OWi III: Rentner brauchen keine Fahrerlaubnis, oder: Ausnahme und Erhöhung der Geldbuße

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Und dann zum Tagesschluss zwei Fahrverbotsentscheidungen, beide kommen vom AG Dortmund. Mit den Entscheidungen, die von dort kommen, habe ich häufig Probleme. Ihc erinnere nur an das AG Dortmund, Urt. v. 11.04.2024 – 729 OWi-251 Js 287/24-27/24  zum mal vom AG geänderten Grenzwert für den THC-Wert im Blut.

So auch hier. In der ersten Entscheidung, dem AG Dortmund, Urt. v. 11.04.2024 – 729 OWi-256 Js 414/24-34/24 – geht es um ein Fahrverbot für einen Rentner. Dazu meint das AG:

Rentner/Rentnerinnen sind grundsätzlich nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen und können dementsprechend auch allein aus der Tatsache, nicht über eine Fahrerlaubnis für eine befristete Zeit verfügen zu können, keinerlei fahrverbotsrelevante Härten für sich geltend machen.

„Grundsätzlich nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen“ ? Wirklich? Ich lasse das mal so stehen. Ist aber „ständige Rechtsprechung“ des AG. Ach so. Im Übrigen habe ich mir erlaubt den amtsgerichtlichen Leitsatz zu „verbessern“: Da hieß es nämlich „Rentner*innen„. Bitte nicht mit mir. Und nicht hier 🙂 .

Die zweite Entscheidung, das AG Dortmund, Urt. v. 07.03.2024 – 729 OWi-254 Js 2152/23 -148/23 – ist m.E. auch ein wenig „schräg“. Sie hat folgende (amtliche) Leitsätze:

1. Aus erzieherischen Gründen kann bei Geschwindigkeitsverstößen mit privaten PKW das anzuordnende Regelfahrverbot auf sämtliche Fahrzeugarten, mit Ausnahme der Fahrzeuge die unter Führerscheinklasse C fallen, beschränkt werden (hier: bei einem Müllwagenfahrer).

2. Eine Führerscheinklasse stellt eine Fahrzeugart i.S.d. § 25 StVG dar.

3. Das Ausnehmen einer Fahrzeugart im Rahmen des Fahrverbotes stellt kein teilweises Absehen vom Regelfahrverbot dar, so dass eine Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV in Gestalt einer Erhöhung der Geldbuße deswegen nicht stattfindet.

Die Leitsätze 1 und 2 sind ok, das ist gängige Rechtsprechung. Bei Leitsatz 3 habe ich Bedenken. Denn: Grundsätzlich erfasst ein Fahrverbot alle Fahrzeugarten, wovon nur ausnahmsweise zur Verhinderung unangemessener Folgen durch eine Beschränkung abgesehen werden kann. Es handelt sich damit auch hier um einen Fall des §§ 4 Abs. 4 BKatV, der die Möglichkeit der entsprechenden Erhöhung der Geldbuße nach sich zieht.

Und: Den Betroffenen hätte es sicher gefreut, wenn er aus dem Urteil erfahren hätte, wie lange denn nun das Fahrverbot dauern soll. Dazu steht weder etwas im Tenor noch in den Gründen.

Und auch hier <<Werbemodus an>>: Wer sich über Fahrverbotsfragen umfassend und zutreffend informieren will, der kann das beim Kollegen Deutscher in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das mann hier bestellen kann. Musste sein. 🙂 <<Werbemodus aus>>.

OWI II: Verletzung des rechtlichen Gehörs bei „OWis“, oder: Hilfsbeweis, (rechtzeitiger) Entbindungsantrag

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Im zweiten Posting habe ich hier dann vier Entscheidungen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs, darunter (natürlich) auch drei, die sich mit „Entbindungsfragen“ (§§ 73, 74 OWiG) befassen. Ich stelle hier dann aber nur die Leitsätze vor, und zwar.

Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn der Betroffene erfolglos alle ihm nach der konkreten Verfahrenslage zu Gebote stehenden prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, sich Gehör zu verschaffen. Hierzu gehört namentlich auch die Stellung von (Hilfs-)Beweisanträgen.

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Betroffene genügend entschuldigt hat. Vielmehr genügt es, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt ist.

    1. Zur Fortgeltung eines noch nicht beschiedenen Entbindungsantrages bei Verlegung der Hauptverhandlung (Fortführung von BGH StraFo 2024, 110)
    2. Zu rechtsmissbräuchlichem Verteidigerhandeln im Zusammenhang mit dem (Nicht-)Stellen eines Entbindungsantrages.
    3. Der Senat geht davon aus, dass die Entscheidung des BGH StraFo 2024, 110 so zu verstehen ist, dass auch ein nicht beschiedener Entbindungsantrag bei einer Terminverlegung fortwirkt.

Befindet sich der drei Tage vor einem Hauptverhandlungstermin per beA übermittelten Entbindungsantrag zwar erst am Ende eines mehrseitigen Schriftsatzes, wird aber auf der ersten Seite des Schriftsatzes auf den Gerichtstermin mit dem Zusatz „EILT SEHR !“ hingewiesen, kann der Betroffene von der Berücksichtigung seines Antrags ausgehen.

Und zu den Fragen steht dann eine ganze Menge in <<Werbemodus an>> Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das jetzt gerade neu erschienen ist und hier bestellt werden kann. <<Werbemodus aus>>.

OWi I: Streifenwagen, blaues Blinklicht, Martinshorn, oder: Wie war die konkrete Verkehrssituation?

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Ich stelle heute dann mal wieder OWi-Entscheidungen vor. Davon gibt es im Moment nicht so ganz viel. Ein paar habe ich aber inzwischen, über die ich hier berichten kann.

Ich beginne mit einem Beschluss des OLG Hamm, und zwar dem OLG Hamm, Beschl. v. 02.07.2024 – 5 ORbs 132/24 – zum freie Bahn Schaffen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO).

Das AG hate den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Pflicht, einem Einsatzfahrzeug mit Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen, zu einer Geldbuße in Höhe von 240 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dazu hat es festgestellt, dass der Betroffene am 07.06.2023 auf der A N01 in Richtung R. als Führer eines Lastkraftwagens zunächst den rechten Fahrstreifen befahren habe. Ein Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn habe sich hinter dem Betroffenen befunden. Er sei dann auf den linken Fahrstreifen gewechselt, um ein anderes Fahrzeug zu überholen. Daraufhin habe der nach ihm fahrende Streifenwagen stark abbremsen müssen und sei insoweit an seiner uneingeschränkten Weiterfahrt gehindert gewesen, was der Betroffene bei der Durchführung des Überholmanövers habe absehen müssen.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Dem OLG genügen die Feststellungen des AG nicht:

„Das angefochtene Urteil leidet an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung ermöglichen dem Rechtsbeschwerdegericht keine ausreichende Prüfung dahingehend, ob hier ein sorgfaltswidriger Verkehrsverstoß gegen § 38 Abs 1 S. 2 StVO vorliegt. Die Pflicht der übrigen Verkehrsteilnehmer nach § 38 Abs 1 S. 2 StVO richtet sich im Einzelfall nach der jeweiligen konkreten Verkehrslage, zu der das Tatgericht ausreichende Feststellungen treffen muss (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 13.01.1984 – 1 Ss 905/83 = BeckRS 1984, 497). Daran fehlt es hier.

Das Amtsgericht hat es in den Urteilsgründen (UA S. 2 f.) unterlassen, Feststellungen im Hinblick auf die Geschwindigkeit des vom Betroffenen gesteuerten Lastkraftwagens zu treffen. Außerdem fehlen Angaben dazu, in welchem Abstand sich das Polizeifahrzeug hinter dem Fahrzeug des Betroffenen befand. Ohne diese Angaben ist es dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt, eine eigene Prüfung des etwaigen Sorgfaltspflichtverstoßes vorzunehmen. Denn ohne eine Vorstellung von der gefahrenen Geschwindigkeit des Lastkraftwagens und dessen Abstand zum – mit ca. 180 km/h fahrenden – dahinter befindlichen Streifenwagen lässt sich nicht ausreichend beurteilen, ob es dem Betroffenen vor dem Überholvorgang bei aufmerksamer Beobachtung der Verkehrslage überhaupt möglich gewesen wäre, das mit Sonderrechten ausgestattete Polizeifahrzeug wahrzunehmen.

Diese unterlassenen Sachverhaltsfeststellungen haben zudem für die Beurteilung des Vorliegens des Regelfahrverbots eine gewisse Relevanz, da nur unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage eine etwaige Abweichung vom Regelfall tragfähig beurteilt werden kann.

Im Übrigen sei angemerkt, ohne dass dies entscheidungserheblich ist, dass sich ein Fahrverbot grundsätzlich auch auf das Führen von fahrerlaubnisfreien Kraftfahrzeugen bezieht (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11.04.2002, Az. Ss (B) 13/02 (18/02) = BeckRS 2002, 30252577).“

Pflichti III: Und wieder „rückwirkende Bestellung“, oder: Alles nur „gute“ Entscheidungen

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Und dann im letzten Posting – traditionsgemäß – einige Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung, und zwar:

Der Bestellung eines Pflichtverteidigers steht im Strafbefehlsverfahren nicht entgegen, dass ein Strafbefehl zum Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung bereits erlassen ist.

1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise zulässig.

2. Auf Fälle einer Bestellung eines Pflichtverteididgers auf Antrag des Beschuldigten gem. § 140 Abs. 1 StPO ist Abs. 2 S. 3 des § 141 StPO nicht anwendbar.

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zulässig, wenn der Antrag rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden, dann aber von der Staatsanwaltschaft erst verspätet dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt worden ist.

Pflichti II: Bestellung eines Sicherungsverteidigers, oder: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung

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Und im zweiten Posting dann „Diverses“ zur Pflichtverteidigung, allerdings auch wieder nur die Leitsätze, da die entschiedenen Fragen schon häufiger entschieden worden sind. Hier sind dann also:

1. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.

2. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein „unabweisbares Bedürfnis“ besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

1. Zu den Voraussetzungen der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung.

2. Die Aufhebung der Bestellung nach § 143 Abs. 2 Satz 1 StPO steht im Ermessen des Gerichts. Den Beschlussgründen muss zu entnehmen sein, dass sich das Gericht des ihm eröffneten Ermessensspielraums bewusst war und dass es sein Ermessen unter Berücksichtigung der im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte ausgeübt hat.