Beratungshilfe, oder: In welcher Form muss der Berechtigungsschein beim elektronischen Festsetzungsantrag beigefügt werden?

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Heute am Gebührenfreitag dann zunächst eine Entscheidung, die m.E. in die Rubrik gehört: Wenn der Gesetzgeber nicht aufpasst, muss die Rechtsprechung es richten.

Es handelt sich um den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.12.2019 – 9 W 30/19. Ergangen ist er in/nache einem Beratungshilfeverfahren. Dem Rechtssuchenden war ein Berechtigungsschein für die Inanspruchnahme von Beratungshilfe erteilt worden. Der Rechtsanwalt, der die Beratung erteilt hatte, reichte seinen Vergütungsfestsetzungsantrag im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs ein. Dem Antrag hatte er eine – bearbeitete – Abbildung des Berechtigungsscheins beigefügt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat den Vergütungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass dem Antrag der Berechtigungsschein nicht im Original beigefügt sei. Das AG hat der Erinnerung des Rechtsanwalts stattgegeben. Auf die Beschwerde der Landeskasse hat das LG Saarbrücken (RVGreport 2019, 478) den AG-Beschluss aufgehoben und den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Das OLG Saarbrücken war dann mit der Sache aufgrund der (zugelassenen) weiteren Beschwerde des Rechtsanwalts befasst. Es hat den AG-Beschluss „wiederhergestellt“:

„Die weitere Beschwerde ist begründet und führt zur Wiederherstellung der Entscheidung des Erinnerungsrichters. Der Beschluss des Beschwerdegerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, § 546 ZPO)

Wird einem Rechtsuchenden Beratungshilfe (§§ 1, 2 BerHG) gewährt, richtet sich die Vergütung der Beratungsperson gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BerHG nach den für die Beratungshilfe geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG). Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 RVG wird die Vergütung auf Antrag durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des in § 4 Abs. 1 BerHG bestimmten Gerichts festgesetzt.

Zu dem Inhalt des Antrags ist im RVG geregelt, dass dieser eine Erklärung über die von der Beratungsperson bis zum Tag der Antragstellung erhaltenen Zahlungen zu enthalten hat und dass bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr bestimmte zusätzliche Angaben erforderlich sind (vgl. § 55 Abs. 5 Satz 2, 3 RVG). Weitere Anforderungen an den Antrag enthält das RVG nicht, solche ergeben sich allerdings aus der auf der Grundlage von § 11 BerHG erlassenen BerHFV. Nach § 1 Nr. 2 BerHFV hat die Beratungsperson für ihren Antrag auf Zahlung einer Vergütung das in der Anlage 2 zur BerHFV bestimmte Formular zu verwenden. In diesem Formular, das auch hier verwendet wurde, ist in der Textzeile „Der Berechtigungsschein im Original oder der Antrag auf nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe ist beigefügt“ das Zutreffende anzukreuzen. Hierauf gestützt wird allgemein angenommen, dass ein erteilter Berechtigungsschein stets im Original durch die Beratungsperson vorzulegen sei (vgl. NK-GK/Stollenwerk, 2. Aufl., § 55 RVG Rn. 9; Poller/Teubel/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, § 55 RVG Rn. 22; Lissner/Dietrich, Beratungshilfe mit Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 3. Aufl., Rn. 344).

Zumindest dann, wenn der Festsetzungsantrag – wie hier – in elektronischer Form eingereicht wird, ist die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins jedoch nicht in jedem Fall erforderlich.

Gemäß § 12 b Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 1 FamFG können Anträge in Beratungshilfeangelegenheiten auch als elektronisches Dokument übermittelt werden. Das gilt auch für den Antrag der Beratungsperson auf Festsetzung ihrer aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gemäß § 55 RVG (vgl. NK-GK/Klos, aaO, § 12 b RVG Rn. 12; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Aufl., § 12 b Rn. 3). Zwar wurde die Anlage 2 zur BerHFV im Zusammenhang mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht geändert. § 3 Abs. 2 Satz 1 BerHFV enthält lediglich eine Öffnungsklausel dahingehend, dass die Länder Änderungen oder Anpassungen von dem in der Anlage 2 bestimmten Formular zulassen dürfen, die es, ohne den Inhalt zu verändern oder dessen Verständnis zu erschweren, ermöglichen, das Formular in elektronischer Form auszufüllen und dem bearbeitenden Gericht als strukturierten Datensatz zu übermitteln. Von dieser Befugnis hat das Saarland bislang keinen Gebrauch gemacht. Die unterbliebene Anpassung des Antragsformulars an die Verfahrensabläufe des elektronischen Rechtsverkehrs steht indes der elektronischen Übermittlung des Antrags auf Vergütungsfestsetzung nicht entgegen (ebenso Lissner/Dietrich, aaO, Rn. 344 aE; vgl. auch [zur elektronischen Übermittlung eines Prozesskostenhilfe-Erklärungsvordrucks] LAG Sachsen, NZA-RR 2019, 278 m. zust. Anm. Müller; Tiedemann, jurisPR-ArbR 10/2019 Anm. 7). Hiervon geht auch das Beschwerdegericht ersichtlich aus und die Landeskasse zieht ebenfalls nicht in Zweifel, dass der von dem Beschwerdeführer über das beA eingereichte Antrag auf Festsetzung seiner Vergütung gegen die Landeskasse formell wirksam gestellt ist.

Nach der Vorschrift in § 130 a Abs. 1 ZPO, die aufgrund der Verweisungen in § 12 b Satz 2 RVG und § 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG auf Vergütungsfestsetzungsanträge im Beratungshilfeverfahren anwendbar ist, können auch die zu einem Antrag gehörenden Anlagen als elektronisches Dokument eingereicht werden. Als höherrangige Norm geht § 130 a Abs. 1 ZPO nach der allgemeinen Kollisionsregel („lex superior derogat legi inferiori“; vgl. hierzu etwa Staudinger/Honsell, BGB [2018], Einl. BGB Rn. 147) der BerHFV vor. Unabhängig davon, ob der Text des in der Anlage 2 zur BerHFV enthaltenen Antragsformulars („Der Berechtigungsschein im Original … ist beigefügt“) überhaupt eine Rechtsnorm darstellt, durch welche die Beratungsperson zur Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins verpflichtet wird, ist es somit aufgrund der Normhierarchie zulässig, bei einem elektronisch gestellten Vergütungsfestsetzungsantrag auch den Berechtigungsschein als elektronisches Dokument zu übermitteln.

Den Vorschriften des RVG als gegenüber § 130 a ZPO gleichrangigen Normen ist eine Verpflichtung zur Vorlage des Berechtigungsscheins im Original nicht zu entnehmen.

Aus der Verweisung in § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG auf § 104 Abs. 2 ZPO folgt, dass es für die Festsetzung der durch die Beratungsperson beanspruchten Vergütung genügt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines in Nr. 2500 ff. VV-RVG geregelten Gebührentatbestands glaubhaft gemacht sind (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, aaO, § 55 Rn. 33). Die Gebühr ist also festzusetzen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen ihrer Voraussetzungen spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2007 – II ZB 10/06, NJW 2007, 2187 Rn. 8; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 16. Aufl., § 104 Rn. 18), wobei sich das Gericht aller Beweismittel bedienen kann (vgl. § 294 Abs. 1 ZPO).

Voraussetzung aller bei der Beratungshilfe in Betracht kommenden Gebührentatbestände ist (sofern kein Fall des § 6 Abs. 2 BerHG vorliegt), dass aufgrund eines durch das Gericht erteilten Berechtigungsscheins eine Beratungshilfeleistung erbracht wurde (vgl. OLG Düsseldorf, JurBüro 2010, 304, 305). An die Erteilung des Berechtigungsscheins wird deshalb für den Vergütungsanspruch angeknüpft, weil das Gesetz bei der Bewilligung von Beratungshilfe – anders als bei der Prozesskostenhilfebewilligung (vgl. § 120 ZPO) – keine Beiordnung eines Rechtsanwalts vorsieht. Die danach bei der Geltendmachung des Vergütungsanspruchs durch die Beratungsperson erforderliche Glaubhaftmachung, dass der Rechtsuchende unter Vorlage des Berechtigungsscheins um eine Beratung oder Vertretung gebeten hat, kann dadurch erfolgen, dass die Beratungsperson den ihr von dem Rechtsuchenden ausgehändigten Berechtigungsschein im Original vorlegt. Zwingend erforderlich ist das gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG i.V.m. § 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO aber nicht, sofern das Gericht aufgrund sonstiger Umstände das Vorliegen dieser Voraussetzung für glaubhaft gemacht hält.

Im konkreten Fall lässt die Begründung in dem Beschluss des Erinnerungsrichters erkennen, dass dieser die als elektronisches Dokument übermittelte Abbildung des Berechtigungsscheins mit den von dem Beschwerdeführer vorgenommenen Ergänzungen (Durchstreichung, Kennzeichnung als „entwertet“, Kanzleistempel und Unterschrift) als ausreichend erachtet, um die tatsächlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV-RVG als glaubhaft gemacht anzusehen, und die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins aus seiner Sicht hierfür nicht notwendig war. Diese Würdigung wird von dem Landgericht, das lediglich aus Rechtsgründen die Vorlage des Originals des Berechtigungsscheins für erforderlich hält, nicht in Zweifel gezogen. Da sie einen Rechtsfehler nicht erkennen lässt, ist sie auch für die Entscheidung über die weitere Beschwerde zugrunde zu legen.

Auch die Funktion des Berechtigungsscheins gebietet dessen Vorlage im Original nicht. …..“

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