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StGB I: Erschlichene Beschäftigung als (Nicht)Arzt, oder: Vermögensschaden. ja oder nein?

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Und heute dann StGB-Entscheidungen, und zwar dreimal vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 01.06.2023 – 4 StR 225/22 – zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die erschlichene Beschäftigung als Arzt einen Vermögenschaden i.S. Sinn des § 263 StGB darstellen kann.

Das LG hat den Angeklagten u.a. (nur) wegen Urkundenfälschung verurteilt. Nach den Feststellungen des LG, hatte sich der Angeklagte, der nie Medizin studiert hat, erfolgreich auf die Stelle eines stellvertretenden Rotkreuzarztes beworben, wobei er eine gefälschte Stu­dienbescheinigung vorlegte. Der DRK-Kreisverband schloss mit der Stadt später einen zuvor von dem Angeklagten auf Seiten des DRK ausgehandelten Vertrag über die Durchführung von COVID-19-Tests, zur Bereitstellung von zwei Personen (Arzt/Ärztin und geeignetes medizinisches Fachpersonal), zur Einsatz­planung und Durchführung der Testungen usw. Für die dadurch entstehenden Personal- und Materialkosten zahlte die Stadt dem DRK eine pauschale Vergütung von zuletzt 210 EUR pro Stunde. Zur Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen beauftragte das DRK den Angeklagten. Der Angeklagte organisierte in der Folgezeit die Durchführung der Testun­gen und verpflichtete die hierzu erforderlichen Mitarbeiter. Nur in Einzelfällen nahm der Angeklagte auch selbst Abstriche vor. Seine gleichwohl als „Arzt­leistungen“ bezeichneten Aufwände rechnete der Angeklagte gegenüber dem DRK-Kreisverband ab, der insgesamt mindestens 500.000 EUR an den An­geklagten überwies. Später wurde eine weitere Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen. Danach verpflichtete sich das DRK, der Stadt einen Arzt oder eine Ärztin mit einer Ar­beitszeit von 39 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug ver­pflichtete sich die Stadt, dem DRK für die Gestellung des Arztes eine mo­natliche Pauschale von 6.300 EUR zu zahlen, die neben die bisherigen Zahlungen treten sollte. Als Arzt wurde der Angeklagte eingesetzt.

Die StA hat Revision eingelegt, mit der sie die nicht erfolgte Verurteilung wegen Betruges gerügt hat. Die Revision war erfolgreich:

„Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, weil es am Eintritt eines Vermögensschadens fehle, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (sogenanntes „Prinzip der Gesamtsaldierung“; vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Februar 2022 ? 4 StR 396/21, wistra 2022, 471; Beschluss vom 29. Januar 2013 – 2 StR 422/12, NStZ 2013, 711, 712; Beschluss vom 23. Februar 1982 – 5 StR 685/81, BGHSt 30, 388, 389; Beschluss vom 18. Juli 1961 – 1 StR 606/60, BGHSt 16, 220, 222; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 263 Rn. 111 mwN). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – 3 StR 221/18, NStZ 2020, 291, 293 Rn. 29; Urteil vom 12. März 1996 ? 1 StR 702/95, BGHSt 45, 1, 13; Urteil vom 4. Mai 1962 – 4 StR 71/62, BGHSt 17, 254, 255).

b) Gemessen hieran ist die tatgerichtliche Wertung, es sei weder dem von dem Angeklagten über seine Arzteigenschaft getäuschten DRK, noch der insoweit durch den Angeklagten getäuschten Stadt H.    ein Vermögensschaden entstanden, auf der Grundlage der lückenhaften Feststellungen nicht nachvollziehbar; dies gilt jedenfalls, soweit es die Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 betrifft.

aa) Danach verpflichtete sich das DRK gegenüber der Stadt H.    ausdrücklich dazu, ihr einen Arzt zu stellen, ohne entsprechend objektiv leistungsfähig zu sein, weil der dafür vorgesehene Angeklagte kein Arzt war. Als Gegenleistung sollte ein Betrag in Höhe von monatlich 6.300 € entrichtet werden. In Umsetzung dieser Vereinbarung verpflichtete sich der Angeklagte gegenüber dem DRK, als Arzt bei der Stadt H.    tätig zu werden, ohne über die hierzu erforderliche und – soweit ersichtlich – vertraglich geschuldete berufliche Qualifikation zu verfügen. Bei dieser Sachlage liegt die Annahme eines Negativsaldos sowohl zum Nachteil des DRK wie auch der Stadt H.    nahe. Abweichendes lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Eine bestimmte Eingrenzung der auf dieser Vertragsgrundlage geschuldeten Tätigkeiten ist den Urteilsfeststellungen, die den Vereinbarungsinhalt nur auszugsweise wiedergeben, nicht zu entnehmen. Vielmehr deutet der in den Urteilsgründen wiedergegebene Vereinbarungstext darauf hin, dass das vom Angeklagten zu erfüllende Leistungsspektrum offen gestaltet war und daher auch Tätigkeiten erfasste, die nur von einem Arzt ausgeübt werden konnten. Zweck der Vereinbarung war es aus Sicht der Stadt H.   , durch die Mitarbeit des Angeklagten die (einzige) Ärztin des Gesundheitsamtes im Bereich des Infektionsschutzes zu entlasten. Die dem DRK von der Stadt H.    zugesagte Vergütung orientierte sich dabei ausdrücklich an den für die Anstellung eines Arztes anfallenden Kosten. Dafür, dass vom Vertragsinhalt wenigstens auch ärztliche Leistungen erfasst waren, spricht zudem die von der Strafkammer festgestellte Vertragspraxis, soweit sie zwischen den Parteien in Vollzug der Vereinbarung vom 30. September 2020 „gelebt“ wurde. Danach erbrachte der Angeklagte jedenfalls auf einem Teilgebiet auch Leistungen, die einem Arzt vorbehalten waren, nämlich die von ihm verfasste fachärztliche Stellungnahme zur Frage der gesundheitlichen Eignung einer Lehramtsanwärterin. Soweit das Landgericht dieser Tätigkeit jeden Indizwert für die vertraglich geschuldeten Leistungen abspricht, ist dies nicht nachvollziehbar.

Gleiches gilt für die tatgerichtliche Feststellung, allen Beteiligten sei bei Abschluss der Ergänzungsvereinbarung „klar“ gewesen, dass der Angeklagte von der Stadt „weiterhin ausschließlich zu organisatorischen Aufgaben im Bereich der Pandemiebekämpfung und nicht für medizinische Leistungen“ habe eingesetzt werden sollen. Insoweit kann nicht nachvollzogen werden, dass und auf welche Weise diese – in einem auf die Gestellung eines Arztes gerichteten Vertrag objektiv nicht naheliegende – Beschränkung auf nicht medizinische Leistungen Eingang in die Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 gefunden haben könnte. Die Annahme, dass der Angeklagte allein das bisher von ihm erbrachte Leistungsspektrum fortführen sollte, stünde im Übrigen in einem durch die Urteilsgründe nicht aufgelösten Widerspruch zu dem Umstand, dass diese Ergänzungsvereinbarung vor dem Hintergrund eines bei der Stadt bestehenden Bedarfs an zusätzlichem medizinischen Sachverstand geschlossen wurde und noch während der Laufzeit der ursprünglichen Vereinbarung zwischen dem DRK und der Stadt vom 14. Juli 2020 wirksam werden sollte.

bb) Darauf, ob bei der tatsächlichen Ausführung der Verträge von dem Angeklagten auch auf der Grundlage der Ergänzungsvereinbarung ab dem 1. Oktober 2020 weiterhin nur solche Leistungen abgefordert worden sein mögen, für die es keiner Approbation als Arzt bedurfte, kommt es für die Frage des Eingehungsbetruges nicht an. Ebenfalls rechtlich ohne Belang ist eine etwaige Anfechtbarkeit der zwischen dem DRK und der Stadt H.    abgeschlossenen, zuvor durch den Angeklagten ausgehandelten Ergänzungsvereinbarung nach § 123 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 160; Beschluss vom 16. Juli 1970 – 4 StR 505/69, BGHSt 23, 300, 302 mwN). Denn die Anfechtungsmöglichkeit setzte die Kenntnis von der fehlenden Approbation des Angeklagten voraus. Diese Kenntnis sollte sowohl der Stadt H.    als auch dem DRK gerade verborgen bleiben und die Feststellungen legen ? obschon sie sich nicht dazu verhalten, ob die Vergütungen im Voraus oder erst am Monatsende zu zahlen waren ? nahe, dass bei Vertragsschluss jedenfalls ungewiss war, ob die getäuschten Vergütungspflichtigen (DRK und Stadt) sie vor Erbringung ihrer Gegenleistungen erlangen würden.

cc) Schließlich kann den Urteilsgründen – auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs – kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der Angeklagte eine vertraglich geschuldete Leistung tatsächlich erbracht hätte, die die nach den Urteilsfeststellungen zusätzlich, neben der Vergütung der für den Aufbau und Durchführung des Testzentrums sowie der Durchführung der Corona-Tests geschuldete Pauschale von 6.300 bzw. 6.000 € gerechtfertigt hätte. Vielmehr führte der Angeklagte „weiterhin“ die bereits zuvor von ihm erbrachten Tätigkeiten (Testabstriche, Organisation und Vornahme von Reihentestungen, Kontaktnachverfolgung) aus.

dd) Die tatgerichtliche Annahme, dass auch nach Abschluss der Ergänzungsvereinbarung vom 30. September 2020 ein Vermögensschaden weder beim DRK noch bei der Stadt H.    eingetreten ist, liegt danach fern und hätte einer ins Einzelnen gehenden Erörterung bedurft, an der es fehlt. Angesichts der insgesamt unzureichenden Feststellungen zu den Vertragsgestaltungen im Einzelnen sowie der lückenhaften Beweiserwägungen zu dem ? objektiven ? Wert der vom Angeklagten erbrachten Leistungen vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen.“

StGB I: Verhältnis von Betrug zur Unterschlagung, oder: Alter Hut – Zweimal Zueignung derselben Sache?

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Ich stelle heute dann drei Entscheidungen zum StGB vor. Alle drei Beschlüsse kommen vom BGH.

Zunächst dann hier der BGH, Beschl. v. 16.03.2023 – 2 StR 381/22 . Er hat noch einmal u.a. einen „alten Hut“ zum Gegenstand. Nämlich die Entscheidung BGHSt 14, 38. Für mich ein alter Hut, weil ich über die dort vom BGH entschiedene Problematik nämlich mal im Studium eine Hausarbeit geschrieben habe. Das war die Entscheidung, die aus dem Jahr 1959 stammt, noch einigermaßen „frisch“. Jedenfalls sollte man sie heute kennen, wenn man Zueignungs-/Vermögensdelikt macht. 🙂

Folgender Sachverhalt:

Das LG hat die beiden Angeklagten in einem der Fälle des Urteils wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit Unterschlagung verurteilt. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen mieteten die beiden Angeklagten unter Mitwirkung eines anderen Angeklagten, der sich gegenüber der Vermieterin mit einem gefälschten Pass auswies und unter Einbindung des minderjährigen Sohnes des Angeklagten S. am 11.06.2021 ein Wohnmobil für einen angeblichen Vater-Sohn-Urlaub. Das Wohnmobil im Wert von 54.000 EUR hatte die Vermieterin kurz zuvor geleast. Die zu zahlende Kaution sowie den im Voraus zu zahlenden Mietzins finanzierten die beiden Angeklagten gemeinsam. Tatsächlich beabsichtigte die Gruppierung von Anfang an, das Fahrzeug mit gefälschten Fahrzeugpapieren und Dublettenkennzeichen, mithin solchen, die für ein baugleiches anderes Fahrzeug ausgegeben waren, zu präparieren und dieses sodann über ein Internetportal an Dritte zu veräußern.

Sie fuhren mit dem Fahrzeug von I. nach K. . Tatplangemäß versah der Angeklagte T. das Fahrzeug mit Dublettenkennzeichen und beauftragte eine unbekannte Person mit der Herstellung der gefälschten Fahrzeugpapiere auf einen vorgegebenen Namen, für den die Gruppierung über einen zuvor beschafften falschen Pass verfügte. Er inserierte das Fahrzeug am selben Tag für 42.000 EUR über ein Internetportal und vereinbarte kurz darauf mit einem Interessenten einen Besichtigungstermin für den 13.06.2021 in K. . An diesem  Tag fuhren der Angeklagte S. gemeinsam mit dem weiteren Bandenmitglied H. zum verabredeten Treffpunkt, wo H. das Fahrzeug unter Vorlage der gefälschten Fahrzeugpapiere und des gefälschten Passes für 41.000 EUR an den Interessenten verkaufte. Er übergab das Fahrzeug gegen Zahlung von 40.000 EUR in bar. Die Zahlung der verbliebenen 1.000 EUR sollte nach Übersendung des Zweitschlüssels und des Servicehefts erfolgen. Bei dem Versuch, das Fahrzeug anzumelden, fielen die falschen Kennzeichen auf. Das Fahrzeug wurde zunächst sichergestellt, später aber an den Erwerber als letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben. Er streitet zivilrechtlich mit der Vermieterin über die Eigentümerstellung.

Die Strafkammer hat die beiden Angeklagten deswegen u.a. wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in Tateinheit mit Unterschlagung schuldig gesprochen. Das hatte beim BGH keinen Bestand:

„b) Die Verurteilung wegen tateinheitlicher Unterschlagung im Fall II. 10 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich ein Täter, der sich eine fremde Sache bereits durch eine strafbare Handlung zugeeignet hat, sich diese zu einem späteren Zeitpunkt nicht noch einmal im Sinne des § 246 Abs. 1 StGB zum Nachteil des gleichen Rechtsgutsträgers zueignen, ohne zuvor seine Sacheigentümerposition wieder aufgegeben zu haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 1959 – GSSt 1/59, BGHSt 14, 38, 46 f.; vom 13. Juli 1995 – 1 StR 309/95, juris Rn. 11; vom 13. Januar 2022 – 1 StR 292/21, wistra 2022, 379 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Oktober 1961 – 1 StR 382/61, BGHSt 16, 280 ff.; ebenso SSW-StGB/Kudlich, 5. Aufl., § 246 Rn. 20; LK-StGB/Vogel, 13. Aufl., § 246 Rn. 50 f.; a.A. Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 246 Rn. 19; Mitsch, ZStW 111, 92 f.; derselbe, Strafrecht Besonderer Teil 2, 3. Aufl., S. 179 f.).

bb) So liegt der Fall hier. Die Angeklagten haben sich bereits aufgrund des Betrugs zum Nachteil der Vermieterin den wirtschaftlichen Wert des Fahrzeugs verschafft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 1959 – GSSt 1/59, BGHSt 14, 38, 47; vom 13. Juli 1995 – 1 StR 309/95, juris Rn. 11; Urteil vom 5. Mai 1983 – 4 StR 121/83, NJW 1983, 2827). Sie haben mit der Übernahme des Fahrzeugs bei fehlendem Rückgabewillen die Vermieterin von der Sachherrschaft dauerhaft ausgeschlossen und den Eigenbesitz an diesem begründet; sie beabsichtigten von Anfang an, deren Rechtsposition zu missachten. Damit waren sowohl der Vermögensvorteil auf ihrer Seite wie im Übrigen auch der Schaden auf Seiten der Vermieterin eingetreten und der Betrug beendet.

Angesichts des damit bereits bestehenden Herrschaftsverhältnisses über das Fahrzeug stellen die weiteren Manifestationen ihres Zueignungswillens durch das Anbringen der Dublettenkennzeichen am Fahrzeug, dessen Angebot zum Verkauf über das Internetportal wie auch der anschließende Abschluss eines Kaufvertrages und die auf dieser Rechtsgrundlage erfolgende Eigentumsübertragung an den gutgläubigen Fahrzeugerwerber gegen Überführung des Kaufpreises als Substrat des Fahrzeugs in ihr Vermögen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 1 StR 292/21, wistra 2022, 379 f.) bereits tatbestandlich keine Unterschlagung in Form der Selbstzueignung dar (vgl. zum Verhältnis der Selbst- zu einer etwaigen Drittzueigung MK-StGB/Hohmann, 4. Aufl., § 246 Rn. 45; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 246 Rn. 11; NK-StGB/Kindhäuser, 5. Aufl., § 242 Rn. 105; LK-StGB/Brodowski, 13. Aufl., § 242 Rn. 184; Rengier, StrafR BT I, 25. Aufl., § 2 Rn. 155 f.).

cc) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Unterschlagung muss daher entfallen. Der Senat änderte die Schuldsprüche im Fall II. 10 der Urteilsgründe hinsichtlich beider Angeklagten entsprechend.“

Verkehrsrecht III: Tanken, ohne bezahlen zu wollen, oder: Diebstahl oder Betrug?

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Und dann zum Tagesschluss der BGH, Beschl. v. 08.11.2022 – 5 StR 318/22. Schon etwas älter, aber ich bin erst jetzt auf ihn gestoßen.

Wie gesagt: Heute Entscheidungen mit „verkehrsrechtlichem Einschlag“. Da passt dann auch die, und zwar wegen der Ausführungen des BGH zur Abgrenzung von Betrug und Diebstahl beim Tanken, ohne bezahlen zu wollen. Ja, ja, ich weiß…… 🙂 .

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls verurteilt. Der BGH hat die dagegen eingelegte Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen, aber den Schuldspruch geändert:

„1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte fuhr am Abend des 11. Januar 2019 gemeinsam mit den zwei gesondert Verfolgten K. und M. an eine Autobahntankstelle. Sie hatten verabredet, den Pkw zu betanken, ohne den Kraftstoff zu bezahlen, und die Tankstelle unter Verwendung eines Messers zu überfallen. Der Angeklagte ließ die beiden gesondert Verfolgten im Bereich der Toiletten aussteigen. Danach fuhr er zu einer nur wenige Meter entfernten Zapfsäule und tankte um 20 Uhr für 56,24 Euro, wobei er den Kopf gesenkt hielt und sich bemühte, sein Gesicht verdeckt zu halten; zuvor hatte er das Kennzeichen abgedeckt. Der Tankstellenmitarbeiter D. bemerkte den Tankvorgang nicht.

b) Nach der Beendigung des Tankvorgangs stellte der Angeklagte das Auto um 20.02 Uhr fluchtbereit vor den Toiletten ab und betrat nur wenige Sekunden später gemeinsam mit K.  und M. den Verkaufsraum der Tankstelle. Der Angeklagte stellte sich an den Kassentresen, sodass der Tankstellenmitarbeiter annahm, einen zahlungswilligen Kunden vor sich zu haben. Tatsächlich diente dieses Vorgehen der Umsetzung des Überfallplans. Der Angeklagte lenkte D.  nun mit einer Frage nach Zigaretten ab. Der gesondert Verfolgte K. nutzte dies aus, um hinter den Verkaufstresen zu gehen und dem Tankstellenmitarbeiter ein Messer an den Hals zu halten. Auf Aufforderung des Angeklagten und der gesondert Verfolgten öffnete D.  die Kasse, aus der M. 650 Euro entnahm. Anschließend flüchteten sie mit dem Auto des Angeklagten. Die Beute teilten sie untereinander auf.

2. Auf Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf der Schuldspruch der Korrektur.

a) Der Generalbundesanwalt hat mit Recht darauf hingewiesen, dass derjenige, dessen Bestreben beim Tanken von Anfang an darauf gerichtet ist, das Benzin an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten, sich nicht – wie vom Landgericht angenommen – des Diebstahls (oder der Unterschlagung), sondern des Betruges gemäß § 263 StGB schuldig macht. Wird der unter Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft durchgeführte Tankvorgang – wie hier – nicht vom Tankstellenpersonal bemerkt, ist der Täter wegen versuchten Betruges zu verurteilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 4 StR 632/11, NJW 2012, 1092 f.; vom 9. März 2021 – 6 StR 74/21). Seine Bemühungen, unentdeckt zu bleiben, ändern an dieser rechtlichen Beurteilung nichts.

b) Zutreffend haben sowohl der Generalbundesanwalt als auch der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sich der Angeklagte nach dem für die rechtliche Bewertung des vermögensschädigenden Verhaltens maßgeblichen äußeren Erscheinungsbild nicht wegen einer besonders schweren räuberischen Erpressung strafbar gemacht hat; er ist stattdessen des besonders schweren Raubes nach § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB schuldig (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48; vom 12. August 2021 – 3 StR 474/20).

c) Schließlich hat der Generalbundesanwalt zu Recht durchgreifende Bedenken gegen die konkurrenzrechtliche Beurteilung des Landgerichts geltend gemacht. Der Tankvorgang und der Raubüberfall auf die Tankstelle beruhten auf einem einheitlichen Tatentschluss und spielten sich binnen drei Minuten am selben, lediglich einige Quadratmeter umfassenden Ort ab. Die Handlungen des Angeklagten gingen ohne Zäsur ineinander über. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellt sich das gesamte Tätigwerden des Angeklagten auch aus der Sicht eines Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun dar (sogenannte natürliche Handlungseinheit) und steht daher im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB zueinander (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 6).

d) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.“

Aber – natürlich:

„3. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte (§ 337 StPO). Die Einsatzstrafe hätte es ebenfalls im Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB finden müssen. Die Änderung der konkurrenzrechtlichen Bewertung führt zwar zum Wegfall der gesondert verhängten Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten. Angesichts der Einsatzstrafe von fünf Jahren sowie der einbezogenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ist es auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt hätte, zumal die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei wie hier unverändertem Schuldumfang kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 – 2 StR 294/12; vom 21. März 2019 – 3 StR 458/18, NStZ 2020, 232, 233).“

StGB I: BGH zur Strafbarkeit des sog. AGG-Hopping, oder: Nach mehr als 10 Jahren geht es weiter

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Heute dann noch einmal ein wenig StGB.

Ein wenig ist allerdings leicht untertrieben, denn der BGH, Beschl. v. 04.05.2022 – 1 StR 3/21 – ist dann fast 25 Seiten lang. Das ist dann schon ein wenig mehr, was der BGH in dem Beschluss zur Strafbarkeit des sog. AGG-Hopping sagt.

Es geht um das Einreichen von sog. Scheinbewerbungen. Der Angeklagte und sein als Rechtsanwalt tätiger Bruder hatten 2011 den Entschluss gefasst, auf der Grundlage von Scheinbewerbungen des Angeklagten wiederholt Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehand­lungsgesetz (AGG) geltend zu machen. Nach dem Tatplan sollte sich der 42-jährige Angeklagte zum Schein auf Stellenangebote bewerben, deren Ausschreibungen aus seiner Sicht Anhalts­punkte für eine Alters- oder sonstige Diskriminierung im Sinne des AGG boten. Nach Ablehnung der Bewerbung sollte sein Bruder die ausschrei­benden Unternehmen in seiner Funktion als Rechtsanwalt anschreiben und sie im Namen des Angeklagten auffordern, an diesen wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot im Auswahlverfahren eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von mindestens drei Bruttomonatsgehältern zu zahlen. Bei Ausbleiben der Zahlung sollte der behauptete Anspruch in aussichtsreichen Fäl­len gerichtlich weiterverfolgt werden, um auf diesem Wege die geforderte Ent­schädigung zu erhalten oder die beklagten Unternehmen zum Abschluss eines Vergleichs zu bewegen. Der Angeklagte hielt es für möglich und nahm billigend in Kauf, so die Feststellungen, dass ein Anspruch auf Entschädigung auf der Grund­lage einer bloßen Scheinbewerbung tatsächlich nicht bestand.

In Umsetzung dieses Tatplans kam es zu zwölf Taten. Angaben zur subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbung enthielten die Forderungsschreiben bewusst nicht; gleichwohl ging der Angeklagte da­von aus, dass die verantwortlichen Personen der ausschreibenden Unternehmen hierüber bereits mit den außergerichtlichen Aufforderungsschreiben getäuscht werden und aufgrund ihres irrigen Eindrucks, die zuvor vom Angeklagten abge­gebene Bewerbung sei ernsthaft gewesen, den geltend gemachten Anspruch er­füllen. Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten und vollendeten Betrugstaten verurteilt.  Die Revision des Angeklagten war erfolgreich.

Ich stelle hier nichts aus den Gründen ein, sondern empfehle die dem Selbststudiom. Nur so viel: Der BGH hat zum Teil die Täuschungshandlungen, zum Teil aber auch den Irrtum verneint. Er hat insgesamt aufgehoben und zurückverwiesen und hat der Kammer beim LG, die nun entscheiden muss, die Frage eines Prozessbetruges zu prüfen, wenn die „Ansprüche“ gerichtlich weiter verfolgt worden sind. Zu Ende ist die Geschichte nach mehr als 10 Jahren also noch nicht.

Hier nur der – wenig aussagekräftige – Leitsatz der Entscheidung, die zur Veröffentlichung (auch) in BGHSt bestimmt ist:

Zu den Voraussetzungen einer Strafbarkeit bei vorgespiegelten Bewerbungen auf diskriminierende Stellenangebote zur Erlangung von Entschädigungsansprü­chen (sog. AGG-Hopping).

Verkehrsrecht III: Verheimlichen von Vorschäden, oder: Betrug beim Gebrauchtwagen(ver)kauf

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Und dann am  Ende der Berichterstattung noch einen OLG-Beschluss, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 07.04.2022 – 5 RVs 35/22. Es handelt sich nicht um Verkehrsrecht i.e.S., aber immerhin um Verkehrsrecht i.w.S. Das OLG nommt nämlich Stellung zum Umfang der Feststellungen betreffend den Vermögenschaden bei einer Verurteilung wegen Betruges (§ 263 StGB) aufgrund Verheimlichens von Vorschäden beim Gebrauchtwagenkauf.

AG und LG haben den Angeklagten wegen Betruges verurteilt.  Dem OLG reichen die Feststellungen nicht und es hebt auf:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift wie folgt ausgeführt:

„Die auf die Sachrüge hin vorzunehmende materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils der Kammer deckt Rechtsfehler im Bereich der Urteilsfeststellungen auf, da diese den Schuldspruch wegen Betruges gemäß § 263 Absatz 1 StGB nicht tragen.

Es fehlt insbesondere an der Feststellung eines Vermögensschadens des Geschädigten. Der Betrug ist kein bloßes Vergehen gegen die Wahrheit und das Vertrauen im Geschäftsverkehr, sondern eine Vermögensstraftat. Nicht die Täuschung an und für sich, sondern die vermögensschädigende Täuschung ist strafbar. Demgemäß erleidet der Kunde, der beim Kauf eines Gebrauchtwagens über Umstände, die den Verkehrswert (Marktwert) des Fahrzeugs maßgeblich mitbestimmen, getäuscht und dadurch zum Kaufabschluss bewogen wird, einen Schaden regelmäßig nur dann, wenn das Fahrzeug objektiv den vereinbarten Preis nicht wert ist (Senatsbeschluss vom 05.05.2020 – III-5 RVs 31/20 -, zitiert nach juris). Für die Schadensbewertung ist grundsätzlich die objektive Sicht eines sachlichen Beurteilers maßgebend, die sich nicht an der Schadensbewertung des Getäuschten, sondern an den Marktverhältnissen auszurichten hat. Für einen Vermögensschaden reicht es nicht aus, dass der Käufer ohne die Täuschung durch den Verkäufer den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Durch den Betrugstatbestand wird lediglich das Vermögen, nicht aber die Verfügungsfreiheit geschützt (Senatsbeschluss, a.a.O.).

Die hiernach gebotenen tatsächlichen Feststellungen enthält das angefochtene Urteil nicht. Das Urteil führt nicht aus, welchen objektiven Wert das von dem Angeklagten verkaufte Fahrzeug hatte. Somit ist nicht feststellbar, dass der von dem Geschädigten gezahlte Kaufpreis objektiv nicht marktgerecht war. So ergibt sich aus den Feststellungen lediglich, dass das Fahrzeug zunächst einen gutachterlich festgestellten Restwert von 9.900,00 Euro hatte und schließlich zu diesem Preis weiter veräußert wurde, bis der Angeklagte das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 10.500,00 Euro erwarb. Aus den Feststellungen ergibt sich ferner, dass der Angeklagte das Fahrzeug reparieren ließ und schließlich zu einem Kaufpreis in Höhe von 17.250,00 Euro an den Zeugen Z veräußerte. Nach den Feststellungen zur Beweiswürdigung hat sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass er Ersatzteile für 3.500,00 Euro bis 4.000,00 Euro erworben und sein Bruder das Fahrzeug innerhalb von drei Wochen repariert habe (UA S. 7). Es erscheint daher nicht fernliegend, dass das Fahrzeug den geleisteten Kaufpreis nach Vornahme der Reparaturen wert war.

Sind bei objektiv-abstrakter Betrachtung Leistung und Gegenleistung gleichwertig, so kann im Sinne des sog. persönlichen Schadenseinschlages ein Schaden im Sinne des Betrugstatbestandes nur vorliegen, wenn die Leistung für den Getäuschten bei objektiver Beurteilung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 02. Juni 1992 – 3 Ss 203/92 -, zitiert nach juris). Solche speziellen individuellen Bedürfnisse des Zeugen Z sind jedoch nach den Urteilsfeststellungen nicht ersichtlich. Das bei jedem Gebrauchtwagenverkäufer vorhandene allgemeine Interesse, ein möglichst unfallfreies Fahrzeug zu erwerben, reicht für die Annahme eines persönlichen Schadeneinschlages nicht aus. Darüber hinausgehende Feststellungen hat das Landgericht jedenfalls nicht getroffen.

Die für die Annahme eines Vermögensschadens gebotenen tatsächlichen Feststellungen enthält das angefochtene Urteil daher nicht. Das Urteil führt nicht aus, welchen objektiven Wert das von dem Angeklagten verkaufte Fahrzeug hatte. Somit ist nicht feststellbar, dass der von dem Geschädigten gezahlten Kaufpreis objektiv nicht marktgerecht war. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine Vermögensschädigung entsprechend den obigen Ausführungen auch unabhängig von dem Marktwert des Fahrzeugs für den Geschädigten gegeben war, liegen nach den bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht vor.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.“