Schlagwort-Archive: OLG Karlsruhe

OWi I: Verlesung des Messprotokolls in der HV, oder: Beschränkung des Einspruchs und Einspruch per Mail

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Heute dann mal wieder ein OWi-Tag, und zwar zunächst hier drei verfahrensrechtliche Entscheidungen, und zwar jeweils nur die Leitsätze.

1. Unabhängig von einem in § 77a Abs. 1, 2 und 4 OWiG geregelten Zustimmungserfordernis kann das Messprotokoll auf Anordnung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesen werden.

2. Denn das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 StPO, weil sie eine Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungsmaßnahme ist und keine Vernehmung zum Gegenstand hat.

3. Das Messprotokoll gibt im Sinne des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch Auskunft über repressives Handeln der Polizei. Denn die Geschwindigkeitsüberwachung dient auch der Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen.

1. Eine Beschränkung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch in seiner Gesamtheit ist möglich, sofern der Bußgeldbescheid den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 OWiG entspricht. Enthält der Bußgeldbescheid keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform, ist unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden, ob sich dem Bußgeldbescheid die Schuldform entnehmen lässt. Dabei kann auch Beachtung finden, dass die Zentrale Bußgeldstelle im Bay. Polizeiverwaltungsamt in der Regel im Rahmen der Erhöhung der Regelgeldbuße auf die vorsätzliche Tatbegehung hinweist.
2. Bei einem wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch hat der Tatrichter den Schuldspruch so zu fassen, wie wenn er selbst entschieden hätte; die bloße Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid genügt nicht.

Der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid kann nicht mittels einfacher E-Mail eingelegt werden.

OWi II: Hier dann vier OLG-Beschlüsse zum Fahrverbot, oder: Zeitablauf, Gründe, Begründungstiefe

© stockWERK – Fotolia.com

Im zweiten Posting des Tages kommen dann hier einige Entscheidungen zum Fahrverbot, also § 25 StVG, aber nur die Leitsätze. Die Beschlüsse enthalten nichts weltbewegend Neues, sondern schreiben nur die bisherigen Rechtsprechung fort. Der u.a. Beschluss des BayObLG nimmt darüber hinaus noch zu zwei weiteren Fragen Stellung.

Hier sind dann:

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist.

Ein Absehen von einem Fahrverbot nach § 25 StVG kommt auch dann in Betracht kommt, wenn dessen Verhängung aufgrund Zeitablaufs nicht mehr geboten erscheint, weil dessen Erziehungsfunktion die warnende Wirkung des Fahrverbots nicht mehr erfordert. Voraussetzung hierfür ist, dass die zu ahndende Tat lange (in der Regel mehr als zwei Jahre) zurückliegt, dass die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat.

1. Für die Verhängung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Verstoßes gegen die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StVG ist eine hinreichend aussagekräftige Darstellung der Vorahndungslage unerlässlich.
2. Zulässiges Verteidigungsverhalten eines Betroffenen, wie etwa das Bestreiten des Tatvor-wurfs, darf bei der Bemessung der Rechtsfolgen nicht zu seinem Nachteil gewertet werden.
3. Einem Betroffenen, der den Tatvorwurf bestreitet, darf bei der Bemessung der Bußgeldhöhe eine „uneinsichtige Haltung“ nicht angelastet werden.

 

Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, d. h. das Verfahren ohne zwingenden Grund für eine nicht unerhebliche Dauer zum Stillstand gekommen ist, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab. Insoweit verbietet sich eine an feste Zeitgrenzen gebundene generelle Bewertung der bloßen zeitlichen Abläufe. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten für die Erstellung der Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft zur Rechtsbeschwerdebegründung des Verteidigers ist im Hinblick auf eine 82 Seiten lange Rechtsbeschwerdebegründung mit erheblicher Begründungstiefe nicht zu beanstanden. (Kompensation verneint).

Die letzte Entscheidung erstaunt. Das OLG Stuttgart behauptet ernsthaft, dass eine Bearbeitungszeit für eine Rechtsbeschwerde von neun Monaten „unter den gegebenen Umständen — auch im Hinblick auf die aufgeworfenen Rechtsfragen und die gebotene Würdigung der ihrerseits umfangreichen Ausführungen im amtsrichterlichen Urteil — ordnungsgemäß“ ist. Gut. Man kennt die „umfangreichen Ausführungen“ des AG nicht, die Rechtsbeschwerdebegründung war allerdings 82 Seiten lang, woran die GStA sicherlich zu „knacken“ hatte. Aber: So „begründungstief“, wie das OLG behauptet, kann das aber dann doch nicht gewesen sein, wenn das OLG auf die 82 Seiten kein Wort verschwendet, sondern nach § 349 Abs. 2 StPO verwirft.

Nur zur Klarstellung: Damit zweifele ich nicht die Qualität der Rechtsbeschwerdebegründung des Kollegen Gratz an, der mir den OLG-Beschluss geschickt hat, sondern die „Begründungstiefe“ des OLG Beschlusses, die an der Stelle m.E. nicht „passt“.

OWi I: Verwenden einer sog. Handy-Blitzer-App, oder: App auf dem Handy des Beifahrers

© Fotomek Fotolia.com

Heute stelle ich dann mal wieder einige OWi-Entscheidungen vor.

Ich starte mit dem „Blitzer-App-Beschluss“ des OLG Karlsruhe, also dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.02.2023 – 2 ORbs 35 Ss 9/23.

Das AG hat den Betroffenen wegen vorsätzlichen Mit-Sich-Führens eines betriebsbereiten technischen Geräts, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen – also Verstoß gegen § 23 Abs. 1c StVO – verurteilt. Nach den Feststellungen des AG fuhr der Betroffene im Stadtgebiet von A. einen PKW mit teilweise deutlich überhöhter Geschwindigkeit und unterließ mehrfach den gebotenen Einsatz des Fahrtrichtungsanzeigers. Dabei wusste er, dass auf dem in der Mittelkonsole abgelegten Mobiltelefon seiner Beifahrerin die App „Blitzer.de“ geöffnet war. Die Überzeugung zur vom Betroffenen bestrittenen subjektiven Tatseite hat das Amtsgericht auf eine Bekundung des den Betroffenen kontrollierenden Polizeibeamten gestützt, wonach der Betroffene nach dem Anhalten bewusst das Mobiltelefon zur Seite geschoben habe, und dies außerdem in Beziehung zu dem vorherigen Fahrverhalten des Betroffenen gesetzt.

Das OLG geht von eienm Verstoß gegen § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO aus:

„2. Die getroffenen Feststellungen tragen allerdings nicht eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1c Satz 1 und 2 StVO.

In der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist dazu zutreffend ausgeführt:

„Bei dem vom Betroffenen verwendeten Geräte, einem Smartphone, auf dem die App „Blitzer.de“ aktiviert war (UA Seite 3, AS 141), handelt es sich jedoch nicht um ein Gerät, dass dazu bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen. Es handelt sich vielmehr um ein Gerät, dass neben anderen Nutzungszwecken auch zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen verwendet werden kann. Daher unterfällt das Smartphone mit der aktivierten App „Blitzer.de“ nicht § 23 Abs. 1c Satz 1-2 StVO, sondern § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. [2021], § 23 StVO Rn. 36). Diese Differenzierung, die erst mit der Änderung von § 23 Abs. 1c StVO durch die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 (BGBl. I S. 814) entstand, lag dem „alten“ § 23 Abs. 1b StVO noch nicht zugrunde, weshalb die bisherigen Entscheidungen zu § 23 Abs. 1b StVO a. F. diese Differenzierung noch nicht treffen (vgl. OLG Celle NJW 2015, 3733; OLG Rostock BeckRS 2017, 103960).“

3. Der Senat schließt sich jedoch der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vorgenommenen Bewertung an, dass das im angefochtenen Urteil festgestellte Verhalten einen (vorsätzlichen) Verstoß gegen § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO belegt.

a) Ein solcher Verstoß setzt entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung nicht voraus, dass die Funktion zur Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen vom Fahrzeugführer selbst aktiviert worden ist.

aa) Die Einführung des § 23 Abs. 1 c Satz 3 StVO wurde durch eine Initiative der Bundesministerien für Verkehr und digitale Infrastruktur, für Wirtschaft und Energie und für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit angestoßen, die ursprünglich nur vorsah, die Regelung in § 23 Abs. 1c Satz 1 StVO dahin zu ergänzen, dass das verwendete technische Gerät zur Anzeige oder Störung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen bestimmt ist oder – so der Ergänzungsvorschlag – „verwendet werden kann“. Damit sollte klargestellt werden, dass von der Regelung auch Navigationsgeräte oder Mobiltelefone mit sogenannten Blitzer-Apps erfasst sind (BR-Drs. 591/19 S. 5 und 79 f.).

Die dann beschlossene Änderung durch Einführung des § 23 Abs. 1c Satz 3 StVO wurde damit begründet, dass mit dem ursprünglichen Vorschlag auch Geräte erfasst gewesen wären, auf denen die entsprechenden Funktionen deaktiviert sind. Der Bundesrat hat in der Begründung zu diesem Änderungsvorschlag abschließend ausgeführt: „Es wird daher vorgeschlagen, das vorgesehene Verbot auf die Nutzung [Hervorhebung durch den Senat] der entsprechenden Gerätefunktionen (zum Beispiel entsprechende Smartphone-Applikationen) zu begrenzen“ [BR-Drs. 591/19 (Beschluss) S. 6].

bb) Unter Berücksichtigung dieser Entstehungsgeschichte steht deshalb außer Zweifel, dass die Tathandlung des „Verwendens“ in § 23 Abs. 1 c Satz 3 StVO kein eigenes aktives Tätigwerden des Fahrzeugführers im Umgang mit dem technischen Gerät bzw. der darin enthaltenen verbotenen Funktion voraussetzt, sondern vielmehr jedes Handeln genügt, mit dem dieser sich die verbotene Funktion zunutze macht. Erfasst wird deshalb auch die Nutzung der auf dem Mobiltelefon eines anderen Fahrzeuginsassen installierten und aktivierten Funktion (ebenso König a.a.O., § 23 StVO Rn. 36; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., § 23 StVO Rn. 22h), wie sie sich aus den vorliegend getroffenen Feststellungen ergibt.

b) §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 Abs. 1 StPO stehen einer Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Betroffene sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.“

Was verdient der „Vertreter“ des Pflichtverteidigers?, oder: Wird er „fürstlich entlohnt“?

© prakasitlalao – Fotolia.com

Im zweiten Posting geht es u.a. auch um die Vernehmungstermingebühr, und zwar im Zusammenhnag mit der Frage: Welche Gebühren entstehen für den Verteidiger, der nur für einen Hafttermin beigeordnet worden ist. Ist das nur eine Einzeltätigkeit oder ist das voller Auftrag mit der Folge, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet wird.

Dazu habe ich hier jetzt drei Entscheidungen: Zwei machen es richtig, eine macht es falsch.

Zunächst die beiden richtigen, nämlich der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 – und der LG Tübingen, Beschl. v. 06.02.2023 – 9 Qs 25/23.

Hier die Leitsätze:

    1. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht nur auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG.
    2. Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG entsteht auch dann, wenn der Beschuldigte zunächst nur vorläufig festgenommen wurde.

Auch der notwendige Verteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts einer zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nicht in Betracht.

Ich zitiere wegen der Begründung aus den überzeugenden Ausführungen des OLG Karlsruhe – so habe ich übrigens schon immer argumentiert:

„b) Nach anderer, vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung, beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2008, 2935; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 – 1 Ws 318/08 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2006 – 3 Ws 586/05 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, BeckRS 2010, 16664; OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223; OLG München, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 14.04.2021 – (S) AR 62/20 -, BeckRS 2021, 9651).

Denn dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die StPO nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; StV 2011, 650 und Beschluss vom 15.01.2014 – 4 StR 346/13 -, juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15.01.2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungs-verhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht aber die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (so das OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.02.2011 – 4 Ws 195,10 -, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen. Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers (zeitlich beschränkt) bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist aus-schließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

A.A. ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.01.2023 – 4 Ws 13/23 – mit folgendem Leitsatz:

Der einem Beschuldigten für die Haftprüfung beigeordnete Rechtsanwalt verdient nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit.

Anzumerken ist Folgendes:

OLG Karlsruhe und LG Tübingen machen es es richtig, OLG Stuttgart falsch. Dazu ist nichts weiter zu sagen. Als Verteidiger muss man dann darauf achten, alle Gebühren geltend zu machen, also auch die Verfahrensgebühr, da die nach der Anm. zur Nr. 4100 VV RVG immer neben der Grundgebühr entsteht. Also auch in diesen Fällen.

Ob es sich dann aber schon – wie das LG Tübingen meint – „vorliegend um eine „geradezu fürstliche und vom Gesetzgeber sicher nicht gewollte Honorierung der Tätigkeit des Rechtsanwalts“ handelt, ist in meinen Augen mehr als zweifelhaft. Ich frage mich bei solchen Formulierungen auch immer, was das soll? Denn, wenn das dort entscheidende Mitglied der Strafkammer, der Pflichtverteidiger werde „geradezu fürstlich entlohnt“, dann ist ihm zu erwidern, dass gerade die Frage der ausreichenden Honorierung des Pflichtverteidigers höchst fraglich und sicherlich nicht unter Berücksichtigung der Festbetragsgebühren „fürstlich“ ist. Im Übrigen hätte es dem Mitglied der Strafkammer ja frei gestanden, als Rechtsanwalt/Verteidiger tätig zu werden. M.E. sind solche Formulierungen daher mehr als überflüssig.

OWi I: Ein Rundumschlag beim OLG Karlsruhe …, oder: Abgelehnter „Beifahrerbeweisantrag“

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Heute dann drei OLG-Entscheidungen zum OWi-Recht.

Ich beginne mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.12.2022 – 2 Rb 35 Ss 587/22. Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 74 km/h zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Überschreitung des Bußgeldrahmens, das Übergehen eines Aussetzungsantrags und die Ablehnung eines auf die Vernehmung einer Entlastungszeugin gerichteten Beweisantrags beanstandet wird.

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg, allerdings nicht wegen des Aussetzungsantrags im Hinblick auf 2 BvR 1167/20 und die Rohmessdaten, aber wegen des abgelehnten Beweisantrages:

„3. Soweit die auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Zurückweisung eines Beweisantrags als fehlerhaft gerügt wird, greift die zulässig ausgeführte Beanstandung dagegen teilweise durch.

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Der Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung beantragt, die Beifahrerin des Betroffenen als Zeugin zum Beweis der Tatsachen zu hören, „dass der Betroffene nicht schneller gefahren ist als max. 140 km/h (Tachoanzeige), es zum Zeitpunkt der Messung stark geregnet hat, die Verkehrsschilder vor der Messstelle aufgrund starken Regens nicht lesbar/erkennbar waren und der Messwert bei der Kontrolle nicht vorgezeigt wurde/werden konnte“. Das Amtsgericht lehnte den Antrag ab, weil es die beantragte Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht zur Erforschung der Wahrheit für erforderlich hielt. In den Urteilsgründen ist dazu im Anschluss an die Wiedergabe der Zeugenaussagen der beiden die Messung durchführenden Polizeibeamten ausgeführt: „Aufgrund der Aussagen [der beiden an der Messung beteiligten Polizeibeamten] war der Sachverhalt aus Sicht des Gerichts bereits ausreichend ermittelt. Deren Aussagen haben die Geschwindigkeitsüberschreitung in der vorgeworfenen Höhe bestätigt. Auf ausdrückliche Nachfrage hat der Zeuge X. bestätigt, dass es nicht geregnet habe. Auf den Umstand, ob das Messergebnis im Rahmen der sich an die Messung anschließenden Kontrolle vorgezeigt wurde, kommt es schließlich zum Beweis der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht an.“

b) Das Gericht kann einen Beweisantrag nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält und die Beweiserhebung deshalb zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Damit ist der Tatrichter unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge zurückzuweisen (OLG Hamm, Beschluss vom 10.3.2017 – 2 RBs 202/16, juris). Die Ablehnung einer Beweiserhebung aufgrund der vorweggenommenen Beweiswürdigung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG setzt aber voraus, dass die Grundlagen für die bereits gewonnene Überzeugung so verlässlich sind, dass die Möglichkeit, diese Überzeugung könne durch eine weitere Beweisaufnahme erschüttert werden, vernünftigerweise auszuschließen ist (BayObLGSt 1994, 67; OLG Brandenburg, NZV 2013, 49; OLG Celle, NZV 2010, 634; KG, NZV 2002, 416). Entscheidend ist die – auch für einen Beweisermittlungsantrag maßgebliche – Amtsaufklärungspflicht gemäß § 77 Abs. 1 OWiG. Daher hängt die Pflicht des Tatrichters, den Sachverhalt weiter zu erforschen, einmal davon ab, wie gesichert das Beweisergebnis erscheint. Ihr Umfang orientiert sich aber auch am Gewicht dessen, was mit zusätzlichen Ermittlungen noch bewiesen werden könnte (BGH WM 2109, 1276 m.w.N.). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung wird danach ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, mit dem die Aussage eines Belastungszeugen entkräftet werden soll, regelmäßig nicht nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt werden können, sondern die Aufklärungspflicht seine Anhörung gebieten (OLG Düsseldorf NZV 1991, 363; 1999, 260; OLG Hamm DAR 2021, 529). Dies gilt allerdings nicht, wenn aufgrund des im Einzelfall gewonnenen Beweisergebnisses und der beantragten Beweiserhebung unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit des Beweismittels die Bestätigung der behaupteten Beweistatsache nicht zu erwarten ist (OLG Hamm DAR 2021, 700).

c) Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich vorliegend hinsichtlich der verschiedenen unter Beweis gestellten Tatsachen ein unterschiedliches Ergebnis.

aa) Soweit die Beifahrerin eine vom Messergebnis nach unten abweichende Geschwindigkeit bestätigen soll, erscheint es ohne näheren Vortrag dazu schon wenig plausibel, weshalb ein Beifahrer eine Acht auf die Tachoanzeige gehabt haben soll; erst recht gilt dies für die Verlässlichkeit einer zeitlichen Zuordnung zum Messvorgang, zumal beim angewendeten Messverfahren keine fotografische Sicherung stattfindet, die wegen des Einsatzes des Blitzlichts die Aufmerksamkeit auch des Beifahrers zu wecken geeignet ist. Von ausschlaggebender Bedeutung ist indes, dass die belastende Tatsache – die gefahrene Geschwindigkeit – letztlich nicht auf der ihrer Natur nach eher fehleranfälligen Wahrnehmung der vernommenen Zeugen beruht, sondern durch eine technische Messung mit einem Messgerät ermittelt wurde, das nach eingehender Prüfung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt für solche Messungen als geeignet befunden wurde und deshalb als standardisiertes Messverfahren gilt (vgl. dazu allgemein OLG Düsseldorf VRR 2014, 392; OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Bamberg DAR 2016, 146; OLG Schleswig DAR 2017, 47; OLG Hamm Beschluss vom 10.3.2017 – 2 RBs 202/16, juris; KG VRS 131, 308; OLG Köln ZfS 2018, 407; OLG Koblenz Beschluss vom 17.7.2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18, juris), bei dem ohne – vorliegend fehlende – konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung im Einzelfall ohne Weiteres von einem zutreffenden Messergebnis ausgegangen werden kann (st. Rspr., zuletzt KG Blutalkohol 59, 361; OLG Zweibrücken ZfS 2022, 167; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.2.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20, juris; vgl. auch BVerfG NJW 2021, 455). Auch ein Wahrnehmungsfehler beim Ablesen der gemessenen Geschwindigkeit als der dem Messbeamten zentral obliegenden Aufgabe liegt fern. Selbst wenn das Messergebnis bei der anschließenden Kontrolle nicht vorgezeigt sein sollte, wozu indes keine Rechtspflicht besteht, war danach eine Erschütterung des durch das Ergebnis des technischen Messvorgangs und die Aussagen der beiden an der Messung beteiligten Polizeibeamten gewonnenen Beweisergebnisses hinsichtlich der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit nicht zu erwarten, weshalb sich die auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Zurückweisung des Beweisantrags insoweit als im Ergebnis rechtsfehlerfrei erweist.

bb) Etwas anderes gilt indes für die weiteren Beweistatsachen, mit denen die subjektive Vorwerfbarkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung in Frage gestellt wurde. Denn hinsichtlich der im Zeitraum des Messvorgangs herrschenden Wetterverhältnisse und ihrer Auswirkungen auf die Sichtbarkeit der die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen, die Voraussetzung für die Vorwerfbarkeit des Verstoßes ist (OLG Stuttgart VRS 95, 441; OLG Hamm NZV 2011, 94), war nicht von vornherein auszuschließen, dass durch die Aussage der benannten Zeugin die dazu gemachte Angabe des Zeugen X. erschüttert werden könnte, nachdem sich aus den Urteilsgründen nicht ergibt, dass dessen Angaben durch weitere Beweismittel gestützt wurden. Dass eine bei den Akten befindliche Auskunft des Deutschen Wetterdienstes nahelegt, dass es im Zeitraum des Messvorgangs allenfalls minimal regnete, hat in den Urteilsgründen keinen Niederschlag gefunden und ist deshalb für die rechtliche Beurteilung durch den Senat unbeachtlich…..“

Im Übrigen: Das AG hatte die Regelgeldbuße von 600 EUR im Hinblick darauf, dass es vom Fahrverbot teilweise abgesehen hatte, verdreifacht. Das OLG weist darauf hin, dass im Fall einer neuerlichen Verurteilung die Geldbuße wegen der bei einem fahrlässigen Verstoß geltenden Höchstgrenze von 1.000 EUR (vgl. § 17 Abs. 2 OWiG) herabzusetzen ist. Es weist außerdem darauf hin, dass einer dann etwa in Aussicht genommenen Erhöhung des Fahrverbots das Verschlechterungsverbot entgegensteht. Nur mal so für das AG. Ist auch wohl besser.