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Pflichti II: Kein Rechtsmittel gegen Bestellung?, oder: Kein Rechtsmittel gegen Aufhebung der Bestellung

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Und im zweiten „Pflichti-Posting“ hier dann zwei Entscheidungen zu Rechtsmitteln in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung, und zwar:

Auch nach Inkrafttreten der Vorschriften § 143 Abs. 3 StPO ist die Aufhebung der Bestellung als Pflichtverteidiger durch diesen selbst grundsätzlich nicht anfechtbar.

Ein Wahlverteidiger ist durch seine (von Amts wegen erfolgte) Beiordnung zum Pflichtverteidiger nicht beschwert. Er kann deshalb gegen seine Bestellung kein Rechtsmittel einlegen.

Der zweite Beschluss erstaunt schon ein bisschen…..

StPO II: Nachholung des rechtlichen Gehörs, oder: Rechtsmittel und Verletzung des rechtlichen Gehörs

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Als zweite Entscheidung hier dann der schon etwas ältere KG, Beschl. v. 26.08.2021 – 5 Ws 169/21 -, der mir aber jetzt erst vor kurzem zugesandt worden ist.

Das KG nimmt Stellung zur Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde im sog Nachverfahren nach § 33a StPO und führt dazu aus:

„1. Die Beschwerde ist zulässig.

Das Nachverfahren nach § 33a StPO unterteilt sich in zwei Abschnitte: die Nachholung des rechtlichen Gehörs oder die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrages (Nachholungsverfahren) und die Überprüfung des Beschlusses, sofern das rechtliche Gehör nachträglich zu gewähren war (Überprüfungsverfahren). Der Beschwerde unterliegen (nur) im Nachholungsverfahren ergangene Entscheidungen, mit denen die Nachholung des rechtlichen Gehörs abgelehnt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. September 2016 – 5 Ws 75/16 –, juris Rn. 14; KG, Beschluss vom 12. März 2007 – 4 Ws 23/07 –, juris Rn. 4), unabhängig davon, ob die Anhörungsrüge als unzulässig (etwa weil der Antrag unsubstantiiert, das Antragsrecht verwirkt oder die Beschwerde eröffnet sei) oder unbegründet (weil die Entscheidung nicht auf dem Fehler beruhe oder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vorliege) zurückgewiesen worden ist (vgl. Senat, a. a. O.; KG, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 4 Ws 78/15 –, juris Rn. 5; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 33a Rn. 27; a. A. OLG Celle, Beschluss vom 1. August 2012 – 1 Ws 290/12 –, juris Rn. 4 f. [Statthaftigkeit der Beschwerde nur bei Ablehnung des Antrags aus formellen Gründen]; OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. August 2011 – 3 Ws 530/11 –, juris Rn. 11 ff.; Maul in Karlsruher Kommentar, StPO 8. Aufl., § 33a Rn. 13 [vollständiger Ausschluss der Beschwerde]); denn diese Entscheidungen betreffen allein die verfahrensrechtliche Frage, ob das rechtliche Gehör nachzuholen ist (vgl. Senat, a. a. O.; Graalmann-Scheerer a. a. O.). Das Beschwerdeverfahren beschränkt sich folgerichtig auf die Prüfung, ob die Ablehnung der Durchführung des Nachverfahrens zu Recht ergangen ist (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.). Der Kontrolle durch das Beschwerdegericht entzogen sind dagegen die im Überprüfungsverfahren ergehenden Beschlüsse, das heißt die aufgrund des (im Nachholungsverfahren) nachträglich gewährten rechtlichen Gehörs getroffenen sachlichen Überprüfungsentscheidungen; denn § 33a StPO eröffnet keinen neuen Rechtszug zur Nachprüfung einer unanfechtbaren Sachentscheidung (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.; OLG Celle, a. a. O.; Graalmann-Scheerer, a. a. O., § 33a Rn. 26 m. w. N.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 33a Rn.10).

Danach ist die Beschwerde im vorliegenden Fall statthaft. Das Landgericht hat den Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. Juni 2021 als unzulässig verworfen; eine erneute Sachprüfung hat nicht stattgefunden.

2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat die Nachholung des rechtlichen Gehörs zu Unrecht abgelehnt; denn der Erlass des Verwerfungsbeschlusses vom 22. März 2021 hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt.

a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie nicht nach den Prozessvorschriften ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 1983 – 2 BvR 399/81 –, juris Rn. 11 m. w. N.). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (zum Ganzen vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 – 2 BvR 433/15 –, juris Rn. 9; 17. Dezember 1998 – 2 BvR 1556/98 –, juris Rn. 10; 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 –, juris Rn. 39). Die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt sich dabei nicht darauf, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern, sondern verbürgt dem Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Februar 2009 – 1 BvR 182/09 –, juris Rn. 21).

Das Maß der aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgenden Erörterungspflicht wird nicht nur durch die Bedeutung des Vortrags der Beteiligten für das Verfahren, sondern auch durch die Schwere eines zur Überprüfung gestellten Grundrechtseingriffs bestimmt (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 8. März 2004 – 2 BvR 27/04 –, juris Rn. 18; Senat, a. a. O., Rn. 18; Schmitt, a. a. O., § 34 Rn. 4). Danach wären hier Ausführungen geboten gewesen.

Der mit dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts vom 22. März 2021 für rechtmäßig befundene Bestätigungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 18. Januar 2021 trifft allenfalls für die sichergestellte externe Festplatte Samsung eine endgültige Beschlagnahmeanordnung im Sinne von § 98 Abs. 1 StPO, hinsichtlich der übrigen Speichermedien und des Mini-PCs handelt es sich um eine Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, da im Wege der Durchsicht nach § 110 StPO erst ermittelt werden soll, ob auf den sichergestellten Geräten und Datenträgern Daten gespeichert sind, die als Beweismittel von Bedeutung sein können (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. September 2018 – 2 BvR 708/18 –, juris Rn. 22). Das Sichtungsverfahren gemäß § 110 StPO wird zwar noch der Durchsuchung zugerechnet, ist jedoch angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in seiner Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert. Die Beschlagnahme oder Maßnahmen nach § 110 StPO, die nur mittelbar aus der Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume folgen, unterfallen dabei nicht mehr dem Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, sondern sind, sofern – wie hier – Daten betroffen sind, am Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 23; Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02 –, juris Rn. 80; Beschluss vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06 –, juris Rn. 51) zu messen, weil dieses Recht die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2019 – 2 BvR 31/19 –, juris Rn. 37).

Die gesetzliche Grundlage der Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG stellen die §§ 94 ff. StPO dar, die die Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den hierauf gespeicherten Daten als Beweisgegenstände im Strafverfahren erlauben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005, a. a. O., Rn. 98).

Insbesondere im Strafprozessrecht setzt jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem staatlichen Handeln Grenzen. Dabei muss der besonderen Eingriffsintensität der Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und den darauf vorhandenen Daten Rechnung getragen werden. (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 106).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist vorliegend eine Verletzung des rechtlichen Gehörs anzunehmen.

Die Beschlagnahme bzw. die Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht der bei dem Beschwerdeführer aufgefundenen Datenträger und der darauf befindlichen Daten greift in das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Zwar hat das Landgericht in seinem Beschluss vom 22. März 2021 sich mit dem Beschwerdevortrag betreffend die Eingrenzungsfunktion des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Hamburg und einer durch die Durchsuchungsbeamten am Ort der Durchsuchung einzuräumenden Möglichkeit der freiwilligen Herausgabe der Beweismittel auseinandergesetzt. Darüber hinaus hatte der Beschwerdeführer jedoch beanstandet, dass die bei dem im Ausgangsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung – von der Durchsuchung betroffenen – Nichtverdächtigen sichergestellten Datenträger im Rahmen einer physikalischen Sicherung einer – jedenfalls teilweisen – Sichtung der Daten zu einem Zeitpunkt unterzogen wurden, zu dem der Beschwerdeführer die in dem Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Buchführungsunterlagen bereits freiwillig herausgegeben hatte. Die begonnene Durchsicht als Teil der Durchsuchung könnte zu diesem Zeitpunkt aufgrund der zuvor erfolgten freiwilligen Herausgabe der Buchführungsunterlagen als möglicherweise unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zulässig gewesen sein und ein Verwertungsverbot nach sich gezogen haben.

Der Beschluss des Landgerichts vom 22. März 2021 setzt sich damit nicht auseinander, obwohl sich dies im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der Maßnahme geradezu aufdrängte.

Das Schweigen des Beschlusses vom 22. März 2021 zu einem der Kernpunkte der Beschwerdebegründung lässt – gerade auch in Anbetracht der Grundrechtsrelevanz der Sicherstellung von Datenträgern im Rahmen einer Durchsuchung bei einem Nichtverdächtigen – auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen. Soweit das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers nach dem Rechtsstandpunkt der Strafkammer unbeachtlich gewesen sein sollte, hätte es im konkreten Fall jedenfalls einer kurzen, für den Beschwerdeführer nachvollziehbaren Darlegung der Rechtsauffassung der Kammer bedurft, um die Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen zu dokumentieren. Der bloße – formelhafte – Satz, es liege kein Verwertungsverbot hinsichtlich der Zufallsfunde vor, genügt hierfür nicht.“

StPO III: HVT mit dem Verteidiger abgestimmt, oder: Verlegung scheidet aus

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Und als letzte Entscheidung des Jahres, die nichts mit Gebühren zu tun hat – die kommen morgen noch, hier dann noch der OLG Saarbrücken, Beschl. v.14.12.2022 – 4 Ws 379/22. Es geht noch einmal um die Frage der Anfechtung einer Terminierungsentscheidung.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen verschiedener Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz erhoben. Der Angeklagte selbst ist wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angeklagt. Zwei seiner Mitangeklagten befinden sich seit dem 01.07.2022 in Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 31.10.2022 hat der Vorsitzende der Strafkammer sämtliche Verteidiger über das elektronische Anwaltspostfach über die in Betracht kommenden Hauptverhandlungstermine informiert und um Mitteilung etwaiger Terminsverhinderungen binnen zwei Tagen gebeten. Der Verteidiger des Angeklagten hat die ihm möglichen Hauptverhandlungstermine – darunter den 20.01.2023 – mit Schreiben vom 08.11.2022 mitgeteilt. Mit Verfügung vom selben Tag hat der Vorsitzende der 4. Großen Strafkammer Hauptverhandlungstermine für den 04.01. 2023, 05.01.2023, 20.01.2023, 01.02.2023 und 07.02.2023 festgelegt und die Verteidiger hierüber noch am selben Tag in Kenntnis gesetzt.

Nach der am 30.11.2022 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens und Ladung der Verfahrensbeteiligten zu den Hauptverhandlungsterminen hat der Verteidiger des Angeklagten die Aufhebung des für den 20.01.2023 bestimmten Hauptverhandlungstermins beantragt. Zur Begründung hat er mitgeteilt, zwischenzeitlich sei in anderer Sache mit dem zuständigen Richter des Amtsgerichts Saarbrücken ein Hauptverhandlungstermin für diesen Tag abgesprochen worden. Die Ladung zu diesem Termin habe er am 21.11.2022 erhalten.  Der Kammervorsitzende hat eine Aufhebung des Verhandlungstermins unter Hinweis darauf abgelehnt, dass in dem umfangreichen Verfahren mit insgesamt sechs Verteidigern die Hauptverhandlungstermine im Vorfeld abgesprochen worden seien.

Gegen die Ablehnung der Verlegung des Termins hat der Verteidiger des Angeklagten ein unbenanntes Rechtsmittel eingelegt. Das OLG sagt dazu: zar zulässig – insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext – aber leider erfolglos:

„2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

a) Nach § 213 Abs. 1 StPO wird der Termin zur Hauptverhandlung von dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts anberaumt. Für wann Termin bestimmt wird, entscheidet er nach pflichtgemäßem Ermessen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; § 213 Rdnr. 6; KK-StPO/Schneider/Gmel, StPO, 8. Aufl., § 213 Rdnr. 1; Löwe-Rosenberg/Jäger, StPO, § 213 Rdnr. 10). Im Falle der Verhinderung des Verteidigers kann die Terminbestimmung ermessensfehlerhaft sein, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl des Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass der Verteidiger das Mandat wegen terminlicher Verhinderung nicht wahrnehmen kann, weil er keinen Einfluss auf die Terminwahl nehmen konnte (Löwe-Rosenberg/Jäger a.a.O.). Umgekehrt kann und darf die Terminlage von Verteidigern in Haftsachen nur insoweit Berücksichtigung finden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt (BGH StV 2006, 680; KG Berlin, Beschluss vom 25. November 2016 – (4) 161 HEs 31/16 (30 – 34/16) –, juris; Löwe-Rosenberg/Jäger, a.a.O., § 213 Rdnr. 18 m.w.N.). Die Terminbestimmung erfolgt im Regelfall alsbald nach Eröffnung des Hauptverfahrens; Terminabsprachen können jedoch auch bereits vorher vorbehaltlich der Anklagezulassung erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rdnr. 6). Über Terminverlegungsanträge entscheidet der Vorsitzende unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung, welchem in Haftsachen besonderes Gewicht zukommt, und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten, zu denen auch das Interesse eines Angeklagten gehört, als Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren und auf eine wirksame Verteidigung durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten zu werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2018 – 1 StR 415/17 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 02. Februar 2015 – III-5 Ws 36/15 –, juris; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rdnr. 7 m.w.N.; Löwe-Rosenberg/Jäger, a.a.O., § 213 Rdnr. 17 m.w.N.).

b) Die Terminierung überprüft das Beschwerdegericht nur darauf, ob die Verteidigung im Vorfeld ausreichend beteiligt wurde und ob der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (OLG Frankfurt a.a.O.; Löwe-Rosenberg/Jäger, a.a.O., § 213 Rdnr. 18). Die Zweckmäßigkeit der Terminsbestimmung einschließlich der Möglichkeit einer anderen Terminsplanung und Terminierung ist der Nachprüfung des Beschwerdegerichts entzogen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rdnr. 8 m.w.N.; Löwe-Rosen-berg/StPO, a.a.O., § 213 Rdnr. 8 m.w.N.).

c) Unter Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

(1) Der Kammervorsitzende hat den Hauptverhandlungstermin vom 20. Januar 2023 erst anberaumt, nachdem der Verteidiger des Angeklagten ausdrücklich erklärt hatte, an diesem Tag zur Verfügung zu stehen. Die verbindliche Festlegung der Hauptverhandlungstermine erfolgte in zulässiger Weise bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens durch Schreiben des Vorsitzenden vom 08. November 2022, und nicht – wie der Verteidiger meint – erst mit der Zustellung der Terminladungen.

(2) Die Entscheidung über die Ablehnung des Antrags des Verteidigers, den Termin vom 20. Januar 2023 zu verlegen, weist keine Ermessensfehler auf. Gegenstand der Prüfung des Beschwerdegerichts ist diesbezüglich die Verfügung des Vorsitzenden vom 01. Dezember 2022 in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung der Kammer vom 02. Dezember 2022, da diese mit der Ausgangsentscheidung verfahrensrechtlich eine Einheit bildet und sie ergänzend begründen kann (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2016, 383; OLG Hamm, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – III-5 Ws 578/17 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 306 Rdnr. 8). Die Strafkammer hat im Rahmen ihrer Entscheidung insbesondere nicht verkannt, dass ihr hinsichtlich der Frage einer etwaigen Verlegung des Termins vom 20. Januar 2023 ein Ermessensspielraum zustand, sondern ausdrücklich noch im Nichtabhilfeverfahren ein mögliches Abrücken von der Entscheidung des Vorsitzenden erwogen. Das Interesse des Angeklagten, auch im Termin vom 20. Januar 2023 von einem Verteidiger seiner Wahl vertreten zu werden, hat der Vorsitzende bereits in der Abstimmung des Termins mit dem Verteidiger in der gebotenen Weise berücksichtigt, also erkennbar nicht aus dem Blick verloren, jedoch in der gebotenen Weise zugleich die – hier angesichts der sich bereits über einen Zeitraum von nahezu sechs Monaten erstreckenden Inhaftierung gewichtigen (vgl. BVerfG NJW 2006, 672, 676; BGH NStZ 2007, 163; OLG Hamm, Beschluss vom 6. November 2012 – III-5 Ws 333/12 –, juris) – Interessen zweier Mitangeklagter an einer beschleunigten Verfahrensgestaltung in seine Erwägungen eingestellt. Soweit der Verteidiger meint, im Rahmen der getroffenen Entscheidung sei nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt worden, dass eine Ladung zu dem kollidierenden amtsgerichtlichen Termin bereits vor der in vorliegendem Verfahren erfolgt sei, vermag der Senat dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil die Bestimmung der Hauptverhandlungstermine durch den Vorsitzenden der 4. Strafkammer bereits durch Schreiben vom 08. November 2022 erfolgt war, also bevor den Verteidiger am 21. November 2022 die amtsgerichtliche Ladung erreicht hat. Soweit der Verteidiger geltend macht, ihm sei nicht zuzumuten, Termine vorsorglich zu blockieren, liegt ein solcher Fall angesichts der verbindlichen Terminabsprache nicht vor.“

StPO I: Übernahme des vorformulierten Beschlusses, oder: Genügend Indiztatsachen für Anfangsverdacht?

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Heute dann dreimal Durchsuchung, also StPO, und zwar drei LG-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich hier den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.11.2022 – 12 Qs 49/22 – vor. Ergangen ist er in einem Verfahren gegen einen Apotheker wegen Abrechnungsbetrugs. In em ist aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des AG vom 19.03.2021 eine Durchsuchung durchgeführt worden, wobei die Sichtung der dabei gesicherten elektronischen Daten derzeit noch andauert. Gegen den hat der Beschulidgte bereits einmal Beschwerde eingelegt, nun hatte er mit Schriftsatz eines neuen Verteidiger erneut Beschwerde eingelegt, die beim LG (erneut) keinen Erfolg hatte:

„b) Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Durchsuchungsbeschluss rechtmäßig ergangen ist.

aa) Die Beschwerde meint, vor Beschlusserlass habe eine eigenverantwortliche Prüfung des Tatvorwurfs durch das Ermittlungsgericht nicht stattgefunden, sodass der Durchsuchungsbeschluss schon aus diesem Grund aufzuheben sei.

Dieser These schließt sich die Kammer nicht an. Das Fehlen der gebotenen Einzelfallprüfung durch die Ermittlungsrichterin folgt nicht schon daraus, dass sie den Durchsuchungsbeschluss nicht selbst ausformuliert, sondern – entsprechend der hiesigen ständigen Praxis in Wirtschaftsstrafverfahren – die ihr von der StA (bzw. hier der GenStA) vorformuliert vorgelegten Beschlussentwürfe unterzeichnet hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 19; Kammer, Beschluss vom 24. September 2021 – 12 Qs 66/21, juris Rn. 15; krit. Meyer-Mewes, HRRS 2020, 286, 288 f.). Von fehlender eigener Prüfung könnte etwa ausgegangen werden, wenn sich die Beschlussbegründung in formelhaften Floskeln ohne Einzelfallbezug oder in der bloßen Benennung des zugrunde liegenden Straftatbestandes erschöpft (BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 16; Beschluss vom 8. April 2004 – 2 BvR 1821/03, juris Rn. 16 ff.), oder wenn das Ermittlungsgericht sinnentstellende Fehler oder sonst offenkundige Mängel des Antrags der Staatsanwaltschaft unkorrigiert übernimmt (BVerfG, Beschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14, juris Rn. 19; vgl. auch Tsambikakis in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 46 m.w.N.).

So liegen die Dinge hier nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die sachbearbeitende Staatsanwältin unmittelbar vor der Zuleitungsverfügung an das Ermittlungsgericht einen fünfseitigen Vermerk zur Akte gebracht hat, in dem sie den Ermittlungsstand in tatsächlicher Hinsicht zusammenfasste und sich mit dessen rechtlichen Implikationen auseinandersetzte – auch im Hinblick auf § 11 Abs. 1 ApoG, § 7 AVV sowie auf die Auswirkungen von Verstößen hiergegen für die Abrechnung gegenüber den Kassen. Damit hatte die Ermittlungsrichterin über den Beschlussentwurf und den blanken Akteninhalt hinaus einen Interpretationsvorschlag an der Hand, den sie prüfen konnte. Der angegriffene Beschluss selbst weist keine groben handwerklichen Fehler auf, enthält eine individualisierte Sachverhaltsschilderung und interpretiert sie in vertretbarer Weise als strafrechtlich relevant. Die von der Beschwerde im Schriftsatz vom 20. Oktober 2022 (S. 5 ff.) formulierten Einwendungen sind so speziell, dass aus dem Fehlen einer expliziten Erörterung der ihnen zugrundeliegenden Rechtsfragen in der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses nicht gefolgert werden kann, die Ermittlungsrichterin habe diese Rechtsfragen nicht geprüft, sollte es für sie darauf angekommen sein. Die schriftliche Begründung eines Durchsuchungsbeschlusses ist nicht der Ort, alle Prüfungsschritte im Detail zu dokumentieren, die das Ermittlungsgericht in der gedanklichen Durchdringung des Stoffs abgearbeitet hat.

Schließlich folgt das Fehlen der individuellen Befassung der Ermittlungsrichterin mit dem Stoff nicht daraus, dass sie in ihrer Zuleitungsverfügung vom 26. August 2022 vermerkt hat, der Vorgang sei ihr unbekannt und eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde sei ihr daher nicht möglich; sie helfe der Beschwerde nicht ab. Der von ihr unterschriebene Durchsuchungsbeschluss datiert vom 19. März 2021. Dessen Bestätigung vom 24. September 2021 wurde, wie auch die Bestätigung der Mitnahme zur Durchsicht am 4. Januar 2022, nicht von ihr, sondern von einem ihrer Kollegen beschlossen. Bei diesem zeitlichen Abstand wäre es ausgesprochen bemerkenswert, hätte die Ermittlungsrichterin den Fall noch gekannt. Auf einem anderen Blatt steht, ob mit der zitierten Verfügung das Abhilfeverfahren (§ 306 Abs. 2 StPO) ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Das kann indes auf sich beruhen, weil eine Zurückverweisung der Sache zur Nachholung der Abhilfeprüfung hier nicht in Betracht kam (vgl. dazu Hoch in SSW-StPO, 4. Aufl., § 306 Rn. 18; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 306 Rn. 10, je m.w.N.).

bb) Die Beschwerde hält den Durchsuchungsbeschluss auch deshalb für rechtswidrig, weil er den Anforderungen an die Begrenzung des Grundrechtseingriffs nicht genüge. Er nenne nicht die notwendigen Indiztatsachen, die den Anfangsverdacht rechtfertigten könnten.

Auch insoweit vermag die Kammer der Beschwerde nicht zu folgen. Die Beschreibung der aufzuklärenden Straftat im Durchsuchungsbeschluss schützt die Grundrechte des Betroffenen. Sie macht Umfang und Reichweite des Grundrechtseingriffs deutlich und zeigt, worauf sich die Durchsuchung bezieht. So wird den mit der Vollziehung der Anordnung betrauten Beamten klargemacht, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten, und so der Zugriff auf Beweisgegenstände begrenzt (Kammer, Beschluss vom 10. März 2022 – 12 Qs 6/22, juris Rn. 21 m.N. zur Rspr. des BVerfG). Die gleiche Funktion hat die Bezeichnung derjenigen Gegenstände im Durchsuchungsbeschluss, nach denen gesucht werden soll (BVerfG, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 BvR 103/04, juris Rn. 20). Weiterhin sind gem. § 34 StPO die wesentlichen Verdachtsgründe darzulegen, d.h. die Tatsachen, die den behaupteten Anfangsverdacht belegen sollen. Deren Angabe kann nur unterbleiben, wenn die Bekanntgabe den Untersuchungszweck gefährden würde (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08, juris Rn. 7 f.).

Diese Anforderungen erfüllt der angegriffene Durchsuchungsbeschluss. Er enthält eine detaillierte Auflistung derjenigen Unterlagen, Daten und Gegenstände, nach denen gesucht werden sollte. Ebenso ist der dem Beschuldigten vorgeworfene Sachverhalt in seinen Grundzügen umrissen und nach zeitlichem Rahmen, Art der Tatbegehung, mutmaßlichen Geschädigten und Schadenshöhe individualisiert. Als tatsächliche Grundlage des Anfangsverdachts benennt der Beschluss unter Ziff. II der Gründe die Stellungnahmen der anzeigeerstattenden Krankenkassen, dort insbesondere deren statistische Auswertungen, weiterhin Rezepte und Stellungnahmen von Ärzten und Patientenangehörigen sowie eine Stellungnahme der X GmbH (fortan: X) im Retaxverfahren, wobei teils auf konkrete Fundstellen in der Ermittlungsakte verwiesen wird.

Soweit die Beschwerde für einzelne Tatbestandselemente des Betrugs bzw. der diesem vorgelagerten sozial- und ordnungsrechtlichen Normen die explizite Benennung von Indiztatsachen vermisst, überspannt sie die Anforderungen an die Darlegung des Anfangsverdachts. Letztere kann knapp gehalten sein und es müssen nur die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes belegt sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05, juris Rn. 16; Tsambikakis in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 48 m.w.N.), also die des Betrugs nach § 263 StGB.

cc) Die Beschwerde ist weiter der Auffassung, dass sich der Durchsuchungsbeschluss nicht auf das erforderliche Maß beschränke, namentlich auf das Auffinden derjenigen Unterlagen, die eine verbotene Absprache belegen.

Damit dringt die Beschwerde nicht durch. ….“

Unterbringung III: Nichtanordnung der Unterbringung, oder: Wirksamkeit der Ausnahme vom Rechtsmittel

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Und als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 19.07.2022 – 4 StR 116/22, Das LG hat A wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen und wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB hat es abgesehen. Dagegen die Revision des Angeklagten.

Der BGH hat die Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens aufgehoben. Aufgehoben hat er auch die Gesamtstrafe und den gesamten Maßregelausspruch. Wegen Letzterem führt er aus:

„b) Der Maßregelausspruch kann auch nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht ohne jede Erörterung von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB abgesehen hat.

aa) Zwar hat der Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz vom 24. Januar 2022 erklärt, die Nichtanordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff auszunehmen. Diese Revisionsbeschränkung ist jedoch unwirksam, weil die Revision sich mit der Sachrüge gegen den gesamten Schuldspruch wendet und dieser unter den hier gegebenen Umständen nicht losgelöst von der Maßregelfrage geprüft werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 – 2 StR 139/11 ,StV 2012, 72).

bb) Die unterbliebene Maßregelanordnung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die tatgerichtlichen Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB sind widersprüchlich. Das Landgericht hat einerseits das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ausdrücklich verneint und andererseits festgestellt, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten aufgrund einer „Betäubungsmittelabhängigkeit“ begangen hat. Die Feststellung einer zu Beschaffungsdelikten führenden physischen oder jedenfalls psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit trägt jedoch regelmäßig die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB , ohne dass es auf den Grad oder die Ausprägung der Abhängigkeit im Einzelnen ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2019 – 4 StR 80/19 Rn. 12; Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 456/13 Rn. 7).

c) Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird daher – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (vgl. § 246a StPO ) – die Frage der Maßregelanordnung insgesamt neu zu prüfen und dabei auch zu beachten haben, dass § 64 StGB gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG Vorrang hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2020 – 3 StR 195/20 Rn. 5; Beschluss vom 28. Juli 2020 – 2 StR 210/20 ,StV 2021, 362, 363; Beschluss vom 15. Juni 2010 – 4 StR 229/10 , NStZ-RR 2010, 319, 320). Ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 1 StR 646/16 Rn. 11).“