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Nochmals: Das Geld in der Kühltruhe, oder: Fristsetzung

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Ich hatte vor einigen Tagen über den LG Landau, Beschl. v. 11.05.2017 – 3 Qs 28/17 u. 29/17 – berichtet. Der ein oder andere Leser wird sich erinnern. Das war die Sache mit den gesparten 170.000 € in der Kühltruhe (vgl. 170.000 € in der Kühltruhe “gespart”, oder: Dinglicher Arrest/Vermögensabschöpfung). In der Sache hat mit der Kollege Sorge noch einen weiteren Beschluss des LG Landau zukommen lassen, und zwar den LG Landau, Beschl. v. 02.01.2018 – 5 Qs 261/17. Er hatte sich für die Mandantin über die Dauer der Auswertung der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände beschwert. Das LG sagt: Die dauert noch nicht zu lange, aber: Allmählich wird es Zeit:

 

„Zur Begründung nehme ich auf die zutreffenden Ausführungen des Beschlusses 1 Gs 1222/ 17 vom 25.10.2017 (BI. 264 d.A.) Bezug. Die Angaben zu dem gesetzlichen Tatbestand und dem Tatvorwurf waren bereits Gegenstand der Beschlagnahmeanordnung 1 Gs 347/ 17 vom 09.03.2017 (BI. 34 d.A.).

Die Staatsanwaltschaft Landau führt gegen die Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls. Das Amtsgericht Landau erließ am 09.03.2017 einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, der am 17.03.2017 durch Beamte des Polizeiinspektion Germersheim vollzogen wurde. Bei der Durchsuchung wurden die im Beschluss des Amtsgerichts Landau 1 Gs – 1222/17 konkret bezeichneten Unterlagen beschlagnahmt, die für das weitere Verfahren und den Tatnachweis von Bedeutung waren.

Die Auswertung der Unterlagen und Durchführung weiterer Ermittlungen wurde aufgrund des eingegangenen Antrags der Beschwerdeführerin nach § 98 ‚Abs. 2 StPO vom 07.09.2017 (BI. 175 d.A.) unterbrochen und die Sachakten und Asservate wurden zu Zwecken der Weiterleitung an das Amtsgericht, an die Staatsanwaltschaft Landau übersandt.

Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist bei einer Verfahrensdauer von sechs Monaten nicht ersichtlich. Von Beginn der Durchsuchung am 17.03.2017 bis zum Eingang des Antrags am 11.09.2017 gab es keine ermittlungsverzögernde Unterbrechungen. Dass die Beschlagnahme der Gegenstände nun in den achten Monat fortdauert ist nicht zuletzt durch die Erforderlichkeit der gerichtlichen Entscheidungen bedingt worden und kann den Ermittlungsbehörden nicht als willkürliche Verfahrensverzögerung angelastet werden. Die Ermittlungen wurden in angemessener Zeit geführt, Die von der Beschwerdeführerin vorgetragene „missliche personelle Lage der Ermittlungsbehörden“ hat auf die Dauer des hiesigen Ermittlungsverfahrens keinen unmittelbaren Einfluss. Die Beschlagnahme über den Beschwerdezeitpunkt hinaus rechtfertigt sich durch die noch nicht vollständig abgeschlossene Auswertung der Unterlagen.

Die Beschuldigte hat u.a. Notizen zum Verbleib der verfahrensgegenständlichen Banknoten – insbesondere auch in dem dringend zurückgeforderten Tischkalender „2017″ – gefertigt (vgl. BI. 257 d.A.). Die Beweismittel geben außerdem Aufschluss über die zwischenmenschlichen Beziehungen und streitbedingten Vorkommnisse zwischen den Beteiligten. 

Gründe die die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme auch vor dem Hintergrund des Art. 14 GG – tatsächlich in Zweifel ziehen könnten wurden nicht vorgetragen.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer jedenfalls insoweit an, als die Beschwerde derzeit noch unbegründet ist. Die Auswertung der Unterlagen wird in Anbetracht der inzwischen seit März 2017 andauernden Beschlagnahme innerhalb weniger Wochen (max. ein Monat) abgeschlossen sein müssen, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Unterlagen verfahrensrelevant sind oder ob sie mangels Beweiserheblichkeit zurückzugeben sind. Soweit die Auswertung der USB-Sticks noch nicht vollständig erfolgt ist, wird in Betracht gezogen werden müssen, die darauf befindlichen Daten zum Zweck der Auswertung zunächst auf einem anderen Datenträger zu sichern, bis eine Entscheidung über die Beweiserheblichkeit dieser Daten getroffen werden kann. Nur bei einem zeitnahen Abschluss der Auswertung der Unterlagen kann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch genügt werden.“

Man könnte auch sagen: Fristsetzung 🙂 .

Auswertung von Kipo-Dateien, oder: 9.331,74 € muss die Staatskasse selbst tragen

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Nun, was kann man an Karfreitag noch für Entscheidungen vorstellen. Nicht alle passen ja so gut, wie der OLG Hamm, Beschl. v. 29.05.2016 – 2 RBs 59/16 – und dazu: „Das Leben des Brian“, oder: (Film)Vorführung am Krafreitag erlaubt?. Ich habe mich dann für den OLG Schleswig, Beschl. v. 10.01.2017 – 2 Ws 441/16 (165/16) – entschieden. Kein Bezug zu Ostern, aber vielleicht für den ein oder anderen Verteidiger dann doch ein schönes Osterei. Denn in der Entscheidung kann „Geld stecken“.  Sie betrifft nämlich eine Problematik, die in der Praxis häufiger auftritt und die in die Rubrik gehört: Und das dicke Ende kommt dann noch.. So auch hier. Der Angeklagte ist wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, welche zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Er hat u.a. die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es wird dann unter Bezugnahme auf Nr. 9005 KV-GKG eine Sachverständigenvergütung in Höhe von 9.331,74 € zu seinen Lasten festgesetzt. Zugrunde liegt dem eine auf diesen Betrag lautende Rechnung der Firma X. GmbH gegenüber der Staatsanwaltschaft über ein Gutachten zur forensischen Auswertung von sichergestellten Datenträgern. Um die Berechtigung dieses Kostenansatzes wird gestritten.

Das OLG Schleswig sagt: Der Ansatz der Sachverständigenkosten muss zwar nicht schon deshalb unterbleiben, weil es eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 Abs. 1 GKG darstellt, dass im Rahmen der Auswertung von sichergestellten Datenträgern überhaupt ein externes Sachverständigengutachten eingeholt worden ist. Jedoch können die Sachverständigenkosten nicht gemäß Nr. 9005 KV-GKG als Auslagen dem Verurteilten weiter belastet werden, weil die abgerechneten Leistungen nicht die Leistungen eines Sachverständigen darstellen:

„2. Indessen sieht der Senat nicht, dass die von der Firma X. GmbH abgerechneten Dienstleistungen die Qualität eines Sachverständigengutachtens hätten. Mangels eines andersgearteten geeigneten Auslagentatbestands sind damit die tatsächlich entstandenen Auslagen mit der Verfahrensgebühr nach GKG abgegolten bzw. aus Haushaltsmitteln zu finanzieren.

Die Aufgabe eines Sachverständigengutachtens besteht darin, dem Richter oder Staatsanwalt die Kenntnis von Erfahrungssätzen zu übermitteln und ggf. aufgrund solcher Erfahrungssätze Tatsachen zu ermitteln (BGH, Urteil vom 18. Mai 1951 – 1 StR 149/51 -, NJW 1951, 771). Die bloße Vornahme einer organisatorischen oder technischen Dienstleistung allein reicht nicht, mag auch hierfür umfangreiches Expertenwissen erforderlich sein………….

Nicht anders liegt es aber auch im vorliegenden Fall:

Mit Auftrag der Kriminalpolizeistelle K. vom 2. Dezember 2012, wurde im Wesentlichen um eine Auflistung kinderpornografischer Dateien in einer Excel-Tabelle gebeten und im Falle eines Auffinden von Mails kinderpornografischen Inhalt um die Mitteilung von Daten von Absender, Empfänger und Datum sowie Fundstelle des Ausdrucks. Laut dem vorliegenden Gutachten der Firma X. GmbH wurden der beschlagnahmte Rechner und die beschlagnahmten Datenträger mittels einer dafür geeigneten Software auf die Existenz von kinderpornografischen Darstellungen untersucht wie auch – insoweit zum Teil überschießend – unter Verwendung von hinterlassenen Spuren das einschlägige Kommunikationsverhalten des Betreibers des Rechners. Die Ergebnisse wurden in geeigneter Weise teils tabellarisch, teils auszugsweise sichtbar gemacht.

Der Senat verkennt nicht, dass die von der Firma X. GmbH erbrachte Leistung die Anwendung einer spezifischen Software ebenso voraussetzt wie ein diese Anwendung begleitendes entsprechendes fachliches Wissen, welches dasjenige eines durchschnittlichen Computerbenutzers in den Justizbehörden übersteigen dürfte. Allerdings wurde auf diese Weise – wie es die Beschwerdekammer des Landgerichts richtig gesehen hat – nicht mehr erbracht als eine technische Sichtbarmachung von Datenmaterial und eine technisch bedingte Vorsortierung von Dateimaterial, dessen Bewertung im Übrigen selbstverständlich von den ermittelnden Polizeibeamten oder Staatsanwälten noch vorzunehmen war. Eine Beantwortung spezifischer Fragestellungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie – allein hierfür dürfte die Firma X. GmbH auch fachlich ausgewiesen sein – war weder in Auftrag gegeben worden noch ist sie erfolgt.

So hätte es – vielleicht – liegen können bei der Erstellung eines spezifischen Kommunikationsprofils in Bezug auf wiederholtem Kontakt zu bestimmten Internet-Adressen oder bei Fragen nach der Wirksamkeit oder der Provenienz bestimmter Verschlüsselungstechnologien, wenn derartige Fragen gestellt worden wären. Dies war aber nicht der Fall und hätte zudem eine erste „Durchsicht“ des Datenmaterials erfordert, welche vor Beauftragung der Firma X. GmbH gerade noch nicht geleistet worden war. Auch liegt der Fall nicht etwa derart, dass die Firma X. GmbH eine Auswertung mittels eines allein von ihr entwickelten speziellen Verfahrens vorgenommen hätte; die laut Angaben des Gutachtens eingesetzte Software EnCase Version 6.16 ist vielmehr ein auf dem Markt erhältliches Produkt des Herstellers „Guidance Software“, welches nach Erwerb und Schulung grundsätzlich auch von anderen IT-Spezialisten angewendet werden kann. Damit verbleibt die Leistung der X. GmbH im Bereich der bloßen technischen Dienstleistung. Die – technisch qualifizierte – Erleichterung der im Ermittlungsverfahren ohnehin notwendigen Durchsicht eines Datenbestandes mittels Sichtbarmachung und Vorsortierung allein macht diese Dienstleistung aber noch nicht zu einem Sachverständigengutachten.“

Muss/sollte man sich als Verteidiger merken bzw. im Auge behalten. Und: Die Abrechnung der entsprechenden Tätigkeiten erfolgt über Vorbem. 4 Abs. 5 VV RVG i.V.m. Teil 3 VV RVG, und zwar der Nr. 3500 VV RVG.

Auswertung einer ESO ES 3.0-Messung durch Private, oder: Ignoranz der Macht?

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Urheber Jepessen

In einem umfangreich begründeten Beschluss – immerhin 10 Seiten – hat jetzt das AG Weilburg im AG Weilburg, Beschl. v. 06.03.2017 – 40 OWi 6 Js 7873/16 – noch einmal zur Frage des Bestehens eines Beweisverwertungsverbotes bei Einschaltung privater Dienstleister bei der Auswertung einer Geschwindigkeitsmessung -ESo ES 3.0 – Stellung genommen und sagt dazu:  Bei eklatanter, bewusst regelwidriger Einschaltung privater Dienstleister bei der Durchführung bzw. Auswertung von Geschwindigkeitsmessungen durch die Ordnungsbehörde unterliegen die Ergebnisse der Messung einem Beweisverwertungsverbot.

Das Besondere an der lesenswerten Entscheidung, die ich hier – auch nicht auszugsweise – wegen ihrer Länge nicht einstelle, also: selber lesen: Das AG hat das Verfahren nach § 69 Abs. 5 Satz 2 OWiG endgültig mangels hinreichenden Tatverdachts an die Verwaltungsbehörde zurückgegeben, nachdem es schon einige Male zwsichen AG/Verwaltungsbehörde und OLG Frankfurt hin und her gegangen ist.

Fasst man die Ausführungen des AG zusammen, gilt: Das AG bejaht ein Beweisverwertungsverbot wegen der unzulässigen Einschaltung eines privaten Dienstleisters bei der Durchführung der Messung und deren Auswertung. Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport habe mit Erlass vom 05.02.2015 die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden so geregelt, dass technische Hilfe durch Privatpersonen nur dergestalt möglich ist, dass die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel in jedem Fall bei der Ordnungsbehörde zu verbleiben hat. Daran fehle es. Aus der Beweisaufnahme, einer Stellungnahme des übergeordneten Regierungspräsidiums sowie aus früheren vergleichbaren Fällen ergebe sich, dass sich kein Messbeamter in alleiniger Verantwortung vom ordnungsgemäßen Aufbau der Messanlage überzeugt, vorgeschriebene Funktionsprüfungen vorgenommen oder Messungen durchgeführt hat. Ebenso sei die Umwandlung der Falldateien nicht durch die Behörde erfolgt und die Auswertung nicht in dem erforderlichen Maße von der Behörde vorgenommen wurde. Faktisch sei die Messung fast ausschließlich durch den Privatanbieter durchgeführt worden, der auch die Umwandlung und Auswertung vornahm und die Daten erstellte, welche in das Programm zur weiteren Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten als Bußgeldverfahren eingespeist wurden und welche bei Gericht als Beweis dienen sollten. Es müsse ferner die Sachkenntnis des Messbeamten der Gemeinde bezweifelt werden.

Der Kollege Dr. Deutscher hat die Entscheidung für den VRR aufbereitet und meint dazu u.a.:

„Das AG deckt in minutiöser Detailarbeit eine unglaubliche Ignoranz der örtlichen Behörde auf, die offenbar trotz früherer Entscheidungen des AG unbeirrt an ihrem rechtswidrigen Kurs festgehalten hat. Man kann nur hoffen, dass es sich um deinen Einzelfall und nicht die Spitze eines Eisbergs handelt. Mit einer solchen Vorgehensweise wird der ohnehin in der Öffentlichkeit ramponierte Ruf von Geschwindigkeitsmessungen wahrlich nicht gefördert (zur „Kölner Knöllchen-Affäre“ Deutscher ZAP 2017, S. 267) und damit erst recht nicht die Verkehrssicherheit. Der Beschluss ist nachdrücklich zu begrüßen. Anfechtbar ist er nicht (§ 69 Abs. 5 Satz 3 OWiG), hätte aber wohl selbst vor den gestrengen Augen des OLG Frankfurt/Main Gnade gefunden (dort zu einem vergleichbaren Urteil des AG Weilheim Beschl. v. 15.6.2016, 2 Ss-OWi 462/16).“

Da kann man m.E. wirklich nur sagen/fragen: Was schert uns das „Geschwätz“ der Gerichte…… oder ist es die berühmte „Ignoranz der Macht“?

Was Polizeibeamte oder AG so alles können – ein Sachverständiger hätte es wohl anders gesehen?

entnommen Wikimedia.org Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

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Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Vor einigen Tagen habe ich vom LG Lüdinghausen das AG Lüdinghausen, Urt. v. 20.04.2015 – 19 OWi-89 Js 1431/14-139/14 – übersandt bekommen. Es geht um eine Geschwindigkeitsmessung mittels Provida-Nachfahrsystem auf einem Motorrad. Zur Auswertung der Messung (durch die Polizei) stellte das AG fest bzw. führt es aus:

„Das Gericht hat insoweit aus dem Videofilm ein Print gefertigt, dieses in Augenschein und als Bl. 71 zur Akte genommen. Gemäß § 267 Abs. 3 S. 1 StPO wird auf dieses Print Bezug genommen. Auf dem Print ist die Beschilderung deutlich zu erkennen und links neben der Beschilderung von hinten das Fahrzeug des Betroffenen etwa mittig des Bildes. Der Polizeibeamte G. hat dann versucht, dem Fahrzeug des Betroffenen mit gleich bleibendem Abstand zu folgen. Tatsächlich wurde der Betroffene jedoch schneller während dieser Verfolgung und fuhr mit einer deutlich den Umständen unangepasster Geschwindigkeit. Das Gericht hat weitere zwei Videoprints gefertigt. Das erste Videoprint ist ein solches, dass die Situation des Betroffenen zu Beginn der später anhand des Videos vorgenommenen Messung darstellt. Insoweit wird nach § 267 Abs. 3 S. 1 StPO auf das Lichtbild Bl 72 der Akte Bezug genommen. Ebenso wird Bezug genommen auf das Print Bl. 73 der Akte, das in etwa die Situation am Ende der (später festgelegten) Messstrecke darstellt. Hier ist das Betroffenenfahrzeug erkennbar kleiner abgebildet als auf dem Bild Blatt 72 der Akte. Das Betroffenen Fahrzeug war dementsprechend schneller unterwegs als das Fahrzeug der Polizei. Zudem ist erkennbar, dass der Betroffene aufgrund seiner Geschwindigkeit in der Rechtskurve, vor der er sich befindet nach links auf die Gegenfahrbahn heraus getragen wird. Auf dem ebenso in Augenschein genommenen Messvideo ergibt sich, dass ihm in der Kurve Radfahrer auf der rechten Fahrbahn entgegenkamen. Gefährdet wurden diese jedoch nicht.

Die Polizei wertet im Nachhinein die gefertigten Videos aus und bestimmt anhand einer dann im Rahmen der Auswertung festgelegten Messstrecke eine gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit. Es handelt sich hierbei nicht um ein standardisiertes Messverfahren, sondern eine freie Messung mit dem zur Tatzeit gültig geeichten und der Bedienungsanleitung entsprechenden Provida- System. Anhand des Wegstreckenzählers, der in das Video eingespielt wird, wurde als Messstrecke eine Strecke zwischen 59888 m und 59982 m festgelegt. Die Messstrecke war also 94 m lang. Hiervon wurde seitens der Polizei eine Toleranz von 4 m abgezogen. Die für die Geschwindigkeitsmessung dann notwendige Zeit hat das Gericht anhand der Videobilder ermittelt. Der Bildzähler wies zu Beginn 127604 Bilder aus, am Ende der Messstrecke 127710 Bilder. Für die Bildzähler-Differenz von 106 Bildern war angesichts der für ein Bild anzusetzenden Zeit von 0,04 Sekunden eine Zeit von 4,24 Sekunden als Messzeit anzusetzen. Auch hier wurde eine Toleranz abgezogen und zwar von 0,0242 Sekunden, so dass sich eine verwertbare Messezeit von 4,2642 Sekunden ergab. Aus den Zahlen ohne Toleranzabzug ließ sich dann eine Geschwindigkeit von 79,8 km/h ermitteln. Der Toleranzabzug belief sich jedoch nur auf 3,9 km/h. Notwendig war jedoch einer Toleranz von mindestens 5 km/h. Diese wurde erreicht, in dem ein weiterer Geschwindigkeitsabschlag von 1,9 km/h von den zu unter Berücksichtigung der oben genannten Toleranzwerte ermittelten Geschwindigkeit von 75,9 km/h berücksichtigt wurde. Dementsprechend wurde nur eine Geschwindigkeit von 74 km/h vorgeworfen. Für die Tat bedeutet dies eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 24 km/h.“

Für mich war diese Vorgehensweise ein wenig unkonventionell, zumal es sich ja um eine Messung in einer Kurve gehandelt hat. Ich habe daher mal „meine Sachverständigen“ von der VUT aus Püttlingen gefragt. Die haben dann wie folgt Stellung genommen:

„Über die Notwendigkeit des Sachverständigen zur Beurteilung technischer Fragestellungen.

Im Urteil zu 19OWi-89 Js 1431/14-139/14 wird durch das Gericht eine nachträgliche Auswertung einer Verfolgungsfahrt mittels eines Provida-Motorrads durchgeführt.

Interessant hieran ist, dass das Gericht in seinem Urteil darauf eingeht, dass der relevante, nachträglich ausgewertete, Streckenabschnitt in einer Kurve lag.

Die PTB als Zulassungsbehörde hat übereinstimmend in den Zulassungen der Bauformen Provida 2000 und Provida 2000modular für solche Fälle  folgendes formuliert:

„Messungen mit Schräglage dürfen nicht verwendet werden“

Dieses Verbot hat auch seinen Niederschlag in den Gebrauchsanweisungen gefunden und besteht bis zum heutigen Tage.

In einer Untersuchung in 2012 hat die PTB festgestellt, dass alleine durch die Schräglage des Messmotorrads ein Fehler von bis zu 8% auftrat. Im gleichen Artikel wurde auch konstatiert, dass dieser Effekt reifenabhängig ist. Hieraus muss geschlossen werden, dass bei abweichender Reifenkontur auch höhere Fehler auftreten können.

Dies zeigt, dass das Verbot der Verwendung solcher Messungen technisch wohl begründet ist. Aus technischer Sicht ist dies auch nicht anders zu werten, wenn durch eine nachträgliche Auswertung die Berechnung des Geschwindigkeitswertes durch das Gericht erfolgt. Das Verbot der Zulassungsbehörde bezieht sich grundsätzlich auf alle Wegstreckenmessungen und daraus folgend auch Geschwindigkeitsmessungen, da der Abrollumfang des Reifens durch Schräglage verändert wird.

Dem entsprechend basiert das hier gefällte Urteil auf einer verfälschten Messung deren Ungenauigkeiten weit außerhalb der Toleranzen der Gerätezulassung liegt.

Dies hätte durch die Prüfung des Vorgangs durch einen Sachverständigen vermieden werden können.

Hinzuweisen ist auch noch darauf, dass hier unklar bleibt warum die Auswertung innerhalb des Kurvenbereichs durchgeführt wurde. Kommend von Ahsen gibt es eine etwa 270m lange gerade Strecke bis zur im Urteil genannten Kurve und danach gibt es auf der Eversumer Straße/K9 ein etwa 1,3 km langes schnurgerades Teilstück welches sich hervorragend für eine Messung eignen würde.  

[1] – Einfluss einer Motorrad-Schräglage auf Geschwindigkeitsmessungen mit Videonachfahrsystemen.“

Also, schon erstaunlich. Erstaunlich aber auch, dass der Verteidiger das so hingenommen hat. Oder?

Ring frei II: AG Parchim: Der „Landkreis..“ hat „…. zu vertuschen versucht…“

© Coloures-pic - Fotolia.com

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Ich hatte ja schon am Montag zum Wochenauftakt über die Auswertung von Messdaten durch Private und ein sich daraus ergebendes Beweisverwertungsverbot berichtet (vgl. das AG Kassel, Urt. v. 14.04.2015 – 385 OWi – 9863 Js 1377/15 – und dazu Ring frei zur nächsten Runde? oder: Geblitzt – ausgewertet von Privaten – Freispruch). Der in dem Beitrag erwähnte Kollege D. Noack aus Berlin hat mir freundlicher Weise das ebenfalls erwähnte – von ihm/seiner Kanzlei erstrittene AG Parchim, Urt. v. 01.04.2015 –  5 OWi 2215/14 – übersandt. Dafür besten Dank. Ich stelle es ebenfalls gern – zum Wochenende – auf meiner Homepage zu allgemeinen Verwendung 🙂 ein.

Die Argumentation des zeitlich vor dem AG Kassel, Urt. v. 14.04.2015 – 385 OWi – 9863 Js 1377/15 ergangenen AG Parchim, Urt. v. 01.04.2015 –  5 OWi 2215/14 – geht in dieselbe Richtung:

„Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns. Eine Mitwirkung von Privatpersonen ist nur möglich, wenn die Verwaltungsbehörde „Herrin des Verfahrens“ bleibt. Bei Geschwindigkeitsmessungen muss die Behörde nicht nur Ort, Zeit und Häufigkeit der Messungen vorgeben, sondern auch den eigentlichen Messvorgang durch eigene ausgebildete Mitarbeiter kontrollieren, um gegebenenfalls einschreiten zu können. Schließlich muss die Auswertung des Messergebnisses der Ordnungsbehörde vorbehalten bleiben (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2003 – 2 Ss Owi 388/02).“

Und wenn das nicht der Fall ist: Beweisverwertungsverbot (vgl. dazu auch OLG Naumburg, Beschl. v.07.05.2012 – 2 Ss Bz 25/12 und Hilfe von Privaten – Beweisverwertungsverbot für Messergebnisse im Straßenverkehr). Man sieht, so ganz neu ist die Geschichte nicht. Sie kocht nur gerade wieder an verschiedenen Stellen der Republik hoch. Das spricht dafür, dass flächendeckend so ausgewertet wird.

Was mich – gelinde ausgedrückt – erstaunt, ist folgende Passage im AG Parchim-Urteil:

„Der Landkreis Ludwigslust-Parchim hat nicht nur bei Missachtung der Vorgaben aus dem vorbezeichneten Erlass die Datenauswertung exclusiv der V. GmbH als privaten Dienstleistungsanbieter übertragen, sondern dies auch in Kenntnis der Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens zu vertuschen versucht.

Bereits in den vorangegangenen Verfahren 5 OWi 1913/14 und 5 OWi 1633/14 hat das Gericht am 9.12.2014 bei Durchführung eines Ortstermins in den Geschäftsräumen der Stabsstelle Verkehrsüberwachung bei dem Landkreis Ludwigslust-Parchim sich von dem tatsächlichen Ein-satz eines dort installierten TUFFViewers im Rahmen der Datenauswertung zu überzeugen versucht. Dort ist dem Gericht durch den Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung, Herrn pp., die Auskunft erteilt worden, dass es wegen seiner fehlenden Sachkenntnis nicht möglich sei, das dortige Messdatenauswertungsverfahren zu demonstrieren. Auch die zuständigen Sachgebietsleiter stünden hierfür nicht zur Verfügung. Aus der dem Gericht vorliegenden, in der Hauptverhandlung verlesenen, von der Zeugin A. an die Mitarbeiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung übersandten E-Mail vom 21.11.2014 ist zu entnehmen, dass anfragenden Rechtsanwälten die Auskunft zu erteilen sei, dass seit dem 15.10.2013 die Umstellung auf den neuen TUFFViewer 3.45-1 abgeschlossen worden sei und dieser seither für die ausschließliche Auswertung durch die Mitarbeiter des Landkreises Ludwigslust Parchim verwendet werde. Weiterführende Auskünfte an Rechtsanwälte sollten nicht erteilt werden. In seiner ebenfalls dem Gericht vorliegenden und in der Hauptverhandlung verlesenen weiteren E-Mail vom 02.02.2015 beklagt der vorgenannte Leiter der Stabsstelle Verkehrsüberwachung gegenüber den dortigen Mitarbeitern den Umstand, dass die interne E-Mail vom 21.11.2014 dem Amtsgericht Parchim vorläge und er prüfen lasse, wer für die Weitergabe der betreffenden E-Mail an „unbefugte Dritte“ verantwortlich sei.

Dem ist zu entnehmen, dass die Stabsstelle Verkehrsüberwachung in Kenntnis der ihr bereits in vorangegangenen Verfahren mitgeteilten oben bezeichneten obergerichtlichen Rechtsprechung bewusst auch der Erlasslage zuwiderhandelnd die Datenauswertung ausschließlich in private Hände ohne eigene Kontrollmöglichkeit übertragen hat. Auch hat der Landkreis Ludwigslust-Parchim dem Gericht die Einsichtnahme in die mit der V. Wismar GmbH bestehende Dienstleistungsvereinbarung trotz in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Ersuchens mit Fristsetzung zum 28.3.2015, 12.00 Uhr, verweigert.“

Da ist man doch ein wenig „verwundert“. Ich kann nur sagen: Keinen weiteren Kommentar.