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Verkehrsrecht III: Relative Fahruntüchtigkeit, oder: Niedrige BAK und Uneinsichtigkeit reichen nicht

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Und dann zum Tagesschluss dann noch ein weiterer Beschluss zu § 111a StPO. Im LG Koblenz, Beschl. v. 12 Qs 72/21 – geht es aber nicht so sehr u^m die Voraussetzungen des § 111a StPO, sondern mehr um die Frage, ob überhaupt eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) bzw. relative Fahruntüchtigkeit vorgelegen hat. Das hat as LG verneint:

„Mit dem Beschluss vom 29.09.2021, dem Beschuldigten zugestellt am 01.10.2021, hat das Amtsgericht Koblenz entschieden, dass die Fahrerlaubnis des Beschuldigten vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheins bestätigt wird. Nach der Begründung des Beschlusses werde sich der Beschuldigte wegen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB zu verantworten haben, weil er am 16.09.2021 gegen 21:45 Uhr auf einer vierspurigen Bundesstraße gewendet habe, um als „Geisterfahrer“ zurück zur Autobahnauffahrt zu fahren, und um 22:46 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 0,37 %o festgestellt worden sei (BI. 28 d. A.).

Gegen den Beschluss hat der Beschuldigte durch seinen Verteidiger mit Schreiben vom 26.10.2021, eingegangen beim Amtsgericht Koblenz am 26.10.2021, Beschwerde eingelegt (BI. 47 d. A.). Die Beschwerde ist damit begründet worden, dass der Beschuldigte falsch gewendet habe und aus Versehen in entgegengesetzter Fahrtrichtung gefahren sei. Er habe lediglich wenden wollen.

…..

Die Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft und auch sonst zulässig, §§ 304, 306 Abs. 1 StPO und hat in der Sache Erfolg, da die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestätigung der Beschlagnahme des Führerscheins zu Unrecht ergangen ist.

1. Nach § 111a Abs. 1 S.1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen wird. Gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzieht das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis, wenn dieser wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt ist und, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist.

a) Nach Würdigung der Akte liegt aus rechtlichen Gesichtspunkten kein dringender Grund für eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne des § 69 StGB vor.

aa) Ein dringender Tatverdacht im Hinblick auf § 316 Abs. 1 StGB ist nach Aktenlage nicht gegeben. Hiernach macht sich derjenige strafbar, der im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er insbesondere infolge alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Eine solche Fahruntüchtigkeit ergibt sich ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 % oder unterhalb einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 %0 bei vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Vorliegend hatte der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt eine BAK von 0,37 %o (BI. 36 d. A.). Gemäß der Sachverhaltsdarstellung des PHK pp. sei der Beschuldigte auf einer vierspurigen und durch eine Mittelleitplanke getrennte Bundesstraße entgegen der Fahrtrichtung gefahren. Nachdem der Beschuldigte darauf angesprochen worden sei, habe er geäußert, die Autobahnauffahrt verpasst zu haben, weswegen er gewendet habe, um zurück zur Autobahnauffahrt zufahren. Er sei uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 4ff. d. A.). Dieses Verhalten stellt nach einer Gesamtbetrachtung nach Aktenlage keinen alkoholbedingten Umstand dar, der auf eine Fahruntüchtigkeit hinweist.

Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt, also um einen solchen, der in symptomatischer Weise auf die nach Alkoholgenuss typischerweise auftretenden physiologischen (z. B. Verlängerung der Reaktionszeit; Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinns; Einengung des Gesichtsfelds; Müdigkeit) und psychische (z. B. Kritiklosigkeit, erhöhte Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung) Folgen hinweist (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 316, Rn. 34, 35). Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (LG Darmstadt Beschl. v. 12.3.2018 — 3 Qs 112/18, BeckRS 2018, 3959 Rn. 3).

Anzeichen für physiologische Folgen des Alkoholgenusses sind nach Aktenlage nicht ersichtlich. Nach Würdigung des Akteninhalts kann eine sichere Feststellung der psychischen Folgen des Alkoholgenusses nicht getroffen werden. Das Fahren entgegen der Fahrtrichtung für mehrere 100 m ist grundsätzlich eine besonders leichtsinnige Fahrweise. Dennoch stellt selbst ein aggressives und verkehrswidriges Fahrverhalten nur dann ein Fahruntauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierter Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt. Einen Erfahrungssatz, dass rücksichtsloses Fahren oder Überholen eine Folge genossenen Alkohols sei, gibt es dagegen nicht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12. November 1990 — 1 Ss 164/90 —, Rn. 11, mwN.). Weiter enthält der ärztliche Untersuchungsbericht keine Indizien für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen. Zwar sei der Beschuldigte gegenüber den Polizisten uneinsichtig gewesen und habe versucht sein Verhalten zu verharmlosen (BI. 5 d. A.), was für eine alkoholbedingte Enthemmung sprechen kann, jedoch stellt dies eine eigene Wertung des Polizisten dar. Der konkrete Wortlaut des Beschuldigten wird für eine eigene gerichtliche Wertung nicht wiedergeben. Selbst bei einer solchen Annahme durch die Kammer kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Kritiklosigkeit eine altersbedingte Folge des 1948 geborenen Angeklagten ist.

Aber alleine aus dieser Uneinsichtigkeit sowie dem Verharmlosen in Verbindung mit der festgestellten BAK von 0,37 %o kann nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte alkoholbedingt fahruntüchtig mit seinem Fahrzeug entgegen der Fahrtrichtung gefahren ist. Da die festgestellte Blutalkoholkonzentration nicht nah an der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, bestehen seitens der Kammer erhebliche Zweifel an einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung. Dennoch kann aufgrund dieses besonders leichtsinnigen Fahrverhaltens sowie des Nachverhaltens der Schluss gezogen werden, dass der Beschuldigte nicht die charakterliche Eignung im Sinne des § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, § 11 Abs. 1 S. 3 FeV innehat, was indes für eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1 StGB nicht ausreicht.“

Wenn die BAK nur dünne 0,6 o/oo beträgt, muss das Urteil dicker sein….

© benjaminnolte - Fotolia.com

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Wer bei mir im FA-Kurs war, der weiß (oder sollte wissen). Desto geringer die BAK, desto gewichtiger müssen die Anzeichen sein, die bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 316 StGB für die Annahme der Fahruntüchtigkeit angeführt werden und desto mehr muss dazu auch im Urteil ausgeführt werden. Daran hat sich offenbar der Kollege, der mir den von ihm erstrittenen OLG Oldenburg, Beschl. v. 07.04.2016 – 1 Ss 53/16 – übersandt hat, erinnert und war deshalb gegen eine Entscheidung des AG Lingen in die (Sprung)Revision gegangen. Das OLG macht es sich einfach und rückt die Stellungnahme der GStA ein, die ausgeführt hatte:

„Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach § 316 StGB macht sich strafbar, wer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr sicher zu führen. Dies ist – unabhän­gig von der Fahrweise – stets der Fall, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1%o oder mehr einwirkt. Liegt die alkoholi­sche Beeinflussung unter diesem Wert, müssen weitere Tatsachen hinzutre­ten, aus denen sich ergibt, dass die Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsaus­fälle so erheblich herabgesetzt ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu führen (vgl. BGHSt 13, 83; BGHSt 31, 42 ff. = NJW 1982, 2612; KG NZV 1995, 454; KG VRS 89, 446). Von Bedeutung sind dabei zunächst in der Person des Angeklagten lie­gende Gegebenheiten wie Krankheit oder Ermüdung, sodann äußere Bedin­gungen der Fahrt wie Straßen- und Witterungsverhältnisse und schließlich das konkrete äußere Verhalten des Angeklagten, das durch die Aufnahme alkoho­lischer Getränke oder anderer berauschender Mittel mindestens mitverursacht sein muss (sogenannte Ausfallerscheinungen). Als Ausfallerscheinungen kommen insbesondere in Betracht: eine auffällige, sei es regelwidrige, sei es besonders sorglose oder leichtsinnige Fahrweise, ein unbesonnenes Beneh­men bei Polizeikontrollen, aber auch sonstiges Verhalten, das alkoholbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt (BGH a.a.O.). Insbesondere ungewöhnliche Fahrfehler lassen den Schluss auf Fahruntüchtigkeit zu (KG NZV 1995, 454; vgl. Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316 Rn. 12 m. w. N.). Beachtlich ist ein Fahrfehler allerdings nur, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, dass er dem Angeklagten ohne alkoholische Beein­trächtigung nicht unterlaufen wäre. Es kommt dabei nicht darauf an, wie sich irgendein nüchterner Kraftfahrer oder der durchschnittliche Kraftfahrer ohne Alkoholeinfluss verhalten hätte, sondern es ist festzustellen, dass der Ange­klagte sich ohne Alkohol anders verhalten hätte (BayObLG NZV 1988, 110; KG v. 26.11.1999 – Ss 525/99 – m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316 StGB Rn. 26 m. w. N.). Das Verhalten eines durchschnittlichen nüchternen Kraftfahrers ist nur mittelbar von Bedeutung: Je seltener ein bestimmter Fahrfehler bei nüchternen Fahrern vorkommt und je häufiger er erfahrungsgemäß von alkoholisierten Fahrern begangen wird, des­to eher wird der Schluss gerechtfertigt sein, der Fehler wäre auch dem Ange­klagten in nüchternem Zustand nicht unterlaufen (KG NZV 1995, 454). Andererseits haben Fehlleistungen, die erfahrungsgemäß auch nüchternen Fahrern bisweilen unterlaufen, geringeren Indizwert (vgl. für überhöhte Geschwindigkeit: BGH DAR 1968, 123; BGH NZV 1995, 80; BayObLG VRS 60, 384).

Die Entscheidung darüber, ob bestimmte Beweisanzeichen den Schluss auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zulassen, ist Sache des Tatrichters und unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur im Hinblick auf Rechtsfehler (KG NZV 1995, 454). Rechtsfehlerhaft ist es, wenn die vorstehend dargestellten Grundsätze verkannt worden sind oder die tatrichterlichen Erwägungen zur Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen.

Das Amtsgericht hat vorliegend festgestellt, dass der Angeklagte am 31.05.2015 gegen 2.14 Uhr mit seinem Pkw Golf zunächst die B 213 in Wietmarschen/Lohne in Richtung Lingen befahren habe, die er in Höhe der Ausfahrt Lingen/Schepsdorf verlassen habe. Sodann sei er weiter auf der Nordhorner Straße in Richtung Lingen gefahren, obgleich er bei einer Blutalkohol­konzentration von 0,6 %o, wie er hätte erkennen können, alkoholbedingt fahr­untüchtig gewesen sei. Der Angeklagte, der zufällig der anwesenden Polizeistreife V./P. wegen seiner rasanten Fahrweise aufgefallen sei, sei von der Polizeistreife bis nach Lingen hinein verfolgt worden. In Lingen habe der Angeklagte die Lindenstraße mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h befahren und habe dort trotz Sichtbehinderung vor der Emsbrücke zum Überholen eines vor ihm fahrenden Taxis angesetzt. Dabei sei er links an einer Verkehrsinsel vorbeigefahren und habe sodann aufgrund Gegenverkehrs zwischen dem Taxi, das er überholt habe, sowie einem weiterhin davor fahrenden Taxi unvermittelt einscheren müssen.

Den Feststellungen des Gerichts ist weiterhin zu entnehmen, dass der Verkehrszentralregisterauszug für den Angeklagten von 04.06.2015 elf Eintragungen aufweise und gegen den Angeklagten zuletzt am 14.04.2014 und am 23.05.2014 Bußgeldbescheide wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ergangen seien.

Schließlich hat das Amtsgericht in den Urteilsgründen ausgeführt, dass bei dem Angeklagten alkoholbedingt Ausfallerscheinungen vorgelegen hätten. Der Angeklagte sei über eine nicht geringe Wegstrecke selbst innerorts mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren und habe unter Umfahren einer Verkehrsinsel zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Überhol­manöver angesetzt, was eben für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit und entsprechende Ausfallerscheinungen spreche.

Da die Blutalkoholkonzentration mit 0,6 %o noch nicht nahe an den Grenzwert zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 %o) heranreichte, waren unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze hinsichtlich der konkreten Fahruntüchtigkeit jedoch umfassende Feststellungen zu treffen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zum einen hat das Amtsgericht sich nicht ausreichend mit den äußeren Umständen der Fahrt (Straßen- und Witterungsverhältnisse) auseinandergesetzt. Zum anderen haben sich angesichts der Voreintragungen im Verkehrszentralregister Erörterungen dazu aufgedrängt, ob der Angeklagte nicht generell zum Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit neigt und ob hier allein das riskante und zu schnelle Fahren ausreichend sein kann, um alkoholbedingte Ausfallerschei­nungen anzunehmen. Es fehlt jedoch insofern zumindest an den den Bußgeldbescheiden vom 14.04.2014 und 23.05.2014 zugrunde liegenden tatsäch­lichen Feststellungen.“

Dem konnte sich das OLG „nicht verschließen“ und hat aufgehoben. Richtig übrigens auch der Weg des Kollegen, denn in solchen Fällen muss man die Sprungrevision wählen und nicht in die Berufung gehen. Das bringt nichts, wenn man richtig Zeit gewinnen will.