Schlagwort-Archive: Widerspruch

OWi I: Ausreichende Belehrung nach Drogenfahrt?, oder: Nein, aber kein Widerspruch

entnommen openclipart

Heute hier dann ein OWi-Tag.

Zunächst stelle ich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2025 – 1 ORbs 284/24 – vor. Er hat eine Drogenfahrt zum Gegenstand. Im Verfahren ist u.a. gestritten worden über die Frage, ob der Betroffene ausreichend belehrt worden ist und ob, weil das unterblieben ist, ein Beweisverwertungsverbot besteht. Das OLG sagt: Nein, und zwar:

„b) Die Rüge eines bestehenden Beweisverwertungsverbots aufgrund unterbliebener bzw. unvollständiger Beschuldigtenbelehrung gemäß § 46 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 136, 163a StPO verhilft der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.

aa) Vor Durchführung des Drogenschnelltests (sog. Drug Wipe Test) bedurfte es keiner Belehrung des Betroffenen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht Beschuldigter im Sinne der genannten Vorschriften.

Gemäß §§ 136, 163a StPO ist der Beschuldigte zu belehren; die Vorschrift findet über § 46 Abs. 1 OWiG auf das Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung. Ob die zu vernehmende Person Beschuldigter ist, unterliegt der pflichtgemäßen Beurteilung des Vernehmungsbeamten (BGHSt 51, 367, 371; BGH NJW 2019, 2627, 2630; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, zu § 163a, Rz. 4a). Hierfür sind hinreichend gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der Tat und des Täters erforderlich (BGH NJW 2019.2627, 2630; BGH NStZ 2008, 48; BGH NStZ-RR 2012, 49; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Eine Pflicht zur Belehrung besteht, sobald die Ermittlungsbehörde eine Maßnahme trifft, die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild darauf abzielt, den Vernommenen als Täter einer Straftat zu überführen (BGH NStZ 2015, 291). Dabei beurteilt sich die Manifestation des Verfolgungswillens danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des Betroffenen darstellt (BGH NStZ 2023, 686; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts willkürlich die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGH NJW 2019, 26327, 2630). Der anzulegende Willkürmaßstab ist objektiv zu bestimmen, ein bewusst auf Umgehung der Beschuldigtenrechte gerichtetes Verhalten des Vernehmungsbeamten ist nicht erforderlich (BGH NJW 2019, 2627, 2630).

Ein in diesem Sinne zur Belehrung des Betroffenen verpflichtender starker Tatverdacht bestand zum Zeitpunkt der Durchführung des Drogenschnelltests nicht. Ausweislich der im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Aussage des Vernehmungsbeamten Polizeikommissar pp. (Name) war der Betroffene stark nervös und wies starkes Lidflattern auf. Das konnte aus Sicht des Beamten auch andere Gründe haben als den Konsum von Drogen. Um dies zu klären, wurde der Schnelltest durchgeführt. Damit wurde eine Vorermittlung durchgeführt zur Klärung der Frage, ob der Betroffene zu beschuldigten war oder nicht. Dass dieser zuvor nicht über seine Rechte als Beschuldigter belehrt wurde, erweist sich sonach nicht als rechtswidrig.

bb) Die Situation änderte sich mit dem positiven Schnelltest. Angesichts dieses Ergebnisses musste der Zeuge pp. (Name) den Betroffenen nunmehr als Beschuldigten belehren, und zwar gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 136 Abs. 1 S. 2 StPO auch über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren. Letzteres hat der Zeuge nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerdebegründung, der durch das Hauptverhandlungsprotokoll gestützt wird, unterlassen. Daraus folgt grundsätzlich ein Verwertungsverbot (BGHSt 47, 172; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 47) mit der Folge, dass das Ergebnis der Blutprobenanalyse vorliegend wohl nicht zum Nachteil des Betroffenen zu Beweiszwecken herangezogen werden konnte.

Zwar zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele zu treffen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 17, Juris). Ein Verwertungsverbot liegt nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich eines Verteidigers oder Beistands zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGH a. a. O.; BGHSt 38, 372, 374).

cc) Gleichwohl bleibt der Verfahrensrüge der Erfolg versagt, weil der Betroffene der Verwertung der Blutprobe in der Hauptverhandlung vom 29. Juli 2024 nicht widersprochen hat. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO (hier in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) löst kein Verwertungsverbot aus, wenn der verteidigte Angeklagte einer Verwertung des unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewonnenen Beweismittels bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 1996, 5 StR 756/94, Rz. 19 f., Juris; BGHSt 38, 214, 225 f.; BGHSt 39, 349, 352).

So liegt der Fall hier. Durch das Hauptverhandlungsprotokoll ist aufgrund dessen aus § 274 StPO folgender Beweiskraft bewiesen, dass der Betroffene der Verwertung der Blutprobe nicht widersprochen hat. Aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut ergibt sich, dass der Betroffene allein der Einführung des Beweismittels im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO widersprochen hat, nicht aber der Beweisverwertung an sich. Hierfür liefert das Hauptverhandlungsprotokoll vollen Beweis.

Gemäß § 274 Abs. 1 S. 1 StPO ist die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen der Widerspruch zählt, nur durch das Protokoll beweisbar. Die Vorschrift normiert eine gesetzliche Beweisregel, nach der dem Protokoll eine ausschließliche Beweiskraft zukommt (Meyer-Goßner a. a. O., zu § 274, Rz. 3). Durch andere Beweismittel kann das Protokoll grundsätzlich nicht ergänzt, ersetzt oder widerlegt werden (BGHSt 2, 125, 126; BGH NStZ 1993, 51). Mängel im Protokoll führen nur dann zum Verlust seiner absoluten Beweiskraft, wenn es lückenhaft, unklar, widersprüchlich oder sonst auslegungsbedürftig ist (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Rz. 5 und 17). In Fällen der Auslegungsbedürftigkeit erfolgt die Klarstellung im Wege der Auslegung des gesamten, als Einheit zu betrachtenden Protokolls, gegebenenfalls in Verbindung mit der freien Beweiswürdigung und den Mitteln des Freibeweises, zu denen der gesamte Akteninhalt zählt (BGH NStZ-RR 2003, 5).

Vorliegend ist das Protokoll indessen nicht auslegungsbedürftig, sondern eindeutig. Es legt nach seinem klaren Wortlaut „Nach Widerspruch zum Selbstleseverfahren pp. “ einen Widerspruch des Betroffenen hinsichtlich des Weges dar, vermittels dessen die Blutprobe in die Beweisaufnahme eingeführt werden sollte, namentlich gegen das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 StPO, nicht aber einen Widerspruch gegen die Beweiserhebung und –verwertung an sich. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 25. Juni 2024, in dem zu einem Beweisverwertungsverbot mangels zureichender Beschuldigtenbelehrung ausgeführt wurde, ist ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung nicht in Bezug genommen worden. Auch dafür bietet das Protokoll vollen (negativen) Beweis.

Eine Protokollberichtigung hat der Betroffene nicht beantragt.“

Also: Ja, aber 🙂 . Als Verteidiger muss mal also darauf achten, dass explizit der Beweiserhebung und – verwertung widersprochen wird.

OWi II: Das bußgeldrechtliche Widerspruchsverfahren, oder: Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und im zweiten Posting noch eine KG-Entscheidung, und zwar der KG, Beschl. v. 07.11.2023 – 3 ORbs 222/23 – 122 Ss 104/22 – zum Widerspruchsverfahren nach § 72 OWiG und den Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs.

Da reicht aber der Leitsatz, der lautet:

  1. Der Widerspruch nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann bereits im Vorverfahren oder mit der Einlegung des Einspruchs erklärt werden. Mit dem Eingang der Akten beim Amtsgericht entfaltet er seine Sperrwirkung für das Beschlussverfahren.

  2. Ein auf diese Weise wirksam erklärter Widerspruch wird auch nicht dadurch unwirksam, dass das Amtsgericht im späteren Verfahren ankündigt, durch Beschluss entscheiden zu wollen, und der Betroffene dem nicht widerspricht. Vielmehr bedarf es in diesem Fall einer eindeutigen Rücknahme des zuvor erklärten Widerspruchs.

  3. Ob eine Äußerung als Widerspruch zu bewerten ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls und namentlich des wirklichen Willens des Betroffenen und der Bedeutung seiner abgegebenen Erklärungen festzustellen. (Anschluss OLG Koblenz NStZ 1991, 191)

  4. Zwar kann ein Widerspruch im Grundsatz auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Die Auffassung, dass ein – gegebenenfalls substantiiertes – Bestreiten das Beschlussverfahren schlechthin sperre und sogar einer späteren Zustimmung die Rechtswirkung nehmen könne, teilt der Senat aber nicht. (entgegen OLG Karlsruhe VRS 59, 136).

OWi III: Rotlichtmessfoto nach Messende geschossen?, oder: Freispruch

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Und zum Tagesschluss dann noch das AG Dortmund, Urt. v. 15.12.2022 – 729 OWi-261 Js 2262/22 -143/22.

Das AG hat die Betroffene vom Vorwurf eines Rotlichtverstoßes frei gesprochen. Grund für den Freispruch: Dem Gericht lag ein Messfoto vor, das es an sich nicht geben konnte/durfte.

Denn nach den Feststellungen des AG aufgrund der Auswertung des Messprotokolls war  Messbeginn am 05.08.2022 um 08:53 Uhr und Messende am 08.08.2022 um 06:41 Uhr.Aber:

„Aus der urkundsbeweislich verlesenen Datenzeile des Messfotos ließ sich die Rotlichtzeit von 7,73 Sekunden und die vorgeworfene Rotlichtzeit von 7,30 Sekunden entnehmen. Für die Tatzeit war der 08.08.2022, 06:42:29 Uhr angegeben. Tatsächlich ließ sich damit feststellen, dass das Messfoto unerklärlicherweise zu einem Zeitpunkt gefertigt wurde, als das fragliche Messgerät gar nicht mehr sich im Einsatz befand. Folgerichtig fehlten ein Einsatz entsprechend der Bedienungsanleitung und überhaupt eine Plausibilität der Messung. Offensichtlich war entweder das Messprotokoll vollkommen falsch oder das Messfoto falsch oder manipuliert.

Die Angabe jedenfalls, dass mit dem fraglichen Messgerät zur Tatzeit die Betroffene gemessen worden sein kann, widerspricht unauflöslich dem Messprotokoll und der Zeugenaussage der Zeugin C, so dass es zu einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen mit der Kostenfolge nach den §§ 467 StPO, 46 OWiG kommen musste.“

Dinge gibt es 🙂 .

OWi I: Nachträgliche Überprüfbarkeit der Messung, oder: Bei Widerspruch in der HV kein Zwischenbescheid

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Ich setze die Berichterstattung dann heute mit einem OWi-Tag fort, und zwar zunächst mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.02.2022 – 2 RBs 25/22.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Einzelrichter hat die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit zur Fortbildung des Rechts zugelassen und hat die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Der Betroffene hatte die Sachrüge erhoben und verfahrensrechtlich beanstandet, dass das mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelte Messergebnis mangels Speicherung von Messdaten einem Beweisverwertungsverbot unterliege und das AG den dazu durch den Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung angebrachten Widerspruch weder in der Sitzung noch in den Urteilsgründen beschieden habe. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde verworfen:

„1. Die in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Der Senat und andere Oberlandesgerichte haben bereits mehrfach entschieden, dass der Messvorgang nicht rekonstruierbar sein muss und die Verwertbarkeit des Messergebnisses nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit anhand gespeicherter Messdaten abhängt (vgl. Senat BeckRS 2020, 4049; OLG Köln BeckRS 2019, 23786; OLG Oldenburg BeckRS 2019, 20646; OLG Schleswig BeckRS 2019, 33009; BayObLG NZV 2020, 322 = BeckRS 2019, 31165; OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 29; OLG Hamm BeckRS 2020, 550; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 1077; BeckRS 2020, 3291; BeckRS 2020, 4369; BeckRS 2020, 4376; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104; OLG Bremen BeckRS 2020, 5935; NStZ 2021, 114 = BeckRS 2020, 5965; OLG Jena BeckRS 2020, 24234; KG Berlin BeckRS 2019, 41508; BeckRS 2020, 6521; BeckRS 2020, 18283; OLG Dresden NJW 2021, 176; a. A. VerfGH Saarland NJW 2019, 2456 = NZV 2019, 414).

An den in diesen Entscheidungen dargelegten Argumenten wird festgehalten. So besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung anhand gespeicherter Messdaten etwa auch nicht bei der als standardisiertes Messverfahren anerkannten Geschwindigkeitsmessung mit dem nicht dokumentierenden Lasermessgerät Riegl FG 21-P („Laserpistole“). Auch kennen andere Messmethoden wie etwa die Verwendung von digitalen Waagen, Entfernungsmessern, Thermometern und Geräten zur Bestimmung der Atemalkoholkonzentration in der Regel keine Speicherung von Messdaten, ohne dass Gerichte oder der Gesetzgeber (vgl. § 24a Abs. 1 StVG für die Atemalkoholkonzentration) deshalb zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gelangt wären.

b) Der Widerspruch, den der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung gegen die Verwertung des mit dem Laserscanner PoliScan FM1 (Softwareversion 4.4.9) ermittelten Messergebnisses angebracht hat, bedurfte keiner Bescheidung durch das Amtsgericht, so dass insoweit weder das rechtliche Gehör versagt noch der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wurde.

Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht (vgl. statt vieler: BGH NStZ 2006, 348; NStZ 1997, 502; OLG Hamm NJW 2009, 242). Fehlt es an einem solchen Widerspruch, führt dies für die Revision zur Rügepräklusion (vgl. BGH NJW 2015, 265, 266; NJW 2018, 2279; OLG Celle NStZ 2014, 118, 119). Die Widerspruchsobliegenheit besteht auch im Bußgeldverfahren (vgl. Senat BeckRS 2019, 25099 = DAR 2020, 209; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 4261; OLG Zweibrücken BeckRS 2020, 5104).

Wird in der Hauptverhandlung seitens der Verteidigung Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels erhoben, ist ein Zwischenbescheid, in dem sich das Tatgericht zur Frage eines Beweisverwertungsverbots äußern müsste, nicht vorgesehen, wenn auch nicht unzulässig (vgl. BGH NStZ 2007, 719; nachfolgend in der derselben Sache: BVerfG BeckRS 2009, 140731). Der Widerspruch dient der Vermeidung der Rügepräklusion und soll dem Tatgericht in der Hauptverhandlung verfahrensfördernd die Möglichkeit und Veranlassung geben, dem gerügten Verfahrensfehler freibeweislich nachzugehen (vgl. BGH NJW 2007, 3587, 3589; NJW 2018, 2279, 2280). Ein solcher Aufklärungsbedarf bestand vorliegend nicht, da die tatsächlichen Gegebenheiten des hier verwendeten Messverfahrens (Laserscanner PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) bekannt sind. Zudem hatte der Verteidiger selbst ein Privatgutachten vorgelegt, das sich grundsätzlich mit diesem Messgerätetyp nebst neuer Softwareversion wie auch mit der konkreten Messung befasste.

Im Übrigen konnte sich der Verteidiger – der Betroffene war nach Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen selbst nicht anwesend – auch ohne ausdrückliche Erklärung des Amtsgerichts auf das weitere Verfahren einstellen. Denn es hat das Messergebnis (Messprotokoll, Datenfeld des Messfotos, XML-Datei) nach Erhebung des Widerspruchs in die Hauptverhandlung eingeführt, was darauf schließen ließ, dass es diese Beweismittel auch unter Berücksichtigung des Widerspruchs und dessen Begründung verwerten wollte.

Auch in dem schriftlichen Urteil musste das Amtsgericht den Widerspruch nicht bescheiden. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind in § 267 StPO nicht vorgesehen und von Rechts wegen nicht geboten (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 244; NJW 2009, 2612, 2613). Welches Messverfahren verwendet wurde, ist in dem Urteil festgestellt worden. Anders als etwa im Falle der Beanstandung einer polizeilichen Beschuldigtenvernehmung bedurfte es im Hinblick auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot keiner weiteren Sachaufklärung. Durch die Verwertung des Messergebnisses hat das Amtsgericht inzident klar zum Ausdruck gebracht, dass es den zur Kenntnis genommenen Widerspruch nicht für durchgreifend erachtet hat und der oben zitierten Rechtsprechung des übergeordneten Senats wie auch zahlreicher anderer Oberlandesgerichte gefolgt ist. Ein Erkenntnisgewinn für den Verteidiger, dem diese Rechtsprechung ohnehin bekannt ist, hätte sich nicht ergeben, wenn der Widerspruch in den Urteilsgründen unter Hinweis auf einige Fundstellen der ständigen OLG-Rechtsprechung ausdrücklich beschieden worden wäre.

Bei dem Widerspruch handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung Voraussetzung für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Das Amtsgericht konnte sich zu dem Widerspruch äußern, musste dies aber nicht. Ein Verwertungswiderspruch ist unter den Gesichtspunkten des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens nicht einem Antrag gleichzustellen, den das Tatgericht zu bescheiden hat (z. B. Beweisantrag, Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung)…..“

Anmerkung:

1. Zur nachträglichen Überprüfbarkeit entspricht der Beschluss der h.M. in der Rechtsprechung der OLG. Man wird sehen, was das BVerfG – hoffentlich bald – dazu sagt.

2. Zur Widerspruchslösung ist die Entscheidung ebenfalls wohl zutreffend. Allerdings ist insoweit anzumerken, dass der Obersatz des OLG: „Nach der sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung besteht kein Beweisverwertungsverbot, wenn der verteidigte oder insoweit richterlich belehrte Angeklagte der Beweisverwertung nicht bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt widerspricht“ zumindest missverständlich ist. Die Frage des Widerspruchs hat nämlich nichts mit dem Bestehen eines Beweisverwertungsverbotes zu tun. Sondern: Das Beweisverwertungsverbot besteht, nur muss der Betroffene es auch in der Hauptverhandlung geltend machen, und zwar eben mit dem Widerspruch. Denn bei dem handelt es sich um eine den Betroffenen bzw. Verteidiger treffende Obliegenheit, deren Erfüllung nicht Voraussetzung für das Bestehen des Beweisverwertungsverbotes ist, sondern für die Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist. Nur, wenn widersprochen worden ist und das auch vorgetragen wird, kann die Verfahrensrüge durchgreifen.

OWi II: Nochmals Beschlussverfahren (§ 72 OWiG), oder: Schweigen des Betroffenen und Anhörungsrüge

© fotomek – Fotolia.com

Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zum Beschlussverfahren (§ 72 OWiG), und zwar:

    1. Hat der Betroffene bereits im an die Verwaltungsbehörde gerichteten Einspruchsschreiben einer Entscheidung nach § 72 OWiG widersprochen, so wird diese Erklärung gegenüber dem Amtsgericht wirksam.
    2. Erklärt das Amtsgericht in der Folge, durch Beschluss entscheiden zu wollen, so bleibt der Widerspruch wirksam.
    3. In diesem Fall bedarf eine Entscheidung nach § 72 OWiG einer unmissverständlichen Rücknahme des zuvor erklärten Widerspruchs.
    1. Zum erforderlichen Vortrag der Rüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG durch den Betroffenen gehört, dass die Rechtsbeschwerde mitteilt, dass der Betroffene dem Beschlussverfahren rechtzeitig widersprochen hat. Dabei reicht es aus, dass mitgeteilt wird, dass der Widerspruch nicht gegenüber dem Amtsgericht, sondern schon gegenüber der Verwaltungsbehörde ausgesprochen und nicht ausdrücklich zurückgenommen wurde. Wurde der Widerspruch durch den Verteidiger erklärt, muss dessen Bevollmächtigung zum Zeitpunkt des Widerspruchs vorgetragen werden.
    2. Das Schweigen des Betroffenen auf den entsprechenden Hinweis des Amtsgerichts auf eine beabsichtigte Entscheidung nach § 72 OWiG lässt nicht den einmal erhobenen Widerspruch gegenstandslos werden.
    1. §§ 72, 79 Abs. 1 OWiG regeln keine Fälle einer bestimmten Beschwer des Rechtsmittelführers, sondern enthalten Regelungen der Unanfechtbarkeit im Sinne des § 464 Abs. 3 S. 1 StPO.
    2. Eine nachteilige Kostenentscheidung in einem Beschluss nach § 72 OWiG ist für den Betroffenen jedenfalls dann nicht anfechtbar, wenn ihm gegen die Hauptentscheidung kein Rechtsmittel zusteht und er lediglich rügt, dass die Nebenentscheidung gesetzwidrig ergangen sei. In diesem Fall kann die Kostenentscheidung nur mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.
    3. Es ist auch dann nicht unbillig, einem Betroffenen die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich der darin enthaltenen Sachverständigenkosten aufzuerlegen, wenn dieser sich gegen den Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit unbeschränkt verteidigt hat und ein im Bußgeldbescheid verhängtes Fahrverbot aufgrund der Erkenntnisse eines Sachverständigengutachtens in Wegfall gerät, er aber dennoch wegen einer verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 Nr 3 StVG verurteilt wird.