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StPO I: Rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers, oder: Eine kleine Rechtsprechungsübersicht

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Ich stelle heute dann StPO-Entscheidungen vor, und zwar vornehmlich Pflichtverteidigungsentscheidungen vor. Da hat sich in den letzten Wochen einiges angesammelt, was mir die Kollegen geschickt haben. Allen besten Dank.

Zunächst kommen Entscheidungen zur Frage der rückwirkenden Beiordnung. Da es so viel ist, mache ich hier mal nur eine kleine Rechtsprechungsübersicht. Unterteilt in: „Pro“ und „Contra“.

Ja, inzwischen gibt es einige Entscheidungen, die entgegen der wohl h.M. die rückwirkende Bestellung ablehnen. Teilweise hat man zumindest den Versuch einer Begründung unternommn, die sich aber letztlich immer nur auf das Argument: „Pflichtverteidigung dient nicht dem Kosteninteresse des Verteidigers“ zurückzieht. Und dann wird häufig auch nur alte Rechtsprechung bzw. Rechtsprechung zum neuen Recht zitiert, die sich selbst dann nur auf alte Rechtsprechung bezieht. Nicht so toll. Wenn man schon ablehnt, sollte man es vielleicht mal mit neuen Argumenten versuchen und nicht nur das Mantra der OLG zum alten Recht wiederholen.

Hier dann also:

Pro rückwirkende Bestellung

Contra rückwirkende Bestellung

Pflichti II: Pflichtverteidiger im KiPo-Verfahren, oder: Beim LG Ansbach nicht….

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Im zweiten Posting geht es dann um die Beiordnungsvoraussetzungen in § 140 StPO. Ich hatte ja schon auf zwei Entscheidungen des LG Halle zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in den sog. KiPo-Verfahren hingewiesen (vgl. LG Halle, Beschl. v. 12.08.2020 – 10a Qs 77/20  und dazu Pflichti II: Kipo-Verfahren, oder: Das gibt es wegen der Akteneinsicht auf jeden Fall einen Pflichtverteidiger und LG Halle, Beschl. v. 29.06.2020 – 10a Qs 59/20 und dazu: Pflichti III: Einmal Bestellung in einem “Kipo-Verfahren” wegen Akteneinsicht, oder: Einmal “Tatschwere”). In beiden Entscheidungen hatte das LG einen Pflichtverteidiger wegen der Möglichkeit der Akteneinsicht bestellt.

Nun, das wird nicht überall so gesehen. Das LG Ansbach – warum wundert es mich nicht, wenn es ein bayerisches LG ist – sieht das im LG Ansbach, Beschl. v. 12.10.2020 – 3 Qs 49/20 – anders:

Ergänzend bemerkt die Kammer: Eine notwendige Verteidigung ergibt sich hier nicht aufgrund der Schwierigkeit der Sachlage nach § 140 Abs. 2 Alt. 3 StPO. Die Kammer ist insoweit anderer Auffassung als die vom Verteidiger genannte Entscheidung des Landgerichts Halle im Beschluss vom 12.08.2020, Az: 10a Qs 77/20.

„Dem Beschuldigten steht ein eigenständiges Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 4 StPO zu.

Da Beweisstücke – hier der Lichtbildband im Sonderheft zur Ermittlungsakte – in amtlichem Gewahrsam verbleiben müssen, hat der Verteidiger nur einen Anspruch auf Einsichtnahme (OLG Frankfurt a. M. StV 2001, 611). Der Beschuldigte hat das Recht, hierbei anwesend zu sein. Ist der Beschuldigte unverteidigt, hat er ein eigenes Besichtigungsrecht gem. Abs. 4 S. 1 nF iVm Abs. 1 (BeckOK StPO/Wessing, § 147  Rn. 23). Die Einschränkungen des Abs. 4 betreffen namentlich Verdunklungsgefahr (hier nicht gegeben) und den Schutz persönlicher Daten (etwa von Zeugen, (KK-StPO/Willnow, § 147 Rn. 14). Ein solcher Fall des notwendigen Schutzes schutzwürdiger Interessen Dritter ist hier nicht zu besorgen.

Es handelt sich zunächst um Daten, die mutmaßlich bereits zuvor im (illegalen) Besitz des Beschuldigten gewesen sind, so dass insoweit schon keine Vertiefung eines möglicherweise vorliegenden Eingriffs in die schutzwürdigen Interessen Dritter zu befürchten ist. Die geschädigten Kinder bleiben anonym. Feststellungen zum Inhalt der gesicherten Bilddateien sind jedenfalls im Rahmen der Hauptverhandlung zu treffen, sodass in der Abwägung der Interessen der Strafrechtspflege und den Interessen der abgebildeten Personen ein möglicher Eingriff in deren Persönlichkeitsrechts gerechtfertigt ist. Insoweit ist es auch gerade nicht Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass dem Beschuldigten kein eigenständiges Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 4 StPO zustehen würde. Etwas anderes folgt auch nicht aus Nr. 220 RiStBV, der ausdrücklich auf ein Akteneinsichtsrecht auf der Geschäftsstelle nach § 147 Abs. 4 StPO Bezug nimmt.“

„die mutmaßlich bereits zuvor im (illegalen) Besitz des Beschuldigten gewesen sind, so dass insoweit schon keine Vertiefung eines möglicherweise vorliegenden Eingriffs in die schutzwürdigen Interessen Dritter zu befürchten ist.“ – das kann man auch anders sehen. Oder muss man das sogar anders sehen?

Mietwagenkosten, oder: Der vom Vermieter eingeschaltete „Vermietungsassistent“ ist im Gespräch

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Als erstes weise ich am heutigen Samstag hin auf das AG Weißenburg, Urt. v. 25.08.2017 – 2 C 192/17 -, zu dem der LG Ansbach, Beschluss v. 11.12.2017 – 1 S 970/17 – ergangen nach § 522 Abs. 2 ZPO gehört. Es geht um erstattungsfähige Mietwagenkosten bei Einschaltung eines „Vermietungsassistenten“. Die Klägerin macht nach einem Verkehrsunfall Ersatz von Mietwagenkosten geltend.  Dabei versuchte die Klägerin nachzuweisen, dass ihr zum Zeitpunkt der Anmietung kein günstigerer Tarif zur Verfügung stand, da sie sich bei anderen Mietwagenunternehmen nach günstigeren Tarifen erkundigt hätte, dies aber erfolglos geblieben wäre. Hierfür wurde ein sog. „Vermietungsassistent“ eingeschaltet, der als Mitarbeiter des von der Klägerin letztendlich ausgewählten Unternehmens bei mehreren anderen Konkurrenzanbietern anrufen sollte, um sich dort nach anderen Anmietmöglichkeiten mit den verbundenen Preisen zu erkundigen und so zu belegen, dass der Klägerseite kein günstigerer Tarif zur Verfügung gestanden hätte.

Das AG geht davon aus, dass die erstattungsfähigen Mietwagenkosten im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens nach dem Fraunhofer Mietpreisspiegel für die Bestimmung des sogenannten Normaltarifs zu schätzen wären, der aufgrund der anonymen Befragung vorzugswürdig wäre. Soweit die Klägerseite allerdings einen höheren Tarif verfolgen würde, wäre dieser nicht zu erstatten. Dies auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behauptung der Klägerin, dass ihr kein günstigerer Tarif zur Verfügung stünde. Ein solcher Nachweis könnte nicht durch die Einschaltung eines „Vermietungsassistenten“ des vom Geschädigten selbst beauftragten Mietwagenunternehmens erbracht werden. Das Konzept der Einschaltung eines solchen Vermietungsassistenten wäre bereits vom Ansatz her ungeeignet, um eine ordnungsgemäße Preisabfrage durchzuführen und zugunsten des Geschädigten ein reales Ergebnis am Markt zu erzielen.

Das LG stützt diese Auffassung des AG und verweist dazu auf eine Verfügung des OLG Nürnberg v. 08.11.2017 – 8 U 657/17, in der es zu der Frage heißt:

„Der Senat teilt auch unter Berücksichtigung der Angriffe der Berufung die Auffassung des Landgerichts, dass das vom Kläger zur Anwendung gebrachte Konzept, für die Kunden durch seine Vermietungsassistenten die Zugänglichkeit eines günstigeren Tarifs zu prüfen, bereits vom An­satz her ungeeignet ist. Das Landgericht konnte deshalb auch auf die Einvernahme der als Zeu­gen benannten Vermietungsassistenten verzichten, da sich die Ungeeignetheit des Konzepts bei Wahrunterstellung des Vortrags des Klägers aus diesem selbst ergibt.

Es bedarf keiner Vertiefung, dass die Vermietungsassistenten des Klägers anders als ein neutra­ler Dritter ein Interesse am Ergebnis der Tarifprüfung in dem Sinne haben, dass die Anfrage kein günstigeres Angebot als das Angebot des Klägers ergibt. Dass die Vermietungsassistenten keine Antwort auf Preisanfragen erhalten, wenn sie sich als Mitarbeiter eines Konkurrenzunternehmens „outen“, ist evident Dies wurde auch von den Zeugen pp. dem Landgericht bestätigt. Nach der vorgelegten Dienstanweisung des Klägers (Anl. K 1) sind die Vermietungsassistenten aber gehalten, ihre Stellung offenzulegen: „Wir schildern dem Ge­genüber, dass wir einen Geschädigten vor uns sitzen haben, der einen unverschuldeten Unfall hatte …“. Selbst wenn man den Vermietungsassistenten eine „anonyme“ Anfrage zugesteht, sind sie verpflichtet, ihrem Gesprächspartner alle für eine Preisnennung erforderlichen Angaben zu lie­fern,  wie dies auch dem Geschädigten zuzumuten wäre. Hierzu gehört auch die Benennung der gegnerischen Haftpflichtversicherung, die bei einem unverschuldeten Unfall sich jeder Geschädigte geben lassen wird, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt aufwendet. Einen Zeitverlust durch das Fehlen dieser Information und eine entsprechende Einholung der Information muss ein Geschädigter ggf. in Kauf nehmen. Hinzu kommt, dass die              bekundet hat, dass ihr in wenigen Minuten die Abklärung der gegnerischen Versicherung auc alleine mit dem Kennzei­chen eines beteiligten inländischen Fahrzeuges möglich ist. Die pp. haben bekundet, dass ein als tatsächlich Unfallgeschädigter erkennbarer Anrufer, der die entspre­chenden Informationen liefern kann, auch eine Preisauskunft erhält. Insofern kann es die Geschädigten nicht entlasten, wenn die Vermietungsassistenten bei Zentralnummern in der Warteschlei­fe hängen bleiben und nach einigen Minuten auflegen: Exemplarisch dafür, wie fehleranfällig das vom Kläger angewandte Konzept ist, darf auf die Anlage K 54verwiesen werden. Dort antwortete der Vermietungsassistent auf die Frage nach der Versicherung durch eine Mitarbeiterin der Fa. pp. am 25.042014 um 9:48 Uhr, dass er diese nicht nennen könne, weil der Unfall erst passiert ist und die Daten noch nicht bekannt seien. Tatsächlich hatte der Unfall bereits am 23.04.2014 um 18:05″ Uhr stattgefunden (Anl. K 30). Die Beklagte. war bereits im Mietvertrag vom 24.04.2014 als Versicherung aufgeführt.“

Durchsuchung I: Durchsuchung ohne Anfangsverdacht führt zu einem Beweisverwertungsverbot

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Am  ersten Arbeitstag des Jahres 2018 zunächst noch einmal allen Lesern/Leserinnen, Followern usw. ein frohes und glückliches Neues Jahr, in dem wenn nicht alle, so aber doch zumindest viele Wünsche in Erfüllung gehen. Hier geht es dann „normal“ weiter, mit – wie gehabt – drei Beiträgen/Tag.

Und der erste Arbeitstag des Jahres ist dann – vor der Auflösung des letzten Gebührenrätsels 2017 – ein „Durchsuchungstag, und zwar zunächst mit dem LG Ansbach, Beschl. v. 19.10.2017 – 3 Qs 95/17. Nichts Besonderes, nur mal erst zum warm werden. 🙂 Das LG hat noch einmal zu den Anforderungen zum Anfangsverdacht als Grundlage einer Durchschungsmaßnahme und zum Beweisverwertungsverbot:

„Voraussetzung für jede Durchsuchung ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde, wofür hinreichende Anhaltspunkte vorliegen müssen und vage Anhaltspunkte oder reine Vermutungen nicht genügen (Meyer-Goßner, 60. Aufl., 2017, § 102 StPO, Rn. 2).

Vorliegend sind die vorgenannten Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt, da sich allein aus den An­gaben der Belastungszeugin keine entsprechende Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass es durch die Beschuldigte zu einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz gekommen ist. Es hätte zunächst der Vernehmung des pp. bedurft. Denn aus der Aussage der Zeugin pp. ergibt sich nicht einmal, ob es bei der durch sie geschilderten Gelegenheit tat­sächlich zu einem Kontakt zwischer pp. und der Beschuldigten gekommen ist, nach­dem die Zeugin pp. lediglich zur Wohnung der Beschuldigten gefahren hat und ihn dann in einer gewissen Entfernung zum Wohnhaus aus dem Fahrzeug hat aussteigen lassen. Weiter vermochte die Zeugin pp. kein konkretes Betäubungsmittel oder eine bestimmte Menge, nicht einmal eine Mindestmenge zu benennen. Aufgrund dessen steht nicht fest, ob es sich überhaupt um Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes und den dazuge­hörigen Anlagen oder aber um sog. „legal highs“ gehandelt haben soll.

Mangels Kenntnis von Art, Menge und Qualität der Betäubungsmittel, mit denen die Beschuldigte Handel getrieben haben soll, ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht möglich.

Darüber hinaus fehlt es bei dem Durchsuchungsbeschluss an der Angabe der Tatsachen, auf denen der Anfangsverdacht beruht, da der reine Verweis auf die bisherigen Ermittlungen hierfür nicht ausreichend ist. Vielmehr bedarf es der Nennung der wesentlichen Verdachtsmomente ein­schließlich der Indiztatsachen gem. § 34 StPO, da dem Beschuldigten nur dann eine sachge­rechte und umfassende Prüfung, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist, möglich ist. Es ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass eine Bekanntgabe der wesentlichen Verdachtsmomente den Untersuchungszweck gefährdet hätte und die Bekanntgabe deswegen unterbleiben durfte (BGH, Beschl. vom 18.12.2008 – NStZ-RR 2009, 142).

Aus der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung folgt noch nicht per se die Rechtswidrig­keit der auf ihr beruhenden Beschlagnahme. Die Beschlagnahme aufgrund einer rechtswidrigen Durchsuchung aufgefundener Beweisgegenstände ist nur dann rechtswidrig und führt zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn schwerwiegende Verfahrensverstöße vorliegen oder Verfah­rensverstöße willkürlich oder bewusst begangen wurden (Meyer/Goßner, aaO, § 94 StPO, Rn. 21; LG Wiesbaden, Besch. v. 04.10.2016 – 2 Os 74/16).

Liegen jedoch die Voraussetzungen für eine Durchsuchung gern. §§ 102 ff StPO nicht vor und wurde der Beschuldigte auch nicht über die Freiwilligkeit der Durchsuchung belehrt, sind die auf­gefundenen Beweismittel nicht verwertbar (LG Berlin, Beschl. v. 27.06.2008 – StV 2011, 89). Nachdem es vorliegend aufgrund der vagen Angaben der Zeugin bereits an einem für eine Durchsuchungsanordnung erforderlichen auf Tatsachen gestützten Anfangsverdacht für das Vorliegen einer durch die Beschuldigte begangenen Straftat fehlt, hätte die Durchsuchungsanord­nung nicht ergehen dürfen. Nachdem die Beschuldigte auch nicht über die Freiwilligkeit der Durchsuchung belehrt worden ist, ist die Beschlagnahme der aufgefundenen Gegenstände vorliegend ebenfalls rechtswidrig. Ein Anderes ergibt sich auch nicht aus einer Abwägung der Interes­sen der Beschuldigten, insbesondere, ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gern. Art. 13 Abs. 1 GG und dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafverfolgung, zu­mal es sich bei dem Vorwurf des vorsätzlich unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bzw. dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln nicht um einen schwerwiegenden Vorwurf handelt.