen jedoch zur Gewährleistung einer weitestmöglichen Gleichbehandlung besonderes Gewicht zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.09.2015 – 9 KSt 2.15 -, juris Rn. 4; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.04.2021 – 2 S 379/21 -, juris Rn. 8). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000,- EUR anzunehmen (sog. Auffangstreitwert).

Ausgehend davon bietet der Sach- und Streitstand ausreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts, so dass ein Rückgriff auf den Auffangstreitwert nicht erforderlich ist. Der Streitwert in einem Hauptsacheverfahren, in dem um die Erteilung, die Rücknahme oder den Widerruf einer Fahrlehrerlaubnis gestritten wird, richtet sich grundsätzlich nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten (Netto-)Gewinns. Mindestens beträgt er aber 15.000,- EUR (aus der Vielzahl nicht veröffentlichter Entscheidungen des Senats: Senatsbeschluss vom 15.02.2021 – 9 S 78/21 – n.v.; ebenso Nds. OVG, Beschlüsse vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 3, und vom 14.10.2016 – 7 ME 99/16 -, juris, Tenor und Rn. 11; nach Auffassung des OVG NRW bemisst sich das wirtschaftliche Interesse an Verfahren, in denen um eine Fahrlehrerlaubnis gestritten wird, stets nur nach dem aus der Fahrlehrertätigkeit zu erzielenden jährlichen Mindestnettogewinn in Höhe von 15.000,- EUR, vgl. Beschlüsse vom 17.11.2020 – 16 E 766/20 -, juris Rn. 5, vom 23.10.2014 – 16 E 1052/14 -, juris Rn. 5, und vom 26.06.2003 – 8 A 713/02 -, juris Rn. 17, vgl. auch OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 09.01.2012 – 6 B 11340/11 -, juris, Tenor und Rn. 20 <7.500,- EUR im Eilverfahren>). Dabei orientiert sich der Senat daran, dass der Streitwertkatalog, wenn es – wie beim Streit um eine Fahrlehrerlaubnis – um den Zugang zu einem Beruf geht (vgl. § 1 Satz 1 FahrlG; hierauf hinweisend Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 4), überwiegend eine Streitwertbemessung nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens 15.000,- EUR, vorschlägt (vgl. Nrn. 14.1 „Berufsberechtigung, Eintragung, Löschung“, 36.2 „den Berufszugang eröffnende abschließende [Staats-] Prüfung, abschließende ärztliche oder pharmazeutische Prüfung“, 36.3 „sonstige berufseröffnende Prüfungen“, 54.1 „Gewerbeerlaubnis, Gaststättenkonzession“, 54.2.1 „Gewerbeuntersagung“ „ausgeübtes Gewerbe“ [zur Vergleichbarkeit des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis mit der Untersagung eines ausgeübten Gewerbes: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.10.2003 – 9 S 2037/03 -, juris Rn. 21] und 54.3.1 „Eintragung/Löschung in der Handwerksrolle“). Etwas anderes gilt, wenn lediglich der Umfang einer Fahrlehrerlaubnis (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 FahrlG) streitgegenständlich ist, es mithin nicht um den Zugang zum Beruf des Fahrlehrers geht.

Der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach für den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis analog Nr. 54.3.3 des Streitwertkatalogs betreffend die Gesellenprüfung 7.500,- EUR (und erst für den Widerruf der Fahrschulerlaubnis analog Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs betreffend die Gewerbeuntersagung 15.000,- EUR) anzusetzen seien (vgl. Beschlüsse vom 14.02.2022 – 11 CS 21.2961 -, juris Rn. 18, vom 19.10.2021 – 11 CS 21.1967 -, juris Rn. 27, und vom 16.03.2012 – 11 C 12.360 -, juris Rn. 9 f.), wird nicht gefolgt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof begründet seine Auffassung damit, dass die Fahrlehrerlaubnis nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 FahrlG unter anderem dann erteilt werde, wenn der Bewerber mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbildung besitze. Da ein Fahrlehrer nach dem Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis wegen seiner bereits abgeschlossenen Berufsausbildung seinem anerkannten Lehrberuf nachgehen könne, sei er insoweit mit einem unselbständigen Handwerker vergleichbar, der trotz des Nichtbestehens der Gesellenprüfung weiter seine Handwerkstätigkeit unselbständig ausüben dürfe (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.03.2012 – 11 C 12.360 -, juris Rn. 10). Diese Argumentation verfängt schon deshalb nicht, weil die Tätigkeit, der ein Fahrlehrer nach dem Widerruf seiner Fahrlehrerlaubnis aufgrund seiner Vorbildung nachgehen kann, – anders als beim unselbständigen Handwerker, der die Gesellenprüfung nicht bestanden hat – kein wesensähnliches Weniger im Verhältnis zum Beruf des Fahrlehrers ist, sondern einem anderen Beruf zugeordnet werden muss (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 5). Außerdem ist kein überzeugender Grund ersichtlich, in Abweichung der dargestellten regelmäßigen Streitwertbemessung das wirtschaftliche Interesse an Verfahren, in denen um eine Fahrlehrerlaubnis gestritten wird, dem wirtschaftlichen Interesse an Verfahren, in denen um eine Gesellenprüfung gestritten wird, gleichzusetzen. Soweit der Senat hinsichtlich der Streitwertbemessung im Fall des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis vereinzelt dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gefolgt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22.08.2023 – 9 S 936/23 – n.v.), hält er daran nicht fest.

Vor dem Hintergrund des Ausgeführten war vorliegend hinsichtlich des Widerrufs der Fahrlehrerlaubnis von einem Streitwert von 15.000,- EUR auszugehen. Dieser sich für das Hauptsacheverfahren ergebende Betrag war wegen der Vorläufigkeit der im Eilverfahren ergehenden Entscheidungen nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs zu halbieren (15.000,- EUR/2 = 7.500,- EUR).

Die Verpflichtung zur Rückgabe des Fahrlehrerscheins nach § 14 Abs. 4 FahrlG in Ziffer 3 der Entscheidung der Antragsgegnerin vom 05.02.2024 wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus (hinsichtlich § 47 Abs. 1 FeV etwa VG Braunschweig, Beschluss vom 16.06.2022 – 6 B 164/22 -, juris Rn. 51; VG Aachen, Beschlüsse vom 05.04.2018 – 3 L 392/18 -, juris Rn. 55 und vom 26.02.2018 – 3 L 1545/17 -, juris Rn. 68). Auch die Androhung unmittelbaren Zwanges in Ziffer 5 der Entscheidung vom 05.02.2024 bleibt bei der Streitwertbemessung analog Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs außer Betracht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.08.2022 – 1 S 3575/21 -, juris Rn. 70, Beschluss vom 12.01.2005 – 6 S 1287/04 -, juris Rn. 27).

Streitwerterhöhend wirkt sich nach § 39 Abs. 1 GKG, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs hingegen aus, dass der Antragsteller ebenfalls beantragt hat, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Kostenfestsetzung in Ziffer 6 der Entscheidung vom 05.02.2024 anzuordnen. Die Antragsgegnerin hat dort Verwaltungsgebühren in Höhe von 200,- EUR und Auslagen für die Zustellung der Entscheidung in Höhe von 3,45 EUR als Kosten festgesetzt. Hiervon ist nach Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs ein Viertel zum Streitwert hinzuzuaddieren (203,45 EUR/4 = 50,86 EUR). Die Kostenfestsetzung bleibt nicht nach § 43 Abs. 1 GKG bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt (entgegen Nds. OVG, Beschluss vom 12.03.2020 – 12 OA 31/20 -, juris Rn. 6). Kosten im Sinne des § 43 Abs. 1 GKG sind einerseits Aufwendungen, die zur Feststellung, Sicherung, Durchsetzung oder Abwehr des Anspruchs erbracht werden (wie etwa Reisekosten, Verdienstausfall, Gutachterkosten, Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens, Mahnkosten, Inkassogebühren), andererseits Aufwendungen im Zusammenhang mit dem dem Anspruch zugrundeliegenden Rechtsverhältnis (wie etwa Aufwendungen für eine Hinterlegung, eine Versteigerung, die Versendung der verkauften Ware, die Beurkundung des Kaufvertrags über ein Grundstück und dessen Auflassung sowie für die erfolglose Inanspruchnahme des Hauptschuldners bei nachfolgender Klage gegen den Bürgen). Verwaltungsgebühren, die dazu dienen, den Gebührenschuldner mit dem durch das Verwaltungsverfahren ausgelösten Verwaltungsaufwand kostenmäßig zu belasten, sind keine solche Kosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.11.2011 – 8 C 18.10 -, juris Rn. 1 hinter Rn. 27; Hess. VGH, Urteil vom 20.01.2021 – 6 A 2755/16 -, juris Rn. 35; Elzer in: Toussaint/ders., 54. Aufl. 2024, GKG § 43 Rn. 10). Das gilt auch für Verwaltungsauslagen (ebenso VG Würzburg, Urteil vom 03.07.2023 – W 8 K 22.1366 -, juris Rn. 45).

Entsprechend dem Ausgeführten ergibt sich ein Streitwert in Höhe von insgesamt 7.550,86 EUR.“

Fahrerlaubnisentziehung II: Betrunkener Radfahrer, oder: Bindung an den Strafbefehl

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Im zweiten Posting geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar nach einer mit einem Strafbefehl geahndete Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad. Der Antragsteller hat dagegen Klage erhoben und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung be-antragt (§ 80 Abs. 5 VwGO). Sein Antrag hatte keinen Erfolg.

Der VGH Baden-Württemberg führt im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 18.2.2025 – 13 S 1513/24 – zunächst aus, dass auch betrunkene Radfahrer ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinn von §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV sein können.  Daher sein die Gutachtenanforderung rechtmäßig gewesen. Denn habe ein Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalko-holkonzentration von 0,8 ng/l oder mehr geführt, könne die Fahrerlaubnisbehörde das auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad anordnen.

Und dann führt er zu dem Vorbringen des Antragstellers im Hinblick auf den Strafbefehl aus:

„Nach den Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 – xx – hat der Antragssteller am 03.10.2023 gegen 22.20 Uhr ein Fahrrad geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke fahruntüchtig war. Die am 03.10.2023 entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille.

Mit seinem Vorbringen, der im Strafbefehl des Amtsgerichts K. festgestellte Sachverhalt treffe nicht zu, weil er mit dem Fahrrad nicht gefahren sei, sondern es geschoben habe, jedenfalls könne aber ein Beweis, dass er mit dem Fahrrad alkoholisiert gefahren sei, nicht sicher geführt werden, sodass der Beschluss des Verwaltungsgerichts unter Verletzung von Beweisregeln (Grundsatz „in dubio pro reo“) ergangen sei, vermag der Antragsteller nicht durchzudringen.

Zwar kennt das geltende Fahrerlaubnisrecht eine strikte, sich zu Ungunsten des Betroffenen auswirkende Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an rechtskräftige straf- bzw. bußgeldrechtliche Entscheidungen lediglich in besonders geregelten, hier nicht einschlägigen Fällen (vgl. § 2a Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG). Im Übrigen entfalten Strafurteile, Strafbefehle und Bußgeldbescheide nach § 3 Abs. 4 StVG Bindungswirkung ausschließlich zu Gunsten des Betroffenen. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass es einem Fahrerlaubnisinhaber unbenommen bleibt, in fahrerlaubnisrechtlichen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend zu machen, der Sachverhalt sei für ihn vorteilhafter, als dies das Strafgericht oder die Bußgeldbehörde angenommen habe. Dies übersieht der Antragsgegner, wenn er unter Berufung auf § 3 Abs. 4 StVG pauschal meint, es sei ihm nicht möglich, die Rechtmäßigkeit eines abgeschlossenen Strafverfahrens zu prüfen (Schriftsatz vom 20.08.2024 im erstinstanzlichen Verfahren, auf den die Beschwerdeerwiderung vom 25.10.2024 Bezug nimmt). Allerdings muss ein Fahrzeugführer in einem Fahrerlaubnisverfahren eine rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung mit dem darin festgestellten Sachverhalt dann gegen sich gelten lassen, wenn sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.09.1992 – 11 B 22.92 – juris Rn. 3, Urteil vom 12.03.1985 – 7 C 26.83 – juris Rn. 14; Beschluss des Senats vom 22.02.2023 – 13 S 2569/22 – n. v.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 – 10 S 1491/15 – juris Rn. 6, Urteil vom 27.07.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 34). Mit diesem grundsätzlichen Vorrang der strafgerichtlichen vor verwaltungsbehördlichen Feststellungen sollen überflüssige, aufwändige und sich widersprechende Doppelprüfungen möglichst vermieden werden. Im Ergebnis begründet das Vorrangverhältnis eine Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen, substantiierte und gewichtige Hinweise für eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen vorzubringen, wenn er diese im Verwaltungsverfahren nicht gegen sich gelten lassen will (vgl. Beschluss des Senats vom 22.02.2023 a. a. O; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.10.2015 a. a. O.; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 19.08.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 13).

Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, substantiierte und gewichtige Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 zu geben.

Vom Ansatz her zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen (S. 13 des Beschlussabdrucks), dass der Vortrag des Antragstellers, es gebe keinen Beweis dafür, dass er entgegen seiner Darstellung mit dem Fahrrad gefahren sei, eine realistische Auseinandersetzung mit dem dargestellten Geschehensablauf im Polizeibericht des Polizeireviers K. vom 03.10.2023 vermissen lasse. Danach ist Anlass der Polizeikontrolle gewesen, dass die Polizei durch einen Taxifahrer (der Zeuge C. K., s. Strafanzeige vom 27.10.2023) verständigt wurde, weil dieser einen betrunkenen Fahrradfahrer gesehen hatte. Der Zeuge gab gegenüber der eingetroffenen Polizeibeamtin (EPHM`in C.) an, er habe beobachtet, wie der Antragsteller die S.straße in Richtung K.straße befahren habe. Der Antragsteller sei dabei auf dem Radweg gefahren, der auf der Höhe des Geldautomaten auf den Gehweg direkt neben dem Geldautomaten führe. Auf dem Gehweg sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert, sodass er zum Stehen gekommen sei und von seinem Fahrrad habe absteigen müssen. Anschließend sei der Antragsteller mit seinem Fahrrad (schiebender Weise) zu dem Geldautomaten der Volksbank getaumelt, wo er – laut Polizeibericht – durch die hinzukommenden Polizeibeamten einer Kontrolle unterzogen wurde. Zwar wurden die mündlichen Angaben des Zeugen nicht (wörtlich) protokolliert und hat er seine – allerdings nicht in der Fahrerlaubnisakte befindliche – nachgereichte E-Mail trotz entsprechender Aufforderungen nicht weiter präzisiert. Jedoch hat der Antragsteller substantiierte Hinweise darauf, dass der Zeuge durch falsche Informationen einen Polizeieinsatz ausgelöst oder gegenüber der Polizeibeamtin unzutreffende (mündliche) Angaben gemacht haben sollte, nicht vorgebracht. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass der Zeuge aus persönlichen Gründen den Antragsteller zu Unrecht belastet haben könnte. Ebenso wenig ist erkennbar oder dargelegt, dass der Polizeibericht den Inhalt der Befragung des Zeugen unzutreffend wiedergegeben haben könnte. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass es auf Grund der Örtlichkeiten und Sichtverhältnisse nicht möglich gewesen sei, dass der Zeuge ihn an der behaupteten Stelle gesehen haben könne, wird dies nicht weiter nachvollziehbar dargelegt und entspricht auch nicht den aus Google-Street-View zu gewinnenden Erkenntnissen (zur Heranziehung solcher als allgemein bekannt bzw. zugänglich verwertbaren Erkenntnisse im gerichtlichen Verfahren vgl. FG Hamburg, Urteil vom 05.02.2015 – 3 K 45/14 – juris Rn. 33 m. w. N.). Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen, es gebe auf dem ganzen Weg, den er am 03.10.2023 zurückgelegt habe, keinen Pfosten, die Ausführungen im Polizeibericht in Frage stellen möchte, dass er auf dem Gehweg direkt neben den Geldautomaten mit seinem Fahrrad mit einem dortigen Pfosten kollidiert sei. Der entsprechenden Google-Street-Ansicht lässt sich vielmehr entnehmen, dass in unmittelbarer Nähe des Geldautomaten der Volksbank vier Begrenzungspfosten zwischen Gehweg und dem angrenzenden E.-G.-Platz angebracht sind.

Daneben hält der Senat – ebenso wie das Verwaltungsgericht – das Vorbringen des Antragstellers, warum er das Fahrrad nur geschoben habe, damit aber nicht gefahren sei, für wenig plausibel. Es liegt zunächst fern, dass jemand, der – wie vom Antragsteller geltend gemacht – von seiner Wohnung aufbricht, um an einem Geldautomaten Bargeld abzuholen, den etwa 1 km langen Weg zu Fuß zurücklegt und dabei ohne nachvollziehbaren Grund für das Mitführen des Fahrrads dessen nutzloses Schieben in Kauf nimmt. Der Antragsteller, der zunächst mit Schreiben vom 16.03.2024 gegenüber dem Antragsgegner ohne nähere Begründung ausführte, er habe das Fahrrad geschoben, machte erstmals im Widerspruchsverfahren mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 und dann im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend, er habe bei der Ausfahrt der Tiefgarage seiner Wohnung bemerkt, dass das Licht am Fahrrad nicht gegangen sei, und es deswegen geschoben. Nachdem das Verwaltungsgericht diesbezüglich zutreffend davon ausgegangen ist, dass diese Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers nicht erkläre, weshalb er nach Bemerken des defekten Lichts das Fahrrad nicht zurück in die Tiefgarage gebracht habe und sich von vornherein zu Fuß auf den Weg gemacht habe, macht der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung geltend, dass das Licht „etwas flatterte“, sodass er nicht habe ganz einordnen können, ob die fehlende volle Funktionstauglichkeit des Fahrrads vorübergehender Natur gewesen sei, weswegen er es „in diesem Dilemma“ geschoben habe. Dieses wechselnde und jeweils angepasste Erklärungsverhalten des Antragstellers ist wenig glaubhaft und nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts K. in Frage zu stellen. Es kommt hinzu, dass es für den Senat wenig nachvollziehbar ist, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen bereit war, mit über zwei Promille Fahrrad zu fahren, hiervon aber wegen des „etwas flatternden“ Lichts abgesehen haben will, weil er sich rechtstreu verhalten wollte.

Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers bestehen auch deswegen, weil er durchgängig (etwa persönliches Schreiben vom 16.03.2024 und Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht) angegeben hat, er trinke selten Alkohol, weswegen er am Tattag die Wirkung seines Alkoholkonsums unterschätzt habe (persönliches Schreiben vom 16.03.2024) bzw. es für ihn umso ärgerlicher gewesen sei, ausgerechnet mit einer solchen Situation konfrontiert gewesen zu sein (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 12.08.2024 im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht). Denn die bei dem Antragsteller festgestellte (hohe) Blutalkoholkonzentration von 2,08 Promille deutet auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten, eine ungewöhnliche Giftfestigkeit und eine dauerhafte, ausgeprägte Alkoholproblematik hin (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.03.2021 – 3 C 3.20 – juris Rn. 312 und vom 21.05.2008 – 3 C 32.07 – juris Rn. 14; Beschlüsse des Senats vom 07.02.2024 – 13 S 1495/23 – juris Rn. 7 und vom 06.11.2023 a. a. O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 14.10.2022 – 1 M 148/22 – juris Rn. 42; BayVGH, Beschluss vom 25.06.2019 – 11 ZB 19.187 – juris Rn. 14; vgl. auch Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Kommentar, 3. Aufl., S. 248 ff.), mit denen sich die Angaben des Antragstellers, er trinke selten Alkohol, schwerlich in Einklang bringen lassen.

Der Senat nimmt schließlich in den Blick, dass der Antragsteller gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 keinen Einspruch eingelegt hat. Die hierfür von dem Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren vorgetragene Begründung, er habe „wegen Rechtsirrtum“ keinen Einspruch eingelegt, weil er angenommen habe, dass „sich die Angelegenheit durch die Zahlung erledige“, und er sei nicht davon ausgegangen, dass „seine Fahrerlaubnis durch den rechtskräftigen Strafbefehl gefährdet sein könnte“, vermag – auch vor dem Hintergrund der im Strafbefehl verhängten Gesamtgeldstrafe von 1.000,– EUR – den Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs für den Fall, dass der Antragsteller das Fahrrad tatsächlich nur geschoben, aber nicht gefahren haben sollte, nicht plausibel zu erklären. Wenn die im Strafbefehl getroffenen Feststellungen für den Antragsteller ohne weiteres erkennbar unzutreffend gewesen wären, wäre es – auch wegen des im Strafprozess geltenden Grundsatzes „in dubio pro reo“ – naheliegend gewesen, sich gegen einen solchen ungerechtfertigten Vorwurf zu wehren.

In Zusammenschau all der aufgezeigten Umstände enthält das Vorbringen des Antragstellers keine hinreichend gewichtigen und substantiierten Hinweise auf eine eventuelle Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen im Strafbefehl. Der Antragsgegner konnte damit den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 13.11.2023 der Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV zu Grunde legen.

 

Versäumte Frist II: Schwierige Fristberechnung …, oder: … die darf man nicht dem Personal überlassen

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom VGH Baden-Württemberg. Der hat im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.11.2024 – 9 S 1510/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Fällen einer schwierigen Fristberechnung Stellung genommen.

Die Klägerin hatte im zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt, die Berufung gegen ein VG-Urteil zuzulassen. Der VGH hat den Antrag als unzulässig angesehen. Die Klägerin habe nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichts die Gründe dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO):

„2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2023 – 8 B 26.23 -, juris Rn. 6). Die Versäumung der Frist für die Zulassungsbegründung ist im vorliegenden Fall nicht unverschuldet gewesen.

a) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden von „Hilfspersonen“ des bevollmächtigten Rechtsanwalts muss sich ein Beteiligter mangels einer Zurechnungsnorm dagegen regelmäßig nicht zurechnen lassen. Allerdings kann den Rechtsanwalt ein eigenes Verschulden treffen, wenn die Organisation seines Büros mangelhaft ist oder die „Hilfspersonen“ nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, überwacht oder angeleitet wurden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 31; Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 8).

Die Wahrung der prozessualen Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, denen er besondere Sorgfalt widmen muss. Allerdings darf er grundsätzlich die Berechnung und Notierung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.06.2011 – 1 B 7.11 – juris Rn. 5, und vom 06.07.2007 – 8 B 51.07 -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 32, und Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9).

Dies findet seine Grenze aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweist. Das gilt etwa für die Frist zur Begründung eines Zulassungsantrags im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. So läuft nach § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO eine zweimonatige Begründungsfrist, wenn die Berufung bereits in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Bei einer Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht beträgt die Frist zur Begründung der Berufung nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO hingegen einen Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses, der einen Antrag voraussetzt, dessen Stellung und Begründung wiederum gesonderten Fristen unterliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 bzw. 4 VwGO). Die Berechnung und Überwachung dieser Fristen bedürfen besonderer Sorgfalt und dürfen daher von einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht vollständig seinem Büropersonal überlassen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9, VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 02.08.2006 – 4 S 2288/05 -, juris Rn. 5, und vom 07.08.2003 – 11 S 1201/03 -, juris Rn. 7; OVG SH, Beschluss vom 03.07.2024 – 5 LB 2/24 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7; OVG Hbg., Beschluss vom 26.10.2022 – 6 Bf 137/22 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Beschluss vom 04.11.2008 – 4 LC 234/07 -, juris Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28.01.2004 – 10 A 11759/03 -, juris Rn. 18; parallel zur Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, mittlerweile AsylG: Senatsbeschluss vom 12.06.2007 – A 9 S 315/07 -, juris Rn. 5; vgl. auch Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 60 Rn. 45). Ein Rechtsanwalt muss durch eine entsprechende Kanzleiorganisation gewährleisten, dass die Überwachung solcher Fristen, die nicht als Routineangelegenheiten behandelt werden dürfen, letztlich eigenverantwortlich ihm obliegt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7 m. w. N.).

Nur wenn sich die Abwicklung solcher Verfahren nach den konkreten Verhältnissen in der Rechtsanwaltskanzlei als Routineangelegenheit darstellt, sind geringere Anforderungen zu stellen, allerdings nur in dem Sinne, dass der Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnen muss, sondern sich auf eine Überprüfung beschränken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 21.11 -, juris Rn. 23; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 05.03.1982 – 8 C 159.81 -, juris Rn. 3: „dem Büro geläufige Fristberechnung“; ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 – 1 A 1756/09 -, juris Rn. 56).

Die eine Wiedereinsetzung beantragenden Beteiligten müssen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 – 2 C 11.19 -, juris Rn. 7). Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei den Betroffenen, die die Wiedereinsetzung begehren. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten oder dem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.09.2023 – 1 C 10.23 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.2023 – 1 S 1173/23 -, juris Rn. 19).

b) Nach diesen Maßstäben macht die Klägerin keine Tatsachen glaubhaft, aus denen sich schlüssig ergibt, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muss, erklärt mit Schriftsatz vom 03.11.2023 sinngemäß, er habe sich zwischen dem 21.08.2023 und dem 29.08.2023 im Urlaub befunden. Sein Praktikant M. R., seit Juli 2023 Diplomjurist und außerdem Referendar, habe am 21.08.2023 als Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung irrigerweise den 21.11.2023 eingetragen. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, sei der Fehler am 02.11.2023 zufällig aufgefallen. Die Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristberechnung würden regelmäßig kontrolliert, dabei sei aber die Falschberechnung übersehen worden. Das Eintragen von Fristen sei eine „einfache technische Verrichtung“, die er seinem Praktikanten, der seit Beginn des Studiums in den Semesterferien in seiner Kanzlei mithelfe, überlassen dürfe. Habe er eine Weisung erteilt, könne er sich darauf verlassen, dass diese befolgt werde. Bei dem Praktikanten handele es sich um eine sorgsam ausgewählte Person, die ihre Zuverlässigkeit dadurch unter Beweis gestellt habe, dass sie seit mehreren Jahren „immer und wieder“ mitarbeite und mit „der Fristenproblematik vertraut“ sei. Ein Organisationsverschulden scheide aus, weil die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten klar abgestimmt worden seien. Dass sein Praktikant der allgemeinen Dienstanweisung hinsichtlich der korrekten Berechnung und Eintragung nicht entsprochen habe, sei ein einmaliges Versehen. Das Vorgetragene versichern der Bevollmächtigte der Klägerin wie auch sein Praktikant an Eides statt.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bevollmächtigten der Klägerin und der eidesstattlichen Versicherungen ist davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Berechnung, Eintragung und Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist verstoßen hat. Er legt nicht dar, dass sich die Abwicklung von Berufungszulassungsverfahren vor Oberverwaltungsgerichten in seiner Kanzlei als Routineangelegenheit darstellte bzw. es sich bei der Berechnung der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wegen der Häufigkeit der zu bearbeitenden Berufungszulassungsverfahren um eine in der Rechtsanwaltskanzlei geläufige Fristberechnung handelte und er daher berechtigt gewesen wäre, sich auf eine (ggf. stichprobenartige) Überprüfung der Tätigkeit seines Praktikanten zurückzuziehen. Eine entsprechende schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei ist auch sonst nicht erkennbar. Denn dem Briefkopf zufolge ist der Bevollmächtigte der Klägerin Fachanwalt für Steuerrecht mit den weiteren Schwerpunkten Bau- und Architektenrecht sowie Wirtschaftsrecht. Abgesehen davon legt er nicht dar, dass die Berechnung der Fristen nach § 124a VwGO oder auch nur der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Routine seines Praktikanten gehörte. Das Vorbringen, sein Praktikant, der seit Juli 2023 Diplomjurist sei und seit Beginn dessen Studiums in den Semesterferien bzw. „immer und wieder“ in seiner Kanzlei mithelfe, sei sorgsam ausgewählt, mit „der Fristenproblematik vertraut“ und arbeite seit Jahren unbeanstandet, genügt hierfür ersichtlich nicht. Zwar kann sich ein Rechtsanwalt bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2005 – VI ZB 13/05 -, juris Rn. 6). Gleichwohl ist ein Wissen um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen nicht gleichzusetzen mit einer Routine in der Berechnung der Fristen des § 124a VwGO. Die vom Praktikanten angeblich irrigerweise angenommene Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung von drei Monaten dürfte eher gegen dessen Routine beim Berechnen entsprechender Fristen sprechen. Vor dem Hintergrund des Ausgeführten wäre es die Obliegenheit des Bevollmächtigten gewesen, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO selbst zu berechnen bzw. rechtzeitig die Fristberechnung zu kontrollieren. Die pauschale Behauptung, er kontrolliere die ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristenberechnung regelmäßig, habe aber die Falschberechnung übersehen, vermag ihn nicht zu exkulpieren.“

Standardisiertes Messverfahren beim Fahrtenbuch, oder: Zugang bei der Bußgeldstelle erstrebt?

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen aus dem Verwaltungsrecht.

Als erste stelle ich den VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.08.2024 – 13 S 1001/23 – vor. Gestritten wird mal wieder um eine Fahrtenbuchauflage. Die Klage dagegen hatte das VG abgewiesen. Der VGH hat die Berufung nicht zugelassen. Die von ihm angesprochenen Fragen sind nicht neu, so dass ich mich auf den Leitsatz beschränke und im Übrigen auf den verlinkten Volltext verweise.

Hier die Leitsätze:

1. Wird eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung auch bei fehlenden Rohmessdaten nur dann von Amts wegen überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.

2. Der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung, der sich gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren wendet, kann sich nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um – ggf. auch nach Ablauf der Verjährungsfrist für die Ahndung des Verkehrsverstoßes – den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.

beA: Zeitreserven für Synchronisation von Computern, oder: Verschulden, wenn ein Zeitpolster fehlt

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Und heute dann im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen aus dem Verfahrensrecht.

Ich beginne mit einer weiteren Entscheidung zum beA. Die kommt aus einem Verwaltungsverfahren, das in Baden-Württemberg anhängig war.

Nach dem Sachverhalt hatte der Kläger an einer ihm gehörenden Villa Umbauarbeiten vorgenommen, obwohl die Villa im Denkmalbuch stand. Der Kläger hat versucht, die Villa aus dem Denkmalbuch löschen zu lassen. Außerdem hatte er in einem anderen Verfahren beantragt festzustellen, dass die Villa kein Kulturdenkmal darstelle, oder hilfsweise, dass die Umbauarbeiten im Nachhinein genehmigt werden.

Das VG hat beide Klagen am selben Tag abgewiesen. Der Kläger hat dann in beiden Verfahren beantragt, die Berufung zuzulassen. In dem Verfahren betreffend Löschung aus dem Denkmalbuch übersandte sein Prozessbevollmächtigter die Begründung seines Antrags eine halbe Stunde vor Fristablauf. Die Begründung für den zweiten Antrag ging drei Minuten nach Fristablauf beim VGH ein.

Der Kläger hat Wiedereinsetzung beantragt und dazu vorgetragen:  Der Kartenleser für den beA-Zugang habe schon am Mittag nicht funktioniert. Deshalb sei ein Gerät eines Kollegen installiert worden, um sich ins beA einloggen zu können. Der Funktionstest auf der zweiten Ebene – Citrix Workspace (eine digitale Arbeitsumgebung) – sei aber negativ ausgefallen. Die Ursache dafür habe wohl in dem Server gelegen, der außerhalb der Kanzlei arbeitete. Er habe deshalb den Schriftsatz erstellen, dann in der Cloud abspeichern und dann über beA versenden wollen. Diese „Synchronisation“ dauere an sich nur wenige Sekunden. Im Verfahren „Denkmalbuch“ habe das auch geklappt. Dann habe er sich den Wecker auf fünf vor Mitternacht gestellt, um bis dahin noch an dem Schriftsatz zu arbeiten. Als es dann zur Versendung gekommen sei, habe die Synchronisation wesentlich länger als erwartet gedauert.

Der VGH Baden-Württemberg hat den Antrag mit dem VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.12.2023 – 1 S 1173/23 – zurückgewiesen:

„2. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist abzulehnen, weil sein Prozessbevollmächtigter nicht ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, einzuhalten.

a) Verschuldet i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist eine Fristversäumnis, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.02 2021 – 2 C 11/19 – juris Rn. 6, m.w.N.). Dabei ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen (§ 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei dem Betroffenen, der die Wiedereinsetzung begehrt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.05.2010 – 7 B 18/10 – juris Rn. 4, m.w.N.). Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023 – 1 C 10/23 – juris Rn. 12; BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – XII ZB 228/22 – juris Rn. 13).

Prozessuale Fristen – wie des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO – dürfen bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden (st. Rspr., vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 14.02.2023 – 2 BvR 653/20 – juris Rn. 22, m.w.N.; Beschl. v. 15.01.2014 – 1 BvR 1656/09 – juris Rn. 37; BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 15, m.w.N.). Einem Verfahrensbeteiligten kann daher nicht vorgeworfen werden, dass er bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt. Wird eine Rechtsmittelfrist oder die Begründungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft, so treffen den Verfahrensbeteiligten allerdings erhöhte Sorgfaltspflichten. Er muss alle gebotenen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Gefahr einer Fristversäumnis zu vermeiden. Ein pflichtbewusster Rechtsanwalt ist daher kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist verpflichtet, jedes Risiko zu meiden, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen kann (BVerfG, Kammerbeschl. v. 02.07.2014 – 1 BvR 862/13 – juris Rn. 4, m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 25.05.2010, a.a.O.Rn. 6, m.w.N.; BGH, Beschl. v. 09.05.2006 – XI ZB 45/04 – juris Rn. 8 ff.).

Eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen in der Anwaltskanzlei entlastet den Rechtsanwalt (nur) dann, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und durch regelmäßige Wartung der Geräte nicht hätte verhindert werden können (BGH, Beschl. v. 18.02.2020 – XI ZB 8/19 – juris Rn. 12; Beschl. v. 15.12.2022 – I ZB 35/22 – juris Rn. 13). Dabei ist ein Rechtsanwalt bei Ausschöpfung einer Frist bis zum letzten Tag zwar nicht verpflichtet, die technischen Systeme stets vorsorglich auf dessen Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Er missachtet aber dann die gebotene Sorgfalt, wenn er wegen eines Versagens des technischen Systems konkreten Anlass dafür hat, an dessen verlässlicher Funktionstauglichkeit zu zweifeln (BGH, Beschl. v. 16.11.2016 – VII ZB 35/14 – juris Rn. 13; Beschl. v. 18.02.2020, a.a.O. Rn. 12; je zum Telefax).

Bei der Übersendung von Schriftsätzen mittels Telefax muss der Versender Verzögerungen berücksichtigen, mit denen üblicherweise zu rechnen ist, wozu schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten oder die Belegung des Telefax-empfangsgeräts bei Gericht durch andere eingehende Sendungen gehören, und daher einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkulieren (st. Rspr., BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 17, m.w.N.).

Auch im elektronischen Rechtsverkehr muss mit einer nicht jederzeit reibungslosen Übermittlung gerechnet werden, und können z.B. Schwankungen bei der Internetverbindung oder eine hohe Belastung des Servers kurz vor Mitternacht etwa wegen einer großen Anzahl eingehender Nachrichten oder wegen der Durchführung von Software-Updates zu Verzögerungen führen, die einzukalkulieren sind (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 18; HessVGH, Beschl. v. 24.08.2022 – 4 A 149/22.Z – juris Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.11.2021 – 6 U 131/21 – juris Rn. 14). Dem ist durch eine zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 18f.).

b) Nach diesem Maßstab ist die Versäumung der Begründungsfrist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hier verschuldet. Ein Verschulden liegt in mehrfacher Hinsicht vor. Jeder dieser Sorgfaltsverstöße führt bereits je für sich zur Ablehnung der Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO.

aa) Auch im elektronischen Rechtsverkehr muss, wie ausgeführt, durch einen pflichtgemäß handelnden Rechtsanwalt eine zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze einkalkuliert werden. Dabei ist eine Zeitspanne von unter sieben Minuten für die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach bei einer nur ca. 280 KB umfassenden Datei zu knapp bemessen (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 18f.). Zu knapp kalkuliert ist daher auch – wie hier – eine Zeitspanne von weniger als fünf Minuten für eine Datei von ca. 300 KB. Das Vorsehen eines so kurzen Zeitraums für die Übermittlung ist auch angesichts des vom Prozessbevollmächtigten geltend gemachten Vertrauens auf eine vergleichbar schnelle Versendung wie im Verfahren 1 S 1126/23 ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO. Maßgeblich ist auch bei Erfahrungswerten eines Prozessbevollmächtigten die unter normalen Umständen zu erwartende Übermittlungsdauer zuzüglich eines Sicherheitszuschlags (BGH, Beschl. v. 27.09.2018 – IX ZB 67/17 – juris Rn. 20, 21). Zudem beruft sich der Prozessbevollmächtigte hier nur auf den „Erfahrungswert“ aus einem einzigen anderen Verfahren.

Liegt mithin bereits mangels Einkalkulierens einer ausreichenden zeitlichen Sicherheitsreserve eine Sorgfaltspflichtverletzung vor, so kommt es nicht auf die Frage an, ob eine – wie hier geltend gemacht – unvorhersehbare und unvermeidbare Störung der Hard- oder Software des Computersystems in der Anwaltskanzlei vorlag (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 22).

bb) Ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist es auch, die für das Erstellen des fristgebundenen Schriftsatzes notwendige Synchronisation zwischen dem lokalen PC des Anwalts und einem Arbeitssystem auf einem Server in einem weit entfernten Rechenzentrum erst fünf Minuten vor dem Fristende durchzuführen. Diese Synchronisation ist auf Leitungen außerhalb der Kanzlei und die Übermittlung über Internetverbindungen angewiesen. Daher müssen bei sorgfältigem Handeln – wie bei der Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr – ausreichende Zeitreserven eingeplant werden. Dies hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier pflichtwidrig unterlassen.

Der Umstand, dass diese Synchronisation im Verfahren 1 S 1126/23 um 23:28 Uhr innerhalb weniger Sekunden funktionierte und der IT-Mitarbeiter xxx dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt hatte, dass eine in der zweiten Ebene in OneDrive gespeicherte Datei mit der hier zu erwartenden Größe von ca. 300 KB in aller Regel sofort synchronisiert werde, d.h. innerhalb weniger Sekunden (maximal binnen einer Minute) auf der ersten Ebene zur Verfügung stehe, entlastet den Prozessbevollmächtigten nicht. Denn zwischen dem Kanzleistandort mit lokalen PCs und einem Server in einem weit entfernten, externen Rechenzentrum ist mit Übertragungsproblemen und schwankenden Internetverbindungen zu rechnen. Dieses Risiko hat der pflichtbewusste Rechtsanwalt kurz vor Fristende zu meiden.

cc) Ein weiteres Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO liegt darin, dass der Prozessbevollmächtigte am 14.08.2023 für die Erstellung des Schriftsatzes mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung keinen anderen sichereren Weg wählte, als am Nachmittag nicht aufzuklärende technische Probleme auf der zweiten Ebene des Computersystems auftraten. Beim Funktionstest mit dem externen IT-Mitarbeiter xxx am Tag des Fristablaufs zwischen 15 und 16 Uhr fiel der Funktionstest auf der zweiten Ebene negativ aus und wurde die Karte auf der zweiten Ebene im beA-Portal nicht erkannt, während der Kartenleser auf der ersten Ebene, auf dem lokalen PC funktionierte. Der IT-Mitarbeiter xxx konnte selbst nicht nachvollziehen, warum das Kartenlesegerät nur auf der ersten, nicht aber auf der zweiten Ebene funktionierte. Das Computersystem der Kanzlei funktionierte auf der zweiten Ebene mithin nicht störungsfrei. Wenn solche Störungen auftreten, erhöhen sich die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts und ist er verpflichtet, parallele Sicherungsmaßnahmen durchzuführen (BGH, Beschl. v. 27.01.2015 – II ZB 21/13 – juris Rn. 10 ff., zu Sicherungsmaßnahmen bei eingeschränktem Zugriff auf den Fristenkalender auf einem externen Server). Zu einer solchen Sicherungsmaßnahme hätte hier gehören können, den fristgebundenen Schriftsatz ausschließlich auf dem lokalen PC zu erstellen. Dies hat der Prozessbevollmächtigte pflichtwidrig unterlassen.“