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Klageerzwingung I: Unzulässige Antragsbegründung, oder: Warum war der Antrag ein „Ansinnen“?

In die neue Woche starte ich dann mit zwei Entscheidungen zum Klageerzwingungsverfahren.

Ich starte mit dem

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–, der mal wieder zur ausreichenden Begründung des sog. Klageerzwingungsantrags Stellung nimmt. Das OLG sieht die Vorgaben als nicht erfüllt an:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO ist bereits als unzulässig zu verwerfen.

1. Er entspricht nicht den nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO an den Inhalt eines Klageerzwingungsantrags zu stellenden formellen Anforderungen. Nach dieser Vorschrift muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung den Senat in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten oder andere Schriftstücke eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Antrags auf Erhebung der öffentlichen Klage in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen (OLG Celle, Beschluss vom 17. März 2008, Az. 1 Ws 105/08; hierzu und dem Folgenden: OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 2 Ws 42/10). Deshalb muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine aus sich heraus verständliche Schilderung desjenigen Sachverhaltes enthalten, der bei Unterstellung der Richtigkeit des hinreichenden Tatverdachtes die Erhebung der öffentlichen Klage sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht rechtfertigen würde (vgl. hierzu und dem Folgenden: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 172 Rdnr. 26 ff.). Dabei hat die Sachdarstellung zumindest in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Entscheidungen und die Gründe für deren behauptete Unrichtigkeit mitzuteilen. Diesen skizzierten Vorgaben wird der vorliegende Klageerzwingungsantrag nicht gerecht.

Die Darstellung des Sachverhalts ist lückenhaft. Zu der gebotenen Darstellung des Verfahrensganges genügt es nicht, singulär auf die Erkenntnisse einzugehen, die das Antragsbegehren stützen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007, Az. 2 Ws 272/07; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. August 2024, Az. 2 Ws 88/24 (S)). Vielmehr ist das gesamte für die objektive und subjektive Tatseite bedeutsame Ermittlungsergebnis einschließlich der Tatsachen, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten, mitzuteilen (vgl. hierzu und dem Folgenden: OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007, Az. 2 Ws 272/07). Denn nur auf der Grundlage einer derart vollständigen Darstellung und damit bei Kenntnis auch der Umstände, die der Darstellung des Antragstellers möglicherweise entgegenstehen, lässt sich der Erfolg des Begehrens des Antragstellers, nämlich die angestrebte Verurteilung der Beanzeigten, zutreffend beurteilen (vgl. hierzu und dem Folgenden: OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 2 Ws 42/10; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Juni 2004, Az. 2 Ws 128/04). Eine selektive Auswahl der zugunsten des Strafantragstellers sprechenden Argumente unter Hintanstellung gegebenenfalls diese widerlegender Gesichtspunkte führt zur Unschlüssigkeit des Klageerzwingungsantrages und folglich zu seiner Unzulässigkeit (OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2010, Az. 2 Ws 42/10).

Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 02. August 2024 wie folgt aus:

„Dem Antrag ist die aktenkundige Abschlussverfügung und Anklageschrift vom 6. Juli 2023 (BI. 57 ff. der Akte) in dem Verfahren 4123 Js 1995/23, auf die im Bescheid der Staatsanwaltschaft Potsdam Bezug genommen wird, nicht zu entnehmen. Hieraus ergibt sich, dass der Leiter der Tierauffangstation („Name 02“) im Nachgang zur behördlichen Maßnahme wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz angeklagt worden ist.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei; sie entsprechen der Sachlage. Ist wegen desselben Sachverhaltes gegen den Antragssteller selbst Anklage erhoben worden, so muss er dies in seinem Antrag vortragen – verschweigt er eine solche Anklage, so ist der Klageerzwingungsantrag unzulässig (OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. September 2001, Az. 1 Ws 184/01). Zwar richtet sich die Anklageschrift vom 06. Juli 2023 – die die vorgefundenen Begebenheiten anlässlich der Kontrolle und Inobhutnahme der Tiere am 25. Juli 2022 auf dem Grundstück („Adresse 01“) zum Gegenstand hat – nicht gegen den („Firma 01“) – was bereits dem Umstand geschuldet ist, dass das deutsche Strafrecht kein Unternehmensstrafrecht ist -, sondern gegen Herrn („Name 02“). Dieser ist indes dem Vorstand des („Firma 01“). zugehörig – damit für seine Handlungen als Unternehmensverantwortlicher persönlich strafrechtlich verantwortlich – und hat auch die Vollmacht des Verteidigers für den („Firma 01“) wie auch etliche Verwahrtier – Verfügungen und Fundtieranzeigen und Übergaben für selbigen unterzeichnet. Unerwähnt lässt der Antragsteller in diesem Zusammenhang auch, dass der Sitz des („Firma 01“). in der („Adresse 01“) zugleich die Wohnanschrift des Herrn („Name 02“) ist, und den Umstand, dass das mangelnde Vorhalten eines Bestandsbuches, mit welchem die Zuordnung als Abgabe-/ Verwahr-/ Zuchttier und privates Tier sowie zwingend die rechtliche Eigentumszugehörigkeit möglich wäre, Gegenstand der wiederholten Kontrollen und Auflagen des Veterinäramts betreffend den Tierbestand in der („Adresse 01“) war. Zudem wird mit keinem Wort erwähnt, aus welchem Grunde das Veterinäramt der Stadt („Ort 01“) den bei der Kontrolle am 25. Juli 2022 vorgefundenen Tierbestand in Obhut genommen hat, dass die Kontrolle am 25. Juli 2022 nicht die erste Begehung ihrer Art gewesen ist, und dass im Hinblick auf die dortige Tierhaltung vorab (nicht erfüllte) Auflagen erteilt wurden.

Auf dieser Grundlage ist dem Senat eine Beweiswürdigung nicht möglich. Diese Beweiswürdigung ist aber Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung, da nur dann die Schlüssigkeit des Klageerzwingungsantrages geprüft werden kann.

Auch die Darstellungen des Antragstellers in den anwaltlichen Schriftsätzen vom 28. August 2024 und 20. September 2024 führen zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet der Tatsache, dass der Senat die Anklageerhebung gegenüber dem Vorstandsmitglied („Name 02“), der unter derselben Anschrift wohnhaft wie das („Firma 01“) ortsansässig ist, – wie ausgeführt – als notwendig in ihrer Darstellung erachtet, würde auch eine Nachbegründung nach Ablauf der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 S. 1 StPO dem Antrag nicht mehr zur Zulässigkeit verhelfen können (OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juli 2002, Az. 2 Ws 213/02; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Dezember 1999, Az. 1 Ws 624 – 625/99 ; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. März 2008, Az. 1 Ws 17/08).

Der Antrag war nach alledem als unzulässig zu verwerfen.“

So weit, so gut – oder auch nicht. Jedenfalls bringt der Beschluss nichts Neues. Außer einer Formulierung, die mich stört. Denn in dem Beschluss – insoweit oben nicht zitiert – heißt es:

„Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 02. August 2024 beantragt, das Ansinnen auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zu verwerfen. Mit Anwaltsschriftsätzen vom 28. August 2024 und 20. September 2024 ist der Antragsteller dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entgegengetreten.“

Warum „Ansinnen“ (= „oft als Zumutung empfundenes Ersuchen, Gesuch, Bitte“? Warum schreibt man nicht „Antrag“ und gut ist es?

BVerfG I: Anforderungen an die Klageerzwingung, oder: Genug ist genug.

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Und auf geht es in die 51. KW, die letzte „volle“ Arbeitswoche vor Weihnachten und dem Jahreswechsel. Und ich starte hier mit zwei BVerfG-Entscheidungen in die Woche. Beide stammen vom BVerfG und beide betreffen StPO-Fragen.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 19.09.2024 – 2 BvR 350/21 -, der sich mal wieder zu den Darlegungsanforderungen an einen Klageerzwingungsantrag äußert. Das OLG Stuttgart hat die nach Auffassung des BVerG „überspannt“, also „darf“ man „nacharbeiten“.

„Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Dezember 2022 – 2 BvR 378/20 -, Rn. 81).

Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO erfordert zwar die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten (vgl. BVerfGK 14, 211 <215> m.w.N.). Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ist aber dann überschritten, wenn sich der Antragsteller mit rechtlich Irrelevantem auseinandersetzen oder die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen beziehungsweise Einlassungen des Beschuldigten auch in ihren irrelevanten Abschnitten oder gar zur Gänze wiedergeben soll, obwohl sich deren wesentlicher Inhalt aus der Antragsschrift ergibt (vgl. BVerfGK 14, 211 <215>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 – 2 BvR 1107/16 -, Rn. 22; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Oktober 2015 – 2 BvR 912/15 -, Rn. 23).

b) Gemessen daran verstößt der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Der Strafsenat hat die Darlegungsanforderungen überspannt, weil er den Antrag auf gerichtliche Entscheidung für unzulässig hielt, obwohl die Beschwerdeführerin den wesentlichen Inhalt der Beschuldigteneinlassung und der Einstellungsentscheidungen dargestellt und sich mit den rechtlich relevanten Umständen hinreichend befasst hat. Im Einzelnen:

….“

Klageerzwingung II: Unterzeichnung des Antrags, oder: Hat ein „Rechtsanwalt“ unterzeichnet?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Bamberg, Beschl. v. 08.06.2021 – 1 Ws 290/21 – geht es auch um die Formwirksamkeit eines Klageerzwingungsantrages. Hier war der Antrag vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers unterzeichnet. Der war aber „nur“ Hochschullehrer und Strafverteidiger und nicht zugleich auch Rechtsanwalt. Das OLG hat den Antrag als unzulässig angesehen.

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 1 StPO) ist bereits deshalb unzulässig, weil er entgegen § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht von einem Rechtsanwalt unterzeichnet ist. Die Unterzeichnung des Antrags durch einen Strafverteidiger und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule, der, wie vorliegend, nicht gleichzeitig Rechtsanwalt ist, erfüllt das vorgenannte Formerfordernis nicht (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 172 Rn. 32; Müko/Kölbel StPO § 172 Rn. 50; SK/Wohlers StPO 5. Aufl. § 172 Rn. 57; Radtke/Hohmann/Kretschmer StPO § 172 Rn. 24; Gercke/Julius/Temming/Zöller StPO 6. Aufl. § 172 Rn. 19; LK/Graalmann-Scheerer StPO 27. Aufl. Rn. 141; vgl. auch KK/Moldenhauer StPO 8. Aufl. § 172 Rn. 33; BeckOK/Gorf StPO 39. Ed. [Stand: 01.01.2021] § 172 Rn. 15; a.A. Ladiges JR 2013, 295). Indem der Gesetzgeber klar zwischen den Begriffen „Rechtsanwalt“ und „Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule“ differenziert (§ 138 Abs. 1 StPO) und letzteren nur im Ausnahmefall, nämlich hinsichtlich der Möglichkeit als Verteidiger aufzutreten, einem Rechtsanwalt gleichstellt (§§ 138, 345 Abs. 2 StPO) lassen bereits Gesetzeswortlaut und Systematik des Gesetzes klar erkennen, dass ein Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule nicht einem Rechtsanwalt im Sinne des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gleichzusetzen ist. Soweit argumentiert wird, Zweck des § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO sei es, offensichtlich aussichtslose Anträge von Rechtsunkundigen zu verhindern, weshalb der Schriftsatz eines Rechtslehrers an deutschen Hochschulen die Formvorschrift erfülle (Ladiges a.a.O.), vermag der Senat diesen Schluss nicht zu ziehen. Um seinen Zweck zu erreichen, knüpft das Gesetz die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags mit § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO gerade nicht an die bloße Rechtskundigkeit oder -unkundigkeit eines Unterzeichners, sondern stellt aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit auf ein formales, für alle Seiten leicht zu überprüfendes Kriterium (Rechtsanwaltseigenschaft) ab.“

Mal wieder BVerfG zur Klageerzwingung, oder: Mal wieder zu hohe Anforderungen

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Heute dann mal „Verschiedenes“ 🙂 .

Ich eröffne mit dem BVerfG, Beschl. v. 02.07.2018 – 2 BvR 1550/17, in dem das BVerfG noch einmal/mal wieder zu den Anforderungen an einen (zulässigen) Klageerzwingungsantrag (§ 172 StPO) Stellung nimmt. Die Hürden sind an der Stelle in der Rechtsprechung der OLG sehr hoch gelegt, das BVerfG hat schon häufiger beanstandet, dass sie zu hoch sind.

Im entschiedenen Fall ging es um ein Klageerzwingungsverfahren, das den Tatvorwurf der fahrlässigen Tötung gegen behandelnde Ärzte wegen des Verdachts einer fehlerhaft durchgeführten Chemotherapie eines Mammakarzinoms zum Gegenstand hatte. Das OLG Rostock hatte den Klageerzwingungsantrag als unzulässig verworfen,“ weil dieser nicht den formalen Erfordernissen des § 172 Abs. 3 StPO entsprochen habe. Die Antragsschrift enthalte keine aus sich heraus verständliche, konkrete und substantiierte Sachdarstellung, die es dem Senat ermögliche, das mit dem Antrag verfolgte Begehren ohne Beiziehung der staatsanwaltlichen Ermittlungsakten und anderer Schriftstücke zu überprüfen. So werde allein zum Beweis für den verfahrensgegenständlichen Krankheitsverlauf und die angeblich fehlerhafte ärztliche Behandlung auf 16 Anlagen mit insgesamt 136 Blatt Bezug genommen, deren inhaltliche Kenntnisnahme durch den Senat notwendig sei, um sich ein eigenes Bild von der Krankheit, deren Verlauf und den Behandlungsmaßnahmen zu machen. Daran schlössen sich Ausführungen zum äußeren Ablauf der staatsanwaltlichen Ermittlungen an und eine Auseinandersetzung mit dem Ergebnis der durchgeführten Obduktion mit anschließender toxikologischer und histologischer Zusatzuntersuchung sowie mit diversen eingeholten ärztlichen und juristischen Stellungnahmen und Gutachten, die in der Antragsschrift teilweise nur insoweit zusammenfassend wiedergegeben würden, als sie die Sichtweise des Antragstellers stützten, wohingegen möglicherweise entgegenstehende Ausführungen nur verkürzt wiedergegeben würden. Der Senat müsste deshalb zur eigenen Beurteilung der Sache weitere 196 Seiten durchsehen. Bereits derart umfangreiche Bezugnahmen auf Unterlagen, die der Antragsschrift lediglich als Anlagen beigefügt seien, obwohl es auf deren genauen und vollständigen Wortlaut ankäme, seien unzulässig. Zudem seien die im Antrag genannten Anlagen erst einen Tag nach Ablauf der Frist des § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO eingegangen. Dem fristgemäß per Fax eingegangenen Klageerzwingungsantrag seien sie nicht beigefügt gewesen.“

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen. Begründung: Zwar verletzt der Beschluss des OLG Rostock den Beschwerdeführer in seinem Grundecht aus Art. 19 Abs. 4 GG. Nicht angenommen worden ist jedoch, weil die Tat möglicherweise verjährt ist. Zum Klageerwzingungsantrag führt das BVerfG unter Hinweis auf seine stäündige Rechtsprechung aus, dass die Darlegungsanforderungen an einen zulässigen Klageerzwingungsantrag nicht überspannt werden dürfen. Das sei hier aber der Fall:

„b) Gemessen daran halten die Erwägungen des Oberlandesgerichts Rostock den Anforderungen der Rechtsschutzgarantie nicht stand. Das Gericht hat die an einen Klageerzwingungsantrag zu stellenden Voraussetzungen überspannt.

aa) Der Klageerzwingungsantrag enthält entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts eine Darstellung des wesentlichen Inhalts der mitgeteilten Beweismittel.

Die Verpflichtung zur Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels dient dazu, dem Gericht die Überprüfung der schlüssigen Darlegung des genügenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage zu ermöglichen, nicht jedoch des hinreichenden Tatverdachts an sich. Sie hat ferner den Zweck, eine Irreführung des Gerichts über den Inhalt und den Beweiswert des Beweismittels zu verhindern. Deshalb sind auch die Tatsachen mitzuteilen, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Mai 2007 – 2 Ws 272/07 -, juris, Rn. 8). Bei einer nur selektiven, im Einzelfall vielleicht sogar sinnentstellenden Wiedergabe eines Beweismittels kann ein unzutreffendes Bild vom Ermittlungsergebnis entstehen, das nicht ohne Weiteres wieder berichtigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 2015 – 2 BvR 987/11 -, juris, Rn. 34; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 – 2 BvR 2040/15 -, juris, Rn. 15). Die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels versetzt das Gericht in die Lage, die Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats, a.a.O., Rn. 14).

Es gehört im Hinblick auf ein Sachverständigengutachten dagegen nicht zur Darstellung des wesentlichen Inhalts des mitgeteilten Beweismittels, dass die Ausführungen eines Sachverständigen vollständig wiedergegeben werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 – 2 BvR 1107/16 -, juris, Rn. 23). Müsste der Klageerzwingungsantrag den weitgehend vollständigen Inhalt der Beweismittel enthalten, könnte das Gericht schon allein anhand der Antragsschrift das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts prüfen, und nicht nur dessen schlüssige Darstellung. Einer Beiziehung der Ermittlungsakte bräuchte es dann selbst zur Prüfung eines genügenden Anlasses für die Erhebung der öffentlichen Klage nicht mehr. Eine Arbeitserleichterung wäre mit einem derart umfassenden Darlegungserfordernis nicht verbunden, wenn das Gericht die Schlüssigkeit anhand eines Klageerzwingungsantrags prüfen müsste, dessen Inhalt und Umfang sich kaum von dem der beizuziehenden Ermittlungsakte unterscheidet.

Der Klageerzwingungsantrag gibt den wesentlichen Inhalt auch der Gutachten wieder, die gegen das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts sprechen. Dabei handelt es sich um die Auszüge aus dem vorläufigen Sektionsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 16. August 2010, aus dem toxikologisch-chemischen Gutachten des Arbeitsbereiches Forensische Toxikologie und Alkoholanalytik des Universitätsklinikums G. vom 6. Januar 2011, aus dem Sachverständigengutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 6. Dezember 2012, dem Onkologischen Gutachten der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Gö. vom 10. Februar 2014 sowie der ergänzenden Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin G. vom 18. Dezember 2016. Diese Gutachten werden in ihrem Kerngehalt und ihren Schlussfolgerungen dargestellt. Ein unzutreffendes oder entstellendes Bild des Ermittlungsergebnisses wird dem Gericht hierdurch nicht präsentiert und es werden auch keine Umstände verheimlicht, die dem Antragsbegehren den Boden entziehen könnten. Hinzu kommt, dass sich der Antragsteller in seinem Klageerzwingungsantrag detailliert und argumentativ mit diesen Gutachten auseinandersetzt und versucht, deren Unrichtigkeit darzulegen. Zwar betont der Beschwerdeführer die für einen hinreichenden Tatverdacht sprechenden Umstände stärker und widmet diesen mehr Raum als Umständen, die gegen dessen Vorliegen sprechen. Das macht den Antrag jedoch noch nicht unzulässig. Die Würdigung der im Ermittlungsverfahren hervorgebrachten Beweise ist vielmehr eine Frage der Begründetheit des Antrags.

bb) Die Antragsschrift widerspricht im vorliegenden Einzelfall auch nicht deswegen den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil sie Scans von und Direktzitate aus Sachverständigengutachten enthält oder auf Anlagen Bezug nimmt.

(1) Ein Klageerzwingungsantrag ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2017 – 2 BvR 225/16 -, juris, Rn. 7; VerfGH Berlin, Beschluss vom 30. April 2004 – VerfGH 128/03 -, NJW 2004, 2728; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 1983 – 1 Ws 335/83 -, StV 1983, 498; OLG Celle, NStZ 1997, 406; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – III-1 Ws 521/14, 1 Ws 521/14 -, juris, Rn. 11; Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, 26. Aufl. 2007, § 172, Rn. 156; Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 172 Rn. 70; Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013; § 172 Rn. 37). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus Anlagen zusammenzustellen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. September 2003 – 1 Ws 242/03 -, NStZ-RR 2003, 331; Moldenhauer, a.a.O.), insbesondere wenn durch das Einkopieren von Strafanzeigen oder Beschwerdeschriften die Sachdarstellung verunklart wird. Ausnahmen hiervon werden jedoch für zulässig erachtet, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das Hineinkopieren lediglich das – anderenfalls notwendige – vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl (möglicherweise unsystematisierter) Kopien selbst zusammenzustellen (OLG Hamm, a.a.O., Leitsatz und Rn. 11; Kölbel, a.a.O., Rn. 71). Anderenfalls läuft der Antragsteller Gefahr, zu wenig aus dem Gutachten eines Sachverständigen oder der Aussage eines Zeugen wiederzugeben, so dass sein Antrag an der Hürde zur Wiedergabe des wesentlichen Inhalts eines Beweismittels (vgl. aa) scheitern würde.

(2) Vor dem Hintergrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann es keinen Unterschied machen, ob der Antragsteller in einem Klageerzwingungsantrag entscheidende Passagen aus dem Gutachten eines Sachverständigen in indirekter Rede im Fließtext wiedergibt oder sich der Einfügung von Scans oder Direktzitaten bedient. Die in die Antragsschrift eingefügten Auszüge aus Sachverständigengutachten haben lediglich erläuternden Charakter. Sie dienen dazu, den wesentlichen Inhalt der Beweismittel darzustellen, die Argumentation der dem Antrag zugrunde gelegten Beweiswürdigung zu unterstreichen und die den Beschuldigten zur Last liegenden Pflichtverletzungen zu konkretisieren. Sie haben – gemessen am Gesamtumfang der Antragsschrift – einen nicht übermäßig ins Gewicht fallenden Umfang. Das Gericht musste sich aus den eingefügten Scans und Direktzitaten nicht erst selbst den entscheidungserheblichen Sachverhalt oder den wesentlichen Inhalt der Beweismittel heraussuchen.

cc) Der Klageerzwingungsantrag widerspricht auch nicht deshalb den Anforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO, weil er angeblich auf weitere Anlagen mit einem Umfang von insgesamt 136 oder 196 Seiten Bezug nimmt, die das Oberlandesgericht hätte lesen müssen, um sich ein eigenes Bild vom Krankheitsverlauf und den durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu verschaffen. Der Strafsenat übersieht hierbei, dass die Anlagen nicht derart in Bezug genommen werden, dass die Kenntnis ihres Inhalts den im Klageerzwingungsantrag erforderlichen Sachvortrag ersetzen soll. Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Anlagen war bereits in einer § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügenden Art und Weise im Antrag selbst enthalten. Die an sich überflüssige Bezugnahme auf Anlagen kann einen zulässigen Klageerzwingungsantrag nicht unzulässig machen. Sie hatten offensichtlich nur den Zweck, die Übereinstimmung der Angaben des Antragstellers mit dem Akteninhalt zu belegen.“

Liest sich alles gut/schön. Nur: Es wird wahrscheinlich nicht die letzte Entscheidung des BVerfG zu § 172 StPO sein. Denn die OLG rücken – wenn überhaupt – nur widerwillig – von ihren strengen Vorgaben ab.

Klageerzwingungsverfahren: (Noch höhere) Anforderungen beim „Unterlassunsgedelikt“

Beim OLG Bamberg war ein Klageerzwingungverfahren wegen eines durch Unterlassen begangenen Betruges – Täuschung durch unterlassene Aufklärung – anhängig. Das OLG Bamberg, Beschl. v. 08.03.2012 – 3 Ws 4/12 hat den Antrag als unzulässig verworfen.  Zur Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags  wegen Betrugs durch Unterlassen im Rahmen gegenseitiger Rechtsgeschäfte gehöre auch der substantiierte Vortrag von Tatsachen, aus denen sich im Sinne der §§ 263 Abs. 1  i.V.m. 13 Abs. 1 StGB erhebliche Aufklärungs­pflichten des Beschuldigten ergeben können. Und daran fehlte es im Beschluss.