Es geht in dem Verfahren um die Verurteilung wegen mehrerer Geschwindigkeitsüberschreitungen, die in zeitliche Nähe zueinander begangen worden sind. Das AG hatte für jede eine Geldbuße und außerdem bei einer Tat ein Fahrverbot verhängt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die teilweise Erfolg hatte.
Das BayObLG ist nur einer Tat ausgegangen. Es macht in der Entscheidung dann noch einmal Ausführungen zur mehrfachen Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Fahrt, die ich hier vorstelle. Soweit auch Ausführungen zur Täteridentifizierung und zum Vorsatz erfolgen, verweise ich auf den Volltext.
„3. Allerdings gehen die Urteilsgründe von einer unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Einordnung des Tatgeschehens aus. Richtigerweise liegt ein tateinheitliches Zusammentreffen der drei Geschwindigkeitsüberschreitungen des Betroffenen nach § 19 Abs. 1 OWiG vor.
a) Beim Zusammentreffen mehrerer Geschwindigkeitsüberschreitungen gilt in rechtlicher Hinsicht folgendes:
Bei mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlaufe einer Fahrt handelt es sich nach einhelliger Rechtsprechung und Literaturmeinung, der sich der Senat anschließt, regelmäßig um mehrere Taten im materiellen (und prozessualen) Sinne (vgl. BayObLG, Beschl. v. 04.09.1995 – 2 ObOWi 536/95; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.01.2024 – 2 ORbs 23 Ss 769/23; OLG Hamm, Beschl. v. 12.09.2011 – 3 RBs 248/11; OLG Celle, Beschl. v. 10.06.2010 – 322 SsBs 161/10; Hentschel/König StVR 48. Aufl. § 3 StVO Rn. 62 jew. m.w.N.).
Eine einzige Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist dagegen dann anzunehmen, wenn ordnungswidrigkeitenrechtlich erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt (OLG Hamm, Beschl. v. 12.09.2011 a.a.O.; Hentschel/König a.a.O.). Dies kann im Einzelfall bei einem im äußeren zeitlichen Ablauf einheitlichen geschichtlichen Vorgang bei sehr geringem zeitlichen Abstand zwischen den Taten der Fall sein (BayObLG, Beschl. v. 25.02.1997 – 2 ObOWi 65/97). Auch eine einheitliche Willensrichtung des Betroffenen kann dem Tatgeschehen bei einem nur sehr geringen zeitlichen Abstand den Charakter eines einheitlichen zusammengehörenden Tuns verleihen (vgl. KG, Beschl. v. 09.10.2015 – 3 Ws (B) 404/15 – 162 Ss 77/15).
b) Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet dies, dass die Geschwindigkeitsüberschreitungen drei in Tateinheit stehende Ordnungswidrigkeiten i.S.d. § 19 Abs. 1 OWiG darstellen.
aa) Die Geschwindigkeitsüberschreitungen wurden innerhalb nur etwa einer Minute auf der gleichen Bundesautobahn begangen. Es liegt somit ein außergewöhnlich enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang zwischen ihnen vor (so auch OLG Köln, Beschl. v. 17.08.2004 – Ss 259/04 (B) 18 LB; OLG Celle, Beschl. v. 25.10.2011 – 322 SsBs 295/11). Es ist auch von einem inneren Zusammenhang auszugehen, da die Geschwindigkeitsüberschreitungen in Annäherung an eine Autobahnbaustelle bzw. in dieser stattgefunden haben. Hierbei hat der Betroffene seine Geschwindigkeit ausweislich der Abfolge der Messungen stetig, wenn auch zu keinem Zeitpunkt im vorgeschriebenen Umfang verringert, so dass sich der Vorgang bei wertender Betrachtung als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt. Damit unterscheidet sich die Fallgestaltung von Konstellationen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 12.09.2011 a.a.O.), in denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit zwischen den Geschwindigkeitsmessungen wieder heraufgesetzt worden war und der Betroffene auf die erneute Herabsetzung der Geschwindigkeit mit einer signifikanten Änderung seines Fahrverhaltens reagierte.
bb) Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass der Betroffene nur wegen einer einzigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu verurteilen wäre.
Anders als in dem vom OLG Köln (Beschl. v. 17.08.2004 a.a.O.) entschiedenen Fall hat der Betroffene im zeitlichen Verlauf seiner Fahrt drei unterschiedliche verkehrsrechtliche Anordnungen (Geschwindigkeitsbeschränkung zunächst auf 120 km/h, weiter auf 100 km/h, später auf 80 km/h) missachtet. Die einzelnen Messungen stellen sich somit nicht als zufällige zeitliche Ausschnitte aus einem in äußerer Hinsicht im Wesentlichen gleich ablaufenden Vorgang dar. Mag auch, wie ausgeführt, weiterhin von einer einheitlichen Handlung des Betroffenen auszugehen sein, so beinhaltet diese nicht die Übertretung einer einzigen Anordnung, sondern einen mehrfachen Verstoß gegen verschiedene in zeitlicher Hinsicht aufeinander folgende verkehrsrechtliche Verbote. Dies muss im Schuldspruch zum Ausdruck gebracht werden, um das Maß des verwirklichten Unrechts angemessen zu beschreiben.
cc) An der konkurrenzrechtlichen Einordnung als Tateinheit ändert auch der Umstand nichts, dass das Amtsgericht von unterschiedlichen Schuldformen ausgegangen ist.
(1) Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass ein Wechsel der Schuldform (von Fahrlässigkeit auf Vorsatz) grundsätzlich geeignet ist, eine rechtlich relevante Zäsur einer einheitlichen Willensrichtung im Rahmen eines durch einen zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichneten Geschehens zu bewirken (vgl. KG, Beschl. v. 09.10.2015 a.a.O.; OLG Celle, Beschl. v. 25.10.2011 a.a.O. Rn. 17), mit der Folge, dass das Tatgeschehen davor und danach in Tatmehrheit stünde.
(2) Es würde im vorliegenden Fall jedoch einen Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz darstellen, in tatsächlicher Hinsicht von einem Wechsel der Schuldform auszugehen.
Den Urteilsfeststellungen ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht bei der von ihm (nur) als fahrlässig gewerteten ersten Geschwindigkeitsüberschreitung ein vorsätzliches Verhalten des Betroffenen ernsthaft erwogen hat. Es hat dieses jedoch nicht positiv ausgeschlossen (bzw. bloß fahrlässiges Verhalten positiv festgestellt), sondern lediglich zugunsten des Betroffenen angenommen, dass er die Anordnung der ersten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h übersehen haben könnte. Hiergegen ist an sich nichts zu erinnern.
Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Zweifelssatz niemals so angewendet werden darf, dass er sich an anderer Stelle zu Lasten des Betroffenen auswirkt (BGH, Beschl. v. 22.07.2020 – 1 StR 220/20; Fischer, StGB 72. Aufl. § 20 Rn. 67, vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 05.03.2013 – 5 StR 25/13 jew. m.w.N.).
Hiergegen hat das Amtsgericht bei seiner konkurrenzrechtlichen Einordnung verstoßen. Erst ein Wechsel der Schuldform eröffnet die Möglichkeit einer Zäsur, mit der Folge, dass vor und nach dem Wechsel begangene Ordnungswidrigkeiten in Tatmehrheit stünden und nach § 20 OWiG mehrere Geldbußen zu verhängen wären. Dies stellt sich gegenüber der Verhängung einer einzelnen Geldbuße bei Tateinheit (§ 19 Abs. 1 OWiG) als für den Betroffenen rechtlich nachteilig dar.
Dieser ist daher in konkurrenzrechtlicher Hinsicht unter erneuter Anwendung des Zweifelssatzes so zu behandeln, als habe bei ihm schon beim Passieren des ersten Verkehrszeichens ein einheitlicher Tatentschluss dahingehend vorgelegen, die vor ihm liegende Fahrtstrecke möglichst schnell zu durchfahren.“