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StGB II: War es „Böswilliges Verächtlichmachen“?, oder: Fachkräftenachwuchs – IQ – Zuwanderung

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamm. Das hat im OLG Hamm, Beschl. v. 12.01.2024 – 3 ORs 65/23 – zur Volksverhetzung (§ 130 StGB) Stellung genommen.

Das AG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung, und zwar nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB „böswillig verächtlich machen“ – zu einer Bewährungsstrafe vverurteilt. Das LG hat die Berufung des Angeklagten verworfen und ist dabei von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts verteilte der Angeklagte in der Nacht vom 30. auf den 31.07.2020 an mindestens 30 Haushalte in seiner Nachbarschaft in Porta Westfalica vor- und rückseitig eng beschriebene DIN A4 Zettel durch Einwurf in die Briefkästen. In dem — hier stark zusammengefassten – Text, der zahlreiche Fehler in Rechtschreibung und Zeichensetzung aufweist und den der Angeklagte im Internet gefunden hatte, wird ein Bezug zwischen der Diskussion um Fachkräftenachwuchs und dem Intelligenzquotienten bestimmter Zuwanderergruppen bzw. Völker hergestellt. So liege der Intelligenzquotient bei einzelnen Zuwanderergruppen in Deutschland nur bei 85, in einigen anderen Ländern sei er noch niedriger, während er bei Asiaten viel höher sei. In dem Schriftstück wird auch erwähnt, dass man in Deutschland ab einem IQ von 80 als lernbehindert gelte und ein Schimpanse einen IQ von 50 habe. Es wird angezweifelt, dass Zuwanderer aus Herkunftsgruppen mit vorgeblich niedrigem IQ zur Ausübung hochqualifizierter Tätigkeiten wie Arzt, Rechtsanwalt oder Pilot in der Lage seien. Auch ein Bezug zwischen Ethnie und Kriminalität wird hergestellt. Zuzug von asiatischen Einwanderern würde mehr nutzen als Zuwanderung aus anderen Ländern. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass „mit diesem Pamphlet“ zum Ausdruck gebracht werde, dass „insbesondere die in Deutschland lebenden Personen mit Wurzeln im afrikanischen, arabischen und türkischen Raum dumm und kriminell und des Aufenthalts in Deutschland unwürdig seien. Aber auch die US-amerikanischen Bürger afrikanischer Abstammung wie auch die in ihren Herkunftsländern lebenden Menschen arabischer Abstammung [würden] als minderbemittelt und im Gros kriminell herabgewürdigt“. Auf diese Weise würden „die den genannten Ethnien zugehörigen Menschen böswillig verächtlich gemacht und so in ihrer Menschenwürde angegriffen“. Weiter heißt es im angefochtenen Urteil: Der Angeklagte, der diese Aussagen guthieß, verteilte die Pamphlete in der Absicht, die Empfänger zu der Erkenntnis zu bringen, dass der Aufenthalt, bzw. Zuzug von Menschen der genannten Ethnien ein Problem für die deutsche Gesellschaft darstelle, und machte sich diese Äußerungen damit zu eigen. Er handelte dabei in einer Weise, die geeignet war, das psychische Klima in der Bevölkerung in Richtung Fremdenfeindlichkeit aufzuhetzen und so den öffentlichen Frieden zu stören. Zugleich hatte er das Schreiben als Datei auf einem Computer in seiner Wohnung gespeichert und hielt es für eine weitere Verwendung vorrätig“.

Dagegen die Revision des Angeklagte, die Erfolg hatte. Das OLG sieht noch keine durchgreifenden Bedenken, dass der Inhalt des Schriftstückes in objektiver Hinsicht einen Angriff auf die geschützte Menschenwürde der angesprochenen Bevölkerungsgruppen darstellt. Auch an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens hat das OLG bei der vorliegenden Verteilungsbreite keinen Zweifel. Aber:

„b) Indes kann das angefochtene Urteil deswegen keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals eines „böswilligen“ Verächtlichmachens einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand hält.

Die Beweiswürdigung ist gemäß § 261 StPO zwar Sache des Tatgerichts. Jedoch hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Auflage 2023, § 261 Rdnr. 188). Das ist u.a. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH Urteil vom 21. November 2006 – 1 StR 392/06, BeckRS 2011, 15376 Rdnr. 13).

Die Beweiswürdung des Landgerichts ist vorliegend lückenhaft. Sie belegt nicht das Vorliegen des dem inneren Tatbestand zuzuordnende Erfordernis der Böswilligkeit. Dieses hat strafbarkeitseinschränkende Funktion und ist zu bejahen, wenn die Äußerung aus feindseliger Gesinnung in der Absicht zu kränken (im Kernbereich der Persönlichkeit der Betroffenen, vgl. BGH, Urt. v. 15.12.2005 — 4 StR 283/05 — juris) getätigt wird (BGH NJW 1964, 1481, 1483; Krauß in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 130, Rdnr. 57). Böswillig ist ein Handeln aus niederträchtiger, bewusst feindseliger Gesinnung, also ein Handeln aus verwerflichen Beweggründen. Dies kann sich daraus ergeben, dass der Täter hartnäckig Erkenntnisquellen, die seine Behauptung widerlegen, oder Möglichkeiten zu weniger anstößigen Formulierungen ausschlägt. Die Beweggründe des Äußernden können sich unmittelbar aus dem Aussagegehalt der Äußerung als solcher sowie aus den Begleitumständen der Äußerung, etwa einer interpretatorischen Begleitäußerung des Täters, ergeben (Krauß a.a.O. 155 m.w.N.).

Das Landgericht hat zwar bzgl. des subjektiven Tatbestands eine Beweiswürdigung zur Kenntnis des Angeklagten vom volksverhetzenden Charakter des Schriftstücks und dazu, dass sich der Angeklagte sich die Äußerungen zu eigen gemacht habe, vorgenommen. Eine Beweiswürdigung zu dem o.g. subjektiven Tatbestandsmerkmal der Böswilligkeit enthält das angefochtene Urteil nicht. Diese war auch nicht entbehrlich, etwa weil sich die Böswilligkeit vorliegend von selbst verstehen würde, Die inkriminierten Äußerungen in dem Schriftstück stehen nicht isoliert, sondern sind eingebettet in die politische Diskussion um Fachkräftezuwanderung. Im Urteil wird weiter festgestellt, der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, „die Empfänger zur Erkenntnis zu bringen, das „wir irgendwo ein Problem haben“ und das Fachkräfteproblem mit den Zuwanderern nicht zu lösen sei“ (UA10). Wie sich weiter aus den Urteilsgründen ergibt, hatte sich der Angeklagte „nach eigenen Angaben auch durch Internetrecherche intensiv mit dem Inhalt des Pamphlets auseinandergesetzt [hatte] und sich in seinen eigenen Ansichten bestätigt“ gefühlt (UA 8). Er habe auch auf entsprechende Studien verwiesen. In diesem Zusammenhang wird in dem angefochtenen Urteil mitgeteilt, dass ein zur Akte gereichter Ausdruck „Global IQ-Scores“ in Augenschein genommen worden sei. Der Inhalt dieses Ausdrucks wird indes nicht näher mitgeteilt. Es wird auch nicht auf ein bestimmtes Blatt der Akten verwiesen, so dass der Senat — sollte es sich bei dem Ausdruck tatsächlich um eine Abbildung und nicht ohnehin um eine Urkunde, auf welche ein Verweis nicht möglich ist —auch nicht aufgrund eines wirksamen Verweises gem. § 267 Abs. 1 S. 2 StPO hiervon Kenntnis nehmen kann.

Hätte der Angeklagte die Schriftstücke aber aus Sorge um einen Fachkräftemangel bzw. um eine Zuwanderung, die nicht geeignet ist, diesen zu beheben, in der Überzeugung, dass es sich bei den o.g. Inhalten um vertretene, tatsächlich zutreffende Thesen und Studien handelt, verteilt, so wäre die Annahme, er habe gleichwohl in feindseliger Gesinnung und in der Absicht zu kränken gehandelt, näher zu begründen. In diesem Zusammenhang wären auch die geistigen Fähigkeiten des Angeklagten und sein Bildungshintergrund in den Blick zu nehmen gewesen. Nach den Urteilsfestellungen hat er keine akademische Ausbildung und hat den inkriminierten Text mitsamt der Fehler bei Rechtschreibung und Zeichensetzung verteilt. Mag es für einen akademisch gebildeten Menschen noch vergleichsweise einfach sein, die Aussagekraft von Studien und die wissenschaftliche Qualifikation sog. „Institute“ zu hinterfragen und einzuordnen, wird dies anderen regelmäßig deutlich schwerer fallen oder gar unmöglich sein. Selbst wenn etwa „Studien“ zu dem Ergebnis gekommen sind, dass der IQ bestimmter Völker oder Herkunftsgruppen niedrig ist, so würde man bei einer akademischen Schulung etwa zunächst einmal hinterfragen, ob die untersuchte Personengruppe hinreichend repräsentativ war, ob der verwendete Intelligenztest überhaupt für Mitglieder nicht-westlicher Gesellschaften geeignet ist, diese unter anderen Umweltbedingungen aufgewachsen oder lebend ggf. besser abschneiden etc. (vgl. etwa als allgemein zugängliche Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch/warum-afrikaner-in-ig-tests-schlechter-abschneiden-106015206636), und man würde sich nicht mit — wie in dem verteilten Schriftstück — Erklärungen wie hohe Verbreitung der Verwandtenehe oder generell fehlendem Abstraktionsvermögen zufrieden geben.

Der Uhrzeit der Verteilung der Flugblätter gegen 23 Uhr mag – wie vom Landgericht angenommen – indizielle Bedeutung für die Annahme des Vorsatzes des Angeklagten zukommen. Ob dies auch für das Merkmal der Böswilligkeit gilt, wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, wobei er auch -ebenso wie für das anfängliche Bestreiten der Verteilung durch den Angeklagten – unverfängliche Erklärungsalternativenin den Blick zu nehmen haben wird.

Aus den dargestellten Gründen konnte der Senat – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – auch nicht selbst die Tatbestandsalternative der Verleumdung feststellen, welche die bewusst wahrheitswidrige Behauptung von Tatsachen durch den Angeklagten zur Voraussetzung gehabt hätte. Insoweit fehlt es auch bereits an einer Beweiswürdigung zur Wahrheitswidrigkeit der aufgestellten Behauptungen.“

Und:

„3. Der neue Tatrichter wird im Falle einer Verurteilung auch zu bedenken haben, ob neben einer Strafbarkeit aus dem persönlichen Äußerungsdelikt des § 130 Abs. 1 StGB die Verbreitung desselben Inhaltes eigenständigen Unrechtsgehalt nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 c) a. F. StGB aufweisen kann.

Entsprechendes gilt auch für die Alternative des Vorrätighaltens, wobei hier hinzukommt, dass die bisherige Beweiswürdigung die Feststellung, der Angeklagte habe die Schrift vorrätig gehalten, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder Nummer 2 zu verwenden, nicht trägt. Das Argument, dass das Aufbewahren der Datei auf dem Computer vor dem Hintergrund der Internetrecherche und der Auseinandersetzung des Angeklagten mit dem Thema nur Sinn mache, wenn er den inhalt später noch habe verbreiten wollen, ist so nicht haltbar.“

StGB I: Billigung von Straftaten und Meinungsfreiheit, oder: „Bravo Putin“/“Z-Symbol“-Collage bei Facebook

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Und heute dann dreimal OLG zu StGB-Entscheidungen, und zwar etwas abseits vom Mainstream.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 26.01.2024 – 206 StRR 362/23 -zur Frage des Vorliegens des Delikts der „Billigung einer Straftat“ nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Kurz könnte man auch sagen: Der Ukraine-Krieg ist auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung angekommen.

AG und LG haben die Angeklagte wegen Billigung von Straftaten in zwei Fällen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt.Das LG hat dazu folgende Feststellungen getroffen:

„a) Die Angeklagte habe am 1. April 2022 in einer öffentlich einsehbaren Unterhaltung auf Facebook einen eigenen Beitrag, der „Bravo Putin“ gelautet habe, mit den folgenden Worten kommentiert: „[…] Krieg ist schrecklich, aber ohne dieser Krieg die Killerviren von Biolaboren und Ukrainien hätten schon 2 Kontinenten getötet. […]“. Die sprachlichen Mängel waren, da es sich um ein wörtliches Zitat handelt, ersichtlich bereits in der Äußerung der Angeklagten enthalten.

b) Am 9. Mai 2022 habe die Angeklagte auf ihrem öffentlich einsehbaren Facebook- Profil eine Abbildung in Form einer Fotocollage gepostet. Unter einer Abbildung Putins sei der Buchstabe „Z“, stilisiert in Form des orange-schwarzen „St.-Georgs-Bandes“, auf einer Flagge der russischen Föderation abgebildet. Neben weiteren Zeichen des russischen Staates seien im unteren Abschnitt der Collage auf einer in den weiß-blau-roten Nationalfarben gehaltenen Karte des russischen Staatsgebiets Soldaten mit einer Fahne der russischen Föderation abgebildet, die – mit Blick auf die Karte im Hintergrund – „westwärts“ marschieren würden.“

Dagegen die Revision der Angeklagten. Die GStA hatte Aufhebung und Zurückverweisung beantragt. Die Revision hatte Erfolg: Das BayObLH hat, da nach seiner Auffassung keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, aufgehoben und den Angeklagten frei gesprochen.

Ich stelle wegen des Umfangs der Begründung hier nicht die gesamten Beschlussgründe ein, sondern beschränke mich auf die Leitsätze des BayObLG, die lauten:

1. Allein die Wendung „Bravo Putin“ im Kontext einer Stellungnahme zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt ohne weitere eindeutige Anhaltspunkte nicht zu der Auslegung, es liege darin die Billigung einer Straftat gemäß §§ 140 Nr. 2, 138 Nr. 4 StGB i.V.m. § 13 VStGB. Die Wertung einer Äußerung als tatbestandsmäßige Billigung setzt deren sorgfältige Auslegung unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG voraus. Ein Billigen ist nur dann anzunehmen, wenn die Äußerung für einen normalen Durchschnittsempfänger eindeutig eine die Straftat gutheißende Haltung erkennen lässt. In Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fehlt es daran, wenn Argumente für und wider den Krieg vorgebracht werden, ohne dass den ersteren unmissverständlich der Vorrang zukommt.

2. Ob die Verwendung des Buchstabens „Z“ die Billigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zum Ausdruck bringt, ist Frage des Einzelfalls. Anhand allgemeiner Auslegungsgrundsätze ist das Gutheißen eines Geschehens von dessen bloßer Beschreibung abzugrenzen. Auf die innere Gesinnung des Äußernden kommt es dabei nicht an. Eine Fotocollage, in die ein „Z“ in stilisierter und nicht besonders hervorgehobener Form eingefügt ist, ist nicht schon deshalb, weil sie bei einem durchschnittlichen Betrachter Assoziationen an den Krieg hervorruft, als dessen Billigung zu werten.

Ich hatte erst als Bild ein Bild von Putin bzw. das Z-Symbol nehmen wollen. Aber ich habe weder Zeit noch Lust auf lange Diskussionen bei Facebook oder Twitter, wenn ich den Beitrag dorthin teile. Daher nur das „Facebook-Bild“.

Strafe III: Richtige Bemessung der Tagessatzhöhe, oder: Gewährung von Zahlungserleichterungen

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Und als letzte Entscheidung heute dann der BayObLG, Beschl. v. 09.01.2024 – 202 StRR 101/23, den ich schon mal wegen anderer Fragen vorgestellt habe (vgl. hier: Alkohol I: Zur alkoholbedingten Schuldunfähigkeit, oder: Nur vage Trinkmengenangaben).

Heute geht es um die Ausführungen des BayObLG zur Geldstrafe und zur Bemessung der Tagessatzhöhe:

„2. Die Bemessung der Geldstrafen hinsichtlich der jeweiligen Anzahl der Tagessätze und der hieraus gebildeten Gesamtstrafe weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Allerdings hält die Festsetzung der Tagessatzhöhe auf 50 Euro der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht beschränkte sich zur Begründung seiner Entscheidung über die Tagessatzhöhe auf den bloßen Hinweis, dass diese „entsprechend der vom Angeklagten selbst geschilderten wirtschaftlichen Verhältnisse“ auf 50 Euro festzusetzen sei. Dies ist nicht nachvollziehbar. Zum einen hat das Landgericht diese Angaben an anderer Stelle des Berufungsurteils selbst in Zweifel gezogen, indem es sie als „unkonkret“ und „nebulös“ bezeichnet hat, so dass es in sich widersprüchlich ist, wenn sich das Tatgericht auf die entsprechende Einlassung stützt. Zum anderen rechtfertigt die im Berufungsurteil wiedergegebene Einlassung des Angeklagten zu seinen Einkommensverhältnissen als selbständiger Versicherungsmakler ohnehin nicht die Annahme eines monatlichen Nettoeinkommens in Höhe von 1.500 Euro. Hiernach hat der Angeklagte ausgesagt, er „zahle“ – nach Abzug der Aufwendungen für seine private Krankenversicherung in Höhe von etwa 450 Euro monatlich, der nicht näher bezifferten Mieten für die Geschäftsräume sowie eines Betrages von 500 Euro für „Investitionsschulden“ – monatlich 1.000 Euro netto „an sich aus“. Unter Zugrundelegung dieser Angaben erschließt sich schon rein rechnerisch die Festlegung der Tagessatzhöhe auf 50 Euro nicht, sodass nicht die Rede davon sein kann, dass der Bemessung der Tagessatzhöhe auf den Angaben des Angeklagten beruhen würde. Denn bei einem Selbstständigen bestimmt sich die Tagessatzhöhe grundsätzlich nach dem erzielten Gewinn, abzüglich der hierauf entfallenden Einkommensteuern, der für die soziale Absicherung erforderlichen Beträge (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 113/115) und gegebenenfalls etwaiger Unterhaltsverpflichtungen (BGH, Beschl. v. 14.01.2021 – 1 StR 242/20 = BeckRS 2021, 3064). Zu diesen Positionen verhält sich das Berufungsurteil nicht.

b) Wenn das Tatgericht aber – wie hier – ein Nettoeinkommen zugrunde legt, das mit der Einlassung des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen ist, ist es gehalten, diese plausibel zu widerlegen, indem es entweder entsprechende Ermittlungen anstellt bzw., sofern die Ermittlung zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde oder der erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde (BGH, Urt. v. 13.07.2017 – 1 StR 536/16 = StraFo 2017, 465 = wistra 2018, 43 = BGHR AO § 370 Abs 1 Konkurrenzen 25), das erzielte oder erzielbare Nettoeinkommen nach § 40 Abs. 3 StGB im Schätzungsweg bestimmt. Im Falle der Vornahme einer Schätzung ist es erforderlich, dass das Tatgericht die konkreten Schätzgrundlagen, von denen es ausgeht, darlegt. Da das Landgericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, weist das Berufungsurteil nicht nur ein einfach gesetzliches Begründungsdefizit auf, weil das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt wird, die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (BayObLG, Beschl. v. 18.10.2023 – 202 StRR 76/23 bei juris = BeckRS 2023, 31058; OLG Köln, Beschl. v. 23.03.2021 – III-1 RVs 50/21 bei juris; KG, Beschl. v. 19.11.2019 – [3] 121 Ss 143 = OLGSt StGB § 219a Nr 1; MüKo-StGB/Radtke 4. Aufl. § 40 Rn. 121), sondern verstößt zudem gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 01.06.2015 – 2 BvR 67/15 = wistra 2015, 388 = DAR 2015, 576 = NStZ-RR 2015, 335 = NZV 2016, 48 = NStZ-RR 2016, 46 = StV 2016, 554).

3. Darüber hinaus hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht in Erwägung gezogen, ob dem Angeklagten Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu bewilligen sind. Da die Entscheidung nach § 42 StGB zwingend vorgeschrieben ist, muss sich das Urteil damit befassen, wenn die Anwendung der Vorschrift nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eines Angeklagten naheliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 20.02.2018 – 2 StR 348/17 = NStZ-RR 2018, 238 = BGHR StGB § 42 Zahlungserleichterungen 2 = StV 2019, 440). Dies ist hier der Fall, weil schon in Anbetracht der hohen Tagessatzanzahl und seiner bisherigen, vom Landgericht nicht widerlegten Angaben zu den Einkommensverhältnissen damit zu rechnen ist, dass der Angeklagte den Betrag der Geldstrafe nicht aus laufendem Einkommen, Rücklagen oder Vermögen sofort begleichen kann (vgl. BGH a.a.O.; Beschl. v. 18.09.2019 – 2 StR 196/19 bei juris u. 19.12.2018 – 4 StR 198/18 bei juris).“

Strafe II: Zwei Entscheidungen aus dem Jugendrecht, oder: Schwere der Schuld und Einheitsjugendstrafe

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Und dann im zweiten Postingzwei Entscheidungen aus dem Jugendstrafrecht.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.09.2023 – 5 StR 205/23. Er betrifft die Jugendstrafe. Es handelt sich bei der Entscheidung um einen sog. Anfragebeschluss. Der BGH möchte also die Rechtsprechnung ändern und fragt daher bei den anderen Senat wie sie es mit ggf. entgegenstehender Rechtsprechung halten, und zwar wie folgt:

2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG, bei der wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, setzt nicht voraus, dass bei dem Angeklagten eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.

Das hat der BGH umfassend begründet, und zwar so umfassend, dass ich auf das Selbstleseverfahren verweise.

Und als zweite Entscheidung noch etwas vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 27.12.2023 – 4 ORs 72/23. Er befasst sich mit der der sog. Einheitsjugendstrafe, und zwar:

§ 31 Abs. 2 JGG sieht grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung kann zwar aus erzieherischen Zweckmäßigkeitserwägungen (§ 31 Abs. 3 S. 1 JGG) abgesehen werden, hierfür müssen aber Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen. Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche Ermessensspielraum eröffnet. Das Abstellen allein auf den Ablauf der Bewährungszeit genügt diesen Anforderungen nicht.

 

Strafe I: Ein wenig vom BGH zur Strafzumessung, oder: Unbestraft, polizeiliche Überwachung, gleiche Strafe

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So, und heute dann Strafzumessungsentscheidungen. Es ist ein bisschen mehr als sonst, da sich einiges angesammelt hat. Hier zunächst einige BGH-Entscheidungen, allerdsings nur mit „Leitsätzen“. Den Rest bitte selbst nachlesen. Hier kommen dann:

Auch im Anwendungsbereich des § 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 StGB muss die Strafe einen gerechten Schuldausgleich für das begangene Tatunrecht nach Maßgabe der Schwere der Tat und des Grads der persönlichen Schuld des Täters darstellen muss. Deshalb legen ggf. die bisherige Unbestraftheit der Angeklagten, das Gewicht ihrer Tathandlung sowie – bei einem BtM-Delikt – die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge des Wirkstoffgehalts THC (allein) um das 1,6-fache eine vertiefte Erörterung nahe, weshalb eine Geldstrafe (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 StGB) das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts ernsthaft beeinträchtigen würde.

Wird ein Urteil auf ein Rechtsmittel zugunsten eines Angeklagten im Strafausspruch aufgehoben und vermag der neue Tatrichter Feststellungen nicht zu treffen, die im ersten Rechtszug als bestimmende Zumessungstatsachen strafschärfend herangezogen worden waren, hält er aber dennoch eine gleich hohe Strafe für erforderlich, so hat er nach ständiger Rechtsprechung seine Entscheidung eingehend zu begründen. Die ursprüngliche Bewertung der Tat und die Strafzumessung in der aufgehobenen Entscheidung sind zwar kein Maßstab für die neue Bemessung der Strafe, jedoch hat der Angeklagte einen Anspruch darauf zu erfahren, warum sie trotz des Wegfalls eines Strafschärfungsgrundes nun gleich hoch bestraft wird.

Allein eine polizeiliche Überwachung stellt keinen Strafmilderungsgrund dart, auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Straftat hätte verhindert werden können; ein Straftäter hat keinen Anspruch darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um seine Taten zu verhindern. Es kann indes einen über die Sicherstellung hinausgehenden Strafmilderungsgrund darstellen, wenn die polizeiliche Überwachung der Tat mit dem Wegfall einer Gefahr für Rechtsgüter des Tatopfers verbunden ist. Dieses Gewicht resultiert aus dem Gewinn an Sicherheit, den eine derartige Überwachung schon während der Tatbegehung bewirkt, indem sie bereits von Beginn an die Möglichkeit für eine spätere Sicherstellung schafft und so eine tatsächliche Gefahr für die betroffenen Rechtsgüter ausschließt; insoweit reduziert sie das Handlungsunrecht zusätzlich gegenüber Fällen, in denen eine Sicherstellung trotz fehlender Überwachung letztlich gelingt.

Die erfolgte Sicherstellung der zum Eigenkonsum bestimmten Betäubungsmittel stellt einen bestimmenden Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten dar. Entfällt durch die Sicherstellung die auch beim Besitz von Betäubungsmitteln stets bestehende abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit durch eine Weitergabe, ist dies ebenso wie beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln regelmäßig zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.

Das Vorliegen insbesondere einschlägiger Vorstrafen stellt einen Strafschärfungsgrund dar. Umgekehrt vermag das Fehlen von Strafschärfungsgründen regelmäßig eine Strafmilderung nicht zu begründen.