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Besetzung II: Wer entbindet Schöffen wegen Urlaubs?, oder: In Berlin z.T. eigenständig die Geschäftsstelle

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Manchmal bin ich über Beschlüsse, die mir Kollegen zuschicken erstaunt. Denn an sich gehe ich davon aus, dass mich so schnell besondere „Verfahrensgestaltungen“, die sich Gerichte überlegt haben, nicht mehr überraschen, weil sich viele Dinge ja gleichen. Manchmal trifft man aber doch auf etwas „Neues“, zumindest für mich.

So ist es mir bei dem AG Tiergarten, Beschl. v. 14.07.2021 -217b AR 62/21 -, den mir der Kollege Elobied aus Berlin geschickt hat, ergangen. Er betrifft im Grunde auch eine Frage in Zusammenhnag mit der Gerichtsbesetzung, was ich so noch nicht erlebt habe. Es scheint nämlich wohl beim AG Tiergarten die Praxis zu bestehen, dass zumindest einige der dort tätigen Richter die Entbindung von Schöffen von der Dienstleistung wegen Urlaubs an die Geschäftsstelle delegiert haben, die diese eigenständig vornehmen, ohne dass der jeweils zuständige Richter hieran beteiligt ist.

So auch in einem Verfahren, in dem der Kollege Elobied verteidigt. Er hat das zum Anlass genomme, die zuständige Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Aber – warum wundert mich das nicht? – das AG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen:

„Die zulässigen Ablehnungsanträge sind unbegründet.

Gemäß § 24 Abs. 2 StPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dieses ist nach ständiger Rechtsprechung dann gegeben, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen habe, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann, indem sie ein persönliches, parteiliches Interesse des Richters – sei es wirtschaftlicher, ideeller, politischer oder rein persönlicher Art — am Verfahrensgang- und am Ausgang des Verfahrens begründet.

Maßgebend ist hier der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 24 Rn. 8 Rn. w. N).

Der dargestellte unstreitige Sachverhalt rechtfertigt für die Angeklagten bei vernünftiger und verständiger Betrachtung auch aus deren Perspektive nicht die Annahme, die abgelehnte Richterin würde ihnen gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und. Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Zwar ist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 GVG der Richter beim Amtsgericht für die Entscheidung über die Entbindung von Schöffen von der Pflicht zur Dienstleistung zuständig:

Jedoch stellen Verfahrensverstöße grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar, sofern sie nicht den Anschein der Willkür erwecken (vgl. BGH NStZ 2010, 342).

So liegt der Fall hier.

Wie von den Verteidigern ausgeführt und der abgelehnten Richterin bestätigt, handelt es sich bei der oben geschilderten Praxis um eine solche, die von mindestens fast allen Wirtschaftsabteilungen des Amtsgerichts Tiergarten so gehandhabt wird.

Auch die abgelehnte Richterin lässt diese-Praxis in allen Verfahren zu.

Dies zeigt, dass diese Vorgehensweise sich gerade nicht auf einen der hier Angeklagten bezieht und somit keine verfahrensbezogene Willkür gegeben. ist.

Es ist auch abwegig, aus dieser von vielen Richtern des Amtsgerichts so gehandhabten Praxis den Schluss zu ziehen, der abgelehnten Richterin würden auch andere Verfahrensgarantien gleichgültig sein. Hierfür ist weder ein Anhaltspunkt vorgetragen noch sonst ersichtlich.“

Na ja, markige Worte des entscheidenen Amtsrichters. „Abwegig“ ist immer als Totschlagargument gut (oder auch nicht). Aber kein Wort zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – „gesetzlicher Richter“ und auch kein Wort dazu, dass es sich um eklatante Verletzung der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 GVG vorgegebenen Zuständigkeiten handelt. Und warum soll der Umstand, dass sich offenbar viele Amtsrichter beim AG Tiergarten so verhalten gegen die Besorgnis der Befangenheit und Willkür sprechen. Weil es alles bewusst falsch machen, macht es doch nicht besser.

Ich kann nur hoffen, dass die Frage dann vielleicht doch mal das KG beschäftigt.