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StPO III: „Vorweihnachtliches Pflichti-Potpourri“, oder: Haftentlassung, Gesamtstrafe und Rückwirkung

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Und zum Tagesschluss dann noch die Pflichtverteidigungsentscheidungen, die sich seit dem letzten Pflichti-Tag angesammelt haben. Es sind (nur) vier Stück, das reicht also nicht für einen ganzen Tag. Daher habe ich sie in diesem Posting zusammengefasst, stelle aber jeweils nur die Leitsätze vor.

Zunächst kommen hier zwei Entscheidungen zur Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers für den inhaftierter Mandanten nach dessen Haftentlassung, also ein Fall des § 140 Satz 1 Nr. 5 StPO. Das AG Siegen hatte im AG Siegen, Beschl. v. 24.10.2024 – 401 Ds-69 Js 794/24-745/24 – aufgehoben. Das hat das LG Siegen dann im Beschwerdeverfahren „gehalten“. Der LG Siegen, Beschl. v. 14.11.2024 – 10 Qs-69 Js 794/24-94/24 – hat folgenden Leitsatz:

1. Eine nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO erfolgte Pflichtverteidigerbestellung ist aufzuheben, wenn der Beschuldigte aus der Haft entlassen worden ist und die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorliegen. Es ist aber zu prüfen, ob nicht aus anderen Gründen ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist.

2. Zur Unfähigkeit der Selbstverteidigung.

Und dann hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 21.11.2024 – 21 Qs 80/24 -, der sich noch einmal zur „Schwere der Tat“ äußert und auch zum Bestellungsverfahren – ohne Antrag – und zum Bestellungszeitpunkt, nämlich:

1. Drohen einem Angeklagten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO begründet, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig.

2. Gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 4 StPO ist dem Angeklagten, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, auch ohne Antrag ein Pflichtverteidiger sofort beizuordnen. Daher hindert die Rechtskraft eines Beschlusses mit dem eine Bestellungsantrag des Beschuldigten (zunächst) abgewiesen worden ist, nicht die spätere Beiordnung auf Antrag eines (Wahl)Verteidigers.

Und natürlich der Dauerbrenner „Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung“ mit zwei Entscheidungen, nämlich dem LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.11.2024 – 5/06 Qs 51/24  – und dem LG Meiningen, Beschl. v. 09.10.2024 – 6 Qs 141/24. Das LG Frankfurt am Main hat es richtig gemacht und hat die rückwirkende Bestellung als zulässig angesehen, das LG Meinigen hat sich hingegen bei den „ewig Gestrigen“ eingereiht, die von Unzulässigkeit der rückwirkenden Bestellung ausgehen. Die Leitsätze schenke ich mir hier, die sind bekannt 🙂 .

OWi II: Terminsverlegungsanträge des Verteidigers, oder: Ablehnung nur mit konkreten Gründen

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen vom LG Braunschweig. In beiden Beschlüssen hat sich das LG zur Ablehnung von Terminsverlegungsanträgen des Verteidigers geäußert. In beiden Verfahren ist dann auf die Beschwerden des Verteidigers der jeweilige Hauptverhandlungstermin aufgehoben worden. Hier die Begründungen des LG:

Zunächst der LG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2024 – 2b Qs 342/24:

Über Anträge auf Terminsverlegung hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu ent-scheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2006, NStZ-RR 2006, 271). An diesen Grundsätzen hat sich die Vorsitzende bei der Ablehnung des Verlegungsantrages nicht ausgerichtet. Dies zeigt das Schreiben vom 07.11.2024, welches erkennbar nicht auf das konkrete Verfahren zutrifft. Denn dem Betroffenen wird vorliegend ein Abstandsverstoß zur Last gelegt, wohingegen das Amtsgericht auf eine standardisierte Geschwindigkeitsmessung abstellt, woraus ersichtlich wird, dass das Amtsgericht für den konkreten Einzelfall gar kein Ermessen ausgeübt hat, sondern offenbar ein Formularschreiben verwandte. Soweit in der angefochtenen Entscheidung auf das allgemeine Gebot der Verfahrensbeschleunigung und den Terminsdruck des Gerichts abgestellt wird, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn zeitnah wird eine Verfolgungs-verjährung nicht eintreten. Hieraus wird deutlich, dass die Vorsitzende von vornherein und unabhängig von dem geltend gemachten Grund nicht bereit war, einem etwaigen Verlegungsantrag zu entsprechen.

Demgemäß lässt auch die angefochtene Entscheidung die gebotene Abwägung zwischen den oben genannten Kriterien vermissen. Es wurde auch nicht versucht, einen Verhandlungstermin mit dem Verteidiger abzusprechen. Zu Recht wird in der Beschwerdebegründung darauf hinge-wiesen, dass der Beschwerdeführer ein besonderes Interesse daran hat, sich in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten zu lassen.

Und ähnlich der LG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2024 – 2b Qs 346/24:

Über Anträge auf Terminsverlegung hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2006, NStZ-RR 2006, 271). An diesen Grundsätzen hat sich die Vorsitzende bei der Ablehnung des Verlegungsantrages nicht ausgerichtet, auch wenn zutreffend ist, dass der Termin bereits einmal auf Antrag des Verteidigers verlegt wurde. Dies zeigt das Schreiben vom 11.11.2024, wobei es sich offenbar um ein Formularschreiben handelt. Soweit in der angefochtenen Entscheidung auf das allgemeine Gebot der Verfahrensbeschleunigung und den Terminsdruck des Gerichts abgestellt wird, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn der Verteidiger hat als Alternativtermine den 19.12.2024 bis 8:30 Uhr oder den 19.12.2024 ab 14:00 Uhr angeboten. Zu einer Verfahrensverzögerung würde es bei einer solchen Verlegung der Terminsstunde gerade nicht kommen. Die Vorsitzende hat in ihrer Entscheidung auch nicht begründet, warum die Verlegung der Terminsstunde im konkreten Fall nicht möglich war, sondern nur pauschal auf die Terminslage des Gerichts hingewiesen. Der Hinweis auf das Beschleunigungsgebot verfängt hier im Übrigen schon deshalb nicht als tragfähige Ermessenserwägung, weil eine Verfolgungsverjährung nicht zeitnah eintritt. Hieraus wird deutlich, dass die Vorsitzende von vornherein und unabhängig von dem geltend gemachten Grund nicht bereit war, einem weiteren Verlegungsantrag des Verteidigers zu entsprechen.

Demgemäß lässt auch die angefochtene Entscheidung die gebotene Abwägung zwischen den oben genannten Kriterien vermissen. Es wurde auch nicht versucht, einen Verhandlungstermin mit dem Verteidiger abzusprechen. Zu Recht wird in der Beschwerdebegründung darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer ein besonderes Interesse daran hat, sich in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger vertreten zu lassen.“

Wiedereinsetzung III: Selbst Versäumung verschuldet, oder: Wenn man sich um eigene Dinge nicht kümmert

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Die dritte Entscheidung, der AG Eilenburg, Beschl. v. 07.11.2024 – 8 OWi 614/24 – kommt dann aus einem Bußgeldverfahren. In dem war ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung dem Betroffenen am 11.04.2024 unter einer Anschrift in Leipzig zugestellt worden, die er zuvor gegenüber der Verwaltungsbehörde auf die Anhörung hin als seine (neue) Wohnanschrift angegeben hatte. Die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße wurde am 12.04.2024 vom Konto des Betroffenen unter Angabe des behördlichen Aktenzeichens auf das Konto der Verwaltungsbehörde gezahlt.

Am 08.08.2024 zeigte sich für den Betroffenen sein Verteidiger bei der Verwaltungsbehörde an, legte gegen den Bußgeldbescheid vom 05.04.2024 unter Beantragung von Akteneinsicht Einspruch ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung schildert der Betroffene seine persönliche Situation und führt aus, dass er von dem Bußgeldbescheid bis heute keine Kenntnis habe. Der Umstand, dass dieser in Rechtskraft erwachsen sein soll, sei ihm erst am 05.08.2024 bekannt geworden, nachdem er den Brief der Führerscheinbehörde mit der Anhörung zum Fahrerlaubnisentzug zur Kenntnis genommen und mit dieser Rücksprache gehalten habe. An diesem Tage habe er auch erstmalig nach entsprechender Erkundigung bei seiner Ehefrau erfahren, dass sie den Bußgeldbescheid offensichtlich aus der Post genommen und das Bußgeld und auch die Verwaltungsgebühr ohne sein Wissen bezahlt habe. Eine Nachschau auf dem gemeinsamen Konto habe dies bestätigt. Der Bußgeldbescheid liege ihm bis heute nicht vor, lediglich anhand der Aktenzeichen habe er dies halbwegs rekonstruieren können.

Die Verwaltungsbehörde hat den Einspruch als unzulässig verworfen. Der Wiedereinsetzungsantrag hatte keinen Erfolg:

„b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 52 OWiG i. V. m. §§ 44, 45 StPO ist nicht zu gewähren. Der Betroffene hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO sind dabei mit der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag alle Tatsachen zur Begründung des Antrages zu benennen und glaubhaft zu machen. Verschulden i. S. des § 44 Satz 1 StPO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. nur OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.10.1990 – 10 M 24/90 -, NJW 1991, 1196 zum gleichlautenden § 60 Abs. 1 VwGO).

Inwieweit ein Verfahrensbeteiligter einem Dritten die Besorgung prozessualer Angelegenheiten vertrauensvoll überlassen kann und in welchem Umfang er den Beauftragten kontrollieren muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es trifft ihn bei Versäumnissen und Fehlern des Beauftragten dann kein Verschulden, wenn er bei dessen Auswahl und Überwachung die Sorgfalt aufgewandt hat, die verständiger Weise von ihm erwartet und ihm zugemutet werden kann. Steht der Beauftragte zum Auftraggeber in einem engen und dauerhaften Verhältnis, das ein gegenseitig erprobtes Vertrauen begründet – wie das der Ehe – und fehlen Anhaltspunkte, aus denen sich ausnahmsweise eine Unzuverlässigkeit des Ehegatten bei der Wahrnehmung wichtiger Angelegenheiten ergeben, so ist der Auswahlsorgfalt in aller Regel genügt und es reduziert sich auch die Überwachungssorgfalt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.08.1991 – 1 Ws 222/91 -, BeckRS 1991, 652; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.10.2000 – 3 Ws 1049/00 -, NStZ-RR 2001, 85).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Betroffene in Ansehung seines Vortrags, den er durch die vorliegende eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau ausreichend glaubhaft gemacht hat, der ihm noch obliegenden Überwachungssorgfalt in vorwerfbarer Weise nicht zureichend nachgekommen. Zunächst ist dahingehend zu befinden, dass der Betroffene unter Zugrundelegung seines Vortrags seine Ehefrau nicht nur mit der Besorgung eines konkreten Rechtsgeschäfts beauftragt, sondern er ihr offensichtlich die Besorgung jeglicher rechtsgeschäftlicher Angelegenheiten ihn betreffend anvertraut hat. Dies verlangt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls ein gewisses Maß an wiederkehrender Kontrolle der „beauftragten“ Person, da die Fehleranfälligkeit bei einer „globalen“ Aufgabenübertragung gegenüber einer einzelfallbezogenen Geschäftsbesorgung steigt, auch wenn sich die beauftragte Person in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hat. Ein blindes Vertrauen in die Aufgabenwahrnehmung für sämtliche Teilbereiche des einen Betroffenen betreffenden Schriftsatzverkehrs mit Dritten erscheint auch vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG nicht schützenswert, käme dadurch doch zum Ausdruck, dass ein Betroffener der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenüber steht.

So liegt der Fall jedoch hier. Dem Betroffenen hätte es sich, nachdem er auf den Anhörungsbogen hin am 02.04.2024 gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt hat, dass er der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei und der Verkehrsverstoß auch im übrigen zugegeben werde, aufdrängen müssen, dass bald ein Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde gegenüber ihm ergehen würde. Gerade angesichts dessen, dass am […]2024 das zweite gemeinsame Kind zur Welt gekommen und zudem während dieser Zeit viel Verwaltungsaufwand auch wegen eines Rechtsstreits mit dem Bauträger angefallen sein soll, wäre vom Betroffenen, um einer Überforderungssituation seiner Ehefrau vorzubeugen, zu erwarten gewesen, hier entweder unterstützend tätig zu werden oder sich zumindest bei seiner Ehefrau regelmäßig nach einem etwaigen Fortgang des ihm bekannten Bußgeldverfahrens zu erkundigen. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Betroffenen, bei seiner Ehefrau erst am 05.08.2024 nachgefragt zu haben, ist dies jedoch über einen Zeitraum von ca. 4 Monaten seit Bekanntwerden des (von ihm eingeräumten) Tatvorwurfs nicht geschehen. Auch nachdem ihm das Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 30.04.2024 und der darin ausgesprochenen Verwarnung bei einem Punktestand von 6 Punkten zur Kenntnis gelangte, sah er augenscheinlich weiterhin keinen Anlass, sich nach dem Fortgang des ihm bekannten Bußgeldverfahrens zu erkundigen. Der Vortrag des Betroffenen verhält sich zudem nicht dazu, weshalb er über einen Zeitraum von ca. 16 Wochen seit der Überweisung vom 12.04.2024 nicht in der Lage war, von dieser Buchung Kenntnis zu erhalten. Sollte der Betroffene über diesen Zeitraum die Bewegungen auf seinem Konto nicht kontrolliert haben, kommt auch darin zum Ausdruck wie er seine eigenen Interessen vernachlässigt und seine Rechte in vermeidbarer Weise nicht wahrgenommen hat (in dieser Richtung auch OLG Dresden, Beschl. v. 24.11.2004 – 2 Ws 662/04 -, NStZ 2005, 398).

Nach alledem ist festzustellen, dass der offenbar völlige Mangel eigener Bemühungen, sich um seine Sache zu kümmern, ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist begründet.“

Wiedereinsetzung I: Revision ans falsche LG gesandt, oder: Wann hat man davon erfahren?

Frist Termin

Und heute dann Fristversäumung und Wiedereinsetzung mit zwei Entscheidungen vom BGH und einer AG-Entscheidung.

Hier dann zunächst der BGH, Beschl. v. 29.08.2024 – 2 StR 382/24 – mal wieder mit einer klassischen Problematik zur Wiedereinsetzung, nämlich dem nicht ausreichen begründeten Wiedereinsetzungsantrag. Obwohl: Das ist an sich gar nicht so schwer.

Das LG hat den Angeklagten am 07.05.2024 wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit elektronischem Schriftsatz vom 25.06.2024, eingegangen beim LG am selben Tag, hat die Verteidigerin des Angeklagten für diesen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt und zur Begründung vorgetragen und glaubhaft gemacht, sie habe die Revisionseinlegungsschrift am 10.05.2024 versehentlich an ein anderes als das zuständige LG gesandt und dies erst nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist bemerkt. Zugleich hat sie für den Angeklagten Revision gegen das Urteil des LG eingelegt.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen und dabei die Stellungnahme des GBA „eingerückt“:

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller, sofern sich – wie hier – die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nicht offensichtlich aus den Akten ergibt, auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 – 4 StR 319/22 -, juris Rn. 2 mwN). An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es. Der Antrag vom 25. Juni 2024 enthält keine ausreichenden Angaben dazu, wann das Hindernis weggefallen ist, das der Fristwahrung entgegenstand. Besteht das Hindernis in der fehlenden Kenntnis von einer Fristversäumung, ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten entscheidend; auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Verteidigers kommt es nicht an (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 375/22 -, juris ohne Rn.). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger – wie hier – ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 – 4 StR 319/22 -, juris Rn. 2 mwN). Wann dem Angeklagten die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist bekannt geworden ist, wird indes nicht vorgetragen und ergibt sich auch nicht eindeutig aus dem Inhalt der Akten. Da überdies offenbleibt, auf welchem Weg und wann die Verteidigerin des Angeklagten vom Versäumnis Kenntnis erlangt hat, fehlt auch insofern ein möglicher Anknüpfungspunkt, um eine vor Ablauf der Wochenfrist liegende Kenntniserlangung des Antragstellers auszuschließen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 375/22 -, juris ohne Rn.; vom 31. Januar 2023 – 4 StR 237/22 -, juris Rn. 1). Verbleiben aber – wie hier – Zweifel an der Rechtzeitigkeit des Antrags, geht dies zu Lasten des Antragstellers (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14 -, juris Rn. 12). Da sich bei derzeitigem Kenntnisstand nicht beurteilen lässt, ob die Nachholung der Revisionseinlegung innerhalb der Antragsfrist erfolgte (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO), kommt vorliegend auch keine Wiedereinsetzung von Amts wegen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2022 – 4 StR 76/22 -, juris Rn. 4).““

Ich verstehe es nicht. Warum macht man sich keine Checkliste dazu, was in den Antrag gehört, und arbeitet die dann bei der Begründung ab?

KCanG II: Verwertung „alter“ Überwachungsdaten, oder: Bewährung bei Neufestsetzung der Strafe?

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Und im zweiten KCanG-Posting des Tages dann drei Entscheidungen aus der Instanz, und zwar zum Verfahrensrecht. Die beiden OLG Entscheidungen befassen sich noch einmal mit der Verwertung „alter“ Erkenntnisse aus der Überwachung von Messenger-Diensten unter Geltung des KCanG. Die LG Entscheidung befasst sich mit der Neufestsetzung der Strafe nach dem KCanG.

Hier sind:

Soweit einige Obergerichte unter Anwendung der Encro-Chat-Rechtsprechung des BGH aufgestellten Grundsätze die Zulässigkeit der Verwertung von Daten aus Kryptierdiensten beim Vorliegen von „nur“ Vergehen, auch bei Verwirklichung besonders schwerer Fälle, nach dem KCanG verneint, da der seitens des BGH fruchtbar gemachte Schutzbereich von §§ 100e Abs. 6, 100b StPO insoweit mangels Vorliegens von Katalogtaten nicht (mehr) eröffnet sei, tritt der Senat dieser Rechtsprechung nicht bei. Der Entscheidung des BGH zum Kryptierdienst kann eine Beschränkung dahingehend, dass stets der „fruchtbar gemachte Grundgedanke der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO)“ in allen gleichgelagerten Fallgestaltungen heranzuziehen ist, nicht entnommen werden. Vielmehr sind nach dieser Entscheidung auch Verwendungsschranken unterhalb des Schutzniveaus von §§ 100e Abs. 6, 110b StPO in Betracht zu ziehen.

Die Verwertung von Informationen, die aufgrund der Überwachung und Entschlüsselung von Kommunikationsvorgängen in den Kryptiersystemen SkyECC und An0m durch Ermittlungsbehörden ausländischer Staaten erhoben und im Wege der Rechtshilfe erlangt wurden, erfüllt dann die Voraussetzung der strikten Verhältnismäßigkeit, wenn die zugrunde liegende Tat vom Katalog des § 100a Abs. 2 StPO (vorliegend: § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG) erfasst ist und auch die übrigen Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO gegeben sind.

1. Eine nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB veranlasste Neufestsetzung der Strafe erfordert bei Festsetzung einer aussetzungsfähigen Strafe auch eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung.

2. Mit der Aussetzungsentscheidung ist die Bewährungszeit neu festzusetzen. Die Bewährungszeit beginnt nach § 56a Satz 1 StGB mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung.

3. Auf die neue Bewährungszeit ist die Zeit, in der der Verurteilte seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils unter Bewährung stand, anzurechnen.