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Bestellung von BtM via Internet, oder: Auch AG Tiergarten eröffnet das Hauptverfahren nicht

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Ich habe ja schon einige Entscheidungen zum „Internet)Handeltreiben mit Betäbungsmitteln vorgestellt, in denen die Amtsgerichte das Hauaptverfahren nicht eröffent haben (vgl. dazu den AG Iserlohn, Beschl. v. 10.03.2017 – 16 Ds 139/17  und dazu Kauf von Kokain im Darknet, oder: Das kann man im Zweifel nicht nachweisen und den AG Köln, Beschl. v. 19.12.2016 – 543 Ds 437/16 und dazu Handel mit Amphetamin und MDMA aus den Niederlanden, oder: Wer hat bestellt? und den AG München, Beschl. v. 17.03.2017 – 1112 Ds 362 Js 230003/15 – Bestellung von BtM via Internet, oder: Auch AG München stellt ein).

In die Reihe passt der AG Tiergarten, Beschl. v. 20.06.2018 – (268 Ls) 273 Js 5719/16 (56/17)  -, den mit der Kollege Schoenrock aus Berlin hat zukommen lassen. Auch das AG Tiergarten hat die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt:

„Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 21.08.2017 zur Last gelegt, zwischen dem 30.01. und 02.04.2016 durch vier selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben (SS 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 53 StGB).

Der Angeschuldigte bestellte an folgenden Tagen über Internet über die Website „chemical-love. to“ bzw. „chemical-love.cc“ folgende Betäubungsmittel zum Versand an seine Berlin:

  1. Am 03.01.2016: 50 g Amfetamin
  2. Am 30.01.2016: 100 g Amfetamin und 5 Stück pinkfarbene Tabletten des Wirkstoffes MDMA (3,4-Methylendioxymethamfetamin)
  3. Am 29.02.2016: 100 g Amfetamin
  4. Am 02.04.2016: 100 g Amfetamin

Der Angeschuldigte handelte in allen Fällen in der Absicht, die Substanzen gewinnbringend zu verkaufen. Zudem war ihm jeweils bewusst, dass er nicht über die zum Vertrieb der genannten Substanzen erforderliche Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügte.

Verbrechen, strafbar nach §§ 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III, 3 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 53 StGB

Zwar gibt es eine Packliste, die bei den Betreibern des Webshops „chemicaI-Love“, aus der sich als billing-address und shipping address der Name und die Anschrift des Angeklagten ergibt. Aus dem bei ihm sichergestellten Lebenslauf des Angeklagten ergibt sich, dass er Amphetamin, Kokain und Heroin konsumierte.

Es kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob der Angeklagte die Betäubungsmittel selbst bestellt und auch tatsächlich selbst erhalten hat. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er mit Betäubungsmittel Handel getrieben hat. Aus seinem Lebenslauf ergibt sich darüber hinaus nicht, wann er Amphetamin in welchen Mengen konsumiert hat.

Bei der Wohnungsdurchsuchung sind keine Betäubungsmittel sichergestellt worden.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens war daher gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.

Entziehung der Fahrerlaubnis?, oder: Unfallflucht mit einem Carsharing-Pkw

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Und die letzte Entscheidung im „Verkehrsrechtstrio“ kommt dann heute auch aus Berlin. Es handelt sich um den AG Tiergarten, Beschl. v. 21.03.2018 – (297 Gs) 3012 Js 1679/18 (47/18) , ergangen in einem Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB). Es geht um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und in dem Zusammenhang um den Begriff des „bedeutenden Schadens“ i.S. v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Schaden war nämlich nur an dem vom Beschuldigten selbst geführten Pkw entstanden. Den hatte der Beschuldigte im Rahmen von Carsharin gemietet. Das AG sagt/meint: Das reicht aus:

„Dem steht nicht entgegen, dass nach den bisherigen Erkenntnissen ein Schaden nur an dem von dem Beschuldigten selbst geführten PKW entstanden ist. Denn der Beschuldigte ist nicht Eigentümer, sondern Mieter des geführten Fahrzeugs und unterliegt daher gegenüber dem Vermieter der sich aus § 142 StGB ergebenden Feststellungspflicht (OLG Celle NdsRpfl 1977, 250; LG Darmstadt MDR 1988, 1072 – jeweils nach juris -). Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, in Fällen des berechtigten Führens eines im fremden Eigentum stehenden Fahrzeugs reiche ein Schaden an diesem Fahrzeug für eine Strafbarkeit nach § 142 StGB und eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht aus (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 69 Rdnr. 27) und dies solle auch bei einem gemieteten Fahrzeug gelten (Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht (MüKoStVR)/Schwerdtfeger, StGB, § 142 Rdnr. 28; Geppert in: Laufhütte u.a. StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 142 Rdnr. 72). Dieser Auffassung mag in Fällen der klassischen Autovermietung zuzustimmen sein, in denen der Vermieter das Fahrzeug mangelfrei an den Mieter übergibt und bei jeder Rückgabe kontrolliert, ob das Fahrzeug mangelfrei zurückgegeben wird. Die Fälle des „Carsharing“ unterscheiden sich davon jedoch in dem entscheidendem Punkt, dass hier gerade keine Kontrolle des Zustandes des Fahrzeugs bei dessen Rückgabe stattfindet, denn das Fahrzeug wird nach Ende der Nutzung durch den Mieter irgendwo stehen gelassen und dort irgendwann von einem späteren Mieter übernommen, ohne dass irgendwelche Zustandskontrollen durch den Vermieter stattfinden. In derartigen Fällen ist die Zuordnung eines (irgendwann) festgestellten Schadens zu einem bestimmten Mieter dem Vermieter nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten möglich. Aus diesem Grund erstreckt sich der Schutzbereich des § 142 StGB jedenfalls in Fällen des „Carsharing“ auch auf den Vermieter des Fahrzeugs. Da der Schaden im vorliegenden Fall nach den bisherigen Erkenntnissen 8.177,95 Euro netto beträgt und bereits von den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten auf ca. 5.000,00 Euro geschätzt wurde, bestehen dringende Gründe für die Annahme der späteren Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB).“

Trunkenheitsfahrt, oder: Waren die „Schlangenlinien“ alkoholbedingt?

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um das AG Tiergarten, Urt. v. 30.04.2018 – 312 Cs 3014 Js 13969/17 (13/18). Angeklagt war der Angeklagte wegen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB). Verurteilt worden ist er wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG. Das AG hat zwar eine BAK von 1,0 Promille zur Tatzeit festgestellt, das hat aber nicht gereicht. Denn: Das AG konnte keine alkoholbedingten Fahrfehler feststellen. Es hatte zwar Folgendes feststellen können:

„Der Angeklagte war während der Fahrt auf der mehrspurigen Straße Alt-Mahlsdorf mindestens zweimal um mindestens 1 m nach rechts in die rechts neben ihm befindliche, etwa 3,5 Meter breite Fahrspur gefahren und hatte sodann zügig, aber ohne Verreißen des Steuers, zurück in seine Spur gelenkt. Auch in dieser Spur bewegte er sich teilweise geringfügig nach rechts oder links, ohne jedoch die Spurbegrenzungslinien zu überfahren. Darüber hinaus bremste der Angeklagte sein Fahrzeug an der Kreuzung zur Hultschiner Straße bei eingetretenem Rotlicht der Lichtzeichenanlage relativ spät ab, ohne jedoch die Haltelinie zu überfahren. Nach Anhalten des Angeklagten durch die Zeugen M. und M. konnten diese lediglich aus dem Fahrzeug heraus Alkoholgeruch (ohne Zuordnung zu einer konkreten Person) und bei dem Angeklagten gerötete Bindehäute feststellen. Weitere alkoholtypische Ausfallerscheinungen zeigte der Angeklagte hingegen nicht.“

Das hat dem AG nach einer umfangreicheren Beweiswürdigung nicht gereicht:

„Insoweit hat die Zeugin M. zwar angegeben, von alkoholbedingten Fahrfehlern während der Nachfahrt ausgegangen zu sein und klassisches Schlangenlinienfahren wahrgenommen zu haben. Diese Einschätzung ist jedoch nach den berichteten Fahrfehlern nicht tragfähig. Ein zwei- bis dreimaliges Überfahren der Spurbegrenzungslinie auf einer Strecke von mehreren Kilometern sowie ein problemloses und zügiges Zurücklenken in die eigene Fahrspur stellen eben kein klassisches Schlangenlinienfahren dar. Dazu wäre ein deutlich häufigeres Überfahren der Spurbegrenzungslinien sowie ein entweder sehr langsames oder ein ruckartiges Zurücklenken zu erwarten gewesen. Auch das nach der subjektiven Einschätzung des Zeugen M. gegebene, einmalige späte Bremsen bzw. vermeintlich zügige anfahren des Angeklagten belegen keine alkoholbedingten Fahrfehler. Dabei ist schon zu berücksichtigen, dass die entsprechenden Einordnungen eine Wertung darstellen und von dem Zeugen M. nicht konkretisiert werden konnten. Dabei hat er zu den Abständen zu Haltelinie bei Eintritt der Bremsung bzw. des Beschleunigungszeitraums bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h nichts ausführen können.

Darüber hinaus wäre auch ein spätes Bremsen durch die Müdigkeit des Angeklagten bzw. dessen Abgelenktheit erklärbar. Ob ein (vermeintlich) zügiges Anfahren der allgemeinen Fahrgewohnheit des Angeklagten entspricht, ist ebenso unbekannt.“

Schöner Erfolg für den Kollegen Kroll aus Berlin, der das Urteil erstritten hat. Und für seinen Mandanten sicherlich/hoffentlich ein Warnschuß.

Eindeutiger Meldeschriftsatz für Schadenregulierung eines Verkehrsunfalles, oder: Keine Verteidigervollmacht

entnommen openclipart.org

Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich ebenfalls um eine AG-Entscheidung, und zwar um den AG Tiergarten, Beschl. v. 07.03.2018 – (297 OWi) 3022 Js-OWi 1116/18 (110/18). Er kommt aus der Rubrik/dem Reservoir: Vollmacht und Verjährung. Ergangen ist er in einer Bußgeldsache, die in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall gegen den Betroffenen anhängig war. In der Sache wird der Bußgeldbescheid an den Rechtsanwalt als Verteidiger des Betroffenen zugestellt. Der hatte sich bis dahin aber nur mit einem  „Meldeschriftsatz“ gemeldet, in dem es geheißen hat, „von seiner „Mandantschaft … in der Schadenregulierung des Verkehrsunfalles vom 17.07.2017 … mit der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Interessen beauftragt“ worden zu sein.“

Das AG sagt: Das reicht nicht, um als „Verteidiger“ ausgestattet mit einer Zustellungsvollmacht angesehen zu werden:

„Aus dieser eindeutigen Formulierung – die auch nicht dem bewusst missverständlichen Vorgehen von Verteidigern in den Fällen der sog. „Verjährungsfalle“ entspricht (vgl. hierzu Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 33 Rdnr. 35) – ergab sich unmissverständlich, dass eine Vertretung nur für zivilrechtliche Fragen vorliegt, nicht jedoch auch für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Einen Grundsatz, dass ein Rechtsanwalt im Zweifel immer als Verteidiger auftritt, gibt es nicht (Göhler a.a.O. § 51 Rdnr. 44a).

Daran ändert auch nichts, dass in der hierzu mit Schriftsatz vom 15.08.2017 nachgereichten Vollmachtsurkunde formularmäßig „zur Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen …“ aufgeführt ist. In Fällen, in denen – wie hier – die Vollmachtsurkunde eine Vertretung in weiteren Bereichen ausweist als im Meldeschriftsatz angegeben, geht der Wortlaut des Meldeschriftsatzes vor. Denn für eine wirksame Vertretung genügt es nicht, dass der Mandant den Rechtsanwalt mandatiert und eine entsprechende schriftliche Vollmacht unterzeichnet, sondern die Mandatierung muss erst noch von dem Rechtsanwalt angenommen werden, um wirksam zu werden. In welchem Umfang sie angenommen wurde, ergibt sich in aller Regel aus dem Schriftsatz, mit dem sich der Rechtsanwalt erstmals zum Verfahren meldet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, Vorb. § 137 Rdnr. 4).

Erst mit dem Einspruchsschreiben vom 19.10.2017, dem eine formularmäßige „Strafprozessvollmacht“ vom 18.10.2017 beigefügt war, hat sich der Rechtsanwalt zum hiesigen Ordnungswidrigkeitverfahren als Verteidiger des Betroffenen gemeldet. Diese spätere Verfahrensentwicklung vermag jedoch nicht die unzulässigerweise an ihn erfolgte Zustellung des Bußgeldbescheides nachträglich zu heilen, weil vorliegend nicht von einem Fall der sog. „Verjährungsfalle“ auszugehen ist (vgl. dazu OLG Düsseldorf NJW 2008, 2727).“

Nun ja, so weit so gut…. Allerdings: Warum eigentlich noch eine Vollmacht „nachgereicht“…..?

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Unfallflucht, oder: Der Beschuldigte muss nicht schlauer als die Polizei sein

entnommen wikimedia.org
Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Heute dann „Thementag“ Verkehrsrecht. Und ich starte mit einem kleinen, aber feinen Beschluss, und zwar dem AG Tiergarten, Beschl. v. 05.12.2017 – (311 Gs) 3041 Js 12898/17 (202/17). Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Das AG hat (s)einen Beschluss betreffend vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte bei der Halterüberprüfung durch die Polizeibeamten nicht ausreichend belehrt worden ist.

Auch besteht hinreichender Tatverdacht dahin gehend, dass der Beschuldigte den Unfall wahrgenommen hat und sich in Kenntnis des Unfalls vom Unfallort entfernt hat.

Da aber selbst die Polizeibeamten vor Ort den Fremdsachschaden auf lediglich 500,00 € geschätzt haben, liegt kein dringender Tatverdacht dahingehend vor, dass der Beschuldigte wusste oder nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten wissen konnte, dass ein bedeutender Fremdsachschaden eingetreten ist.“

Klein, aber fein ist der Beschluss wegen des letzten Satzes. Etwas Besseres als ein Verschätzen – was hier offenbar geschehen ist – durch die Polizeibeamten, die den Fremdschaden aufgenommen haben, kann dem Beschuldigten im Hinblcik auf den für die Regelentziehung nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB gar nicht passieren. Denn der Beschuldigte muss ja nicht schlauer als die Polizei sein 🙂 .