Was verdient der „Vertreter“ des Pflichtverteidigers?, oder: Wird er „fürstlich entlohnt“?

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Im zweiten Posting geht es u.a. auch um die Vernehmungstermingebühr, und zwar im Zusammenhnag mit der Frage: Welche Gebühren entstehen für den Verteidiger, der nur für einen Hafttermin beigeordnet worden ist. Ist das nur eine Einzeltätigkeit oder ist das voller Auftrag mit der Folge, dass nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG abgerechnet wird.

Dazu habe ich hier jetzt drei Entscheidungen: Zwei machen es richtig, eine macht es falsch.

Zunächst die beiden richtigen, nämlich der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.02.2023 – 2 Ws 13/23 – und der LG Tübingen, Beschl. v. 06.02.2023 – 9 Qs 25/23.

Hier die Leitsätze:

    1. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht nur auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG.
    2. Der Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG entsteht auch dann, wenn der Beschuldigte zunächst nur vorläufig festgenommen wurde.

Auch der notwendige Verteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts einer zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nicht in Betracht.

Ich zitiere wegen der Begründung aus den überzeugenden Ausführungen des OLG Karlsruhe – so habe ich übrigens schon immer argumentiert:

„b) Nach anderer, vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung, beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2008, 2935; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.10.2008 – 1 Ws 318/08 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 23.03.2006 – 3 Ws 586/05 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 26.03.2010 – 2 Ws 129/10 -, BeckRS 2010, 16664; OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223; OLG München, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 14.04.2021 – (S) AR 62/20 -, BeckRS 2021, 9651).

Denn dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die StPO nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; StV 2011, 650 und Beschluss vom 15.01.2014 – 4 StR 346/13 -, juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15.01.2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungs-verhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht aber die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (so das OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.02.2011 – 4 Ws 195,10 -, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen. Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers (zeitlich beschränkt) bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist aus-schließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

A.A. ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.01.2023 – 4 Ws 13/23 – mit folgendem Leitsatz:

Der einem Beschuldigten für die Haftprüfung beigeordnete Rechtsanwalt verdient nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit.

Anzumerken ist Folgendes:

OLG Karlsruhe und LG Tübingen machen es es richtig, OLG Stuttgart falsch. Dazu ist nichts weiter zu sagen. Als Verteidiger muss man dann darauf achten, alle Gebühren geltend zu machen, also auch die Verfahrensgebühr, da die nach der Anm. zur Nr. 4100 VV RVG immer neben der Grundgebühr entsteht. Also auch in diesen Fällen.

Ob es sich dann aber schon – wie das LG Tübingen meint – „vorliegend um eine „geradezu fürstliche und vom Gesetzgeber sicher nicht gewollte Honorierung der Tätigkeit des Rechtsanwalts“ handelt, ist in meinen Augen mehr als zweifelhaft. Ich frage mich bei solchen Formulierungen auch immer, was das soll? Denn, wenn das dort entscheidende Mitglied der Strafkammer, der Pflichtverteidiger werde „geradezu fürstlich entlohnt“, dann ist ihm zu erwidern, dass gerade die Frage der ausreichenden Honorierung des Pflichtverteidigers höchst fraglich und sicherlich nicht unter Berücksichtigung der Festbetragsgebühren „fürstlich“ ist. Im Übrigen hätte es dem Mitglied der Strafkammer ja frei gestanden, als Rechtsanwalt/Verteidiger tätig zu werden. M.E. sind solche Formulierungen daher mehr als überflüssig.

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