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StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?

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Im zweiten Posting stelle ich heute dann den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 – 1 ORs 7/23 – vor. Der behandelt mehrere Fragen. Hier geht es um die Verurteilung des Angeklagten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB).

Das LG hatte dazu folgende Feststellungen getroffen:

„Am 18. April 2021 lief der Angeklagte mit aktivierter Videofunktion an seinem Handy durch die Innenstadt von C. Dabei traf er auf KHK H.; da dieser zwar im Dienst, jedoch zivil gekleidet war, hielt der Angeklagte ihn für einen Journalisten. Der Angeklagte suchte das Gespräch mit KHK H., wobei er dessen Frage, ob der Angeklagte das Gespräch aufzeichne, wahrheitswidrig verneinte. Tatsächlich filmte der Angeklagte den Boden und nahm den Ton auf. Später überspielte er die Datei von dem Handy auf sein Notebook, wo sie im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung entdeckt wurde. KHK H. hat Strafantrag gestellt.“

Das genügt dem OLG nicht für die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 201 StGB:

„1. Im Hinblick auf das Tatgeschehen am 18. April 2021 wird die Annahme, der Angeklagte habe sich durch das festgestellte Verhalten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar gemacht, von den dazu getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Nichtöffentlich im Sinne der Vorschrift ist das gesprochene Wort, wenn es weder für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten noch für einen bestimmten, aber innerlich nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis ohne weiteres wahrnehmbar ist (vgl. Graf/Jäger/Wittig/Valerius, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 201 StGB Rn. 7; NK/Kargl, StGB, 6. Aufl., § 201 Rn. 8; jew. mwN). Darauf, ob die Worte privaten oder dienstlichen Charakter hatten, kommt es nicht an (aaO; ebenso Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3109). Maßgeblich für die Frage der Nichtöffentlichkeit sind der Wille des Sprechers sowie die objektiven Umstände (Graf/Jäger/Wittig/Valerius aaO Rn. 9; NK/Kargl aaO; Ullenboom aaO; LK/Hilgendorf, StGB, 13. Aufl., § 201 Rn. 9). Wegen der Berücksichtigung objektiver Umstände liegt keine Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes vor, wenn nach den Umständen erkennbar ist, dass Dritte den Wortbeitrag zur Kenntnis nehmen können und somit eine sog. „faktische Öffentlichkeit“ besteht (Graf/Jäger/Wittig/Valerius aaO Rn. 10; vgl. auch NK/Kargl aaO).

Umstritten ist, wie Wortwechsel zwischen Polizeibeamten und Privatpersonen im Zusammenhang mit Demonstrationen/Versammlungen unter freiem Himmel einzuordnen sind; gleiches gilt für Äußerungen in belebter Umgebung (vgl. etwa MK/Graf, StGB, 4. Aufl., § 201 Rn. 18 (Straßen und Plätze); LG Kassel, Beschl. v. 9. August 2019 – 273 Gs 2138/19, BeckRS 2019, 38252 (Hauptbahnhof)).

Nach der Auffassung des Landgerichts München ist maßgeblich, ob die Worte nur an eine Person gerichtet gewesen seien; in diesem Fall sind die Worte im Sinne der Vorschrift nicht öffentlich gesprochen. Dann sollen auch weitere Mithörende keine Rolle spielen (Urt. v. 29. August 2018 – 845 Cs 116 Js 165870/17, Beck RS 2019, 22586 Rn. 20).

Richtigerweise aber sind Worte im Sinne der Vorschrift öffentlich gesprochen, wenn sich ein Polizeibeamter bei einer Versammlung unter freiem Himmel an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis wendet, weil der Beamte nach den objektiv gegebenen Umständen nicht sicherstellen kann, dass seine Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer oder Passanten wahrgenommen wird (so auch die ganz überwiegende Ansicht: NK/Kargl aaO Rn. 9; Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3110; Reuschel, NJW 2021, 17, 18; MK/Graf aaO Rn. 18; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 201 Rn. 9; Kudlich, JA 2023, 342 ff. Anm. zu OLG Düsseldorf, Urt. v. 4. November 2022 – 3 RVs 28/22; Kienzerle, FD-StrafR 2022, 446742 Anm. zu LG Hamburg, Beschl. v. 21. Dezember 2021 – 610 Qs 37/21; LG Osnabrück, Beschl. v. 24. September 2021 – 10 Qs 49/21, FD-StrafR 2021, 442512; LG Kassel, Beschl. v. 9. August 2019 – 273 Gs 2138/19 aaO Rn. 7 ff.).

Das folgt aus dem Schutzzweck der Norm, das unbefangene Wort dann besonders zu schützen, wenn der Sprechende keinen Anlass zu sehen braucht, im Hinblick auf die Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt zu wahren (vgl. LK/Hilgendorf aaO Rn. 10). Denn wenn sich der Sprecher darüber bewusst ist, dass seine Worte ohnehin von Dritten ohne besondere Bemühungen mitgehört werden können und er die Reichweite seiner Worte nicht unter Kontrolle behalten kann, ist eine unbefangene Äußerung regelmäßig nicht möglich (Ullenboom, NJW 2020, 3108, 3110). Für das maßgebliche Vorstellungsbild des Sprechers sind dabei auch die äußeren Umstände von Belang (LK/Hilgendorf aaO).

Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nicht, um von „nichtöffentlich“ gesprochenen Worten ausgehen zu können. Vielmehr lassen die mitgeteilten Umstände – das Gespräch erfolgte in der Innenstadt von Cuxhaven im Umfeld eines sog. „Sonntagsspaziergangs“ – eine Mithörmöglichkeit für andere naheliegend erscheinen. Um dies abschließend beurteilen zu können, bedarf es genauerer Feststellungen zu der Gesprächssituation.

In diesem Zusammenhang weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in der Verweisung auf eine Videosequenz, die sich auf einem elektronischen Speichermedium befindet, keine wirksame Bezugnahme gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO liegt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 7. April 2022 – 2 Ss (OWi) 39/22, BeckRS 2022 35445 Rn. 6 f. mwN). Sollte das Landgericht anhand der neu getroffenen Feststellungen erneut zu einer Annahme von § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB gelangen, wird ferner im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein, dass mit dem schlichten einmaligen Kopieren einer Datei – das heutzutage üblicherweise außerhalb eines Wiedergabeprogramms erfolgt (vgl. MK/Graf aaO Rn. 26) – jedenfalls keine signifikante Vertiefung der Rechtsgutsverletzung verbunden ist.“

Wegen der anderen Fragen „ordne“ ich das Selbstleseverfahren an 🙂 .

StPO III: Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter, oder: Wirksame Stellung des Strafantrags durch Vertreter?

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch einmal der LG Karlsruhe, Beschl. v. 04.01.2023 – 16 Qs 98/22. Ja – „noch einmal“, denn der Beschluss ist schon zweimal Gegenstand der Berichterstattung gewesen (StGB III: Sind die Audioaufnahmen „unbefugt“ erstellt?, oder: Restriktive Auslegung bei Beweisnot und  StPO I: Voraussetzung für den Erlass eines Strafbefehls, oder: Hinreichender Tatverdacht gegeben?). Heute dann zum dritten Mal, und zwar wegen der Frage der rechtzeitigen Stellung des Antrags. Dazu das LG:

„2. Dem Erlass des Strafbefehls steht allerdings bereits ein nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis entgegen. Es fehlt an einem form- und fristgerecht gestellten Strafantrag der Geschädigten gegen den Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.

Die Strafverfolgung des Angeschuldigten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB würde gem. §§ 205 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1, 77b Abs. 1 Satz 1 StGB, 168 Abs. 2 StPO voraussetzen, dass die Geschädigte zuvor form- und fristgerecht einen entsprechenden Strafantrag gestellt hat. Eine Verfolgung von Amts wegen ohne Strafantrag ist ansonsten auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses nicht möglich (im Umkehrschluss zu § 205 Abs. 1 Satz 2 StPO; vgl. BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 77 Rn. 4.1).

Die Frist zur Stellung eines Strafantrags gem. § 77b Abs. 1 StGB beträgt drei Monate nach Kenntniserlangung von der Tat und der Person des Täters. Diese Frist ist bereits abgelaufen, ohne dass die Geschädigte selbst einen Strafantrag in dieser Sache gegen den Angeschuldigten gestellt hätte.

Der Angeschuldigte fertigte die verfahrensgegenständlichen Audioaufnahmen am 31.08.2021. Am 16.09.2021 übergab der Angeschuldigte Kopien der Audioaufnahmen auf einem USB-Stick den Beamten des Polizeipostens Illingen. Es lässt sich anhand der Aktenlage auch nach Rücksprache mit dem Polizeiposten Illingen nicht sicher rekonstruieren, ob die Geschädigte bereits damals über die Audioaufnahmen informiert wurde.

Jedenfalls hatte die Geschädigte spätestens nach Akteneinsicht ihrer Bevollmächtigten am 26.01.2022 sicher Kenntnis von Existenz und Übergabe der von ihr durch den Angeschuldigten gefertigten Audioaufnahmen. Spätestens nach dem 26.04.2022 war damit die gem. § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB maßgebliche Frist für einen wirksamen Strafantrag der Geschädigten abgelaufen. Bis dahin hat die Geschädigte selbst keinen entsprechenden Strafantrag gestellt.

Die Prozessbevollmächtigten der angeblich Verletzten haben zwar am 03.02.2022 mittels qualifizierter elektronischer Signatur über das besondere elektronische Anwaltspostfach gemäß der damaligen Fassung von § 32a Abs. 3 Alt. 1 StPO formgerecht ein Strafverfolgungsbegehren wegen der Audioaufnahmen im eigenen Namen zum Ausdruck gebracht. Strafanträge sind auch grundsätzlich von der Vollmacht der Geschädigten gedeckt gewesen. Der in dem Schriftsatz hervorgehobene Begriff „Strafanzeige“ steht der Behandlung als Strafantrag ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH NJW 1992, 2167).

Allerdings haben die Prozessbevollmächtigten die Strafverfolgung im eigenen Namen beantragt und nicht lediglich den Strafantrag ihrer Mandantin übermittelt. Der gesamte Schriftsatz der Bevollmächtigten differenziert zwischen der Geschädigten (“unsere Mandantin“) und den Bevollmächtigten (“wir“). Den Strafantrag stellen dabei die Bevollmächtigten im eigenen Namen (“wir“) und nicht im Namen ihrer Mandantin.

Es handelt sich somit erkennbar nicht lediglich um eine Vertretung in der Erklärung, sondern um die Fallgruppe einer „Vertretung im Willen“ über den Strafantrag selbst. Selbst mit entsprechender Vollmacht ist eine solche Vertretung im Willen nach vorherrschender Auffassung unwirksam, wenn das jeweilige Antragsdelikt immaterielle, höchstpersönliche Rechtsgüter betrifft (vgl. OLG Bremen, NJW 1961, 1489; RGSt 21, 231 (233); MüKoStGB/Mitsch, 4. Aufl. 2020, StGB § 77 Rn. 29; BeckOK StGB/Dallmeyer, 55. Ed. 01.11.2022, § 77 Rn. 20; krit. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 77 Rn. 22 m.w.N.). So liegt der Fall bei der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.“