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OWi III: Rotlichtmessfoto nach Messende geschossen?, oder: Freispruch

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Und zum Tagesschluss dann noch das AG Dortmund, Urt. v. 15.12.2022 – 729 OWi-261 Js 2262/22 -143/22.

Das AG hat die Betroffene vom Vorwurf eines Rotlichtverstoßes frei gesprochen. Grund für den Freispruch: Dem Gericht lag ein Messfoto vor, das es an sich nicht geben konnte/durfte.

Denn nach den Feststellungen des AG aufgrund der Auswertung des Messprotokolls war  Messbeginn am 05.08.2022 um 08:53 Uhr und Messende am 08.08.2022 um 06:41 Uhr.Aber:

„Aus der urkundsbeweislich verlesenen Datenzeile des Messfotos ließ sich die Rotlichtzeit von 7,73 Sekunden und die vorgeworfene Rotlichtzeit von 7,30 Sekunden entnehmen. Für die Tatzeit war der 08.08.2022, 06:42:29 Uhr angegeben. Tatsächlich ließ sich damit feststellen, dass das Messfoto unerklärlicherweise zu einem Zeitpunkt gefertigt wurde, als das fragliche Messgerät gar nicht mehr sich im Einsatz befand. Folgerichtig fehlten ein Einsatz entsprechend der Bedienungsanleitung und überhaupt eine Plausibilität der Messung. Offensichtlich war entweder das Messprotokoll vollkommen falsch oder das Messfoto falsch oder manipuliert.

Die Angabe jedenfalls, dass mit dem fraglichen Messgerät zur Tatzeit die Betroffene gemessen worden sein kann, widerspricht unauflöslich dem Messprotokoll und der Zeugenaussage der Zeugin C, so dass es zu einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen mit der Kostenfolge nach den §§ 467 StPO, 46 OWiG kommen musste.“

Dinge gibt es 🙂 .

OWi III: Datenzeile des Messfotos nicht lesbar, oder: Freispruch

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Und als dritte Entscheidung des Tages dann noch das AG Dortmund, Urt. v. 27.02.2020 –  729 OWi-267 Js  1493/19-252/19. Das AG hat einen Betroffenen vom Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen. Begründung: Die Datenzeile des Messfotos war nicht lesbar:

„Das Gericht hat feststellen können, dass der Betroffene zur Tatzeit am Tatort Fahrzeugführer des genannten Fahrzeugs war. Das Gericht konnte den Geschwindigkeitsverstoß jedoch nicht feststellen.

Der Betroffene, der von der Erscheinenspflicht entbunden war, hat durch seinen Verteidiger die Fahrereigenschaft zugestanden. Aus dem Messprotokoll vom Tattage ergab sich, dass zur Tatzeit am Tatort ein Messgerät des Typs TraffiStar S 350 eingesetzt worden ist. Es konnte mit diesem Messgerät auch an dem Tattage das Fahrzeug des Betroffenen mit dem amtlichen Kennzeichen AA BB 123 festgestellt werden. Das Gericht hat insoweit das Messfoto in Augenschein genommen. Hinsichtlich des Messfotos wird auf Bl. 5 d.A. Bezug genommen. Das Gericht hat versucht, die Datenzeile des Messfotos urkundsbeweislich zu verlesen. Es hat diese Datenzeile auch im Wege der Inaugenscheinnahme in das Verfahren eingeführt. Wegen des Aussehens der Datenzeile wird auf Bl. 5 d.A. Bezug genommen gemäß § 267 Abs. I Satz 3 StPO. Im oberen Messfotobereich ist die Datenzeile zu erkennen. Die Inaugenscheinnahme der Zeile ergab, dass sich dort nicht lesbare Zeichen befinden, die offensichtlich Teile von Buchstaben wiedergeben. Ein Sinn ist in dieser Zeichenfolge nicht erkennbar, dies ergab die Inaugenscheinnahme, die dazu führte, dass die urkundsbeweisliche Verlesung letztlich inhaltlich scheitern musste. Da ein Messwert dementsprechend aus dem Messfoto nicht festgestellt werden konnte, war der Betroffene  aus tatsächlichen Gründen freizusprechen mit der Kostenfolge des § 467 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG.

OWI II: Fahreridentifizierung, oder: Verlesung der Datenzeile ist keine Inaugenscheinnahme des Fotos

Bei der zweiten OWi-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2020 – III – 5 RBs 63/20. Er „behandelt“  die Verlesung der sog. Datenzeile eines Messfotos und grenzt die von die Inaugenscheinnahme eines Messfotos ab.

Das AG hat den Betroffenenwegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt. Dabei hat es sich wegen der Fahrereigenschaft des Betroffenen auf das Messfoto bezogen. Gegen die Verurteilung die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der mit der Verfahrensrüge geltend gemacht wird, das AG habe sich bei der Urteilsfindung auf ein Lichtbild, nämlich das Messfoto, gestützt, das nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei. Also: Inbegriffsrüge nach § 261 StPO i.V.m. §§ 249 ff. StPO, 77, 77a, 78 OWiG. Die Rüge hat Erfolg:

„Die entsprechenden Rügetatsachen (Nichtinaugenscheinnahme des in den Urteilsgründen in Bezug genommenen Lichtbildes BI. 4 d.A.) sind durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen. Bei der Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 273 Rn. 7 m. w. N.), so dass der Nachweis hierüber – bzw. über ihr Fehlen – durch das Hauptverhandlungsprotokoll geführt werden kann.

Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll über die Inaugenscheinnahme – wie vorliegend -, so gilt diese als nicht erfolgt.

Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls wurde lediglich das Datenfeld des Messfotos BI. 4 d. A. durch Bekanntgabe seines wesentlichen Inhalts gemäß § 78 Abs. 1 S. 1 OWiG zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 04.02.2020 hierzu unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Zweibrücken (Beschluss vom 28.02.2018 — 1 Owi 2 Ss Bs 106/17) die Ansicht vertritt, dass die Verlesung der Datenzeile die Inaugenscheinnahme des Messfotos ebenso umfassen müsse, wie die Inaugenscheinnahme des Messfotos die Einführung der Datenzeile -in die Hauptverhandlung beinhalte, kann dem nicht gefolgt werden. Das OLG Zweibrücken führt in der zitierten Entscheidung lediglich zutreffend und in Anschluss an die Rechtsprechung des BGH aus, dass, wenn sich ausnahmsweise der gedankliche Inhalt einer Urkunde auf einen Blick erfassen lässt, deren Inaugenscheinnahme auch deren Inhalt zum Gegenstand der Hauptverhandlung macht. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten der Urkunde bei der Inaugenscheinnahme, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist dieser mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.02.2018 — 1 Owi 2 Ss Bs 106/17 = BeckRS 2018, 3367, beck-online). Umgekehrt kann dies jedoch nicht gelten. Während der Inhalt von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 StPO durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird, d.h. durch unmittelbares Umsetzen von Schrift- und Zahlenzeiehenin Worte (bzw. in Gedanken in der Ersatzform des Selbstlesens nach § 249 Abs. 2 S. 1 StPO), erfolgt der Augenschein durch sinnliche Wahrnehmung, nämlich Sehen, Hören, Schmecken, Riechen oder Befühlen (vgl. zur Abgrenzung BayObLG, Beschluss vom 06.03.2002 ­1 ObOWi 41/02 = NZV 2002, 379, beck-online). Durch das Erfordernis des Verlesens einer Urkunde in der Hauptverhandlung kommt zum Ausdruck, dass es nicht auf den optischen Eindruck des Schrift- bzw. Ziffernträgers ankommt sondern auf dessen gedanklichen Inhalt, der den Verfahrensbeteiligten durch Verlesung zur Kenntnis gebracht werden soll. Käme es im Einzelfall doch auf den optischen Eindruck an, müsste der Schriftträger zum Gegenstand der Inaugenscheinnahme gemacht werden (BayObLG a.o.a.O.). Die optische Wahrnehmung des den Fahrer zeigenden Lichtbildes, kann — jedenfalls zum Zwecke der Identifizierung des Fahrers — nicht durch die bloße Bekanntgabe durch die Vorsitzende ersetzt werden. Der optische Gesamteindruck muss — anders als die Datenzeile im Rahmen der Inaugenscheinnahme des Gesamtbildes — nicht im Rahmen der Mitteilung der Datenzeile durch die Vorsitzende von den Verfahrensbeteiligten zwingend mit erfasst werden.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil auch. Denn das Amtsgericht hat ausdrücklich das Messfoto BI. 4 d. A. zum Beweis der Fahrereigenschaft des Betroffenen zum Tatzeitpunkt herangezogen. Dieses Bild ist auch nicht identisch mit dem Bild auf Bl. 3 d. A., was der Senat aufgrund der zulässig erfolgten Bezugnahme auf beide Bilder in den Urteilsgründen nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO, vgl. BI. 5 des Urteils, 3. Abs. am Ende, selbst beurteilen kann. Auf den Bildern im Fallprotokoll, welches in Augenschein genommen wurde, wurden nämlich die Gesichter der Beifahrer durch ein weißes Rechteck unkenntlich gemacht. Auf die fehlende Ähnlichkeit der Beifahrer mit dem Betroffenen hat das Amtsgericht in seinen Ausführungen zu dessen Fahrereigenschaft jedoch ausdrücklich Bezug genommen. Das Amtsgericht hat sich seine Überzeugung daher nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gebildet, so dass das angefochtene Urteil der Aufhebung unterliegt.“

Und: Auf ein Neues 🙂 .

OWI III: Die Datenzeile auf dem Messfoto, oder: Inaugenscheinnahme oder Verlesung?

Die Frage: Muss die Datenzeile auf einem Messfoto gesondert verlesen werden oder reicht die Inaugenscheinnahme, ist in der Rechtsprechung der OLG umstritten. Das OLG Stuttgart geht im OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.09.2018 – 6 RB 16 Ss 469/18 – davon aus: Inaugenscheinnahme reicht.

„Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät PoliScan Speed handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren. Fließen in die Ge­schwindigkeitsmessung — wie hier — Einzelmessungen ein, deren Ortskoordinaten geringfügig außerhalb des von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zuge­lassenen Messbereichs liegen, begründet dies für sich genommen grundsätzlich nicht die Notwendigkeit, die Messung durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen (OLG Karlsruhe 2 Rb 8 Ss 246/17, Beschluss vom 26. Mai 2017, Leitsatz und Rn. 13 zit. nach juris; vgl. auch OLG Bamberg 3 Ss OWi 976/17, Beschluss vom 24. Juli 2017, Rn. 3 und OLG Zweibrücken 1 OWi 2 Ss Bs 106/17, Beschluss vom 28. Februar 2018, jeweils zit. nach juris).

Soweit die Rechtsbeschwerde der Sache nach rügt, dass die Datenzeile auf dem in Augenschein genommenen Messfoto nicht gesondert — etwa durch Verlesung — in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, trifft dies zwar zu. Die Inaugenscheinnah­me genügt jedoch ausnahmsweise dann, wenn sich auch der gedankliche Inhalt der Urkunde durch einen Blick erfassen lässt (hierzu BGH NStZ 2014, 606 f.; eben­so KG Berlin, NStZ-RR 2016, 27 f.).“

M.E. fraglich, da m.E. nicht der „eine Blick“ reicht.

Verweisung im Urteil auf das Messsprotokoll – zulässig oder nicht?

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Sind Messprotokolle bzw. Eichscheine Abbildungen, so dass auf sie bzw. die enthaltenen Daten im Urteil nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen werden könnte, oder sind es Urkunden, die nach § 249 StPO in der Hauptverhandlung verlesen werden müssen? Die Frage scheint – zumindest teilweise – in der Rechtsprechung der OLG streitig zu werden (vgl. dazu einerseits den OLG Hamm, Beschl. v. 21.01.2016 – 4 RBs 324/15 und andererseits den KG, Beschl. v. 12. 11. 15 – 3 Ws (B) 515/15 – 122 Ss 111/15).

Dazu aus dem OLG Hamm, Beschl. v. 21.01.2016 – 4 RBs 324/15, der der h.M. entspricht:

„Im Hinblick auf den Verweis nach § 46 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils bzgl. der aus der im Datenfeld des Lichtbildes dokumentierten Messgeschwindigkeit weist für zukünftige Fälle vorsorglich darauf hin, dass ein solcher Verweis nur auf die Abbildung selbst, nicht aber auf die Informationen im eingeblendeten Messprotokoll möglich ist. Hierbei handelt es sich um urkundliche Informationen, nicht um Abbildungen (vgl. nur: OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.11.2004 – 1 Ss (OWi) 210 B/04; OLG Hamm, Beschl. v. 20.03.2012 – III – 3 RBs 438/11 m.w.N.). Soweit das KG Berlin – bei grundsätzlicher Anerkennung dessen, dass es sich bei dem in ein Radarfoto eingeblendeten Datenfeld um eine Urkunde handelt – meint, eine Verweis sei in solchen Fällen „ausnahmsweise zulässig“, wenn sich – wie hier – der gedankliche Inhalt der Urkunde „auf einen Blick erfassen“ lässt (KG Berlin, Beschl. v. 12.11.2015 – 3 Ws (B) 515/15122 Ss 111/15), vermag der Senat diese Auffassung nicht zu teilen. Eine gesetzliche Grundlage für eine solche Ausnahme kann er in den o.g. Vorschriften nicht erblicken. Eine solche Rechtspraxis müsste dann konsequenterweise auch in anderen Fällen gelten (etwa, wenn in einem Brief neben – kurzen – beleidigenden Textzeilen auch noch beleidigende Zeichnungen enthalten sind). Sie birgt dann aber die Gefahr, dass die Grenzen eines noch zulässigen Verweises nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verschwimmen, denn es hinge dann letztendlich von der Auffassungsgabe des jeweiligen Tatrichters und davon ab, ob diese vom Richter des Rechtsbeschwerde- oder Revisionsgerichts geteilt wird, ob ein „ausnahmsweise“ noch zulässiger Verweis (im o.g. Beispiel: auch bzgl. des Textes) vorliegt.“

So übrigens auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2016 – 3 RBs 132/15.