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Nochmals Beratungshilfe im Strafverfahren???, oder: Bewilligung auch noch nach Zustellung der Anklage

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Im zweiten Posting des Tages stelle ich dann den AG Köln, Beschl. v. 14.09.2023 – 360 XI 923/23 – vor. Der beantwortet noch einmal die Frage ob im Strafverfahren die Bewilligung von Beratungshilfe  auch noch nach Zustellung der Anklageschrift möglich ist. Das AG Köln hat die Frage bejaht:

„Die Rechtspflegerin hat den Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe zu Unrecht zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 S. 1 BerHG liegen vor.

Das Gericht schließt sich vollständig den überzeugenden Ausführungen des AG Bad Segeberg aus dem Beschluss v. 3.3.2020 — 18 UR II 808/19 an. Die Frage, wann in Strafsachen in zeitlicher Hinsicht für eine Beratung des Beschuldigten bzw. Angeklagten Beratungshilfe gewährt werden kann, wird nicht einheitlich beantwortet. In der Literatur wird einerseits vertreten, dass die Zustellung der Anklageschrift bzw. des Strafbefehls den Endpunkt der Bewilligungsmöglichkeit darstellen soll (Poller-Härtl/Köpf-Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 1 BerHG, Rz. 40, inhaltlich identisch Köpf, Beratungshilfegesetz, § 1, Rz. 40). Auf der anderen Seite besteht auch die Auffassung, dass in entsprechenden Verfahren die Bewilligung der Beratungshilfe so lange möglich sein soll, wie kein Pflichtverteidiger bestellt worden ist (Burhoff/Volpert-Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen Rz. 290). Die Rechtsprechung vertritt, soweit erkennbar, einhellig die letztgenannte Auffassung (AG Augsburg v. 9.9.1988 -1 UR II 1058, juris; AG Köln v. 13.2.1984 -662 UR II 1514/82, juris). Diese ist inhaltlich zutreffend. Die in § 1 Abs. 1 BerHG aufgenommenen Schranke der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Passus „außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens“ ist inhaltlich konsequent vor dem Hintergrund, dass in zivil- und familiengerichtlichen Verfahren vor den Gerichten zwei verschiedene Möglichkeiten der Prozess- bzw. Verfahrensführung für bedürftige Personen durch die Institute der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe bestehen. Insofern besteht die aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Zugangsmöglichkeit bedürftiger Verfahrensbeteiligter zu den Gerichten in nahtloser Abfolge von Beratungs-, Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe. Diese Systematik besteht für den Beschuldigten bzw. Angeklagten im Strafverfahren nicht.

Hier gibt es zwar das Institut der Pflichtverteidigung aus § 141 StPO, welches auf die Regelung zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO aufbaut. Bei ihm finden allerdings die Kriterien der Bedürftigkeit, des Erfolges der beabsichtigten Rechtsverfolgung sowie der fehlenden Mutwilligkeit keinerlei Berücksichtigung. Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Gesichtspunkt der Fürsorge des Staates, wie er auch bei der Verfahrenspflegerbestellung bzw. des Verfahrensbeistandes im Rahmen des Gesetzes zur Regelung des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit aufzufinden ist. Aus diesem Grunde ist die Pflichtverteidigerbestellung auch nicht abhängig von einer willentlichen Handlung seitens des Beschuldigten oder Angeklagten in Gestalt eines Antrages oder der Darlegung von persönlichen bzw. objektiven Voraussetzungen, sondern allein von der rechtlichen Einschätzung des Gerichtes. Damit aber greift der maßgebliche Gesichtspunkt, der zur Aufnahme des in § 1 Abs. 1 BerHG genannten Ausschlusses der Beratungshilfe infolge eines „gerichtlichen Verfahrens“ geführt hat, nicht ein. Denn dieser besteht ja nicht darin, Hilfe generell zu versagen, sondern nur darin, die zugrundeliegenden Systeme der antragsabhängigen Hilfebewilligung zeitlich randscharf abzugrenzen. Und dieser Gesichtspunkt greift in Strafverfahren nicht. Dort besteht gerade kein nahtloser Übergang verschiedener Möglichkeiten bedürftiger Personen, rechtliche ‚Beratung außerhalb oder während eines gerichtlichen Verfahrens in Anspruch zu nehmen. Wollte man nun die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Beratungshilfe nach Zustellung der Anklageschrift oder des Strafbefehles versagen, so würde einem wirtschaftlich Bedürftigen, gegen den die öffentliche Klage erhoben wird und der vom Gericht keinen Pflichtverteidiger bestellt bekommt, gleichsam von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit genommen, sich in der rechtlich höchst prekären Situation einer konkreten Strafverfolgung rechtlich kompetenten Rat in Anspruch zu nehmen. Hierfür allerdings besteht durchaus ein Bedürfnis, da die Fragen der Folgen eines Strafverfahrens, einer etwaigen Einlassung in der Hauptverhandlung, des Ablaufes des Gerichtstermines an sich pp. wegen der einschneidenden Folgen eines Strafverfahrens nicht durch anderweitige Erkenntnisquellen mit der notwendigen Sicherheit beantwortet werden können. Diese Folgen aber können nicht in der Intention des aus dem Sozialstaatsgebot ausfließenden Beratungshilfegesetzes gelegen haben (AG Bad Segeberg Beschl. v. 3.3.2020 — 18 UR II 808/19, BeckRS 2020, 2942 Rn. 7). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung von Beratungshilfe nicht vorgelegen hätten. Beratungshilfe war daher zu gewähren.“

Kleine Anmerkung: Es freut mich immer, wenn ich in Entscheidungen ein Zitat/einen Hinweis auf unseren RVG-Kommentar finde. Das beweist: Qualität setzt sich eben duch 🙂 .

Mehrfachverteidigungsverbot in der Beratungshilfe, oder: Es sind zwei Beratungsgebühren angefallen

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Und als zweites Posting des heutigen Freitags dann hier die Entscheidung fürs Töpfchen, und zwar der AG Braunschweig, Beschl. v. 27.03.2023 – 81a II 1309/21 – zur Anwendung des § 146 StPO im Beratungshilfeverfahren.

Die Entscheidung hat folgenden Sachverhalt: Das Hauptzollamt hatte gegen die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Betruges eingeleitet. Die Antragsteller benötigten zwecks Verteidigung gegen den bestehenden Strafbefehl Akteneinsicht und wollten hierfür anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Mit gemeinsamem Berechtigungsschein vom 01.10.2021 ist den Antragstellern, die jeweils für sich einen Beratungshilfeantrag gestellt hatten, Beratungshilfe für die Angelegenheit „Ermittlung Strafsache wegen Betruges (Zoll: pp.“ bewilligt worden.

Die Antragsteller haben daraufhin separat Beratung durch zwei unterschiedliche Rechtsanwälte einer Kanzlei in Anspruch genommen. Die beiden Rechtsanwälte haben dann jeweils eine Beratungsgebühr und eine anteilige Auslagenpauschale sowie Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat an jeden der beiden Rechtsanwälte diesen Betrag ausgezahlt.

Die Bezirksrevisorin hat gegen die zweifache Festsetzung der Beratungsgebühr Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass es sich nur um eine Angelegenheit handle. Das Verbot der Mehrfachverteidigung gem. § 146 StPO gelte nur für „Verteidiger“ und nicht für Beratungspersonen nach dem Beratungshilfegesetz. Die Erinnerung hatte keinen Erfolg:

„Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

Die Urkundsbeamtin hat zu Recht an jeden der beiden tätig gewordenen Rechtsanwälte die Beratungsgebühr, die anteilige Post- und Telekommunikationspauschale und die hierfür anfallende Umsatzsteuer ausgezahlt. Da beiden Antragstellern Beratungshilfe bewilligt worden ist, haben die Anwälte beider Antragsteller einen Anspruch auf Vergütung für die jeweilige Beratung. Eine gemeinsame Beratung hat nicht stattgefunden und wäre zumindest berufs-rechtlich von den Rechtsanwälten nicht zu erwarten gewesen.

Es ist zwar richtig, dass das Verbot der Mehrfachvertretung gemäß § 146 StPO sich „nur“ auf Verteidiger bezieht. Das setzt eine aktuell bestehende Beistandspflicht für einen Beschuldigten im Rahmen der prozessualen Verteidigertätigkeit voraus, die jedenfalls im Zeitpunkt der Bewilligung nicht bestanden hat. Ein vorbestehendes Mandatsverhältnis hätte, sofern es nicht nur zwangsweise zwecks Beantragung von Akteneinsicht begründet worden wäre, die Bewilligung von Beratungshilfe sogar ausgeschlossen.

Gleichwohl wirkt sich § 146 StPO auch im vorliegenden Fall dahingehend aus, dass eine Mehrfachvertretung jedenfalls in Bezug auf die hauptsächlich angestrebte Akteneinsicht unzulässig gewesen wäre und deswegen beiden Anwälten die Beratungsgebühr samt Auslagenpauschale und Umsatzsteuer zu erstatten ist. Für die Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 1 StPO, die für jede sinnvolle Beratung in Strafsachen vorab notwendig ist, bedurfte es zwingend formell einer Verteidigerbestellung. Eine solche kann ein Rechtsanwalt nicht für zwei Beschuldigte in dem gleichen Verfahren einreichen. Die Verteidigerbestellung steht dann der Abrechnung über die Beratungshilfe auch nicht entgegen, weil eine sinnvolle Beratung anders nicht möglich ist.

Die Antragsteller waren auch nicht gehalten, nur einen Rechtsanwalt mit der gemeinsamen Beratung nach Verteidigerbestellung für nur einen der Antragsteller und darauf begründeter Akteneinsicht zu beauftragen. Eine solche Beschränkung gibt der Beratungshilfe bewilligende Beschluss, an den das Gericht im Rahmen der Vergütungsentscheidung gebunden ist, nicht her. Wird beiden Antragstellern uneingeschränkt für eine konkrete Angelegenheit Beratungs-hilfe bewilligt, können auch beide Antragsteller gleichberechtigt sämtliche Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, wofür sie aus den vorstehenden Gründen zwingend unterschiedliche Rechtsanwälte beauftragen mussten.

Aufgrund der Bindungswirkung der Bewilligungsentscheidung kommt es nicht mehr darauf an, ob die Beratungshilfe für beide Antragsteller eingeschränkt hätte bewilligt werden können. Es soll gleichwohl angemerkt werden, dass eine Einschränkungsmöglichkeit in einer solchen Konstellation im Regelfall ohnehin zu verneinen wäre. Derjenige, für den die Akteneinsicht bei gemeinsamer Beratung formell beantragt worden wäre, hätte bei späterer Fortsetzung der Verteidigung bei dem gewählten Anwalt bleiben können, während der andere Antragsteller sich ungeachtet des bereits begründeten Vertrauensverhältnisses einen neuen Anwalt suchen müsste. Auch ein selbst zahlender Bürger würde dieses Risiko nicht in Kauf nehmen. Schon im Rahmen der Beratung werden regelmäßig Informationen preisgegeben, die kein vernünftig denkender Mensch dem Anwalt eines Mitbeschuldigten verraten würde. Nicht selten besteht in Strafverfahren die Verteidigung i. E. darin, die Schuld einem Mitbeschuldigten zuzuschieben, was durch solche Erkenntnisse stark erleichtert werden kann.

Der Höhe nach sind zu Recht keine Einwendungen gegen die festgesetzte Vergütung erhoben worden.“

Passt 🙂

Bei der Gelegenheit: Ich bin immer dankbar für gebührenrechtliche Entscheidungen. Im Moment ist der Bestand ein wenig mau. Daher: Schicken, schicken, schicken….

Pflichti II: Nochmals/wieder Beiordnungsgründe, oder: § 35 BtMG, Gesamtstrafe, schwierige Beweislage

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Im zweiten „Pflichtverteidigungs-Posting“ dann einige Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

    1. Für das behördliche Verfahren über die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG kann dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger nicht bestellt werden; insoweit findet § 140 Abs. 2 StPO keine entsprechende Anwendung (entgegen Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 1 Ws 431/08, Rn. 18, juris).
    2. Stattdessen ist dem Verurteilten unter den Voraussetzungen des § 1 BerHG auf Antrag Beratungshilfe zu gewähren.

Mir ist bei der Entscheidung allerdings nicht ganz klar, warum man sich zu der Frage äußert, wenn es nicht darauf ankommt 🙂 .

Die Bestellung eines Verteidigers ist bei einer Straferwartung von um ein Jahr Freiheitsstrafe naheliegend. Das gilt vor allem dann, wenn das Verfahren einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad aufweist, weil maßgebliche Bedeutung für die Überführung des bestreitenden Angeklagten ein Vergleich der vom Täter getragenen Kleidung,. wovon Bildaufnahmen einer Überwachungskameras vorhanden sind, mit bei dem Ange klagten sichergestellten Kleidungsstücken hat.

Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn gegen den Beschuldigten mehrere gesamtstrafenfähige Verfahren anhängig sind.

beA-Antrag auf Festsetzung der Beratungshilfe, oder: Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins?

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Ich hatte vor einiger Zeit über den LG Osnabrück, Beschl. v. 24.01.2022 – 9 T 466/21 – berichtet (vgl. beA-Antrag auf Festsetzung der Beratungshilfe, oder: Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins?) berichtet. Ich erinnere: Dem Rechtssúchen war vom AG antragsgemäß ein Berechtigungsschein für die Beratungshilfe erteilt worden. Der Rechtsanwalt führt die Beratung durch und macht dann über das beA beim AG mit einem Antrag seinen Vergütungsanspruch gegenüber der Landeskasse geltend. Dem Antrag war als eingescanntes Dokument eine Abbildung des Berechtigungsscheins beigefügt. Die zuständige Urkundsbeamtin lehnt den Vergütungsantrag ab, weil der Berechtigungsschein nicht im Original vorgelegt worden sei. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts weist der Amtsrichter zurück. Die Beschwerde hatte dann aber beim LG Osnabrück Erfolg.

Das OLG Oldenburg hat dann im OLG Oldenburg, Beschl. v. 01.04.2022 – 12 W 25/22 – die weitere Beschwerde der Landeskasse zurückgewiesen:

„Das Landgericht hat seiner Entscheidung die zutreffende Rechtsauffassung zugrunde gelegt, dass es jedenfalls im Falle eines elektronisch eingereichten Vergütungsfestsetzungsantrages keine zwingende Voraussetzung für die Festsetzung der Beratungshilfevergütung des die Beratungsleistung erbringenden Rechtsanwaltes ist, dass der Beratungshilfeschein im Original eingereicht wird.

Tatsächlich ist eine derartige Vorlagepflicht nirgends ausdrücklich normiert. Weder die Vorschriften des RVG zur Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen (§ 55 RVG), noch die Vorgaben des Beratungshilfegesetzes (BerHG) oder die Vorschriften der auf Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 11 BerHG erlassenen Beratungshilfeformularverordnung (BerHFV) enthalten eine Norm, die dem Rechtsanwalt ausdrücklich aufgeben würde, bei Antragstellung auf Festsetzung seiner Vergütung den ihm vom Rechtssuchenden überlassenen Berechtigungsschein an das ausstellende Gericht zurückzugeben. Lediglich aus dem Umstand, dass das vom Rechtsanwalt nach § 1 Nr. 2 BerHFV bei Antragstellung zu verwendende Formular (Anlage 2 zu § 1 BerHFV) eine von der Beratungsperson abzugebende Erklärung vorsieht, wonach dem Formular alternativ entweder der Berechtigungsschein im Original oder der Antrag auf nach-trägliche Bewilligung der Beratungshilfe beigefügt sei, wird gefolgert, dass ein er-teilter Berechtigungsschein stets im Original durch die Beratungsperson vorzulegen sei (vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2020, 444, hier zit. aus juris, RN 9 m.entspr.N.).

Mit dem OLG Saarbrücken erachtet es der erkennende Senat aber für durchaus zweifelhaft, ob der Erklärungstext in einem zu verwendenden Formular überhaupt eine Rechtsnorm darstellt, durch welche ein Antragsteller zur Vorlage bestimmter Unterlagen verpflichtet werden kann (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O., RN 12). Diese Frage kann indes für den vorliegenden Streitfall ebenso dahinstehen, wie dies auch bei dem vom OLG Saarbrücken zu entscheidenden Sachverhalt der Fall war.

Der Antragsteller hat seinen Vergütungsantrag als elektronisches Dokument eingereicht, was ihm nach § 12b S. 2 RVG, § 8 BerHG i.V.m. § 14 Abs. 2 S. 1 FamFG ausdrücklich gestattet war. Damit kommen gemäß § 14 Abs. 2 S. 2 FamFG ergänzend die Vorschriften des § 130a ZPO zum elektronischen Dokument zur Anwendung, wonach auch die zu einem Antrag gehörenden Anlagen als elektronisches Dokument eingereicht werden können (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O.). Dies ist vorliegend durch Übersendung einer Bilddatei, die eine eingescannte Abbildung des Originalberechtigungsscheins enthält, erfolgt. Sofern die BerHFV weitergehende Anforderungen enthält, welche die gesetzlich ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit einer elektronischen Antragstellung einschränken, haben diese Vorgaben einer einfachen Rechtsverordnung hinter dem höherrangigen Gesetzesrecht zurückzutreten (vgl. OLG Saabrücken, a.a.O.). Dies ist entgegen der Auffassung der weiteren Beschwerde keine Frage eines Redaktionsversehens des Normgebers, sondern Folge des Vorrangs des Gesetzes, welches Geltung beansprucht unabhängig davon, ob nachrangige Normen rechtzeitig an eine veränderte Gesetzeslage angepasst werden.

Gleichwohl kann auch im elektronischen Antragsverfahren die Vorlage des Beratungsscheins vom Gericht (zusätzlich) erfordert werden, wo dies zur Glaubhaft-machung des vom Rechtsanwalt geltend gemachten Vergütungsanspruches gemäß § 55 Abs. S. 1 RVG, § 104 Abs. 2 S. 1 ZPO erforderlich ist (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O., RN 15). Soweit das Beschwerdegericht im vorliegenden Verfahren hiervon Abstand genommen hat, weil der Antragsteller bereits anwaltlich versichert habe, dass sich der Berechtigungsschein bei ihm im Original befinde und von ihm nach Auszahlung der Vergütung vernichtet werde, ist dies nicht zu beanstanden. Welche Angaben das Gericht zur Glaubhaftmachung für erforderlich ansieht, ist grundsätzlich eine Frage der tatrichterlichen Würdigung, die im Rahmen der weiteren Beschwerde nur auf Rechtsverstöße überprüft werden kann (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 1 RVG i.V.m. § 546 ZPO). Mit seiner Beweiswürdigung, wonach die Vergütungsvoraussetzungen vorliegend durch anwaltliche Versicherung im elektronischen Antragsverfahren hinreichend glaubhaft gemacht sind, hat das Landgericht das ihm als Beschwerdegericht eingeräumte tatrichterliche Ermessen aber nicht rechtsfehlerhaft ausgeübt.

Soweit die weitere Beschwerde dagegen die Auffassung vertritt, die Vorlage des Berechtigungsscheins im Original sei erforderlich, um einer möglichen miss-bräuchlichen Verwendung desselben vorzubeugen, findet ein entsprechendes Anliegen im Gesetz keine Stütze. Selbst wenn eine Vorlagepflicht in Anlage 2 zu § 1 BerHFV normiert wäre, dürften mit ihr keine weiterreichenden Zwecke verfolgt werden als sie dem Verordnungsgeber durch die in § 11 BerHG enthaltene Verordnungsermächtigung vorgegeben sind. Dieser wurde hiernach jedoch nur ermächtigt, zur „Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrens“ durch Rechtsverordnung Formulare einzuführen und deren Verwendung vorzuschreiben.

Maßnahmen zur Vorbeugung einer „Doppelliquidation“ sind hiervon nicht umfasst. Derartigen Gefahren kann ohne weiteres durch verwaltungsinterne organisatorische Maßnahmen begegnet werden, wie sie vom Landgericht mit Verweis auf den Erlass des MJ vom 15.07.2005 sowie auf § 25 Abs. 1 und 3 S. 3 AktO i.V.m. der Liste 4a, Ziff. 7 bis 9 zutreffend aufgezeigt wurden.“

beA-Antrag auf Festsetzung der Beratungshilfe, oder: Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins?

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Und dann zum Wochenschluss – na ja, noch nicht ganz – noch zwei Entscheidungen mit gebührenrechtlichem Einschlag.

Zunächst hier der LG Osnabrück, Beschl. v. 24.01.2022 – 9 T 466/21 – zu einer Problematik in Zusammenhang mit der Beratungshilfe. Ist ja im Strafverfahren nicht ganz so häufig, aber sie kommt auch immer wieder vor. U.a. darum stelle ich den Beschluss vor:

Dem Rechtssúchen wird vom AG  antragsgemäß ein Berechtigungsschein für die Beratungshilfe (wegen einer Kündigung aufgrund von Eigenbedarf) erteilt. Der Rechtsanwalt führt die Beratung durch und macht dann über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) beim AG Antrag seinen Vergütungsanspruch gegenüber der Landeskasse geltend. Dem Antrag war als eingescanntes Dokument eine Abbildung des Berechtigungsscheins beigefügt. Nachrichtlich teilte der Beschwerdeführer mit, das Original des Berechtigungsscheins befinde sich bei ihm und werde nach Zahlungseingang entwertet, was anwaltlich versichert werde. Die zuständige Urkundsbeamtin lehnt den Vergütungsantrag ab, weil der Berechtigungsschein nicht im Original vorgelegt worden sei. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts weist der Amtsrichter zurück. Die Beschwerde hatte dann aber beim LG Osnabrück Erfolg.

„Mit der inzwischen wohl herrschenden Meinung ist die Kammer der Ansicht, dass der Antragsteller bei einem elektronisch eingereichten Antrag auf Festsetzung der Beratungshilfevergütung, dem der Berechtigungsschein als eingescanntes Dokument beigefügt ist, das Original des Berechtigungsscheins grundsätzlich nicht vorzulegen hat. Insoweit folgt die Kammer insbesondere der Entscheidung des OLG Saarbrücken mit Beschluss vom 16.12.2019. Die Kammer macht sich die Begründung des OLG nach Maßgabe der weiter nachfolgenden Ausführungen vollumfänglich zu eigen (vgl. zitiert nach juris, dort Rn. 11 bis15 sowie MDR 2020, 634 f.). Diese Auffassung hat zuvor bereits Hansens in seiner ablehnenden Anmerkung zu der erstinstanzlichen Entscheidung des LG Saarbrücken, Beschluss vom 28.08.2019 (5 T 83/19), RVGreport 2019, 478 ff. vertreten und zutreffend ausgeführt, nirgends sei normiert, auch nicht in den Regelungen der Beratungshilfeformularverordnung (BerHFV), dass das Original vorzulegen sei. Dieser Auffassung sind im Ergebnis auch: Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Auflage 2022, Rn. 1302; Volpert in Burhoff/Volpert, 6. Auflage 2021, Beratungshilfe, Rn. 523; Biallaz in: Ory-Weth, jurisPK-ERV Bd. II, 1. Auflage, § 14 FamFG (Stand: 01.09.2020) Rn. 61; Lissner, RVGreport 2020, 2 (6).

Zwar ist nach § 1 Nr. 2 BerHFV im Bereich der Beratungshilfe von der der Beratungsperson für den Antrag auf Zahlung einer Vergütung das in Anlage 2 bestimmte Formular zu verwenden und in dem Formular ein Text anzukreuzen, nach dem der Berechtigungsschein im Original beigefügt sei. Jedoch hat — anders als damals das Saarland — das Land Niedersachsen mit Erlass des MJ vom 15.07.2005 (Az.: 5650-204.19, Fassung vom 16.12.2016, gültig seit dem 01.07.2017, (Nds. Rpfl. 2005, Nr. 8, S. 244) zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 16.12.2016 (Nds. Rpfl. 2017, Nr. 1 S. 10)) zur Vergütung bei Beratungshilfe zu Ziffer 1. Satz 1 angeordnet, der Festsetzungsantrag könne auch mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung erstellt werden oder von einem amtlichen Formular abweichen, wenn er inhaltlich diesem entspreche. Da in Niedersachsen nicht einmal das Original der Anlage 2 der BerHFV verwendet werden muss, spricht dies umso mehr dafür, dass es keine Regelung gibt, nach der zwingend der Beratungshilfeschein im Original vorzulegen ist.

Der in der vorgenannten Entscheidung des OLG Saarbrücken genannte Ausnahmefall liegt nicht vor. Dem Akteninhalt lässt nicht entnehmen, die ursprünglich tätig gewesene Urkundsbeamtin habe das Original des Berechtigungsscheins zur Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs der Beratung sperson für erforderlich gehalten. Es ist davon auszugehen, dass ihre ablehnende Entscheidung nach dem knappen Inhalt formal auf das Fehlen des Originals abstellt. Zudem hat der Beschwerdeführer in dem Antrag mitgeteilt, er versichere anwaltlich, dass sich das Original des Berechtigungsscheins bei ihm befinde und nach Zahlungseingang entwertet werde.

Eine doppelte Liquidation ist bereits aus dem vorgenannten Gründen nicht zu erwarten. Zudem ist die Festsetzung der Gebühren und Auslagen nach dem o. g. Erlass des MJ vom 15.07.2005 zur Vergütung bei Beratungshilfe zu Ziffer 1. Satz 2 zur Durchschrift des Berechtigungsscheins zu nehmen. Nach § 25 Abs. 1 und 3 Aktenordnung (Az. 1454 — 102. 12 vom 17.12.2019, Nds. Rpfl. 2020, 50) i. V. m. der Liste 4a, dort Ziff. 7 bis 9 sind in Angelegenheiten der Beratungshilfe die gebührenrelevanten Tatbestände zu vermerken (siehe auch die Erläuterungen zu Ziffer 3. der Liste 4a).“

Die Kammer hat die weitere Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen aus § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG zugelassen. Dazu darf sich dann demnächst das OLG Oldenbrug äußern.

Und: Wir hatten schon: Beratungshilfe, oder: In welcher Form muss der Berechtigungsschein beim elektronischen Festsetzungsantrag beigefügt werden?