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Strafzumessung III: Die Impfausweisfälschung …., oder: …. die Allgemeinheit gefährdende Urkundenfälschung

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Und als dritte Entscheidung dann noch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.11.2022 – 3 Rv 32 Ss 675/22 – zur Bemessung einer Geldstrafe. Verurteilt worden ist der Angeklagtre offenabr wegen einer Impfausweisfälschung (durch einen Heranwachsenden [?]). Das OLG hat gegen die Strafzumessung des LG keine Bedenken:

„Ergänzend weist der Senat in Hinblick auf das Revisionsvorbringen auf Folgendes hin:

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Seine Aufgabe ist es, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und die belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht darf die Gesamtwürdigung nicht selbst vornehmen, sondern nur nachprüfen, ob dem Tatrichter bei seiner Entscheidung ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung gelöst hat, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle der Strafbemessung ist dagegen ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatrichter vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (BeckOK-von Heintschel-Heinegg, StGB, Stand 1.8.2022, Rdn. 167 zu § 46).

2. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist gegen die Höhe der Geldstrafe im vorliegenden Fall nichts zu bemerken. Das Landgericht hat eine individuelle Abwägung der Strafzumessungsgesichtspunkte vorgenommen. Die Höhe der Geldstrafe ist auch nicht unverhältnismäßig, denn die verhängte Strafe hat sich weder nach oben noch nach unten von ihrer Bestimmung gelöst, gerechter Schuldausgleich zu sein, sondern liegt immer noch am unteren Ende des Strafrahmens. Entgegen der Auffassung des Verteidigers hat das Landgericht nicht pauschal „ohne Rücksicht auf die jeweilige Person“ eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt, sondern eine Strafzumessung im Einzelfall durchgeführt.

Soweit das Landgericht bei der Strafzumessung die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), nicht als bestimmende Strafzumessungserwägung erörtert hat, ist auch dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar sind strafmildernd in der Regel besondere berufliche Folgen zu berücksichtigen, die sich aus der Verurteilung für den Angeklagten ergeben, allerdings sind diese nur dann ausdrücklich anzuführen, wenn der Täter durch die beruflichen Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert, insbesondere bei drohender standesrechtlicher Ahndung, beamtenrechtlichen Nebenfolgen, drohender Untersagung der Berufsausübung, drohendem Widerruf der Approbation oder Verlust des Pensionsanspruchs (BeckOK-von Heintschel-Heinegg, a.a.O., Rdn. 71 zu § 46; BGH, NStZ 2013, 522; BeckRS 2015, 17563; NStZ-RR 2022, 133; OLG Frankfurt, StraFo 2018, 161). Entsprechende berufliche Folgen sind vorliegend für den Angeklagten nicht zu erwarten.

Auch die Entscheidung des OLG Nürnberg (StV 2006, 694), wonach bei einem sich noch in der Berufsausbildung befindlichen Heranwachsenden eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer strafrechtlichen Eintragung im Führungszeugnis auf zukünftige Bewerbungen erforderlich ist, führt vorliegend zu keiner anderen Bewertung. Ausweislich des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte bereits eine Berufsausbildung zum Friseur mit anschließender Meisterprüfung absolviert. Für die seit einem Jahr – nach einer beruflichen Umorientierung – ausgeübte Tätigkeit als ungelernter Verkäufer erscheint eine eintragungsfähige Verurteilung ebenfalls nicht ausschlaggebend.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist die Fälschung eines Impfausweises auch nicht zwangsläufig mit anderen, mit einer niedrigeren Geldstrafe geahndeten Fällen der Urkundenfälschung vergleichbar. Vielmehr handelt es sich um eine die Allgemeinheit in der Corona-Pandemie gefährdende Urkundenfälschung, weil mittels eines gefälschten Impfpasses für Nichtgeimpfte geltende Kontaktbeschränkungen umgangen werden konnten, obwohl ein – mit höherer Wahrscheinlichkeit infolge der Impfungen – bestehender Schutz vor schweren Verläufen bei einer Covid-19-Erkrankung nicht gegeben war und damit eine erheblich höheres Risiko bestand, dass im Falle einer Erkrankung eine intensivmedizinische Behandlung – mit der weiteren Folge einer Überlastung der gesamten stationären Gesundheitsversorgung – notwendig werden würde.

Haftzuschlag in einem Überprüfungsverfahren?, oder: „Betreutes Wohnen“ ist nicht „nicht auf freiem Fuß“

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle handelt es sich um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.10.2022 – 2 Ws 273/22 – zu einer Problematik im Rahmen der Strafvollstreckung, und zwar betreffend den Haftzuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG, der auch im Rahmen der Strafvollstreckung gilt.

Das OLG ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen: Der Verurteilte ist durch Urteil vom 21.03.2019 seit dem 29.03.2019 gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Für das jährliche Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der Untergebrachte wohnte ab dem 09.04.2021 dauerhaft im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung im Haus Q in M., einer betreuten Wohneinrichtung für psychisch erkrankte Menschen. Die dort vorgegebene Struktur sah einen vormittäglichen Dienst in Küche oder Gemeinschaftsräumen in Kombination mit einem gemeinsamen Essen vor. Ansonsten war der Untergebrachte in seiner Freizeitgestaltung frei, konnte die Einrichtung etwa für Spaziergänge, sportliche Aktivitäten o.ä. verlassen.

Mit Beschluss vom 28.03.2022 hat das LG die weitere Vollstreckung der angeordneten Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt. Nach Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung behielt der Verurteilte auf eigenen Wunsch seinen Wohnsitz in der betreuten Wohneinrichtung bei. Im Aussetzungsbeschluss wurde er ua. angewiesen, Veränderungen seines Wohnsitzes nur nach vorheriger Rücksprache mit dem/der zuständigen Bewährungshelfer/in sowie der ihn betreuenden und behandelnden forensischen Ambulanz des Zentrums für Psychiatrie in pp. vorzunehmen.

Der Verteidiger hat die Festsetzung seiner Vergütung für die Verteidigung des Verurteilten im letzten Abschnitt des Vollstreckungsverfahrens in Höhe eines Betrages von 781,63 EUR beantragt. Er hat dabei eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr für die Teilnahme an einer mündlichen Anhörung – jeweils mit Haftzuschlag (Nrn. 4201 und 4203 VV RVG) – geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des LG hat in ihrem Festsetzungsbeschluss die beantragten Haftzuschläge jeweils abgesetzt. Das LG hat – nach Übertragung des Verfahrens auf die Kammer nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache – auf die Erinnerung des Verteidigers den Kostenfestsetzungsbeschluss der UdG dahingehend abgeändert, dass dem Verteidiger der Haftzuschlag für die Verfahrensgebühr nach Nr. 4201 VV RVG gewährt worden ist. Denn für die Gewährung des Haftzuschlages genüge es, wenn der Mandant des Verteidigers im abgerechneten Verfahrensabschnitt irgendwann einmal nicht auf freiem Fuß gewesen sei. Dies sei der Fall, weil der abzurechnende Verfahrensabschnitt bereits mit der letzten Anhörung am 09.03.2021 begonnen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe der Verurteilte sich noch im geschlossenen Vollzug befunden. Für die Terminsgebühr sei dagegen ein Haftzuschlag nicht anzuerkennen, weil sich der Untergebrachte im Zeitpunkt der Anhörung bereits seit 11 Monaten im Haus „Q.“ befunden habe, wo er zwar niederschwellig an einer Tagesstruktur mit vormittäglichen Diensten in der Küche und in Gemeinschaftsräumen teilnehmen könne, gleichzeitig aber seine Freiheit selbständig gestalten könne. Insofern habe der Verurteilte im Zeitpunkt der Anhörung keinen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterlegen. Die wegen der der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassene Beschwerde des Verteidigers hatte beim OLG keinen Erfolg:

„Nach Abs. 4 der (amtlichen) Vorbemerkung zu Teil 4 VV RVG (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 221) entsteht die Gebühr mit Zuschlag, wenn sich der Beschuldigte „nicht auf freiem Fuß“ befindet. Danach wurde die (frühere) Regelung des § 83 Abs. 3 BRAGO dem Grunde nach übernommen. Während die Regelung des § 83 Abs. 3 BRAGO allerdings als Kann-Vorschrift (nur) für den Fall ausgebildet gewesen war, dass der Gebührenrahmen des § 83 Abs. 1 BRAGO nicht ausreicht, um die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts angemessen zu entgelten, sollte durch die Neuregelung in Abs. 4 der Vorbemerkung 4 bei Inhaftierung oder Unterbringung des Mandanten die Gebühr immer aus dem erweiterten Rahmen entstehen. Die Neuregelung sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass die Inhaftierung oder Unterbringung des Mandanten für den Rechtsanwalt überwiegend zu einem erforderlichen zusätzlichen zeitlichen Mehraufwand für die erschwerte Kontaktaufnahme entsteht. Zudem sollte unnötiger Streit im Kostenfestsetzungsverfahren darüber, ob der Gebührenrahmen der jeweiligen Gebühr ausreichend war oder nicht, vermieden werden. Ob tatsächlich Erschwernisse für den Verteidiger im konkreten Einzelfall entstehen, ist daher nach allgemeiner Auffassung ohne Belang (vgl. Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. 2017, Vorbemerkung 4 VV Rn. 44; KG NStZ-RR 2009, 31; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.07.2010 – 5 Ws 120/10 -, BeckRS 2010, 18563; OLG Jena, NStZ-RR 2009, 224; OLG Celle, StraFo 2008, 443-444; OLG Hamm, Beschluss vom 31.12.2007 – 1 Ws 790/07 -, juris).

„Nicht auf freiem Fuß“ befindet sich der Mandant, wenn er in einer Einrichtung des Strafvollzugs inhaftiert oder in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs untergebracht ist. Nach ganz überwiegender Auffassung ist in diesem Sinne inhaftiert auch der im offenen Vollzug befindliche Mandant (vgl. Knaudt in BeckOK RVG, 57. Ed. Stand 01.09.2022, RVG VV Vorbemerkung 4 Rn. 64; Kremer in Riedel/Sußbauer RVG, 10 Aufl. 2015, RVG [VV Vorbemerkung 4] Rn. 41; KG, Beschluss vom 05.09.2007 – 1 Ws 122/07 -, BeckRS 2007, 15746; OLG Jena, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.). Es entspricht weiter allgemeiner Auffassung, dass der Haftzuschlag nicht zu gewähren ist, wenn sich der Mandant freiwillig in einer stationären Therapieeinrichtung befindet, obwohl er auch dort Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit unterliegen kann (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 07.09.2007 – 1 Ws 584/07 -, BeckRS 2007, 16999), denn diese Einschränkungen sind nicht staatlich veranlasst. Die Frage, ob der Haftzuschlag dann zu gewähren ist, wenn ein Untergebrachter sich im Rahmen von Lockerungen in einem Übergangswohnheim oder im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung in einer externen betreuten Wohneinrichtung befindet, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – uneinheitlich beantwortet. Während das OLG Jena in seinem Beschluss vom 30.01.2009 (a.a.O.) einen Haftzuschlag bei Unterbringung des Mandanten in einem Übergangswohnheim zugebilligt hatte, lehnten das Kammergericht Berlin in der Entscheidung vom 29.08.2008 (NStZ-RR 2009, 31) und das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 20.07.2010 (a.a.O.) die Gewährung des Haftzuschlags im Falle eines in einer sozialpsychiatrisch betreuten Wohneinrichtung Untergebrachten ab, weil er dort keinen erheblichen Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit unterliege. Auch das OLG Jena hatte im Übrigen in seinem Beschluss die Gewährung des Haftzuschlags maßgeblich mit den in der konkreten Einrichtung bestehenden erheblichen Einschränkungen des Untergebrachten in seiner Bewegungsfreiheit begründet.

Der Senat schließt sich den Entscheidungen des Kammergerichts Berlin und des OLG Stuttgart an, dass ein Haftzuschlag dann nicht zu gewähren ist, wenn der Mandant sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einer externen betreuten Wohneinrichtung befindet, in der er – wie vorliegend – keinen maßgeblichen Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit unterliegt. Der maßgebliche Unterschied zur Behandlung der Fälle des offenen Vollzugs liegt nach Auffassung des Senats darin, dass ein Untergebrachter, der sich im Rahmen einer extramuralen Belastungserprobung in einer externen offenen Wohneinrichtung befindet, dort in aller Regel in seiner Bewegungsfreiheit nur wenigen Einschränkungen unterliegt, weil im Rahmen einer solchen Belastungserprobung gerade ein Leben in weitgehender Freiheit, das den Untergebrachten im Falle einer Aussetzung der Maßregel erwartet, unter realen Bedingungen erprobt werden soll. Demgegenüber unterliegt der Verurteilte, der sich im Rahmen von Vollzugslockerungen im offenen Strafvollzug befindet, dort sehr wohl erheblichen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit. So muss er sich etwa nach Ende seiner Arbeitszeit in der Regel unverzüglich zurück in die Justizvollzugsanstalt begeben und darf sich während der Arbeitszeit ohne ausdrückliche Genehmigung der Vollzugsanstalt nicht von seiner Arbeitsstätte entfernen.

Ob ein Haftzuschlag ausnahmsweise dann zu gewähren ist, wenn der Untergebrachte in der externen Einrichtung wesentlichen Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterworfen ist, braucht der Senat an dieser Stelle nicht zu entscheiden.“

Die Entscheidung ist auf der Grundlage der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung, die das OLG in seinem Beschluss anführt, zutreffend. Zu Recht hat das OLG darauf hingewiesen, dass in den Fällen des „betreuten Wohnens“ wegen der nicht oder nur leicht eingeschränkten Bewegungsfreiheit des Untergebrachten für den Verteidiger keine Erschwernisse entstehen, die die Anwendung der Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG rechtfertigen würden. Nicht verkennen darf man allerdings, dass die überwiegende Auffassung der OLG ebenso wie die teilweise abweichende Entscheidung des OLG Jena zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann. Denn, was sind „maßgebliche Einschränkungen“, die nach Auffassung des OLG einen Zuschlag rechtfertigen sollen? Die Beantwortung der Frage führt dann doch wieder zu einer „Einzelfallbetrachtung“, die durch die Pauschalregelung in Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG an sich ja gerade vermieden werden sollte.

Einziehung III: Vermögensabschöpfung vor 1.7.2021, oder: Altes versus neues Recht

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.05.2022 – 1 Ws 122/22. Der behandelt die Problematik: Wie ist das Verhältnis von § 459g Abs. 5 StPO a.F. zum ab 01.07.2021 neuen § 459g Abs. 5 StPO bei Vermögensabschöpfung vor dem 01.07.2021.

Der Verurteilte ist durch Urteil des LG vom 16.06.2021, rechtskräftig seit 26.06.2021, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Zugleich wurde die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 265.300 EUR angeordnet.

Mit Schreiben vom 30.08.2021 beantragte der Verurteilte, dass die weitere Vollstreckung hinsichtlich des die bisherige Sicherung übersteigenden Betrages gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. zu unterbleiben habe, da die Vollstreckung der durch Urteil des LG. angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei und auch gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO zu unterbleiben habe, da die Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, da er suchtkrank sei, das ursprünglich Taterlangte weitgehend an Lieferanten abgeben hätte müssen und für seinen Lebensunterhalt und weitere Drogen ausgegeben habe. Der darüberhinausgehende Rest sei bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt und verwertet worden. Der Verurteilte verfüge über kein weiteres Vermögen mehr, sodass eine Entreicherung vorliege. Die Einziehungsentscheidung sei daher auf die sichergestellten Beträge zu beschränken.

Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag entgegen. Sie hat darauf verwiesen, dass seit dem 01.07.2021 die neue Fassung des § 459g Abs. 5 StPO gelte. Die vormalig erste Alternative „soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist“, sei im § 459g Abs. 5 StPO n.F. nicht mehr enthalten. Mithin könne sich der Antrag nicht mehr darauf stützen, dass der Verurteilte das ursprünglich Taterlangte an Lieferanten habe abgeben müssen oder dieses für seinen Lebensunterhalt oder gar weitere Drogen verbraucht habe und es deshalb nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei. Die nach der aktuellen Rechtslage für eine Anordnung nach § 459g Abs. 5 StPO n.F. erforderliche Voraussetzung einer für den Verfolgten unverhältnismäßigen Vollstreckung liege nicht vor. Nach der Inhaftierung sei in Bezug auf das beabsichtigte Studium mit finanziellen Mitteln zu rechnen, die in der Zukunft, ggf. unter Gewährung einer ratenweisen Zahlung, zur Tilgung der Einziehungsforderung führen könnten.

Das LG hat den Antrag des Verurteilten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es entscheidend darauf ankomme, welches Recht für die Beurteilung heranzuziehen sei. Zwar sei das Urteil am 18.06.2021 und damit noch vor der Gesetzesänderung erlassen (und rechtskräftig) geworden, jedoch sei der zugrundeliegende Antrag erst am 30.08.2021 und damit nach Gesetzesänderung gestellt worden. Für die rechtliche Beurteilung habe die Strafvollstreckungskammer auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt, denn zur rechtlichen Beantwortung komme es in der Strafvollstreckung gerade auf den Entscheidungszeitpunkt an. Eine Verletzung des Rückwirkungsverbots habe nicht gesehen werden können. Die Neuregelung des § 495g Abs. 5 StPO lasse keinen Spielraum für die vorgetragenen Argumente mehr zu.

Dagegen das Rechtsmittel, das beim OLG  Erfolg hatte. Das OLG hat angeordnet, dass die weitere Vollstreckung des mit Urteil des LG vom 18.06.2021, rechtskräftig seit 26.06.2021, angeordneten Verfalls von Wertersatz unterbleibt (§§ 459 g Abs. 5 Satz 1 a.F., 462 Abs. 1 Satz 1, 309 Abs. 2 StPO), da gem. § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 StGB § 459g Abs. 5 in der – zur Zeit der Beendigung der Tat – vom 29.12.2020 bis 30.06.2021 geltenden Fassung, als das mildeste Gesetz anzuwenden ist, und danach die Vollstreckung der Einziehungsanordnung zwingend zu unterbleiben hat, wenn – wie vorliegend auf hinreichender Tatsachengrundlage feststeht – der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist.

Wegen der Begründung verweise ich auf den Volltext. Hier der Leitsatz der Entscheidung:

Gemäß § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 StGB ist der mit Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. 2017 I S. 872) mit Wirkung zu, 1. Juli 2017 neu gefasste § 459g Abs. 5 StPO a.F. als gegenüber dem mit Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. 2021 I S. 2099) am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen § 459g Abs. 5 StPO n.F. milderes Gesetz anzuwenden, wenn die rechtswidrige Tat, aus welcher der Täter etwas erlangt hat, vor Inkrafttreten der Neufassung am 1. Juli 2021 beendet wurde.

Und man freut sich dann noch/doch über das „fürsorgliche“ OLG:

„Der Senat weist den Beschwerdeführer fürsorglich darauf hin, dass die Vollstreckung gem. § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO a. F. (die insoweit § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO n.F. entspricht) allerdings wiederaufgenommen werden kann, wenn nachträglich Umstände bekannt werden oder eintreten, die einer Anordnung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO entgegenstehen.“

Corona I: Vorlage gefälschter Impfpässe nach altem Recht, oder: OLG Karlsruhe legt dem BGH vor

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Heute zum Start in die 32. KW., mal wieder zwei Entscheidungen zu „Corona-Fragen“.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.07.2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22 -, über den ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Es geht um die Frage, ob Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke nach altem Recht – also bis zum 23.11.2021 – strafbar war oder.

In dem Verfahren wird dem Angeklagten vorgeworfen, am 03.11.2021 in einer Apotheke einen gefälschten Impfpass vorgelegt zu haben. Dadurch wollte er eine doppelte Schutzimpfung gegen COVID-19 vortäuschen, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Das AG hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt.

In dem Verfahren spielt die streitige  Frage der sog. Sperrwirkung des § 279 StGB a.F. eine Rolle, die das OLG Karlsruhe verneinen möchte. Da es damit aber von Rechtsprechung anderer OLG abweichen müsste – z.B. von der des BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 03.06.2022 – 207 StRR 155/22 – hat es die Frage nun dem BGH vorgelegt, und zwar wie folgt:

Entfalten die § 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (priviligierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht ?

Gut so. Dann ist – hoffentlich bald – die Kuh vom Eis.

Pflichti II: Nochmals/wieder Beiordnungsgründe, oder: § 35 BtMG, Gesamtstrafe, schwierige Beweislage

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Im zweiten „Pflichtverteidigungs-Posting“ dann einige Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

    1. Für das behördliche Verfahren über die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG kann dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger nicht bestellt werden; insoweit findet § 140 Abs. 2 StPO keine entsprechende Anwendung (entgegen Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 1 Ws 431/08, Rn. 18, juris).
    2. Stattdessen ist dem Verurteilten unter den Voraussetzungen des § 1 BerHG auf Antrag Beratungshilfe zu gewähren.

Mir ist bei der Entscheidung allerdings nicht ganz klar, warum man sich zu der Frage äußert, wenn es nicht darauf ankommt 🙂 .

Die Bestellung eines Verteidigers ist bei einer Straferwartung von um ein Jahr Freiheitsstrafe naheliegend. Das gilt vor allem dann, wenn das Verfahren einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad aufweist, weil maßgebliche Bedeutung für die Überführung des bestreitenden Angeklagten ein Vergleich der vom Täter getragenen Kleidung,. wovon Bildaufnahmen einer Überwachungskameras vorhanden sind, mit bei dem Ange klagten sichergestellten Kleidungsstücken hat.

Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn gegen den Beschuldigten mehrere gesamtstrafenfähige Verfahren anhängig sind.