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Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Betreuung oder Beweisverwertungsverbot

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Im 2. Posting dann zwei Entscheidungen zu den materiellen Voraussetzungen der Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 StPO.

Zunächst der LG Koblenz, Beschl. v. 18.03.2020 – 12 Qs 15/20 – zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in den Fällen der Betreuung. Das LG hat bestellt und das wie folgt begründet:

Zwar sind die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO ersichtlich nicht gegeben, es liegt jedoch ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vor. Danach hat eine Pflichtverteidigerbestellung auch dann nach pflichtgemäßen Ermessen zu erfolgen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte selbst nicht hinreichend verteidigen kann.

Es kann dahinstehen, ob schon die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage hier eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 S. 1 StPO gebietet, weil sich der Angeklagte – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens – nach Aktenlage jedenfalls nicht  selbst hinreichend wird verteidigen können.

Zwar genügt die bloße Betreuerbestellung nicht, um allein deswegen eine Verteidigerbestellung auszusprechen. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt aber dann ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn der Angeklagte aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten oder seines Gesundheitszustandes in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt ist. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist mithin schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit der Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage 2019, § 140 Rn. 30).

Der Betreuungsakte ist zu entnehmen, dass bei dem Angeklagten eine Lernbehinderung mit kognitiven Einschränkungen besteht, in Folge dessen er nicht in der Lage ist sein Vermögen sinnvoll zu verwalten (vgl. gutachterliche Stellungnahme vom 29.11.2018, BI. 101 f d.A.), sodass ein Einwilligungsvorbehalt eingerichtet wurde. Nach ärztlicher Einschätzung ist er mit der Regelung seiner administrativen Angelegenheiten völlig überfordert (vgl. gutachterliche Stellungnahme vom 21.06.2017, BI; 7f der Betreuungsakte). Dementsprechend umfassend ist die eingerichtete Betreuung, was für sich betrachtet bereits erhebliche Zweifel an seiner Fähigkeit zur Selbstverteidigung begründet.

Der Umstand, dass der durch Einspruch angefochtene Strafbefehl auf die Rechtsfolgen beschränkt ist, steht dem nicht entgegen, weil die notwendige Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO nicht stets eine bestimmte Tatschwere voraussetzt. Außerdem muss sich der Angeklagte auch hinsichtlich der Rechtsfolgen, insbesondere der Tagessatzhöhe verteidigen können, was Kenntnisse über seine Einkunfts- bzw. Vermögenslage voraussetzt. Hierbei handelt es sich um einen von dem Aufgabenkreis des Betreuers ausdrücklich umfassten Bereich.

Auch die Tatsache, dass dem Angeklagten ein Berufsbetreuer bestellt ist, ändert nichts an der Voraussetzung des § 140 Abs. 2 StPO, da sich die Aufgaben eines Betreuers und die eines Verteidigers grundlegend unterscheiden. Das Gesetz stellt in § 140 Abs. 2 StPO auf die Person des Verfahrensbeteiligten und dessen Fähigkeiten zur Selbstverteidigung ab und nicht auf die seines gesetzlichen Vertreters.“

Und als zweite Entscheidung dann der LG Weiden i.d. OPf., Beschl. v. 20.04.2020 – 2 Qs 17/20. Das LG hat wegen Vorliegens einer schwierigen Rechtsfrage einen Pflichtverteidiger beigeordnet:

„Sie ist auch begründet. Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor nach § 140 Il StPO.

Es ist die Rechtsfrage zu prüfen, ob die Polizeibeamten ohne jeden Anlass die Identität des Angeklagten feststellen durften, ihn durchsuchen durften und ob der Zufallsfund des Betäubungsmittels verwertbar ist.“

Pflichti III: Beschuldigter unter Betreuung, oder: Nicht generell ein Pflichtverteidiger

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch der LG Münster, Beschl. v. 12.03.2020 – 9 Qs-82 Js 6888/19-14/20, mal wieder eine Entscheidung zur Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn der/die Beschuldigte unter Betreuung steht. Das LG hat die Bestellung abgelehnt:

„Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Weder die Schwere der Tat noch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen lassen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Es geht lediglich um den Kauf von drei Kleidungsstücken im Internet für insgesamt 12,00 € zuzüglich 4,80 € Versand. Dies zeigt sich auch daran, dass das Verfahren gemäß § 153 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde.

Die Sach- oder Rechtslage ist auch nicht schwierig. Es geht letztlich nur um die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Beschwerdeführerin.

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin nicht selbst verteidigen konnte. Dies ergibt sich nicht schon allein aus der Tatsache, dass sie unter gesetzlicher Betreuung stand. Vielmehr muss konkret anhand des jeweiligen Falles geprüft werden, ob die Fähigkeit zur Selbstverteidigung besteht oder nicht. Nach diesen Maßstäben kommt eine Beiordnung hier nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin stand seit dem 19.03.2018 unter gesetzlicher Betreuung für die Aufgabenkreise postalische Angelegenheiten, Vermögenssorge, Vertretung bei Behörden und Ämtern sowie Wohnungsangelegenheiten. Außerdem wurde zur Wirksamkeit von Willenserklärungen im Bereich der Vermögenssorge ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Aus dieser Art und diesem Umfang der gesetzlichen Betreuung lässt sich nichts herleiten. Aus dem Auszug der Betreuungsakte ergibt sich zwar, dass der Beschwerdeführerin bereits im Jahre 2011 eine gesetzliche Betreuung für den Bereich der Vermögenssorge nahegelegt worden war, sie aber den Kontakt zum sozialpsychiatrischen Dienst 2012 abgebrochen hatte. Zu einer erneuten Kontaktaufnahme kam es erst wieder im November 2017, weil sie psychische Probleme Katte und ihr aufgrund von Zahlungsrückständen* die Wohnung gekündigt• worden war. Außerdem war „ihr größtes Problem“ ein Haftbefehl, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte und nunmehr eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Tagen antreten musste, die sie dann auch verbüßt hat.

Aus diesen Umständen ergibt sich nicht, dass sie sich im vorliegenden Verfahren nicht selbst verteidigen kann. Soweit die Verteidigung unter Berufung auf das OLG Hamm eine andere Auffassung vertritt, greift dies nicht durch. Diese Entscheidung (Beschluss vom 14. August 2003 -2 Ss 439/03 -, Rn. 11, juris) betrifft einen ganz anderen Sachverhalt. Dort ging es um den Vorwurf einer Verkehrsunfallflucht und die Frage der subjektiven Wahrnehmbarkeit des Unfalls. Bei dem Angeklagten handelte es sich um einen 80-jährigen Mann, der seit sieben Jahren unter Betreuung stand und dessen Hörfähigkeit und damit die subjektive Wahrnehmbarkeit des Unfallgeschehens zweifelhaft-war. Das Oberlandesgericht hat nicht allein aufgrund der Tatsache der Betreuung, sondern aufgrund deren Dauer in Verbindung mit dem Alter bei dieser Verfahrens- und Beweissituation die Notwendigkeit einer Beiordnung bejaht. Dies ist mit den Umständen des vorliegenden Falles nicht vergleichbar.“

Nun ja. Kann man auch anders sehen und wird ja auch zum Glück teilweise anders gesehen.

Pflichti II: Betreuter im Strafvollstreckungsverfahren, oder: Pflichtverteidiger (nach altem Recht)?

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Die zweite Entscheidung zu den §§ 140 ff. StPO kommt mit dem OLG Celle, Beschl. v. 03.12.2019 – 2 Ws 352/19 – 355/19 – auch aus der „Altzeit“. Es geht noch einmal um die Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers für einen unter Betreuung stehenden Beschuldigten/Verurteilten. Hier war das im Strafvollstreckungsverfahren beantragt worden. Der Verurteilte hatte die Bestellung beantragt, die StVk hatte das abgelehnt. Mit der Beschwerde wird dann erstmals vorgetragen, „dass er (der Verurteilte) unfähig sei, seine Verteidigung selbst vorzunehmen. Er befinde sich in ärztlicher Behandlung der Institutsambulanz der Psychiatrie L.. Überdies sei eine gesetzliche Betreuung eingerichtet, die u.a. den Aufgabenkreis Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten umfasse. Vor diesem Hintergrund sei es ihm nicht möglich, seine verfahrensgemäßen Rechte selbst wahrzunehmen.“

Die StVK hat nicht abgeholfen. Das Rchtsmittel hatt dann auch beim OLG keinen Erfolg.

„Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verteidigers entsprechend § 140 Abs. 2 StPO im derzeit anhängigen Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung über die bedingte Entlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der zu vollstreckenden (Gesamt-)Freiheitsstrafen sind vorliegend nicht erfüllt.

Im Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage bzw. die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten. Es ist insoweit allerdings nicht auf die Schwere oder die Schwierigkeit im Erkenntnisverfahren, sondern auf die Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten oder auf besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren abzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 140 Rn. 33 m.w.N.). Die drei vorgenannten Merkmale sind einschränkend zu beurteilen, weil im Vollstreckungsverfahren in weitaus geringerem Maße als im Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht (vgl. BVerfG NJW 2002, 2773).

Bei der Entscheidung, ob im Strafvollstreckungsverfahren wegen der Schwere des Vollstreckungsfalles ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, haben die Dauer der zu vollstreckenden Strafe sowie der Strafrest außer Betracht zu bleiben (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 07.06.2012– 1 Ws 234/12 -; OLG Hamm, StraFo 2002, 29; OLG Celle, Beschluss vom 10.09.2019 – 2 Ws 258/19 -). Es ist unerheblich, dass dem Verurteilten bis zur Vollverbüßung noch ein Strafrest von mehr als einem Jahr droht.

Eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass vorliegend drei divergierende Einschätzungen der Vollzugsanstalt vorliegen und die Staatsanwaltschaft(-en) bislang keine abschließende Stellungnahme abgegeben haben. Zwar können eine unterschiedliche Beurteilung der Sach- oder Rechtslage sowie Schwierigkeiten bei der Ermittlung des zugrunde zu legenden Sachverhalts grundsätzlich die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich machen (vgl. Thomas/Kämper in: MüKo, 1. Aufl. 2014, StPO, § 140 Rn. 41). Hier beruhen jedoch die voneinander abweichenden prognostischen Einschätzungen der JVA H. auf dem Vorwurf, dass der Verurteilte versucht habe, eine Urinprobe zu manipulieren. Dieser im Vollzugsalltag keineswegs unübliche Vorwurf stellt keine tatsächliche oder rechtliche Komplikation dar, der nur durch die Beiordnung eines Pflichtverteidigers begegnet werden könnte.

Die Verteidigungsfähigkeit des Verurteilten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen. Unfähigkeit zur Selbstverteidigung liegt immer dann vor, wenn der Verurteilte nicht in der Lage ist, seine Interessen selbst zu wahren oder zumindest erhebliche Zweifel an seiner Eignung hierzu bestehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, SPO, 61. Aufl. 2018, § 140, Rn. 30). Der Umstand, dass der Verurteilte unter rechtlicher Betreuung steht, stellt insoweit lediglich ein Indiz dar, das für sich allein genommen erhebliche Zweifel an der Fähigkeit zur Wahrnehmung der eigenen Interessen nicht zu begründen vermag. Vielmehr ist erforderlich, dass kumulativ noch weitere Gesichtspunkte wie etwa ein fortgeschrittenes Lebensalter des Verurteilten, eine erhebliche psychiatrische Erkrankung (z.B. hirnorganischer Abbau, intellektuelle Minderbegabung oder eine dissoziale Persönlichkeitsstörung), eine Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten oder aber die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt hinzukommen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2003 – 2 Ss 439/03 -; Beschluss vom 30.08.2000 – 2 Ws 201/00 -; Beschluss vom 05.11.1999 – 2 Ws 325/99 -). Solche Umstände liegen hier nicht vor.

Im Übrigen wird die Annahme einer ausreichenden Verteidigungsfähigkeit des Verurteilten dadurch gestützt, dass er in seinem selbst verfassten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen seine Ablösung aus dem offenen Vollzug vom 17. Oktober 2019 den komplexen Sachverhalt in sich schlüssig darstellen, die bedeutsamen Gesichtspunkte darstellen und mit Daten belegen konnte. Dass dieses Schreiben von einer anderen Person verfasst worden sei und deshalb nicht ergänzend herangezogen werden könnte (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 05.10.2012 – 1 Ws 405/12 -), lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.“

Die Diskussion um die Anwendung der §§ 140 ff. stPO im Strafvollstreckungsrecht werden wir auch nach neuem Recht führen. Alle anderen angesprochen Fragen wird man neu überdenken müssen.

Pflichti III: Angeklagter unter Betreuung, oder: Unfähigkeit der Selbstverteidigung

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Und als letzte Entscheidung dann mal etwas Erfreuliches, nämlich den LG Konstanz, Beschl. v. 27.05.2019 – 3 Qs 39/19. Er nimmt zur Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers Stellung, wenn der Angeklagte  unter Betreuung steht, und zwar wegen ADHS. Die Betreuung umfasst die Aufgabenkreise Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post,  Vertretung in Strafermittlungs-, Straf- und Strafvollstreckungssachen.

Das AG hatte die Bestellung abgelehnt, das LG hat demgegenüber beigeordnet:

„Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist eine Pflichtverteidigerbestellung unter anderen dann notwendig wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, nicht selbst verteidigen kann. Die Bestellung ist aber auch schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung zumindest erhebliche Zweifel bestehen (OLG Hamm NJW 2003, 3286, 3287; OLG Frankfurt a.M. StV 1984, 370; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, § 140 StPO Rn. 30).

Solche erhebliche Zweifel bestehen hier. Das Amtsgericht Singen — Betreuungsgericht — kam auf Grundlage eines ärztlichen Zeugnisses und einer persönlichen Anhörung des Betroffenen zu der Einschätzung, dass B.S. nicht in der Lage ist, Angelegenheiten in Strafsachen ausreichend zu besorgen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Einschätzung des Betreuungsgerichts begründen, weshalb diese Einschätzung auch bei der Pflichtverteidigerbestellung und der Frage, ob der Angeklagte zur Selbstverteidigung in der Lage ist, berücksichtigt werden muss.

Der Umstand, dass der Angeklagte eine (berufsmäßige) Betreuerin hat, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, macht die Pflichtverteidigerbestellung nicht entbehrlich, da sich die Aufgaben eines Betreuers und die eines Verteidigers grundlegend unterscheiden (vgl. OLG Nürnberg StraFo 2007, 418). Ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Vertretung in Strafsachen kann beispielsweise Strafantrag für den Betreuten stellen oder als Beistand auftreten (§ 149 Abs. 2 StPO). Die Strafverteidigung als solche ist jedoch nicht Aufgabe eines Betreuers.“

 

Pflichti II: Unfähigkeit der Selbstverteidigung, oder: Beschuldigter steht unter Betreuung

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Und die zweite Entscheidung zur Pflichtverteidigerbestellung kommt aus Berlin. Das LG Berlin stellt im LG Berlin, Beschl. v. 19.09.2018 – 502 Qs 102/18 – fest: Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, wenn der Angeklagte unter Betreuung steht (Aufgabekreis die Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge, die Vertretung vor Behörden und Institutionen, Wohnungsangelegenheiten sowie die Geltendmachung von Ansprüchen nach SGB I-XII). Die Entscheidung kommt vom Kollegen Kümmerle aus Berlin, ist schon etwas älter – die Entscheidung 🙂 -, das liegt aber nicht am Kollegen sondern an der Technik. Seine Mail hatte mich zunächst nicht erreicht.

Das LG hat die Ablehnung der Bestellung durch das AG aufgehoben. Zur Begründung führt es aus:

Diese Beschluss war aufzuheben und ihm ein Pflichtverteidiger beizuordnen, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vorliegt, denn es ist ersichtlich, dass der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann.

Der Angeklagte steht unter Betreuung. Der Aufgabekreis umfasst die Aufenthaltsbestimmung, die Vermögenssorge, die Vertretung vor Behörden und Institutionen, Wohnungsangelegenheiten sowie die Geltendmachung von Ansprüchen nach SGB I-X11. Damit ist belegt, dass der Angeklagte besonders umfassend unter Betreuung steht, was erhebliche Zweifel an seiner Fähigkeit zur Selbstverteidigung begründet (vgl. OLG Hamm, NJW 2003, S. 3286, 3287; Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl. 2018, § 140, Rn. 30; Thomas/Kämpfer, MüKo-StPO, 1. Aufl. 2014, § 140, Rn. 49; LaufhütteNVillnow, KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 140, Rn. 24; Lüderssen-Jahn, LR-StPO, 26. Aufl. 2007, § 140, Rn. 97 ff.).

Der Umstand, dass der durch Einspruch angefochteneStrafbefehl lediglich auf eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen lautet, steht dem nicht entgegen, weil die notwendige Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO nicht stets eine bestimmte Tatschwere voraussetzt (vgl. auch OLG Hamm a.a.O.). Außerdem muss sich_ der Angeklagte auch hinsichtlich der Tagessatzhöhe verteidigen können, was Kenntnisse über seine Einkunfts- bzw. Vermögenslage voraussetzt, und hierbei handelt es sich um einen von dem Aufgabenkreis des Betreuers ausdrücklich umfassten Bereich.“