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OWi II: Terminsverlegungsanträge des Verteidigers, oder: Ablehnung nur mit konkreten Gründen

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen vom LG Braunschweig. In beiden Beschlüssen hat sich das LG zur Ablehnung von Terminsverlegungsanträgen des Verteidigers geäußert. In beiden Verfahren ist dann auf die Beschwerden des Verteidigers der jeweilige Hauptverhandlungstermin aufgehoben worden. Hier die Begründungen des LG:

Zunächst der LG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2024 – 2b Qs 342/24:

Über Anträge auf Terminsverlegung hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu ent-scheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2006, NStZ-RR 2006, 271). An diesen Grundsätzen hat sich die Vorsitzende bei der Ablehnung des Verlegungsantrages nicht ausgerichtet. Dies zeigt das Schreiben vom 07.11.2024, welches erkennbar nicht auf das konkrete Verfahren zutrifft. Denn dem Betroffenen wird vorliegend ein Abstandsverstoß zur Last gelegt, wohingegen das Amtsgericht auf eine standardisierte Geschwindigkeitsmessung abstellt, woraus ersichtlich wird, dass das Amtsgericht für den konkreten Einzelfall gar kein Ermessen ausgeübt hat, sondern offenbar ein Formularschreiben verwandte. Soweit in der angefochtenen Entscheidung auf das allgemeine Gebot der Verfahrensbeschleunigung und den Terminsdruck des Gerichts abgestellt wird, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn zeitnah wird eine Verfolgungs-verjährung nicht eintreten. Hieraus wird deutlich, dass die Vorsitzende von vornherein und unabhängig von dem geltend gemachten Grund nicht bereit war, einem etwaigen Verlegungsantrag zu entsprechen.

Demgemäß lässt auch die angefochtene Entscheidung die gebotene Abwägung zwischen den oben genannten Kriterien vermissen. Es wurde auch nicht versucht, einen Verhandlungstermin mit dem Verteidiger abzusprechen. Zu Recht wird in der Beschwerdebegründung darauf hinge-wiesen, dass der Beschwerdeführer ein besonderes Interesse daran hat, sich in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten zu lassen.

Und ähnlich der LG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2024 – 2b Qs 346/24:

Über Anträge auf Terminsverlegung hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2006, NStZ-RR 2006, 271). An diesen Grundsätzen hat sich die Vorsitzende bei der Ablehnung des Verlegungsantrages nicht ausgerichtet, auch wenn zutreffend ist, dass der Termin bereits einmal auf Antrag des Verteidigers verlegt wurde. Dies zeigt das Schreiben vom 11.11.2024, wobei es sich offenbar um ein Formularschreiben handelt. Soweit in der angefochtenen Entscheidung auf das allgemeine Gebot der Verfahrensbeschleunigung und den Terminsdruck des Gerichts abgestellt wird, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn der Verteidiger hat als Alternativtermine den 19.12.2024 bis 8:30 Uhr oder den 19.12.2024 ab 14:00 Uhr angeboten. Zu einer Verfahrensverzögerung würde es bei einer solchen Verlegung der Terminsstunde gerade nicht kommen. Die Vorsitzende hat in ihrer Entscheidung auch nicht begründet, warum die Verlegung der Terminsstunde im konkreten Fall nicht möglich war, sondern nur pauschal auf die Terminslage des Gerichts hingewiesen. Der Hinweis auf das Beschleunigungsgebot verfängt hier im Übrigen schon deshalb nicht als tragfähige Ermessenserwägung, weil eine Verfolgungsverjährung nicht zeitnah eintritt. Hieraus wird deutlich, dass die Vorsitzende von vornherein und unabhängig von dem geltend gemachten Grund nicht bereit war, einem weiteren Verlegungsantrag des Verteidigers zu entsprechen.

Demgemäß lässt auch die angefochtene Entscheidung die gebotene Abwägung zwischen den oben genannten Kriterien vermissen. Es wurde auch nicht versucht, einen Verhandlungstermin mit dem Verteidiger abzusprechen. Zu Recht wird in der Beschwerdebegründung darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer ein besonderes Interesse daran hat, sich in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten zu lassen.“

KCanG II: Rechtsprechung vornehmlich zum Straferlass, oder: Einmal etwas zur Pflichtverteidigung

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Im zweiten Posting habe ich dann zusammengestellt, was sich bei mir in den letzten Tagen angesammelt hat. Da geht es quer durch das StGB/die StPO, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG mit einem im Einzelfall niedrigeren Strafrahmen für die abgeurteilte Anlasstat in Kraft getreten ist, findet im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Berücksichtigung.

1. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB iVm Art. 316p EGStGB für Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, treten unmittelbar kraft Gesetzes ein.

2. Das Revisionsgericht hat diesen rückwirkenden Straferlass gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten. Eine gebildete Gesamtstrafe ist auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt. Ist ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen alle sonstigen Voraussetzungen einer Straflosigkeit vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.

1. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn die drohenden Rechtsfolgen einschneidend sind, insbesondere bei drohenden längeren Freiheitsstrafen um 1 Jahr.

2. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in den Fällen des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG.

Zur Neufestsetzung der Strafe, wenn unerlaubter Besitz von Cannabis mit Besitz von anderen Betäubungsmitteln zusammen trifft.

Die Möglichkeit einer Strafermäßigung nach Art. 316p i. V. m. 313 EGStGB ist auch in den Fällen zu bejahen, in denen neben Cannabis gleichzeitig noch andere Betäubungsmittel unerlaubt besessen wurden.

StPO II: Drei Pflichtverteidigungsentscheidungen, oder: Beweisverwertungsverbot, Sachverständiger, Akten

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Und im zweiten Posting dann drei Entscheidungen „aus der Instanz“ zur Pflichtverteidigung, und zwar zu den Gründen für eine Beiordnung, und zwar:

Für die Frage der Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers in einem Strafverfahren genügt, dass ein Beweisverwertungsverbot nicht völlig fernliegend ist. Das kann der Fall sein, wenn eine im Rahmen des Zwischenverfahrens durchgeführten Wahllichtbildvorlage ggf. nicht den Anforderungen der Rechtsprechung entspricht.

    1. Nicht jede Hinzuziehung eines Sachverständigen begründet die Schwierigkeit einer Sachlage mit der Folge, dass ein Pflichtverteidiger beizuordnen wäre.
    2. Der Beiordnung eines Pflichtverteidigers steht nicht entgegen, wenn der bisherige Wahlverteidiger des Angeklagten im Berufungsverfahren erklärt hat, er würde eine gegenseitige Berufungsrücknahme befürworten, und die Staatsanwaltschaft daraufhin angekündigt hat, im Falle einer Berufungsrücknahme des Angeklagten die ihrerseits eingelegte Berufung ebenfalls zurückzunehmen.

Ist zur Feststellung, ob eine versehentliche Doppelverfolgung des Beschuldigten vorlag, eine Akteneinsicht ebenso erforderlich, wie das verstehende Lesen der beiden Verfahrensakten, ist die Sach- und Rechtslage schwierig.

Erstinstanzliche Verteidigung gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?

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Nach dem BayObLG, Beschl. v. 27.10.2023 -204 StRR 394/23, den ich heute Vormittag vorgestellt habe (vgl. hier: Erfolgreiches Rechtsmittel gegen Einziehung, oder: Welche Kosten-/Auslagenentscheidung?), nun zwei weitere Entscheidungen zu Kosten-/Auslagenfragen bei der Einziehung.

Es handelt sich um zwei LG-Entscheidungen, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle und im Übrigen auf das „Selbstleseverfahren“ verweise. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Zunächst der LG Hildesheim, Beschl. v. 13.12.2023 – 21 Qs 4/23 – zur Frage der Auslagenerstattung für den Einziehungsbeteiligten nach Erlöschen des Einziehungsanspruches vor Verfahrensabschluss. Dazu der Leitsatz:

Die notwendigen Auslagen eines Einziehungsbeteiligen sind regelmäßig nicht aus Billigkeitsgründen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn von einer Einziehungsentscheidung gegen diesen abgesehen wird, nachdem der aus der Tat erwachsene Wertersatzanspruch des Verletzten infolge von diesem veranlasster Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Anordnung der Einziehungsbeteiligung, aber vor Abschluss des Verfahrens erloschen ist.

Und dann der LG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2023 – 8 Qs 326/23 -, der sich sowohl zur Frage des Gegenstandswertes bei der Einziehung äußert – Stichwort: Gegenstandswert bei unterschiedlichen Werten in der Anklage und dem (Einziehungs)Antrag der Staatsanwaltschaft – und dann auch zur Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO in erstinstanzlichen Verfahren. Hier die beiden Leitsätze:

1. Entscheidend für die Berechnung des Gegenstandswertes für die Nr. 4142 VV RVG ist nicht, in welcher Höhe die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme eine Einziehung für gerechtfertigt hält, sondern vielmehr, welcher Betrag durch die Anklageerhebung zum Verfahrensgegenstand gemacht wird.
2. § 465 Abs. 2 StPO ist auch in erstinstanzlichen Verfahren anwendbar.

Pflichti III: 4 x nachträgliche Bestellung zulässig, oder: Schritt(e) in die richtige Richtung

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Und dann – wie fast immer an „Pflichti-Tagen“ – noch etwas zum Dauerbrenner: Rückwirkende Bestellung. Dazu habe ich dann vier Entscheidungen, und zwar:

Alle vier Entscheidungen bejahen die rückwirkende Bestellung. Interessant in dem Zusammenhang vor allem der Beschluss des LG Braunschweig. Das „übergeordnete“ OLG lehnt die nachträgliche Bestellung nämlich ab. Anders also das LG, allerdings nur bei inhaftierten Beschuldigten. Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.