Schlagwort-Archive: Bußgeldbescheid

OWi III: Bezeichnung der Tat im Bußgeldbescheid, oder: Übertragungsfehler?

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

In der dritten und letzten Entscheidung des Tages, dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.05.2021 – IV-1 RBs 33/21 – nimmt das OLG (noch einmal) zur Problematik der Unwirksamkeit des Bußgeldbescheides bei ungenauer Bezeichnung der Tat Stellung. Das AG hatte den Bußgeldbescheid wegen eines Rotlichtverstoßes als zu ungenau und deshalb als unwirksam angesehen und frei gesprochen (!). Das OLG hebt auf:

„1. Das auf Freispruch des Betroffenen lautende Urteil ist zunächst in formaler Hinsicht fehlerhaft, weil das vom Amtsgericht angenommene Vorliegen eines Verfahrenshindernisses wegen Unwirksamkeit des zu Grunde liegenden Bußgeldbescheids nicht zum Freispruch, sondern gemäß § 260 Abs. 3 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG zum Einstellungsurteil führen würde (vgl. KK/Kurz, OWiG, 5. Auflage 2018, § 66 Rn. 73).

2. Das Urteil erweist sich aber auch inhaltlich als rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass ein Verfahrenshindernis vorliegt. Der Bußgeldbescheid vom 1. April 2020 ist nicht unwirksam im dem Sinne, dass er keine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung darstellt und das Verfahren daher wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist. Dies ist nur bei schwerwiegenden Mängeln der Fall (vgl. Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 66 Rn. 38). Derartige Mängel liegen hier nicht vor. Insbesondere ist der Tatvorwurf hinreichend konkretisiert.

2.1 Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG muss der Bußgelbescheid unter anderem die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung enthalten. Der Bußgeldbescheid vom 21. April 2020 enthält diese Angaben.

aa) Soweit das Amtsgericht gleichwohl annimmt, dass der Bußgeldbescheid den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG deshalb nicht entspricht, weil der Tatort wegen Widersprüchen zwischen polizeilicher Ordnungswidrigkeitenanzeige und Bußgeldbescheid unklar und für den Betroffenen nicht erkennbar sei, die Missachtung welcher Lichtzeichenanlage ihm zur Last gelegt wird, verkennt dies die an den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung zu stellenden formalen Anforderungen.

Die Aufgabe des Bußgeldbescheids als Prozessvoraussetzung besteht darin, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll (BGH NJW 1970, 2222). Fehler und Ungenauigkeiten bei der Bezeichnung der Tat stellen die sachliche Abgrenzungsfunktion nicht in Frage, sofern die Tat durch andere Umstände so genügend konkretisiert ist, dass ihre Individualität und Unterscheidbarkeit von anderen Taten gewahrt bleibt (OLG Hamm NZV 2005, 489), während solche Mängel, die lediglich die Vorbereitung der Verteidigung erschweren, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids nicht berühren (BGHSt 23, 336).

bb) Zunächst kann ein Widerspruch zwischen dem Bußgeldbescheid und der ihr vorangegangenen polizeilichen Ordnungswidrigkeitenanzeige schon deshalb für sich genommen keinen formalen Mangel des Bußgeldbescheids darstellen, weil wegen eines solchen Widerspruchs nicht der Inhalt des Bußgeldbescheids selbst unklar wird.

cc) Vorliegend sind die im Bußgeldbescheid enthaltenen Angaben zum Tatort jedoch deshalb offenkundig fehlerhaft, weil es eine sowohl an der Friedrichstraße als auch an der Graf-Adolf-Straße gelegene Lichtzeichenanlage in Düsseldorf nicht gibt. Dies stellt einen schwerwiegenden, seine Abgrenzungs- und Informationsfunktion in Frage stellenden Mangel des Bußgeldbescheids aber nur dann dar, wenn hierdurch nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden kann, welcher historische Vorgang dem Betroffenen zur Last gelegt werden soll. Offensichtliche Missverständnisse, Schreib-Diktat- oder Ablesefehler können hingegen im Freibeweisverfahren unter Rückgriff auf die Akten oder andere Erkenntnisquellen richtig gestellt werden (KK/Kurz, a.a.O. Rn. 55). Angesichts des Umstands, dass der in der polizeilichen Anzeige genannte „Graf-Adolf-Platz“ sich zwischen der Friedrichstraße und der „Graf-Adolf-Straße“ befindet, ergibt sich gerade aus dem vermeintlichen „Widerspruch“ zwischen der polizeilichen Anzeige und dem Bußgeldbescheid mit ausreichender Deutlichkeit, dass der (geringfügig) fehlerhaften Tatortbezeichnung im Bußgeldbescheid ein bloßer Übertragungsfehler zu Grunde liegt.

dd) Dieser Widerspruch kann auch noch im Hauptverfahren aufgeklärt und korrigiert werden, da der dem Betroffenen gemachte Vorwurf, auf der Fahrtstrecke von der Friedrichstraße bis zu dem Anhalteort auf der Königsallee im Bereich des Graf-Adolf-Platzes einen Rotlichtverstoß begangen zu haben, eindeutig individualisierbar ist. Dies gilt selbst dann, wenn es innerhalb dieses Bereiches mehrere Lichtzeichenanlagen geben sollte. Denn die ungenaue Bezeichnung einer Lichtzeichenanlage ist dann unschädlich, wenn die Tat durch andere Umstände ausreichend individualisiert wird, insbesondere, wenn der Betroffene unmittelbar nach der Tat von der Polizei angehalten und auf sein Fehlverhalten angesprochen worden ist und sich aus den Angaben im Bußgeldbescheid zweifelsfrei ergibt, dass es sich um den gleichen Tatvorwurf handelt (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben mag vorliegend die Verteidigung des Betroffenen infolge der fehlerhaften Tatortbezeichnung zwar erschwert sein. Die Angaben im Bußgeldbescheid reichen für eine Individualisierung des Tatvorwurfs aber aus, da sich aus der polizeilichen Ordnungswidrigkeitenanzeige nicht nur ergibt, dass der Betroffene nach der vorgeworfenen Tat angehalten und kontrolliert wurde, sondern sogar, dass der Betroffene die in Rede stehende Lichtzeichenanlage dabei bereits so identifizieren konnte, dass er hierzu eine konkret bestreitende Einlassung („Meine Frau und ich haben grün gesehen“) abgeben konnte.“

Corona II: Diverses, oder: Nächtliche Ausgangssperre, Handmassage/Prostitutionsstätte, Bußgeldbescheid

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Im zweiten Posting dann dreimal das OLG Hamm zu „Corona-Fragen“, und zwar:

1. Die durch „Allgemeinverfügung des Kreises Lippe zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen, die der Verhütung und Bekämpfung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV- 2 auf dem Gebiet des Kreises Lippe dienen“ vom 18. Dezember 2020, veröffentlicht unter Nr. 831 im Kreisblatt – Amtsblatt des Kreises Lippe und seiner Städte und Gemeinden – Nr. 123, S. 1408 angeordnete nächtliche Ausgangssperre ist nicht nichtig.

2. Der durch einen (bloß) rechtswidrigen Verwaltungsakt bzw. eine (bloße) rechtswidrige Allgemeinverfügung Betroffene muss sich darauf verweisen lassen, dagegen Rechtsmittel einzulegen; bis zu einem Erfolg seines Rechtsmittels ist er an die Vorgaben des Verwaltungsakts bzw. der Allgemeinverfügung gebunden. Es genügt, wenn der der Bußgeldentscheidung zu Grunde liegende Verwaltungsakt bestandskräftig oder sonst vollziehbar ist.

1. Das bußgeldbewehrte Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten aus § 18 Abs. 2 Nr. 14 CoronaSchVO NRW (hier und nachfolgend in der Fassung vom 11. Mai 2020) i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW ist rechtmäßig.

2. Ein Massagesalon, in welchem zum Abschluss der Massage entgeltlich die manuelle sexuelle Befriedigung des Kunden angeboten wird, stellt eine Prostitutionsstätte im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW dar.

3. Betreibt der Betroffene – wie vorstehend beschrieben – verbotswidrig einen Massagesalon als Prostitutionsstätte, liegt nicht zugleich ein (tateinheitlicher) Verstoß gegen § 12 Abs. 2 Nr. 4 CoronaSchVO NRW i.V.m. der „Anlage Hygiene- und Infektionsschutzstandards“ VI. Nr. 4 vor, wenn er Kundenkontaktdaten nicht dokumentiert.

1. Der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt (hier: „Betrieb einer gastronomischen Einrichtung).

2. Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen“.

 

Unfreiwilliger „Betroffenenwechsel“, oder: Kosten nach Rücknahme des Bußgeldbescheides?

entnommen open clipart.org

Die zweite Entscheidung, der AG Leipzig, Beschl. v. 08.02.2021 – 211 OWi 3972/20 -, ist auch schon etwas älter, aber auch erst vor kurzem eingegangen. Eine etwas kuriose Fallgestaltung, die das AG da zu entscheiden hatte:

„Im vorliegenden Verfahren war unter dem Az. 31201095023328 am 16.01.20 eine Anhörung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung des PP1, wohnhaft PP in Leipzig erfolgt. Dieser hatte daraufhin am 21.01.21 den die Auslagenerstattung verlangenden Rechtsanwalt R mit seiner Verteidigung beauftragt und Erstattungsansprüche von Rechtsanwaltskosten als notwendige Auslagen an diesen abgetreten, woraufhin Rechtsanwalt R am selben Tag ohne Vollmachtsvorlage seine Verteidigung des PP1 unter dem Aktenzeichen gegenüber der Bußgeldbehörde angezeigt hatte. Am 14.04.20 erließ die Bußgeldbehörde unter demselben Aktenzeichen einen Bußgeldbescheid gegen einen PP1, wohnhaft PP 6 in Dresden und übersendete eine Ausfertigung an Rechtsanwalt R. PP1 aus Dresden legte sodann am 16.04.20 telefonisch Einspruch ein und teilte mit nie angehört worden zu sein und auch keinen Rechtsanwalt beauftragt zu haben. Rechtsanwalt R legte ebenfalls Einspruch ein. Am 23.04.20 wurde das Bußgeldverfahren eingestellt.

Rechtsanwalt R hat mit Schreiben vom 05.05.201 beantragt die Kosten des Verfahrens so-wie die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen. Er ist der Auffassung es handele sich um eine Einstellung nach Bußgeldbescheiderlass.

Die Bußgeldbehörde ist der Auffassung es sei kein Raum für eine Auslagenerstattung des Rechtsanwalt R, da seinem Mandanten gegenüber nie ein Bußgeldbescheid erlassen wurde und damit eine Einstellung vor Bußgeldbescheiderlass vorläge.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Gem. § 108 Abs. 1 i.V.m § 62 OWiG ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig.

Von dem Grundsatz, dass im behördlichen Bußgeldverfahren bei Verfahrenseinstellung keine Auslagenerstattung gewährt wird, konstituiert § 467a Abs. 1 StPO iVm § 105 Abs. 1 OWiG eine Ausnahme für den Fall, dass das Verfahren nach Rücknahme eines Bußgeldbescheids eingestellt wird. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Bußgeldbescheid von vorneherein unbegründet war oder sich dies erst aufgrund später durchgeführter Ermittlungen ergab (Graf in Beck OK OWiG, § 105 Kostenentscheidung, Rn. 74, 28. Edition, Stand: 01.10.2020).

Es ist unter dem Aktenzeichen gegen „PP1″ am 14.04.2020 ein Bußgeldbescheid erlassen worden, der sogar in Abschrift an Rechtsanwalt R übersendet wurde. Erst im Anschluss an den Einspruch wurde das Verfahren am 23.04.20 eingestellt. Nach Auffassung des Gerichts spielt es keine Rolle, dass der Bußgeldbescheid tatsächlich gegenüber einem namensgleichen Betroffenen aus Dresden erlassen wurde und nicht gegenüber ursprünglich an-gehörten Mandanten von Rechtsanwalt R, PP1 aus Leipzig. Vielmehr ist lediglich relevant, dass in dem Verfahren unter dem Aktenzeichen ein Bußgeldbescheid erlassen wurde. Die Voraussetzungen der Kostenerstattung gem. § 467a Abs. 1 StPO iVm § 105 Abs. 1 OWiG liegen damit vor. Es bedarf dazu insbesondere auch keiner unzulässigen ausdehnenden Auslegung.

Gem. § 62 Absatz 2 OWiG iVm § 309 Absatz 2 StPO war daher die Bußgeldbehörde zu verpflichten die unterlassene Kostenentscheidung vorzunehmen in der die Kosten und die not-wendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen sind.

Richtet sich der Antrag gegen eine den Antragsteller beschwerende Unterlassung, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Entscheidung zu erlassen, wenn die Sache entscheidungsreif ist (Meyer-Goßner/Schmitt/Meyer-Goßner StPO § 309 Rn. 5).“

Tja, das Recht ist eben für die Hellen 🙂 .

OWi II: Anforderungen an den Bußgeldbescheid, oder: Der“signifikante Streckenabschnitt (W., L., innerorts)“

© Wolfilser – Fotolia.com

Bei der zweiten Entscheidung, die ich heute vorstelle, handelt es sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.05.2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 141/21. In dem Beschluss geht es noch einmal um die Anforderungen an den Bußgeldbescheid als Verfahrensgrundlage. Zur Last gelegt worden ist dem Betroffenen eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften. Das AG hat das Verfahren eingestellt. Es hat den Bußgeld Bescheid wegen mangelnder Bestimmtheit für unwirksam gehalten.

Anders die Staatsanwaltschaft. Die hat Rechtsbeschwerde eingelegt. Und das OLG hat dann aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Die Annahme der Tatrichterin, der Bußgeldbescheid stelle keine ausreichende Verfahrensgrundlage dar, erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Aufgabe des Bußgeldbescheides ist es, dem Betroffenen vor Augen zu führen, welche Tat im verfahrensrechtlichen Sinne (§ 264 StPO) ihm zur Last gelegt wird. Dementsprechend muss der Bußgeldbescheid gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung enthalten. Wesentlich für die Bezeichnung der Tat ist, dass der Betroffene – trotz eventuell missglückter Kennzeichnung der Tat – erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet (vgl. Göhler/Seitz OWiG, 16. Aufl., § 66 Rn. 12; OLG Köln, Beschluss vom 16.03.2018, – 111-1 RBs 84/18 -, juris).

Die sich insbesondere aus § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG ergebenden und den gesetzlichen Anforderungen an die strafprozessuale Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) und den Strafbefehl (409 Abs. 1 Satz 1 StPO) nachgebildeten Anforderungen an den Bußgeldbescheid als wirksame Verfahrensgrundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung dürfen nicht überspannt werden. Entscheidend ist, dass der Betroffene anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides, also namentlich aus den Angaben zum Begehungsort und zur Tatzeit erkennen kann, wegen welchem konkreten Fehlverhalten er zur Verantwortung gezogen werden soll und insoweit eine Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausgeschlossen ist. Deshalb genügt zur Bezeichnung der Tat im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG etwa die schlichte Angabe der abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll. Denn nur dann ist ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet. Der Umfang der Tatschilderung wird allerdings auch hier maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbietet sich eine ausführliche Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (BGHSt 23, 336/338 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.08.2008 – 3 Ss OWi 896/2008 -, juris).

Diesen Anforderungen genügt der hier zu beurteilende Bußgeldbescheid vom …2020. Der als Tatort anzusehende signifikante Streckenabschnitt (W., L., innerorts“) ist eindeutig bezeichnet und die dem Betroffenen konkret zur Last liegende Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h auch zeitlich, nämlich am 02.05.2020 um 12:12 Uhr, hinreichend eingegrenzt. Zudem ist das vom Betroffenen genutzte Fahrzeug, ein PKW mit dem amtlichen Kennzeichen pp., im Bußgeldbescheid benannt worden. Eine Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ist daher ausgeschlossen. Insoweit bedarf es zur Erzielung eines zureichenden Bestimmtheitsgrades auch keiner „Ergänzung“ durch Heranziehung des Akteninhalts (vgl. BayObLG, Beschluss vom 01.08.1994 – 2 ObOWi 343/94 -, juris).

Das Amtsgericht war deshalb verpflichtet, die ganze Tat im verfahrensrechtlichen Sinne in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erschöpfend zu würdigen. Hierzu zählte das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch den Bußgeldbescheid bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis (konkrete Fahrt des Betroffenen mit dem bezeichneten Kraftfahrzeug am Tattag auf dem im Bußgeldbescheid genannten Streckenabschnitt) nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet.

Erfüllt der Bußgeldbescheid seine Abgrenzungsfunktion, sind die Folgen beim Fehlen näherer Angaben über den Tathergang nicht anders zu beurteilen als im Falle unrichtiger näherer Angaben. Stellt sich in der Hauptverhandlung deshalb innerhalb des prozessual gezogenen Tatrahmens ein anderes Fehlverhalten des Betroffenen heraus, so hindert dies seine Verurteilung nicht. Denn Aufgabe der Hauptverhandlung ist nicht etwa lediglich eine Verhandlung über die im Bußgeldbescheid enthaltenen tatsächlichen (und rechtlichen) Angaben, sondern sie dient der eigentlichen Untersuchung des ordnungswidrigen Verhaltens der Betroffenen und der Aufklärung der wahren Beschaffenheit der Tat. (OLG Bamberg, a.a.O.).“

„…. Streckenabschnitt (W., L., innerorts“)“ – finde ich nicht so „signifikant“.

OWi II: Rotlichtverstoß, oder: War der Tatort im Bußgeldbescheid genau genug bzeichnet?

© sablin – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann ein AG-Urteil zu einem Rotlichtverstoß. Die Frage des Rotlichtverstoßes war aber wohl nicht das Problem des Verfahrens, sonder die Frage der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides unter dem Stichwort: Bestimmtheit des Tatortes.

Das AG Meldorf hat den dem Verfahren zugrunde liegenden Bußgeldbescheid dann als wirksam angesehen und führt dazu im AG Meldorf, Urt. v. 18.11.2020 – 25 OWi 305 Js 16575/20 – (umfangreich) aus:

„Der Bußgeldbescheid ist entgegen dem Vortrag des Verteidigers wirksam. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt und hatte verjährungsunterbrechende Wirkung.

Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG, der § 200 Abs. 1 S. 1 StPO nachgebildet ist, sollen im Bußgeldbescheid Zeit und Ort der Tatbegehung angegeben werden. Hierdurch wird dem Betroffenen die Möglichkeit eines qualifizierten Bestreitens eröffnet. Für die Genauigkeit der Angaben gelten keine starren Regeln. Jedenfalls sind an die Genauigkeit keine übertriebenen Anforderungen zu stellen (BeckOK StPO/Ritscher, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 200 Rn. 4). Je größer die Möglichkeit ist, dass weitere Taten gleicher Art begangen wurden, desto konkreter muß die Schilderung ausfallen (vgl. BGH NStZ 2012, 279 NJW 2015, 181 NStZ-RR 2018, 353). Ein täglich mehrfach wiederholbares Geschehen im Straßenverkehr wird regelmäßig durch Tatort und Tatzeit konkretisiert (BGH, Urteil vom 11.01.1994 – 5 StR 682/93). Der Bußgeldbescheid muß den Tatort derartig bezeichnen, dass der Tatvorwurf hinreichend umgrenzt ist und insbesondere eine Verwechslung mit anderen Vorfällen ausgeschlossen ist (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Dezember 2019 — II OLG 65/19 —, juris).

Dabei darf nicht unbeachtet bleiben, dass sich Ungenauigkeiten der örtlichen Tatkonkretisierung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten praktisch nur auf ein Verteidigungsverhalten auswirken, das auf die momentane Verkehrs- und Fahrzeugsituation oder die Gemütslage des Fahrers abstellt. Der bei weitem häufigste Verteidigungsansatz richtet sich hingegen auf die technische Ordnungsgemäßheit der Messung. Für derartiges Verteidigungsvorbringen ist es in der Regel ohne nachteilige Auswirkungen, wenn der Betroffene allein aufgrund des Bußgeldbescheids noch nicht die genaue Messanlage identifizieren konnte, da hier für eine wirksame Verteidigung ohnehin Akteneinsicht notwendig ist. Ein weiterer wesentlicher Grund für das Bestimmheitserfordernis einer Anklageschrift und eines Bußgeldbescheids ist die Ermöglichung der Alibibehauptung (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 200 Rn. 3). So konzentriert sich auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten das Verteidigungsverhalten häufig auf das Bestreiten der Fahrereigenschaft. Die Alibibehauptung wird von kleinen Ungenauigkeiten der örtlichen Tatkonkretisierung aber in keiner Weise berührt. Denn es ist praktisch ausgeschlossen, dass mit demselben Fahrzeug innerhalb derselben Minute auf derselben Straße gleichartige Verstöße von verschiedenen Fahrern begangen worden sind.

Nach diesen Maßstäben ist der diesem Verfahren zugrundeliegende Bußgeldbescheid hinreichend bestimmt. Er bezeichnet den Rotlichtverstoß in zeitlicher Hinsicht nach Datum, Stunde und Minute sowie in örtlicher Hinsicht nach der Stadt, der Straße und der Fahrtrichtung. Zudem sind sowohl der Hersteller des Messsystems als auch der Hersteller und das Kennzeichen des verwendeten Fahrzeugs genannt. Dass sich auf der genannten Straße in genannter Richtung zumindest eine weitere Kreuzung mit Lichtzeichenanlage befindet, macht den Bußgeldbescheid nicht unbestimmt. Ob es ausreicht, dass später im Verfahren vor dem Amtsgericht der genaue Standort geklärt werden kann (bejahend Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom ; aA Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht aaO), ist daher nicht entscheidungserheblich.

Die Bezeichnung eines Tatorts allein durch einen Straßennamen, welcher offenkundig einen längeren Straßenzug kennzeichnet, ist nicht bedenkenfrei (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht aaO). Andererseits ist es bei Geschwindigkeitsmessungen ohne weitere Anzeichen lebensfern anzunehmen, dass in einem Straßenzug hintereinander mehrere Messeinrichtungen postiert werden, die verschiedene Messungen mit Verwechslungsgefahr erlauben würden (ebd.). Diese Erwägungen müssen zur Überzeugung des Gerichts aber auch für einen Rotlichtverstoß gelten, zumal wenn potentiell zu verwechselnde Verstöße innerhalb derselben Minute begangen sein müssten.

Ebenso wie bei Geschwindigkeitsverstößen auf demselben Streckenabschnitt liegt auch bei mehreren innerhalb kürzester Zeit aufeinanderfolgenden Rotlichtverstößen auf derselben Straße Tat-einheit nahe (KG, Beschluss vom 7. April 1997 — 2 Ss 305/963 Ws (B) 54/97 —, juris). Die Situation entspricht damit derjenigen bei Tempoverstößen.

Selbst wenn man mit der Gegenmeinung in solchen Fällen Tatmehrheit annehmen wollte könnte dies nicht strengere Anforderungen hinsichtlich der Bestimmtheit des Bußgeldbescheids nach sich ziehen. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen sind bei mehreren verwechselbaren tatmehrheitlichen Verstößen nicht stärker beeinträchtigt als bei einem länger dauernden tateinheitlichen Verstoß mit mehreren verwechselbaren Einzelsituationen. Bei tateinheitlichen Verstößen ist die qualifizierte Verteidigung im gleichen Maße erschwert. Denn auch dort können verschiedenartige Messverfahren und Messgeräte zum Einsatz gekommen sein und verschiedene Verkehrs-, Gemüts- oder Fahrzeuginnenraumsituationen zum Verstoß geführt haben, mithin je nach der konkreten Einzelsituation innerhalb derselben materiellen Tat unterschiedliche Angriffspunkte für eine sachgerechte Verteidigung vorliegen.

Die Forderung, im Bußgeldbescheid müsse bei Rotlichtverstößen stets die genaue Kreuzung beschrieben werden (so KG, Beschluss v. 12.3.1975, Az.: 3 Ws B 202/74, Leitsatz bei Wolters Kluwer), überspannt die Anforderungen an die Informations- und Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheids. Die Ansicht des Kammergerichts läuft auf die Forderung maximaler Genauigkeit hinaus. Sie findet im Wortlaut von § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG keine sichere Stütze.

Forderte man die Nennung der genauen Kreuzung, wäre mit gleichem Recht zu fordern, dass ein Bußgeldbescheid auch stets die Tatsekunde, die Fahrtrichtung und den Umstand, ob der Verstoß bei Geradeausfahrt, beim Links- oder beim Rechtsabbiegen begangen wurde, genau bezeichnet. Denn wenn die Tatkonkretisierung sicher ausschließen müsste, dass der Betroffene mehrere innerhalb einer Minute auf derselben Straße an verschiedenen Kreuzungen begangene Rotlichtverstöße verwechseln könnte, müsste ebenso ausgeschlossen werden, dass an derselben Kreuzung begangenen Verstöße verwechselt werden könnten. Es kommt nämlich, nachdem ein Kraftfahrer sich verfahren hat, nicht selten vor, dass dieser unmittelbar nach einer Kreuzung eine Kehrtwende macht und sodann erneut über die Kreuzung fährt oder nach dem Einfahren in den Kreuzungsbereich zurücksetzt, die Spur wechselt und erneut in anderer Richtung in die Kreuzung einfährt. In solchen, meist vom Navigationsgerät veranlassten Stresssituationen ereignen sich häufig Rotlichtverstöße. Minutengleiche verwechselbare Verstöße an derselben Kreuzung sind zur Überzeugung des Gerichts daher sogar lebensnäher und wahrscheinlicher als gleichartige Verstöße an verschiedenen Kreuzungen.

Das Bayerische Oberste Landesgericht (aaO) hat in einem Verfahren, in dem der Rotlichtverstoß ohne Blitzlicht durch bloße Beobachtung eines Polizeibeamten festgestellt wurde, zur Bestimmtheit von Bußgeldbescheiden bei Rotlichtverstößen folgendes ausgeführt:

„Wird dem Betroffenen ein verkehrswidriges Verhalten zur Last gelegt, das sich in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum wiederholen kann, das keine die Aufmerksamkeit des verkehrsordnungswidrig handelnden Verkehrsteilnehmers weckenden hervorstechenden Umstände aufweist und das keine unmittelbaren Folgen gehabt hat, so bedarf es der genauen Kennzeichnung, um die Möglichkeit einer Verwechslung mit anderen Verkehrsverstößen auszuschließen. Dies ist bei Nichtbeachten des roten Lichts einer Verkehrsampel grundsätzlich (Hervorhebung durch AG Meldorf) der Fall, so dass die Rechtsprechung zu Recht einen Bußgeldbescheid für unwirksam gehalten hat, wenn bei einer Straße mit mehreren Ampelanlagen der Standort der fraglichen Ampelanlage nicht näher gekennzeichnet ist.“

Auch nach diesen Maßstäben ist der vorliegende Bußgeldbescheid hinreichend bestimmt. Die bei der Aufnahme der Beweisfotos ausgelösten Blitzlichter wecken die Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers. Das sogenannte Blitzen bleibt vom Fahrzeugführer sehr selten unbemerkt. In der weit überwiegenden Vielzahl aller Fälle nimmt der Fahrer das Blitzlicht wahr und befindet sich einige Wochen lang in latenter Erwartung eines Anschreibens der Bußgeldstelle. Dem durchschnittlichen geblitzten Kraftfahrer genügen selbst nach Ablauf einiger Monate noch die Angabe des Tages und der Gemeinde, um den Verstoß im eigenen Gedächtnis zweifelsfrei zu identifizieren. Wird die Tatzeit darüber hinaus nach Stunde und Minute und die Ortsangabe um Straße und Fahrtrichtung ergänzt, erscheint eine mögliche Verwechslung derart fernliegend und lebensfremd, dass der Bescheid auch ohne die Nennung der gekreuzten Querstraße als hinreichend bestimmt anzusehen ist.“