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Mit dem Porsche Cabrio auf dem Nürburgring, oder: Haftungsquote und Nutzungsausfall

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen, und zwar zwei LG-Entscheidungen.

Hier zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 03.11.2022 – 10 O 39/20 -, das mir der Kollege Nugel aus Essen geschickt hat. Gestritten worden ist in dem Verfahren um den Schadensersatz nach einem Unfall auf dem Nürburgring. Dem urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte eine sog. Touristenfahrt auf dem Nürburgring unternommen. Bei dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug trat ein Betriebsmittelverlust auf. Aufgrund dieses Betriebsmittelbverlustes kam der Kläger mit seinem Porsche Cabrio bei der nachfolgenden Fahrt auf der Nordschleife des Nürburgrings bei der Durchfahrt einer Kurve von der Fahrbahn ab. Dadurch wurde sein Fahrzeug erheblich beschädig.

Der Kläger hat nun die Kfz-Haftpflichtversicherung des vor ihm befindlichen Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Gestritten haben die Parteien über die entsprechende Haftungsquote und einen vom Kläger begehrten Nutzungsausfall. Durch ein eingeholtes Sachverständigengutachten kontte dem Kläger frei von Zweifeln ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nicht nachgewiesen werden.

Ich stelle hier nur die Ausführungen des LG zur Haftungsquote ein. Das LG geht dabei von 75 % zu 25 % zu Lasten des Beklagten aus:

„1. Sowohl die Beklagten als auch der Kläger haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG iVm § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich im Übrigen nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (jurisPK Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG, Rn. 15; zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04). Nach diesen Maßstäben war der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar. Dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre, hat dieser nicht vorgetragen. Eine Unabwendbarkeit lässt sich auch für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht darstellen. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass eine Vermeidbarkeit für den Fahrer des klägerischen Pkws nicht festgestellt werden könne. Dennoch ergibt sich nicht, dass der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar gewesen wäre. Denn ein Idealfahrer hat auf der Nordschleife des Nürburgrings immer mit Verunreinigungen der Fahrbahn durch Betriebsmittel zu rechnen. Ein vorsichtiger Fahrer hätte seine Fahrweise hierauf eingerichtet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können.

2. Die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG danach vorzunehmende Haftungsabwägung führt zu einer Haftungsverteilung von 75 % (Beklagtenseite) zu 25 % (Klägerseite). Denn aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall des Klägerfahrzeugs durch Wegrutschen auf der vom Beklagtenfahrzeug verursachten Betriebsmittelspur allein verursacht worden ist. Jedoch ist aufgrund der Erkennbarkeit der Betriebsmittelspur auf der Strecke auf Klägerseite eine Mithaftung in Höhe von 25 % zu berücksichtigen.

Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs allein aufgrund der – unstreitig von dem Beklagten-fahrzeug verursachten – Betriebsmittelspur von der Fahrbahn abgekommen und mit der Leitplanke kollidiert ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.08.2021 ausgeführt, dass wenn ein Fahrzeug allein infolge einer der Streckenführung nicht angepassten Geschwindigkeit zur kurvenäußeren Seite von der Fahrbahn abkommt, die Abkommensbewegung in der Regel nahe dem Kurvenende beginnt und häufig auch verbunden ist mit einer zunehmenden Querstellung der Fahrzeuglängsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung. Im vorliegenden Fall habe die Abkommensbewegung des klägerischen Fahrzeugs von der Fahrbahn bereits nahe des Kurvenbeginns eingesetzt und das Fahrzeug habe bis zur im Wesentlichen streifenden Leitplankenberührung keine ausgeprägte Winkelstellung seiner Längsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung eingenommen. Daher sei nicht zu bestätigen, dass das Klägerfahrzeug allein wegen einer für die Streckenführung nicht angepassten, zu hohen Geschwindigkeit von der Fahrbahn angekommen war. Weiterhin konnte der Sachverständige eine Geschwindigkeit von 120 km/h in der Abkommenssituation ausschließen und feststellen, dass als realistisch vielmehr ein Geschwindigkeitsbereich von rund 60 bis annähernd 80 km/h zum Zeitpunkt des Abkommens von der Fahrbahn in Betracht komme. Zudem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 nochmals erläutert, dass es ganz untypisch für einen Kontrollverlust wegen überhöhter Geschwindigkeit sei, wenn ein Fahrzeug zum Kurveneingang von der Fahrbahn abkomme. Vielmehr handele es sich vorliegend allein um ein Abkommen von der Fahrbahn aufgrund der verunreinigten Fahrbahnoberfläche. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an und macht sie sich vollständig zu eigen. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht aufgrund einer überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist, sondern vielmehr aufgrund der verunreinigten Fahrbahn – wobei die Verursachung der Verunreinigung an sich zwischen den Parteien unstreitig ist.

Allerdings ist eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 % anzunehmen.

Zwar kann dem Kläger kein Verstoß des Fahrers gegen das Gebot Fahren auf Sicht zur Last gelegt werden. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Gebot Fahren auf Sicht dem klägerischen Fahrzeug nicht nachgewiesen werden kann. Hierzu führt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 12.08.2021 überdies aus, dass wenn das klägerische Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 77 km/h im Mittel mit einer Verzögerung von 7,5 m/s2 bis zum Stillstand abbremst, ein Bremsweg von 30,2 m erforderlich sei und sich selbst bei einer nur unterdurchschnittlichen Vorbremsung von 1 s ein Anhalteweg von rechnerisch rund 52 m ergebe. Zudem konnte der Sachverständige feststellen, dass sowohl die bildliche Darstellung des Streckenverlaufs im Bereich der Rechtskurve in welcher das klägerische Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen war, als auch das Videomaterial (vom streitgegenständlichen Unfall, insoweit wird Bezug genommen auf den zur Akte gereichten USB-Stick, Retent) abschätzen lasse, dass auch im Kurvenverlauf eine Sicht über diese Strecke auf die Fahrbahn versperrende Hindernisse zulasse. Es lasse sich daher rechnerisch nicht nachweisen, dass der Fahrer des klägerischen Pkws bis zum Abkommen von der Fahrbahn bei annähernd 80 km/h nicht auf Sicht gefahren sei.

Die von dem klägerischen Pkw ausgehende Betriebsgefahr tritt jedoch nicht vollständig hinter dem groben Verschulden des Beklagten zu 1) zurück. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die Verunreinigung auf der Straße und die davon ausgehenden Gefahren hätte erkennen können. Zwar hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs glaubhaft bekundet, er habe von der Ölspur im Fahrzeug nichts mitbekommen; die Ölspur habe er im Auto nicht wahrnehmen können. Allerdings hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten in überzeugender und nachvollziehbarer Weise feststellen können, dass bei der abgebildeten Intensität der Fahrbahnverschmutzung diese bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahnoberfläche im Abstand von einer Größenordnung von 50 m vor dem Fahrzeug – möglicherweise auch wenig abgeschwächt – wahrnehmbar gewesen sein kann.

Dies rechtfertigt eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 %.“

Die Ausführungen des LG zum Nutzungsausfall überlasse ich dem Selbstleseverfahren im verlinkten Volltext. Dazu passt folgender Leitsatz:

Wird ein Porsche Cabrio nur als Sommerfahrzeug genutzt, trifft den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast bei dem Einwand, dass ihm ein zweites Fahrzeug zur Verfügung steht und daher ein Nutzungsausfall für den zeitweisen Gebrauchsverlust bei diesem Sportwagen ausscheidet.

Pflichti I: Wieder etwas zu den Beiordnungsgründen, oder: Schwere Folgen, schwierige Sache, Betreuung

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Und heute dann ein Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidungen.

Zunächst hier einige Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, wie immer „nur“ die Leitsätze. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Bereits die Anordnung der Betreuung allein kann einen Fall einer notwendigen Verteidigung begründen. Jedenfalls liegt aber im Falle eines geistigen Gebrechens dann ein Fall notwendiger Verteidigung vor, wenn auf Grund des Grades der Behinderung die Möglichkeit eines Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, gerade nicht vorliegt.

1. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung unter anderem dann vor, wenn wegen der Schwere der drohenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Dies bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.
2. § 141 StPO setzt nicht voraus, dass der Beschuldigte förmlich durch Eröffnung des Tatvorwurfs gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO Kenntnis von einem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren erlangt hat.

Die Rechtslage ist nicht schwierig im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, wenn einem nicht deutschsprachigen Betroffenen ein Bußgeldbescheid zwar zur wirksamen Verteidigung und im Hinblick auf ein faires Verfahren zu übersetzen gewesen und damit ggf. mit Übersetzung zuzustellen gewesen wäre, die Frage der Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheids und dem damit verbundenen Lauf der Einspruchsfrist jedoch keine Rolle (mehr) spielt.

1. Die Ablehnung der Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Hauptverfahren. Eine Ausnahme kann etwa dann anzunehmen sein, wenn zwischenzeitlich andere Tatsachen bekannt geworden sind.
2. Eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe, die für sich genommen allein bereits die – ohnehin nicht starr zu betrachtende – Grenze von einem Jahr Freiheitsstrafe überschreitet, führt nicht dazu führen, dass jedes weitere Verfahren ohne jegliche Prüfung einen Fall notwendiger Verteidigung auslöst, vor allem dann nicht, wenn der Verurteilte im Strafverfahren der in Rede stehenden Bewährungssache anwaltlich vertreten und damit ausreichend verteidigt ist.

Angesichts des Umstandes, dass eine vorliegende, nicht einschlägige und geringfügige, Tat bereits mehr als 15 Monate zurück liegt und nach Aktenlage keine anderweitigen Bewährungsverstöße bekannt geworden sind, ist ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung knapp vor Ablauf der Bewährungszeit bereits aus Verhältnismäßigkeitsgründen ausgeschlossen und daher eine Pflichtverteidigerbestellung nicht erforderlich.

Durchsuchung III: Beschlagnahme von Steuerakten, oder: Beschlagnahme-/Verwertungsverbot?

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Und als dritte Entscheidung heute dann noch der LG Koblenz, Beschl. v. 25.05.2021 – 10 Qs 30/21. Thematik Beschlagnahme/Beschlagnahme-/Verwertungverbot hinsichtlich beschlagnahmter Steuer- und Steuerstrafverfahrensakten.

Dazu das LG:

„e) Letztendlich steht der Beschlagnahme auch kein Beschlagnahmeverbot entgegen. Auch wenn hier keine Sperrerklärung nach § 96 StPO vorliegt, gebietet § 30 1 AO dem Amtsträger im Grundsatz die Wahrung des Steuergeheimnisses, was an sich zu einem Beschlagnahmeverbot von Steuerakten führt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.01.1991, Az.: 3 Ws 552/90, BeckRS 1991, 119326). Vorliegend ist die Offenbarung jedoch nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 b) AO zulässig, sodass die Herausgabe der begehrten Steuerakten das Steuergeheimnis nicht verletzen würde.

Nach § 30 Abs. 5 Nr. 5 b) AO ist die Offenbarung oder Verwertung vom Steuergeheimnis geschützter Daten zulässig, soweit für sie ein zwingendes öffentliches Interesse besteht, das namentlich gegeben ist, wenn Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern. Hier handelt es sich bei dem zu verfolgenden Delikt des Subventionsbetruges um eine Wirtschaftsstraftat, was sich aus § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GVG ergibt. Zwar ist die Tat hier bei einem alleinigen Abstellen auf den Schaden in Höhe von 9.000,00 EUR nicht geeignet, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern. Jedoch liegt hier eine Begehungsweise vor, die diese Eignung aufweist. Wie bereits ausgeführt, kann gerade der Subventionsbetrug bezüglich der sog. Corona-Soforthilfe einen (unbenannten) besonders schwerer Fall begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2021, Az.: 6 StR 137/21, zit. nach juris). Dies hat der Bundesgerichtshof u.a. mit dem Ausnutzen eines Soforthilfeverfahrens in einer deutschlandweiten Notlage begründet. Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung des Landgerichts Aachen (vgl. Beschluss vom 16.11.2020, Az.: 86 Qs 19/20, wistra 2021, 126), der sich die Kammer anschließt. Die Ausgestaltung des Soforthilfeverfahrens mit dem damit verbundenen (ganz erheblichen) Vertrauensvorschuss in die gesamte Bevölkerung in der Krisensituation und dessen Ausnutzung ist ohne weiteres zumindest geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich zu erschüttern. Somit verstößt die Offenbarung bzw. Herausgabe der Akten nach § 30 Abs. 5 Nr. 5 b) AO nicht gegen die Pflicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses aus § 30 Abs. 1 AO.

Zudem wäre eine Offenbarung der nach § 30 AO geschützten Verhältnisse ebenfalls zulässig nach § 31a Abs. 1 Nr. 2 AO, da sie für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückgewähr einer Leistung aus öffentlichen Mittel erforderlich ist. Soll eine Entscheidung über die Bewilligung, Gewährung, Rückforderung, Erstattung, Weitergewährung oder Belassen einer Leistung aus öffentlichen Mitteln von der dafür zuständigen Behörde getroffen werden, hat die Finanzbehörde die ihr bekannten Informationen mitzuteilen, soweit dies für die Entscheidung erforderlich ist. Zuständig sind alle Behörden und Gerichte, die für die Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs zuständig sind und darüber hinaus können allen Behörden und Gerichten, die über Leistungen aus öffentlichen Mitteln entscheiden, Erkenntnisse übermittelt werden (vgl. Intemann in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 31a, Rn. 16). Zutreffend hat die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass sie – zwingend (ohne Ermessen) – neben der Strafverfolgung wegen des Verdachts nach § 264 Abs. 1, Abs. 2 StGB auch über die Einziehung des Tatertrages nach §§ 73 ff. StGB zu entscheiden bzw. Maßnahmen zu treffen hat. Bei der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB handelt es sich zwar nicht um den Rückgewähranspruch als solchen, sondern um einen quasibereicherungsrechtlichen Anspruch des Staates, der jedoch ganz eng mit diesem verbunden ist und letztendlich seiner Absicherung dient. Dies kommt nicht zuletzt in der Regelung des § 73e Abs. 1 StGB deutlich zum Ausdruck, wonach die Einziehung ausgeschlossen ist, soweit der Anspruch auf Rückgewähr erloschen ist. Zudem knüpft bereits § 73 Abs. 1 StGB konkret an das aus der Tat Erlangte an, mithin an den Gegenstand, der vom Rückgewähranspruch der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz erfasst wäre. Da dieser wegen seines Verbrauchs nicht mehr rückgabefähig ist, kann sich auch der originäre Rückabwicklungsanspruch nur in einen Bereicherungsanspruch umgewandelt haben, sodass ein wesentlicher struktureller Unterschied zur Einziehung nicht erkennbar ist. Infolge dieser engen Bindung an den Rückgewähranspruch und dem Umstand, dass es sich dabei um zwingendes Recht handelt, ist eine Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden für die Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs im konkreten Fall gegeben. Folglich ist eine Offenbarung bzw. Herausgabe der Steuerakten auch nach § 31a Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig und stellt keinen Verstoß gegen das Steuergeheimnis aus § 30 Abs. 1 AO dar.“

Verkehrsrecht III: Relative Fahruntüchtigkeit, oder: Niedrige BAK und Uneinsichtigkeit reichen nicht

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Und dann zum Tagesschluss dann noch ein weiterer Beschluss zu § 111a StPO. Im LG Koblenz, Beschl. v. 12 Qs 72/21 – geht es aber nicht so sehr u^m die Voraussetzungen des § 111a StPO, sondern mehr um die Frage, ob überhaupt eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) bzw. relative Fahruntüchtigkeit vorgelegen hat. Das hat as LG verneint:

„Mit dem Beschluss vom 29.09.2021, dem Beschuldigten zugestellt am 01.10.2021, hat das Amtsgericht Koblenz entschieden, dass die Fahrerlaubnis des Beschuldigten vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt wird. Nach der Begründung des Beschlusses werde sich der Beschuldigte wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB zu verantworten haben, weil er am 16.09.2021 gegen 21:45 Uhr auf einer vierspurigen Bundesstraße gewendet habe, um als „Geisterfahrer“ zurück zur Autobahnauffahrt zu fahren, und um 22:46 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 0,37 %o festgestellt worden sei (BI. 28 d. A.).

Gegen den Beschluss hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger mit Schreiben vom 26.10.2021, eingegangen beim Amtsgericht Koblenz am 26.10.2021, Beschwerde eingelegt (BI. 47 d. A.). Die Beschwerde ist damit begründet worden, dass der Beschuldigte falsch gewendet habe und aus Versehen in entgegengesetzter Fahrtrichtung gefahren sei. Er habe lediglich wenden wollen.

…..

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304, 306 Abs. 1 StPO und hat in der Sache Erfolg, da die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestätigung der Beschlagnahme des Führerscheins zu Unrecht ergangen ist.

1. Nach § 111a Abs. 1 S.1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen wird. Gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzieht das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis, wenn dieser wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt ist und, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

a) Nach Würdigung der Akte liegt aus rechtlichen Gesichtspunkten kein dringender Grund für eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne des § 69 StGB vor.

aa) Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 316 Abs. 1 StGB ist nach Aktenlage nicht gegeben. Hiernach macht sich derjenige strafbar, der im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er insbesondere infolge alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergibt sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 % oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %0 bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Vorliegend hatte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,37 %o (BI. 36 d. A.). Gemäß der Sachverhaltsdarstellung des PHK pp. sei der Beschuldigte auf einer vierspurigen und durch eine Mittelleitplanke getrennte Bundesstraße entgegen der Fahrtrichtung gefahren. Nachdem der Beschuldigte darauf angesprochen worden sei, habe er geäußert, die Autobahnauffahrt verpasst zu haben, weswegen er gewendet habe, um zurück zur Autobahnauffahrt zufahren. Er sei uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 4ff. d. A.). Dieses Verhalten stellt nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweist.

Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z. B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z. B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweist (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 316, Rn. 34, 35). Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (LG Darmstadt Beschl. v. 12.3.2018 — 3 Qs 112/18, BeckRS 2018, 3959 Rn. 3).

Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Nach Würdigung des Akteninhalts kann eine sichere Feststellung der psychischen Folgen des Alkoholgenusses nicht getroffen werden. Das Fahren entgegen der Fahrtrichtung für mehrere 100 m ist grundsätzlich eine besonders leichtsinnige Fahrweise. Dennoch stellt selbst ein aggressives und verkehrswidriges Fahrverhalten nur dann ein Fahruntauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierter Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt. Einen Erfahrungssatz, dass rücksichtsloses Fahren oder Überholen eine Folge genossenen Alkohols sei, gibt es dagegen nicht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. November 1990 — 1 Ss 164/90 —, Rn. 11, mwN.). Weiter enthält der ärztliche Untersuchungsbericht keine Indizien für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen. Zwar sei der Beschuldigte gegenüber den Polizisten uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 5 d. A.), was für eine alkoholbedingte Enthemmung sprechen kann, jedoch stellt dies eine eigene Wertung des Polizisten dar. Der konkrete Wortlaut des Beschuldigten wird für eine eigene gerichtliche Wertung nicht wiedergeben. Selbst bei einer solchen Annahme durch die Kammer kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Kritiklosigkeit eine altersbedingte Folge des 1948 geborenen Angeklagten ist.

Aber alleine aus dieser Uneinsichtigkeit sowie dem Verharmlosen in Verbindung mit der festgestellten BAK von 0,37 %o kann nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte alkoholbedingt fahruntüchtig mit seinem Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung gefahren ist. Da die festgestellte Blutalkoholkonzentration nicht nah an der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, bestehen seitens der Kammer erhebliche Zweifel an einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung. Dennoch kann aufgrund dieses besonders leichtsinnigen Fahrverhaltens sowie des Nachverhaltens der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte nicht die charakterliche Eignung im Sinne des § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 3 FeV innehat, was indes für eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB nicht ausreicht.“

Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Dauer der Haft, mittelbare Nachteile, Höhe der (Gesamt)Strafe

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Das zweite Posting mit Pflichtverteidigungsentscheidungen ist den Beiordnungsgründen und allem, was damit zu tun hat, gewidmet. Auch hier stelle ich wegen der doch recht zahlreichen Entscheidungen nur die Leitsätze vor. Und zwar:

Bei der Prüfung der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen kommt es entscheidend auf die Bedeutung des Verfahrens für den Beschuldigten an, wobei neben der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe auch Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenfolgen oder mittelbare Nachteile in die Entscheidung einzubeziehen sind. Von Bedeutung ist daher, welche Folgen eine Verurteilung wegen des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts hat (für den Ausschlussgrund im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit c) GmbHG).

Bei dem Wegfall der Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO ist zu prüfen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO gegeben ist, nämlich wenn wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Eine zu erwartende Freiheitsstrafe von einem Jahr sollte in der Regel Anlass für eine Beiordnung eines Verteidigers geben.

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 1 StPO und zur Bewertung des Tatverdachts durch das Beschwerdegericht.

Die Notwendigkeit der Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist unabhängig von der Dauer der Haft.

§ 141 Abs. 2 Satz 3 StPO ist ausdrücklich nur auf die Fälle des § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 StPO anzuwenden. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf andere Fälle scheidet aus.